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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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von einer Weltreise

Kolonialländern für eine kostspielige Ehre und für eine drückende Last, und
man diskutierte im Ernst die Abstoßung der Kolonien, Heute will man gerade
das Imperium, die Herrschaft über einen große,: Weltauteil. Ob man gut
daran thut, ist eine andre Frage, Man könnte andre europäische Mächte be¬
glückwünsche", daß sie nicht solche undankbaren Kolonialkriege für das Im¬
perium zu führen brauchen, wie den südafrikanischen. Wir Deutschen aber,
die wir aus einem sehr vernünftigen Grunde, nämlich wegen unsrer Angreif¬
barkeit in Europa, noch kein koloniales Imperium haben, brauchen und dürfen
mit der Verteilung nicht unzufrieden zu sein, solange das englische Kolonial¬
reich unserm Handel offen steht, und solange, bis wirklich einmal die überall
geschlossenen Thüren uns in der Heimat einschließen. Bis dahin können wohl
die Engländer auf unsern Handel eisersüchtig sein, nicht aber auf wir England.

Über den wirtschaftlichen Wert hinaus haben Tropenkolonien Wert als
Tummelplatz für die überzählige und vielleicht gefährliche gebildete Jugend,
außerdem und vor allem aber für eine lorbeerhungrige Armee, die dem Heimat¬
lande gefährlich werden könnte. Dieser Beweggrund hat sich oft in der Ge¬
schichte kolonialer Eroberungen als mächtiger und erfolgreicher erwiesen, als
das Handelsinteresse, das vor jedem Wagnis zu vorsichtig rechnet. Frankreichs
Exporthandel mit Koloniallündem ist gegen den dentschen von geringer Be¬
deutung. Es hat in den letzten dreißig Jahren nicht die enorme Vermehrung
an Menschen, Kapitalien und Exportbedürfnis erlebt, wie wir. Trotzdem hat
es sich gerade in dieser Zeit ein Kolonialreich von großer Ausdehnung zu¬
sammenerobert. Die treibenden .Kräfte sind nicht wirtschaftliche Interesse" ge¬
wesen; denn das Geschäft in den französischen Kolonien ist zum großen Teil
i" dentschen und englischen Händen. Auch nicht das Interesse der äußern
Politik; denn weder Elsaß-Lothringen noch Ägypten erobert man auf dem
Wege über die Sahara. sondern das Interesse der innern Politik verlangt,
daß das große Offizierkorps eine Aufgabe habe, damit es nicht zu lebhaftes
Interesse an der Politik der bürgerlichen Republik entwickelt.


S. Was lockt deu Europäer in die Tropen?

Wenn Malaria, Dysenterie und dergleichen nicht wäre, so würden die
Germanen, wie sie einst nach Italien, Spanien und Nordafrika ausgewandert
sind, so hente aus dein erwcrbsflcißigen, hart arbeitenden, langweiligen Europa
in die weiten Tropenlündcr auswandern, um dort Gefahr, Krieg und Sieg,
Macht und Reichtum zu suchen.

An erster Stelle die Gefahr, weil sie der eigentliche Reiz und Genus; des
Lebens ist. Nur der genießt das Leben ganz, der täglich es verlieren kaim-
Der Knabe im Spiel nud der Jüngling beim Sport liebt lind sucht die Ge¬
fahr. Es ist nicht die Anmut der Bewegungen beim Spiel und der Ehrgeiz
des Gewinnens beim Sport das psychische Motiv, sondern Lust zum Spielen
mit der Gefahr. Will der Ratter auf seinem Rad nur Schnelligkeit? Oder
zieht er nicht vielmehr den schmalen und gefährlichen Weg am Wasser der
kurzen, aber langweiligen Chaussee vor? Will der Reiter nur Bequemlichkeit.


von einer Weltreise

Kolonialländern für eine kostspielige Ehre und für eine drückende Last, und
man diskutierte im Ernst die Abstoßung der Kolonien, Heute will man gerade
das Imperium, die Herrschaft über einen große,: Weltauteil. Ob man gut
daran thut, ist eine andre Frage, Man könnte andre europäische Mächte be¬
glückwünsche«, daß sie nicht solche undankbaren Kolonialkriege für das Im¬
perium zu führen brauchen, wie den südafrikanischen. Wir Deutschen aber,
die wir aus einem sehr vernünftigen Grunde, nämlich wegen unsrer Angreif¬
barkeit in Europa, noch kein koloniales Imperium haben, brauchen und dürfen
mit der Verteilung nicht unzufrieden zu sein, solange das englische Kolonial¬
reich unserm Handel offen steht, und solange, bis wirklich einmal die überall
geschlossenen Thüren uns in der Heimat einschließen. Bis dahin können wohl
die Engländer auf unsern Handel eisersüchtig sein, nicht aber auf wir England.

Über den wirtschaftlichen Wert hinaus haben Tropenkolonien Wert als
Tummelplatz für die überzählige und vielleicht gefährliche gebildete Jugend,
außerdem und vor allem aber für eine lorbeerhungrige Armee, die dem Heimat¬
lande gefährlich werden könnte. Dieser Beweggrund hat sich oft in der Ge¬
schichte kolonialer Eroberungen als mächtiger und erfolgreicher erwiesen, als
das Handelsinteresse, das vor jedem Wagnis zu vorsichtig rechnet. Frankreichs
Exporthandel mit Koloniallündem ist gegen den dentschen von geringer Be¬
deutung. Es hat in den letzten dreißig Jahren nicht die enorme Vermehrung
an Menschen, Kapitalien und Exportbedürfnis erlebt, wie wir. Trotzdem hat
es sich gerade in dieser Zeit ein Kolonialreich von großer Ausdehnung zu¬
sammenerobert. Die treibenden .Kräfte sind nicht wirtschaftliche Interesse» ge¬
wesen; denn das Geschäft in den französischen Kolonien ist zum großen Teil
i» dentschen und englischen Händen. Auch nicht das Interesse der äußern
Politik; denn weder Elsaß-Lothringen noch Ägypten erobert man auf dem
Wege über die Sahara. sondern das Interesse der innern Politik verlangt,
daß das große Offizierkorps eine Aufgabe habe, damit es nicht zu lebhaftes
Interesse an der Politik der bürgerlichen Republik entwickelt.


S. Was lockt deu Europäer in die Tropen?

Wenn Malaria, Dysenterie und dergleichen nicht wäre, so würden die
Germanen, wie sie einst nach Italien, Spanien und Nordafrika ausgewandert
sind, so hente aus dein erwcrbsflcißigen, hart arbeitenden, langweiligen Europa
in die weiten Tropenlündcr auswandern, um dort Gefahr, Krieg und Sieg,
Macht und Reichtum zu suchen.

An erster Stelle die Gefahr, weil sie der eigentliche Reiz und Genus; des
Lebens ist. Nur der genießt das Leben ganz, der täglich es verlieren kaim-
Der Knabe im Spiel nud der Jüngling beim Sport liebt lind sucht die Ge¬
fahr. Es ist nicht die Anmut der Bewegungen beim Spiel und der Ehrgeiz
des Gewinnens beim Sport das psychische Motiv, sondern Lust zum Spielen
mit der Gefahr. Will der Ratter auf seinem Rad nur Schnelligkeit? Oder
zieht er nicht vielmehr den schmalen und gefährlichen Weg am Wasser der
kurzen, aber langweiligen Chaussee vor? Will der Reiter nur Bequemlichkeit.


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[0436] von einer Weltreise Kolonialländern für eine kostspielige Ehre und für eine drückende Last, und man diskutierte im Ernst die Abstoßung der Kolonien, Heute will man gerade das Imperium, die Herrschaft über einen große,: Weltauteil. Ob man gut daran thut, ist eine andre Frage, Man könnte andre europäische Mächte be¬ glückwünsche«, daß sie nicht solche undankbaren Kolonialkriege für das Im¬ perium zu führen brauchen, wie den südafrikanischen. Wir Deutschen aber, die wir aus einem sehr vernünftigen Grunde, nämlich wegen unsrer Angreif¬ barkeit in Europa, noch kein koloniales Imperium haben, brauchen und dürfen mit der Verteilung nicht unzufrieden zu sein, solange das englische Kolonial¬ reich unserm Handel offen steht, und solange, bis wirklich einmal die überall geschlossenen Thüren uns in der Heimat einschließen. Bis dahin können wohl die Engländer auf unsern Handel eisersüchtig sein, nicht aber auf wir England. Über den wirtschaftlichen Wert hinaus haben Tropenkolonien Wert als Tummelplatz für die überzählige und vielleicht gefährliche gebildete Jugend, außerdem und vor allem aber für eine lorbeerhungrige Armee, die dem Heimat¬ lande gefährlich werden könnte. Dieser Beweggrund hat sich oft in der Ge¬ schichte kolonialer Eroberungen als mächtiger und erfolgreicher erwiesen, als das Handelsinteresse, das vor jedem Wagnis zu vorsichtig rechnet. Frankreichs Exporthandel mit Koloniallündem ist gegen den dentschen von geringer Be¬ deutung. Es hat in den letzten dreißig Jahren nicht die enorme Vermehrung an Menschen, Kapitalien und Exportbedürfnis erlebt, wie wir. Trotzdem hat es sich gerade in dieser Zeit ein Kolonialreich von großer Ausdehnung zu¬ sammenerobert. Die treibenden .Kräfte sind nicht wirtschaftliche Interesse» ge¬ wesen; denn das Geschäft in den französischen Kolonien ist zum großen Teil i» dentschen und englischen Händen. Auch nicht das Interesse der äußern Politik; denn weder Elsaß-Lothringen noch Ägypten erobert man auf dem Wege über die Sahara. sondern das Interesse der innern Politik verlangt, daß das große Offizierkorps eine Aufgabe habe, damit es nicht zu lebhaftes Interesse an der Politik der bürgerlichen Republik entwickelt. S. Was lockt deu Europäer in die Tropen? Wenn Malaria, Dysenterie und dergleichen nicht wäre, so würden die Germanen, wie sie einst nach Italien, Spanien und Nordafrika ausgewandert sind, so hente aus dein erwcrbsflcißigen, hart arbeitenden, langweiligen Europa in die weiten Tropenlündcr auswandern, um dort Gefahr, Krieg und Sieg, Macht und Reichtum zu suchen. An erster Stelle die Gefahr, weil sie der eigentliche Reiz und Genus; des Lebens ist. Nur der genießt das Leben ganz, der täglich es verlieren kaim- Der Knabe im Spiel nud der Jüngling beim Sport liebt lind sucht die Ge¬ fahr. Es ist nicht die Anmut der Bewegungen beim Spiel und der Ehrgeiz des Gewinnens beim Sport das psychische Motiv, sondern Lust zum Spielen mit der Gefahr. Will der Ratter auf seinem Rad nur Schnelligkeit? Oder zieht er nicht vielmehr den schmalen und gefährlichen Weg am Wasser der kurzen, aber langweiligen Chaussee vor? Will der Reiter nur Bequemlichkeit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/436>, abgerufen am 01.09.2024.