Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.Skizzen aus unserm heutigen Oolkslebeu sagen im Gcinsenmrsch durch die Stadt, um bei den maßgebenden Personen Besuch Die Männer, die einst der Lüge und dem Wahne, womit doch eigentlich der Eine Neuwahl mußte also vorgenommen werden. Nachdem man abermals Die neue Ära begann. Die Helden dieser neuen Ära waren mit sich selber Noch ein letzter Versuch wurde von dem Kuratorium der Privatschule, das Skizzen aus unserm heutigen Oolkslebeu sagen im Gcinsenmrsch durch die Stadt, um bei den maßgebenden Personen Besuch Die Männer, die einst der Lüge und dem Wahne, womit doch eigentlich der Eine Neuwahl mußte also vorgenommen werden. Nachdem man abermals Die neue Ära begann. Die Helden dieser neuen Ära waren mit sich selber Noch ein letzter Versuch wurde von dem Kuratorium der Privatschule, das <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0447" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239235"/> <fw type="header" place="top"> Skizzen aus unserm heutigen Oolkslebeu</fw><lb/> <p xml:id="ID_2225" prev="#ID_2224"> sagen im Gcinsenmrsch durch die Stadt, um bei den maßgebenden Personen Besuch<lb/> zu machen. Im geheimen wurde gewühlt, und im öffentlichen wurden die Chancen<lb/> der einzelnen Bewerber abgewogen. Als aber die Wahl abgehalten war und die<lb/> Wahlzettel gezählt wurden, kam das unerwartete Resultat heraus: der Stadtsekretär<lb/> war mit zwei Stimmen Majorität gewählt worden. Die Herren auf der wohlhabenden<lb/> Bürgerseite waren entsetzt, und der Herr Oberpfnrrer erkannte das nahende Ende<lb/> mit voller Deutlichkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_2226"> Die Männer, die einst der Lüge und dem Wahne, womit doch eigentlich der<lb/> Herr Stadtsekretär gemeint war, den Tod geschworen hatten, aber leider zu lässig<lb/> gewesen waren und' mehr ans das eigne Geschäft als auf das Wohl der Stadt<lb/> geachtet hatten, rafften sich auf. Sie forschten in der Vergangenheit des Herrn<lb/> Stadtsekretärs nach und fanden da einen dunkeln Punkt, Veruntreuung oder Dis-<lb/> ziplinnrnntersuchung oder so etwas, machten Bericht an die Königliche Regierung<lb/> und erhoben gegen die Wahl Protest. Die Folge war, daß die Königliche Regierung<lb/> ihre Bestätigung versagte. Der Stadtsekretär schnob Rache, wühlte und suchte seine<lb/> Gesinnungsgenossen zu bewegen, ihn in wiederholter Wahl zu präsentieren und alle<lb/> Rechtsmittel gegen diese frevelhafte Vergewaltigung der bürgerlichen Freiheit an¬<lb/> zuwenden. Aber der Stadtsekretär mußte auch seinerseits erfahren, daß der Erfolg<lb/> den Erfolg schafft. Als er eines Abends mit seinem Freunde Pfaffe nach Haus<lb/> ging und diesen in seinem Sinne zu bearbeiten suchte, sagte dieser cttvas ungnädig:<lb/> Nun halten Sie aber einmal endlich das Muri. Schievelbein, Sie haben Ihr Teil<lb/> weg; andre Leute sind anch noch dn. Was wollte Schicbelbein macheu, er zog sich<lb/> grollend zurück und begnügte sich mit seiner Zulage.</p><lb/> <p xml:id="ID_2227"> Eine Neuwahl mußte also vorgenommen werden. Nachdem man abermals<lb/> geprüft, erwogen und verhandelt hatte, ging als Sieger hervor ein Doktor Scheibe,<lb/> das heißt ein entgleistcr Referendar mit einem gewaltigen Schnnnzbarte, gewaltiger<lb/> Stimme und großer Zungenfertigkeit, der sich aber in den Händen der maßgebenden<lb/> Personen als weiches Wachs erwiesen hatte, und der auch außerdem Schulden haben<lb/> wilde, was von gewissen Menschenkennern, die wußten, an welchen Zügeln man<lb/> Menschen sührt, nicht ungern gesehen wurde. Nachdem dieser sich Pfaffe und Ge-<lb/> nossen leibeigen verschrieben, anch einen körperlichen Eid abgelegt hatte, daß er die<lb/> Vereinigung'der Privntschule und der Ncktorklasse hintertreiben werde, wurde er<lb/> »mit überwältigender Mehrheit" gewählt, und zwar mit Hilfe der Gruppe, die teils<lb/> verborgen, teils offenbar der Sozinldemotrntie angehörte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2228"> Die neue Ära begann. Die Helden dieser neuen Ära waren mit sich selber<lb/> höchst zufrieden. Wenn man den Erörterungen über den Stand des städtischen<lb/> Haushalts bei Mittler Grüneberg glauben wollte, so war alles über alles Lob er¬<lb/> haben. Die alten Knackstiefel waren beseitigt, das Wohl der Stadt lag in den Händen<lb/> des freien Mannes, der allein ein Hort aller Bürgertugend ist. Eine goldne Zu-<lb/> kunft that sich auf, denn die kommende Zeit mußte eine Zeit der Gerechtigkeit, des<lb/> Aufschwungs, der allgemeinen Prosperität sein. Viele von der alten Verwaltung<lb/> w unverantwortlicher Lässigkeit unterlassene Verbesserungen wurden sogleich in die<lb/> Hand genommen. So die Neupflasteruug der Straße nach dem Bahnhof, die den<lb/> ^aga des Schwagers von Pfaffe den Weg um zehn Minuten verkürzte, die Ver¬<lb/> mehrung der Lampen in der Gegend des Stadtverordneten so und so, die Herab¬<lb/> setzung der Pacht, die Genosse so und so zu zahlen hatte, Nnka.if eines Ackerstucks,<lb/> das einem Vetter eines Gesinnungsgenossen gehörte, zur Anlegung eines städtischen<lb/> ^anhoses. Dagegen wurde von der Erhöhung der Lehrcrgehnlte abgesehen —<lb/> des Rektors wegen, eines Mensche», der sich nicht entblödete, seine würdelose Ge-<lb/> Ununng bei jeder Gelegenheit kundzuthnn. Auch wurden die Verhandlungen wegen<lb/> der Vereinigung der Privatschule mit der Ncktorklasse so geführt, daß sie scheitern<lb/> mußten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2229" next="#ID_2230"> Noch ein letzter Versuch wurde von dem Kuratorium der Privatschule, das<lb/> die Schule aus eignen Kräften nicht mehr aufrecht erhalten konnte, gemacht, man</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0447]
Skizzen aus unserm heutigen Oolkslebeu
sagen im Gcinsenmrsch durch die Stadt, um bei den maßgebenden Personen Besuch
zu machen. Im geheimen wurde gewühlt, und im öffentlichen wurden die Chancen
der einzelnen Bewerber abgewogen. Als aber die Wahl abgehalten war und die
Wahlzettel gezählt wurden, kam das unerwartete Resultat heraus: der Stadtsekretär
war mit zwei Stimmen Majorität gewählt worden. Die Herren auf der wohlhabenden
Bürgerseite waren entsetzt, und der Herr Oberpfnrrer erkannte das nahende Ende
mit voller Deutlichkeit.
Die Männer, die einst der Lüge und dem Wahne, womit doch eigentlich der
Herr Stadtsekretär gemeint war, den Tod geschworen hatten, aber leider zu lässig
gewesen waren und' mehr ans das eigne Geschäft als auf das Wohl der Stadt
geachtet hatten, rafften sich auf. Sie forschten in der Vergangenheit des Herrn
Stadtsekretärs nach und fanden da einen dunkeln Punkt, Veruntreuung oder Dis-
ziplinnrnntersuchung oder so etwas, machten Bericht an die Königliche Regierung
und erhoben gegen die Wahl Protest. Die Folge war, daß die Königliche Regierung
ihre Bestätigung versagte. Der Stadtsekretär schnob Rache, wühlte und suchte seine
Gesinnungsgenossen zu bewegen, ihn in wiederholter Wahl zu präsentieren und alle
Rechtsmittel gegen diese frevelhafte Vergewaltigung der bürgerlichen Freiheit an¬
zuwenden. Aber der Stadtsekretär mußte auch seinerseits erfahren, daß der Erfolg
den Erfolg schafft. Als er eines Abends mit seinem Freunde Pfaffe nach Haus
ging und diesen in seinem Sinne zu bearbeiten suchte, sagte dieser cttvas ungnädig:
Nun halten Sie aber einmal endlich das Muri. Schievelbein, Sie haben Ihr Teil
weg; andre Leute sind anch noch dn. Was wollte Schicbelbein macheu, er zog sich
grollend zurück und begnügte sich mit seiner Zulage.
Eine Neuwahl mußte also vorgenommen werden. Nachdem man abermals
geprüft, erwogen und verhandelt hatte, ging als Sieger hervor ein Doktor Scheibe,
das heißt ein entgleistcr Referendar mit einem gewaltigen Schnnnzbarte, gewaltiger
Stimme und großer Zungenfertigkeit, der sich aber in den Händen der maßgebenden
Personen als weiches Wachs erwiesen hatte, und der auch außerdem Schulden haben
wilde, was von gewissen Menschenkennern, die wußten, an welchen Zügeln man
Menschen sührt, nicht ungern gesehen wurde. Nachdem dieser sich Pfaffe und Ge-
nossen leibeigen verschrieben, anch einen körperlichen Eid abgelegt hatte, daß er die
Vereinigung'der Privntschule und der Ncktorklasse hintertreiben werde, wurde er
»mit überwältigender Mehrheit" gewählt, und zwar mit Hilfe der Gruppe, die teils
verborgen, teils offenbar der Sozinldemotrntie angehörte.
Die neue Ära begann. Die Helden dieser neuen Ära waren mit sich selber
höchst zufrieden. Wenn man den Erörterungen über den Stand des städtischen
Haushalts bei Mittler Grüneberg glauben wollte, so war alles über alles Lob er¬
haben. Die alten Knackstiefel waren beseitigt, das Wohl der Stadt lag in den Händen
des freien Mannes, der allein ein Hort aller Bürgertugend ist. Eine goldne Zu-
kunft that sich auf, denn die kommende Zeit mußte eine Zeit der Gerechtigkeit, des
Aufschwungs, der allgemeinen Prosperität sein. Viele von der alten Verwaltung
w unverantwortlicher Lässigkeit unterlassene Verbesserungen wurden sogleich in die
Hand genommen. So die Neupflasteruug der Straße nach dem Bahnhof, die den
^aga des Schwagers von Pfaffe den Weg um zehn Minuten verkürzte, die Ver¬
mehrung der Lampen in der Gegend des Stadtverordneten so und so, die Herab¬
setzung der Pacht, die Genosse so und so zu zahlen hatte, Nnka.if eines Ackerstucks,
das einem Vetter eines Gesinnungsgenossen gehörte, zur Anlegung eines städtischen
^anhoses. Dagegen wurde von der Erhöhung der Lehrcrgehnlte abgesehen —
des Rektors wegen, eines Mensche», der sich nicht entblödete, seine würdelose Ge-
Ununng bei jeder Gelegenheit kundzuthnn. Auch wurden die Verhandlungen wegen
der Vereinigung der Privatschule mit der Ncktorklasse so geführt, daß sie scheitern
mußten.
Noch ein letzter Versuch wurde von dem Kuratorium der Privatschule, das
die Schule aus eignen Kräften nicht mehr aufrecht erhalten konnte, gemacht, man
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