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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Deutschlands (Lxportbedürfnis und die gegenwärtige
Wirtschaftskrisis

or vier Jahren erschien in den Grenzboten (Heft 50 vom 15. De¬
zember 1898) unter der Überschrift "Unsre Zukunft liegt auf dein
Wasser" ein Artikel, worin die starke Zunnahme der industriellen
Produktionskraft im Deutschen Reiche mit der geringfügigen Ver¬
mehrung der Warenausfuhr vergliche" und die Befürchtung aus¬
gesprochen wurde, daß, wenn wir so fortwirtschafteten, der vielgerühmte wirtschaft¬
liche Aufschwung in einen empfindliche" Niedergang auslaufen müsse. Unsre da¬
maligen Ausführungen knüpften an die Ergebnisse der deutschen Berufs- und Ge-
werbezühlung von 1895 an, nach denen allein in der Industrie -- also abgesehen
von Handel und Verkehr -- das produktiv thätige Personal in der Zeit von
I882°bis 1895 von 5933000 auf 8000000 Köpfe, also um 35 Prozent ver¬
wehrt worden war, während es sich in Großbritannien im Jahrzehnt 1881/91
noch nicht um 13 Prozent, in Frankreich noch nicht um 2,5 Prozent vermehrt
hatte. Wenn man die in der Industrie benutzten Elementarkräfte, die leistungs¬
fähigern Arbeitsmaschinen und die verbesserte Arbeitsmethode überhaupt be¬
rücksichtigte, mußte mau für Deutschland von 1882 bis 1895 eine Erhöhung
der Gelverbekraft und Gewerbeproduktiou um 50 Prozent annehmen. Dagegen
hatte sich die Ausfuhr an Jndnstrieerzengnissen -- einschließlich der Bergwerks-
Prvdukte -- der Menge nach zwar much um 38,4 Prozent, dem Werte nach aber
nur um 4,4 Prozent vermehrt. Von der Zunahme der Ausfuhrmeugcn waren
dabei ganze 90 Prozent auf Industriezweige gekommen, deren Export volks¬
wirtschaftlich von etwas zweifelhaftem Wert erschien, nämlich auf Eisenerz-
nnd Steinkohlenbergwerke, Verkokungsanstalten und auf die durch Export-
Prämien gepflegte Zuckerfabrilation.

Unzweifelhaft -- so bemerkten wir im November 1898 dazu sei diese
Thatsache von der größten Bedeutung für die Beurteilung der gegenwärtigen
Lage und der sich ans ihr ergebenden Forderungen an die Wirtschafts- und
Handelspolitik der nächsten Zukunft. Die Gefahr einer zunehmend passiven
Handelsbilanz sei zwar vielfach übertrieben worden, aber ganz zu bestreiten


Grenzboten I V 1902 50



Deutschlands (Lxportbedürfnis und die gegenwärtige
Wirtschaftskrisis

or vier Jahren erschien in den Grenzboten (Heft 50 vom 15. De¬
zember 1898) unter der Überschrift „Unsre Zukunft liegt auf dein
Wasser" ein Artikel, worin die starke Zunnahme der industriellen
Produktionskraft im Deutschen Reiche mit der geringfügigen Ver¬
mehrung der Warenausfuhr vergliche» und die Befürchtung aus¬
gesprochen wurde, daß, wenn wir so fortwirtschafteten, der vielgerühmte wirtschaft¬
liche Aufschwung in einen empfindliche« Niedergang auslaufen müsse. Unsre da¬
maligen Ausführungen knüpften an die Ergebnisse der deutschen Berufs- und Ge-
werbezühlung von 1895 an, nach denen allein in der Industrie — also abgesehen
von Handel und Verkehr — das produktiv thätige Personal in der Zeit von
I882°bis 1895 von 5933000 auf 8000000 Köpfe, also um 35 Prozent ver¬
wehrt worden war, während es sich in Großbritannien im Jahrzehnt 1881/91
noch nicht um 13 Prozent, in Frankreich noch nicht um 2,5 Prozent vermehrt
hatte. Wenn man die in der Industrie benutzten Elementarkräfte, die leistungs¬
fähigern Arbeitsmaschinen und die verbesserte Arbeitsmethode überhaupt be¬
rücksichtigte, mußte mau für Deutschland von 1882 bis 1895 eine Erhöhung
der Gelverbekraft und Gewerbeproduktiou um 50 Prozent annehmen. Dagegen
hatte sich die Ausfuhr an Jndnstrieerzengnissen — einschließlich der Bergwerks-
Prvdukte — der Menge nach zwar much um 38,4 Prozent, dem Werte nach aber
nur um 4,4 Prozent vermehrt. Von der Zunahme der Ausfuhrmeugcn waren
dabei ganze 90 Prozent auf Industriezweige gekommen, deren Export volks¬
wirtschaftlich von etwas zweifelhaftem Wert erschien, nämlich auf Eisenerz-
nnd Steinkohlenbergwerke, Verkokungsanstalten und auf die durch Export-
Prämien gepflegte Zuckerfabrilation.

Unzweifelhaft — so bemerkten wir im November 1898 dazu sei diese
Thatsache von der größten Bedeutung für die Beurteilung der gegenwärtigen
Lage und der sich ans ihr ergebenden Forderungen an die Wirtschafts- und
Handelspolitik der nächsten Zukunft. Die Gefahr einer zunehmend passiven
Handelsbilanz sei zwar vielfach übertrieben worden, aber ganz zu bestreiten


Grenzboten I V 1902 50
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[0403] [Abbildung] Deutschlands (Lxportbedürfnis und die gegenwärtige Wirtschaftskrisis or vier Jahren erschien in den Grenzboten (Heft 50 vom 15. De¬ zember 1898) unter der Überschrift „Unsre Zukunft liegt auf dein Wasser" ein Artikel, worin die starke Zunnahme der industriellen Produktionskraft im Deutschen Reiche mit der geringfügigen Ver¬ mehrung der Warenausfuhr vergliche» und die Befürchtung aus¬ gesprochen wurde, daß, wenn wir so fortwirtschafteten, der vielgerühmte wirtschaft¬ liche Aufschwung in einen empfindliche« Niedergang auslaufen müsse. Unsre da¬ maligen Ausführungen knüpften an die Ergebnisse der deutschen Berufs- und Ge- werbezühlung von 1895 an, nach denen allein in der Industrie — also abgesehen von Handel und Verkehr — das produktiv thätige Personal in der Zeit von I882°bis 1895 von 5933000 auf 8000000 Köpfe, also um 35 Prozent ver¬ wehrt worden war, während es sich in Großbritannien im Jahrzehnt 1881/91 noch nicht um 13 Prozent, in Frankreich noch nicht um 2,5 Prozent vermehrt hatte. Wenn man die in der Industrie benutzten Elementarkräfte, die leistungs¬ fähigern Arbeitsmaschinen und die verbesserte Arbeitsmethode überhaupt be¬ rücksichtigte, mußte mau für Deutschland von 1882 bis 1895 eine Erhöhung der Gelverbekraft und Gewerbeproduktiou um 50 Prozent annehmen. Dagegen hatte sich die Ausfuhr an Jndnstrieerzengnissen — einschließlich der Bergwerks- Prvdukte — der Menge nach zwar much um 38,4 Prozent, dem Werte nach aber nur um 4,4 Prozent vermehrt. Von der Zunahme der Ausfuhrmeugcn waren dabei ganze 90 Prozent auf Industriezweige gekommen, deren Export volks¬ wirtschaftlich von etwas zweifelhaftem Wert erschien, nämlich auf Eisenerz- nnd Steinkohlenbergwerke, Verkokungsanstalten und auf die durch Export- Prämien gepflegte Zuckerfabrilation. Unzweifelhaft — so bemerkten wir im November 1898 dazu sei diese Thatsache von der größten Bedeutung für die Beurteilung der gegenwärtigen Lage und der sich ans ihr ergebenden Forderungen an die Wirtschafts- und Handelspolitik der nächsten Zukunft. Die Gefahr einer zunehmend passiven Handelsbilanz sei zwar vielfach übertrieben worden, aber ganz zu bestreiten Grenzboten I V 1902 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/403>, abgerufen am 01.09.2024.