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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Skizzen aus unser", heutigen Volksleben

bes "Polkenganes" ihre Einkäufe in Polkenroda machten, und daß in Polkenroda
eine Privatschule für die Kinder der Villenbesitzer und der Beamten der Umgegend
gegründet wurde, während die Bnrgersöhne die Lateinschule des Rektors besuchten.
Freilich wäre es besser gewesen, wenn sich beide Schulen vereinigt hätten, denn so
hatte jede der beiden zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel.

Aber in die schöne Pvlkenröder Blüte geriet ein Wurm in Gestalt der Mac Kinley-
Vill, die den amerikanischen Markt zuzuschließen drohte. Und gerade Amerika war
der Hauptabnehmer der Pvlkenröder Handschuhe gewesen. Was sollte werden, wenn
die Pvlkenröder Fabriken eingingen? Dreiviertel der gesamten Kommunaleinnnhmen
wurde von einem Dutzend wohlhabender Fabrikanten und Villenbesitzer getragen.
Die kleinen Ackerbürger mit ihren elenden, verschuldeten Höfen konnten nur wenig
leisten, und die Arbeiterschaft, die der Stadt weit mehr kostete, als sie einbrachte,
kam überhaupt nicht in Betracht.

Diese Lage hatte der Herr Bürgermeister wohl erkannt. Darum schienen ihm
zwei Maßnahmen vor allem geboten zu sein, erstens durch Vereinigung der Latein¬
klasse mit der Privatschule die wohlhabenden und steuerkräftigen Einwohner durch
ihre Kinder an die Stadt zu fesseln, und zweitens alles daran zu setzen, eine Eisen¬
bahnverbindung zu erhalten und dadurch die vvrhandne Industrie zu stärken und
zu neuen Unternehmungen Anregung zu geben. Es bot sich eine günstige Gelegenheit,
dn sich eine Gesellschaft gefunden hatte, die beabsichtigte, die schon erwähnte Eisen¬
bahnlinie mit einer andern hinter den Bergen vorbeiführenden dnrch eine Sekundnr-
bahn zu verbinden. Sie plante die Linie Schlichtstedt-Polkenroda-Obstheim, forderte
aber von Polkenroda einen Zuschuß von 50000 Mark oder Zinsgarantie in einer
gewissen Höhe. Der Bürgermeister griff mit beiden Händen zu und schloß mit
der Gesellschaft ab, natürlich unter der Voraussetzung der Zustimmung der städtischen
Vertretung.

Wir müssen anerkennen, daß der Bürgermeister Recht hatte. Aber was hilft
das, wenn die Bürgerschaft nnn einmal nicht will, wenn die Arbeiterschaft wütet und
sich über nnerschwingliche Steuern beklagt -- die sie übrigens gar nicht zahlt,
sondern andre Leute --, wenn der Fvrtschrittsmann Männermut vor Königsthronen
beweist, und die wohlgesinnte Bürgerschaft sich nur für die eignen Interessen zu
erwärmen vermag und nie zu habe" ist, wenn man sie braucht? Es gab eine endlose
und höchst unerquickliche Stadtvcrordueteusitznng, die zum Ergebnis hatte, daß
schließlich keiner mehr wußte, was er wollte, und was beschlossen sei oder beschlossen
werden sollte oder nicht. Die. Linke that so, als verlange der Bürgermeister in
verbrecherischer Weise, daß die 50000 Mark in seine Tasche fließen sollten, die
Rechte wagte weder ja noch nein zu sagen, und die Mitte war für die alte be¬
währte Methode, die Sache zu verschleppen. Und so erhielt der Bürgermeister
seine Vorlage mit einem höchst verwickelten Protokoll zurück. Und schon dies durch¬
zusetzen hatte Mühe gemacht. Denn da war der Zimmermeister Pfaffe, dessen
Schwager ein Speditionsgeschäft hatte, und der bei dem Mangel einer Eisenbahn mit
seinen Pferden schönes Geld verdiente. Dieser hörte nicht anf zu rufen: ^. Aulus,
-r limioe.! was großen Eindruck machte. Ferner war da Herr Kümmerlich, der
sich darüber aufregte, daß die geplante Bahn seinen Acker am Müuseberg durch¬
schneiden könnte, und andre, die Freunde und Verwandte hatten, die voraussichtlich
Von der Bahn nichts verdienen würden. Diese alle waren für Abweisung a liwins
gewesen.

Man kann nicht sagen, daß die Donnerschläge, die im Rathause von Polken¬
roda erklungen waren, ans die Polkenröder einen tiefen Eindruck gemacht hätten-
Am andern Morgen steckte Herr Rentier Leißring, ein Patrizier, dessen Ansehen
seinem Vermögen entsprach, seinen Kopf, wie er täglich zu thun Pflegte, zum Fenster
hinaus, sah die Straße hinab, die Straße hinauf und zog seinen Kopf wieder zurück.
Darauf erschien er, wie täglich, in der Hausthür, die lange Pfeife in der Hand,
prüfte das Wetter und fand, daß Falb Recht habe; darauf wandte er sich seinem
Kaffee zu. las den Kurszettel und war mit der Tagesarbeit fertig bis zu der


Skizzen aus unser», heutigen Volksleben

bes „Polkenganes" ihre Einkäufe in Polkenroda machten, und daß in Polkenroda
eine Privatschule für die Kinder der Villenbesitzer und der Beamten der Umgegend
gegründet wurde, während die Bnrgersöhne die Lateinschule des Rektors besuchten.
Freilich wäre es besser gewesen, wenn sich beide Schulen vereinigt hätten, denn so
hatte jede der beiden zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel.

Aber in die schöne Pvlkenröder Blüte geriet ein Wurm in Gestalt der Mac Kinley-
Vill, die den amerikanischen Markt zuzuschließen drohte. Und gerade Amerika war
der Hauptabnehmer der Pvlkenröder Handschuhe gewesen. Was sollte werden, wenn
die Pvlkenröder Fabriken eingingen? Dreiviertel der gesamten Kommunaleinnnhmen
wurde von einem Dutzend wohlhabender Fabrikanten und Villenbesitzer getragen.
Die kleinen Ackerbürger mit ihren elenden, verschuldeten Höfen konnten nur wenig
leisten, und die Arbeiterschaft, die der Stadt weit mehr kostete, als sie einbrachte,
kam überhaupt nicht in Betracht.

Diese Lage hatte der Herr Bürgermeister wohl erkannt. Darum schienen ihm
zwei Maßnahmen vor allem geboten zu sein, erstens durch Vereinigung der Latein¬
klasse mit der Privatschule die wohlhabenden und steuerkräftigen Einwohner durch
ihre Kinder an die Stadt zu fesseln, und zweitens alles daran zu setzen, eine Eisen¬
bahnverbindung zu erhalten und dadurch die vvrhandne Industrie zu stärken und
zu neuen Unternehmungen Anregung zu geben. Es bot sich eine günstige Gelegenheit,
dn sich eine Gesellschaft gefunden hatte, die beabsichtigte, die schon erwähnte Eisen¬
bahnlinie mit einer andern hinter den Bergen vorbeiführenden dnrch eine Sekundnr-
bahn zu verbinden. Sie plante die Linie Schlichtstedt-Polkenroda-Obstheim, forderte
aber von Polkenroda einen Zuschuß von 50000 Mark oder Zinsgarantie in einer
gewissen Höhe. Der Bürgermeister griff mit beiden Händen zu und schloß mit
der Gesellschaft ab, natürlich unter der Voraussetzung der Zustimmung der städtischen
Vertretung.

Wir müssen anerkennen, daß der Bürgermeister Recht hatte. Aber was hilft
das, wenn die Bürgerschaft nnn einmal nicht will, wenn die Arbeiterschaft wütet und
sich über nnerschwingliche Steuern beklagt — die sie übrigens gar nicht zahlt,
sondern andre Leute —, wenn der Fvrtschrittsmann Männermut vor Königsthronen
beweist, und die wohlgesinnte Bürgerschaft sich nur für die eignen Interessen zu
erwärmen vermag und nie zu habe« ist, wenn man sie braucht? Es gab eine endlose
und höchst unerquickliche Stadtvcrordueteusitznng, die zum Ergebnis hatte, daß
schließlich keiner mehr wußte, was er wollte, und was beschlossen sei oder beschlossen
werden sollte oder nicht. Die. Linke that so, als verlange der Bürgermeister in
verbrecherischer Weise, daß die 50000 Mark in seine Tasche fließen sollten, die
Rechte wagte weder ja noch nein zu sagen, und die Mitte war für die alte be¬
währte Methode, die Sache zu verschleppen. Und so erhielt der Bürgermeister
seine Vorlage mit einem höchst verwickelten Protokoll zurück. Und schon dies durch¬
zusetzen hatte Mühe gemacht. Denn da war der Zimmermeister Pfaffe, dessen
Schwager ein Speditionsgeschäft hatte, und der bei dem Mangel einer Eisenbahn mit
seinen Pferden schönes Geld verdiente. Dieser hörte nicht anf zu rufen: ^. Aulus,
-r limioe.! was großen Eindruck machte. Ferner war da Herr Kümmerlich, der
sich darüber aufregte, daß die geplante Bahn seinen Acker am Müuseberg durch¬
schneiden könnte, und andre, die Freunde und Verwandte hatten, die voraussichtlich
Von der Bahn nichts verdienen würden. Diese alle waren für Abweisung a liwins
gewesen.

Man kann nicht sagen, daß die Donnerschläge, die im Rathause von Polken¬
roda erklungen waren, ans die Polkenröder einen tiefen Eindruck gemacht hätten-
Am andern Morgen steckte Herr Rentier Leißring, ein Patrizier, dessen Ansehen
seinem Vermögen entsprach, seinen Kopf, wie er täglich zu thun Pflegte, zum Fenster
hinaus, sah die Straße hinab, die Straße hinauf und zog seinen Kopf wieder zurück.
Darauf erschien er, wie täglich, in der Hausthür, die lange Pfeife in der Hand,
prüfte das Wetter und fand, daß Falb Recht habe; darauf wandte er sich seinem
Kaffee zu. las den Kurszettel und war mit der Tagesarbeit fertig bis zu der


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[0444] Skizzen aus unser», heutigen Volksleben bes „Polkenganes" ihre Einkäufe in Polkenroda machten, und daß in Polkenroda eine Privatschule für die Kinder der Villenbesitzer und der Beamten der Umgegend gegründet wurde, während die Bnrgersöhne die Lateinschule des Rektors besuchten. Freilich wäre es besser gewesen, wenn sich beide Schulen vereinigt hätten, denn so hatte jede der beiden zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Aber in die schöne Pvlkenröder Blüte geriet ein Wurm in Gestalt der Mac Kinley- Vill, die den amerikanischen Markt zuzuschließen drohte. Und gerade Amerika war der Hauptabnehmer der Pvlkenröder Handschuhe gewesen. Was sollte werden, wenn die Pvlkenröder Fabriken eingingen? Dreiviertel der gesamten Kommunaleinnnhmen wurde von einem Dutzend wohlhabender Fabrikanten und Villenbesitzer getragen. Die kleinen Ackerbürger mit ihren elenden, verschuldeten Höfen konnten nur wenig leisten, und die Arbeiterschaft, die der Stadt weit mehr kostete, als sie einbrachte, kam überhaupt nicht in Betracht. Diese Lage hatte der Herr Bürgermeister wohl erkannt. Darum schienen ihm zwei Maßnahmen vor allem geboten zu sein, erstens durch Vereinigung der Latein¬ klasse mit der Privatschule die wohlhabenden und steuerkräftigen Einwohner durch ihre Kinder an die Stadt zu fesseln, und zweitens alles daran zu setzen, eine Eisen¬ bahnverbindung zu erhalten und dadurch die vvrhandne Industrie zu stärken und zu neuen Unternehmungen Anregung zu geben. Es bot sich eine günstige Gelegenheit, dn sich eine Gesellschaft gefunden hatte, die beabsichtigte, die schon erwähnte Eisen¬ bahnlinie mit einer andern hinter den Bergen vorbeiführenden dnrch eine Sekundnr- bahn zu verbinden. Sie plante die Linie Schlichtstedt-Polkenroda-Obstheim, forderte aber von Polkenroda einen Zuschuß von 50000 Mark oder Zinsgarantie in einer gewissen Höhe. Der Bürgermeister griff mit beiden Händen zu und schloß mit der Gesellschaft ab, natürlich unter der Voraussetzung der Zustimmung der städtischen Vertretung. Wir müssen anerkennen, daß der Bürgermeister Recht hatte. Aber was hilft das, wenn die Bürgerschaft nnn einmal nicht will, wenn die Arbeiterschaft wütet und sich über nnerschwingliche Steuern beklagt — die sie übrigens gar nicht zahlt, sondern andre Leute —, wenn der Fvrtschrittsmann Männermut vor Königsthronen beweist, und die wohlgesinnte Bürgerschaft sich nur für die eignen Interessen zu erwärmen vermag und nie zu habe« ist, wenn man sie braucht? Es gab eine endlose und höchst unerquickliche Stadtvcrordueteusitznng, die zum Ergebnis hatte, daß schließlich keiner mehr wußte, was er wollte, und was beschlossen sei oder beschlossen werden sollte oder nicht. Die. Linke that so, als verlange der Bürgermeister in verbrecherischer Weise, daß die 50000 Mark in seine Tasche fließen sollten, die Rechte wagte weder ja noch nein zu sagen, und die Mitte war für die alte be¬ währte Methode, die Sache zu verschleppen. Und so erhielt der Bürgermeister seine Vorlage mit einem höchst verwickelten Protokoll zurück. Und schon dies durch¬ zusetzen hatte Mühe gemacht. Denn da war der Zimmermeister Pfaffe, dessen Schwager ein Speditionsgeschäft hatte, und der bei dem Mangel einer Eisenbahn mit seinen Pferden schönes Geld verdiente. Dieser hörte nicht anf zu rufen: ^. Aulus, -r limioe.! was großen Eindruck machte. Ferner war da Herr Kümmerlich, der sich darüber aufregte, daß die geplante Bahn seinen Acker am Müuseberg durch¬ schneiden könnte, und andre, die Freunde und Verwandte hatten, die voraussichtlich Von der Bahn nichts verdienen würden. Diese alle waren für Abweisung a liwins gewesen. Man kann nicht sagen, daß die Donnerschläge, die im Rathause von Polken¬ roda erklungen waren, ans die Polkenröder einen tiefen Eindruck gemacht hätten- Am andern Morgen steckte Herr Rentier Leißring, ein Patrizier, dessen Ansehen seinem Vermögen entsprach, seinen Kopf, wie er täglich zu thun Pflegte, zum Fenster hinaus, sah die Straße hinab, die Straße hinauf und zog seinen Kopf wieder zurück. Darauf erschien er, wie täglich, in der Hausthür, die lange Pfeife in der Hand, prüfte das Wetter und fand, daß Falb Recht habe; darauf wandte er sich seinem Kaffee zu. las den Kurszettel und war mit der Tagesarbeit fertig bis zu der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/444>, abgerufen am 01.09.2024.