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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Der Dichter der griechischen Aufklärung

folgend, die göttliche Weltregierung geradezu mit der Dike. Sie hat die
Eigenschaften, die wir gewohnt sind. Gott beizulegen. Allmacht. Allwissenheit.
Allgegenwart.

Im Archelaos sagte der Dichter:

Auch über die Entstehung der Welt hat Euripides seine Gedanken geäußert.
Aus zwei Urstoffen ist nach ihm die gesamte organische Schöpfung hervor¬
gegangen, aus dem feuchten Element des Äthers und dem trocknen der Erde.
Die Erzeugung selbst wird allerdings verschieden angegeben; in der Regel läßt
er sie durch die Verbindung oder durch die Vermählung dieser Urstoffe ge¬
schehn, an einer Stelle dagegen durch die nach der Vereinigung erfolgte
Trennung. Diese Verschiedenheit erklärt sich wohl daraus, daß der Dichter
verschiednen Philosophien -- zunächst wohl der des Archelaos, dann aber auch
der des Anaxagoras und Empedokles -- folgte und sich keine feste Theorie
über diesen Punkt gebildet hatte.

Die so entstandne Schöpfung ist als Ganzes unvergänglich, die Einzel¬
wesen aber kehren zu den beiden Grundstoffen zurück. Auch der Mensch gehört
Zu diesen Einzelwesen, und mich er ist aus den beiden Urelementen gebildet:
der Körper ist der Erde, der Geist dem Äther entnommen. Von einer persön¬
lichen Unsterblichkeit der Seele, wie sie Sokrcites annahm, will deshalb Euri¬
pides nichts wissen, sondern durch den Tod kehre der Körper zur Erde zurück,
der Geist dagegen entschwebe wieder in den Äther und habe fortan -- ebenso
Wie alle andern organischen Wesen nach ihrem Vergehn, nur in größerm
Maße als diese -- teil an dem Bewußtsein des Weltüthers. Eine gewisse
Ähnlichkeit damit zeigt die Lehre des Aristoteles, nach der das Unsterbliche
im Menschen, die Vernunft, von außen in den Menschen hineinkommt und
w'es seinem Tode wieder in die allgemeine Vernunft untertaucht.") Derartige
Ideen berühren sich mit dem modernen Pantheismus, und Resele erinnert
dabei an die letzten Worte von D. F. Strauß:

Diese Ansicht über die Zukunft uach dem Tode ist den: Dichter die wahr¬
scheinlichste; die landläufige Vorstellung vom Hades, wo die Abgcschiednen
fortleben, wird zwar auch hin und wieder berücksichtigt, aber immer nur aus
poetischen oder dramatischen Gründen, sodaß sie offenbar der innern Über¬
zeugung des Dichters fernsteht.

Auf dem Gebiete der Ethik geht der Tragiker von dem Grundsatz aus,
die Naturanlage für den menschlichen Charakter ausschlaggebend sei.
während nach der Lehre des Sokrates das Wissen oder das Erkennen des



") Vgl. Grenzboten 1902, I, S. 310.
Der Dichter der griechischen Aufklärung

folgend, die göttliche Weltregierung geradezu mit der Dike. Sie hat die
Eigenschaften, die wir gewohnt sind. Gott beizulegen. Allmacht. Allwissenheit.
Allgegenwart.

Im Archelaos sagte der Dichter:

Auch über die Entstehung der Welt hat Euripides seine Gedanken geäußert.
Aus zwei Urstoffen ist nach ihm die gesamte organische Schöpfung hervor¬
gegangen, aus dem feuchten Element des Äthers und dem trocknen der Erde.
Die Erzeugung selbst wird allerdings verschieden angegeben; in der Regel läßt
er sie durch die Verbindung oder durch die Vermählung dieser Urstoffe ge¬
schehn, an einer Stelle dagegen durch die nach der Vereinigung erfolgte
Trennung. Diese Verschiedenheit erklärt sich wohl daraus, daß der Dichter
verschiednen Philosophien — zunächst wohl der des Archelaos, dann aber auch
der des Anaxagoras und Empedokles — folgte und sich keine feste Theorie
über diesen Punkt gebildet hatte.

Die so entstandne Schöpfung ist als Ganzes unvergänglich, die Einzel¬
wesen aber kehren zu den beiden Grundstoffen zurück. Auch der Mensch gehört
Zu diesen Einzelwesen, und mich er ist aus den beiden Urelementen gebildet:
der Körper ist der Erde, der Geist dem Äther entnommen. Von einer persön¬
lichen Unsterblichkeit der Seele, wie sie Sokrcites annahm, will deshalb Euri¬
pides nichts wissen, sondern durch den Tod kehre der Körper zur Erde zurück,
der Geist dagegen entschwebe wieder in den Äther und habe fortan — ebenso
Wie alle andern organischen Wesen nach ihrem Vergehn, nur in größerm
Maße als diese — teil an dem Bewußtsein des Weltüthers. Eine gewisse
Ähnlichkeit damit zeigt die Lehre des Aristoteles, nach der das Unsterbliche
im Menschen, die Vernunft, von außen in den Menschen hineinkommt und
w'es seinem Tode wieder in die allgemeine Vernunft untertaucht.") Derartige
Ideen berühren sich mit dem modernen Pantheismus, und Resele erinnert
dabei an die letzten Worte von D. F. Strauß:

Diese Ansicht über die Zukunft uach dem Tode ist den: Dichter die wahr¬
scheinlichste; die landläufige Vorstellung vom Hades, wo die Abgcschiednen
fortleben, wird zwar auch hin und wieder berücksichtigt, aber immer nur aus
poetischen oder dramatischen Gründen, sodaß sie offenbar der innern Über¬
zeugung des Dichters fernsteht.

Auf dem Gebiete der Ethik geht der Tragiker von dem Grundsatz aus,
die Naturanlage für den menschlichen Charakter ausschlaggebend sei.
während nach der Lehre des Sokrates das Wissen oder das Erkennen des



") Vgl. Grenzboten 1902, I, S. 310.
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[0429] Der Dichter der griechischen Aufklärung folgend, die göttliche Weltregierung geradezu mit der Dike. Sie hat die Eigenschaften, die wir gewohnt sind. Gott beizulegen. Allmacht. Allwissenheit. Allgegenwart. Im Archelaos sagte der Dichter: Auch über die Entstehung der Welt hat Euripides seine Gedanken geäußert. Aus zwei Urstoffen ist nach ihm die gesamte organische Schöpfung hervor¬ gegangen, aus dem feuchten Element des Äthers und dem trocknen der Erde. Die Erzeugung selbst wird allerdings verschieden angegeben; in der Regel läßt er sie durch die Verbindung oder durch die Vermählung dieser Urstoffe ge¬ schehn, an einer Stelle dagegen durch die nach der Vereinigung erfolgte Trennung. Diese Verschiedenheit erklärt sich wohl daraus, daß der Dichter verschiednen Philosophien — zunächst wohl der des Archelaos, dann aber auch der des Anaxagoras und Empedokles — folgte und sich keine feste Theorie über diesen Punkt gebildet hatte. Die so entstandne Schöpfung ist als Ganzes unvergänglich, die Einzel¬ wesen aber kehren zu den beiden Grundstoffen zurück. Auch der Mensch gehört Zu diesen Einzelwesen, und mich er ist aus den beiden Urelementen gebildet: der Körper ist der Erde, der Geist dem Äther entnommen. Von einer persön¬ lichen Unsterblichkeit der Seele, wie sie Sokrcites annahm, will deshalb Euri¬ pides nichts wissen, sondern durch den Tod kehre der Körper zur Erde zurück, der Geist dagegen entschwebe wieder in den Äther und habe fortan — ebenso Wie alle andern organischen Wesen nach ihrem Vergehn, nur in größerm Maße als diese — teil an dem Bewußtsein des Weltüthers. Eine gewisse Ähnlichkeit damit zeigt die Lehre des Aristoteles, nach der das Unsterbliche im Menschen, die Vernunft, von außen in den Menschen hineinkommt und w'es seinem Tode wieder in die allgemeine Vernunft untertaucht.") Derartige Ideen berühren sich mit dem modernen Pantheismus, und Resele erinnert dabei an die letzten Worte von D. F. Strauß: Diese Ansicht über die Zukunft uach dem Tode ist den: Dichter die wahr¬ scheinlichste; die landläufige Vorstellung vom Hades, wo die Abgcschiednen fortleben, wird zwar auch hin und wieder berücksichtigt, aber immer nur aus poetischen oder dramatischen Gründen, sodaß sie offenbar der innern Über¬ zeugung des Dichters fernsteht. Auf dem Gebiete der Ethik geht der Tragiker von dem Grundsatz aus, die Naturanlage für den menschlichen Charakter ausschlaggebend sei. während nach der Lehre des Sokrates das Wissen oder das Erkennen des ") Vgl. Grenzboten 1902, I, S. 310.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/429>, abgerufen am 01.09.2024.