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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Vernichtung zu wünschen. Wenn die kleinen Güter schlecht bewirtschaftet werden,
und die Kleinbauern in Not sind, so sei nicht die Form des Kleinbetriebs daran
schuld, sondern ein Komplex von Ursachen, die durch Selbsthilfe und durch Inter¬
vention des Staates gehoben werden können und in Deutschland und Frankreich
thatsächlich zum Teil schon gehoben worden sind, in Deutschland seit längerer Zeit
und in größerm Umfang als in Frankreich. Wir bekommen bei dieser Gelegenheit
eine recht brauchbare Übersicht der Agrargcschichte dieser beiden Länder im letzten
Jahrhundert. Von den Ergebnissen der französischen führen wir einiges an. Die
französische Revolution hat keineswegs, wie noch hie und da geglaubt wird, den
Kleinbesitz stark vermehrt oder gar geschaffen. Die konfiszierten Kirchen- und Adels¬
güter sind größtenteils von Kapitalisten und von den zurückgekehrten Sprößlingen
der Emigranten gekauft worden. Der heutige Kleiugruudbesitz ist schon vor der
Revolution vorhanden gewesen. Eine schlechte und falsche Statistik läßt ihn zudem
bedeutender erscheinen, als er ist; im Steuerregister zwar macht er 90 Prozent aus,
von der Bodenfläche aber hat er nur 26 Prozent inne. Und Gesetzgebung und
Verwaltung haben uuter der dritten Republik gerade so sehr und womöglich in noch
größerm Maße als unter den frühern Regierungen daran gearbeitet, ihn zu Gunsten
des Großgrundbesitzes und des mobilen Kapitals auszubeuten und zu unterdrücken.
Die Erbgesetzgebung, die Besteuerung, der Militärdienst, die Gestaltung des Handels,
des Börsen- und Bankwesens, die Privilegien der Eisenbnhngescllschnften sind alle
darauf berechnet, dem Grofibesitz auf Kosten des kleinen Vorteile zuzuwenden. Nur
insofern hat die Revolution den französischen Bauern in eine bessere Lage versetzt
als seine Brüder in andern Staaten, daß sie die Feudallasten ohne Entschädigung
aufgehoben hat, während in Preußen z. B. die kleinste" Bauern die Freiheit mit
dem Verlust ihres ganzen Landes, die größern teils mit einem Drittel oder mit
der Hälfte ihres Landes, teils mit einer Rentenschnld erkaufen mußten. Außerdem
schützt das Zweikindershstem einigermaßen, das zwar an sich verwerflich ist und dem
Staate Verderben bringen wird, vorläufig aber die Gefahr der Überschulduug ver¬
mindert. Wenn Nossig trotz alledem die Lage der französischen Bailern erträglicher
findet als die aller andern Länder, so muß man dieses kategorische Urteil sah"u
deswegen als unstatthaft zurückweisen, weil, wie er selbst hervorhebt, in Deutschland
die Verhältnisse des Bauernstandes landschaftlich so verschieden sind, daß es ganz
sinnlos Ware, zum Zweck der Vergleichung einen Durchschnitt konstruieren zu wollen.
Als hauptsächlichstes Schutz- und Kräftigungsmittel für den Bauernstand wird die
genossenschaftliche Selbsthilfe behandelt, die sich in Deutschland so erfreulich ent¬
faltet. Der Verfasser rügt es scharf, daß die sozialdenwkmtischcn Theoretiker in
ihrer doktrinären Verbohrtheit bisher alles, was den Bauernstand betrifft, falsch
gesehen, beurteilt und dargestellt habe", während die bürgerlichen Gelehrten im all¬
gemeinen richtig sehen und billig urteilen. Er glaubt demungeachtet, daß der So-
zicilismns der Genossenschaftsbewegung in Zukunft nützen werde, nämlich dadurch,
daß er ihr, wo sie individualistisch und kapitalistisch zu werden droht, den soziale"
Geist einhaucht. Nun. das könnten wohl die Geistlichen beider Konfessionen ebenso¬
gut besorgen; aber darin hat Nossig Recht, daß das vielgestaltige Genossenschaft
Wesen die Bauernwelt sozialisiert, ohne das Privateigentum anzutasten, und daß se')
der Kapitalismus durch die Genossenschaften selbst aus den Angeln hebt, ohne dumm
den Kommunismus herbeizuführen. Unter den Proben von der Verbohrtheit e
Marxisten, die Nossig anführt, ist die folgende besonders interessant. Kautsky meint,
der Bauer sei jetzt schon depossedicrt, zum Lohnarbeiter degradiert, nicht allein dur^
den Hypothekengläubiger, souderu auch durch die Fabrik und die Genossenschaft
"Die Zuckerfabrik schreibt ihm vor, welchen Sennen er anzuwenden und wie z
düngen habe. Die Molkereigenossenschaft ist noch tyrannischer: sie schreibt ihm ^une ,
Melkzeit, jn sogar die Art des Melkviehs vor und schickt ihm Mitglieder ihres AnsM^.
mes unangemeldet in den Kuhstnll. Unerhörte Sklaverei! Der Bauer Hort aus, H
in seiner Wirtschaft zu sein; diese wird ein Anhängsel des JttdustnebeMeos.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Vernichtung zu wünschen. Wenn die kleinen Güter schlecht bewirtschaftet werden,
und die Kleinbauern in Not sind, so sei nicht die Form des Kleinbetriebs daran
schuld, sondern ein Komplex von Ursachen, die durch Selbsthilfe und durch Inter¬
vention des Staates gehoben werden können und in Deutschland und Frankreich
thatsächlich zum Teil schon gehoben worden sind, in Deutschland seit längerer Zeit
und in größerm Umfang als in Frankreich. Wir bekommen bei dieser Gelegenheit
eine recht brauchbare Übersicht der Agrargcschichte dieser beiden Länder im letzten
Jahrhundert. Von den Ergebnissen der französischen führen wir einiges an. Die
französische Revolution hat keineswegs, wie noch hie und da geglaubt wird, den
Kleinbesitz stark vermehrt oder gar geschaffen. Die konfiszierten Kirchen- und Adels¬
güter sind größtenteils von Kapitalisten und von den zurückgekehrten Sprößlingen
der Emigranten gekauft worden. Der heutige Kleiugruudbesitz ist schon vor der
Revolution vorhanden gewesen. Eine schlechte und falsche Statistik läßt ihn zudem
bedeutender erscheinen, als er ist; im Steuerregister zwar macht er 90 Prozent aus,
von der Bodenfläche aber hat er nur 26 Prozent inne. Und Gesetzgebung und
Verwaltung haben uuter der dritten Republik gerade so sehr und womöglich in noch
größerm Maße als unter den frühern Regierungen daran gearbeitet, ihn zu Gunsten
des Großgrundbesitzes und des mobilen Kapitals auszubeuten und zu unterdrücken.
Die Erbgesetzgebung, die Besteuerung, der Militärdienst, die Gestaltung des Handels,
des Börsen- und Bankwesens, die Privilegien der Eisenbnhngescllschnften sind alle
darauf berechnet, dem Grofibesitz auf Kosten des kleinen Vorteile zuzuwenden. Nur
insofern hat die Revolution den französischen Bauern in eine bessere Lage versetzt
als seine Brüder in andern Staaten, daß sie die Feudallasten ohne Entschädigung
aufgehoben hat, während in Preußen z. B. die kleinste» Bauern die Freiheit mit
dem Verlust ihres ganzen Landes, die größern teils mit einem Drittel oder mit
der Hälfte ihres Landes, teils mit einer Rentenschnld erkaufen mußten. Außerdem
schützt das Zweikindershstem einigermaßen, das zwar an sich verwerflich ist und dem
Staate Verderben bringen wird, vorläufig aber die Gefahr der Überschulduug ver¬
mindert. Wenn Nossig trotz alledem die Lage der französischen Bailern erträglicher
findet als die aller andern Länder, so muß man dieses kategorische Urteil sah»u
deswegen als unstatthaft zurückweisen, weil, wie er selbst hervorhebt, in Deutschland
die Verhältnisse des Bauernstandes landschaftlich so verschieden sind, daß es ganz
sinnlos Ware, zum Zweck der Vergleichung einen Durchschnitt konstruieren zu wollen.
Als hauptsächlichstes Schutz- und Kräftigungsmittel für den Bauernstand wird die
genossenschaftliche Selbsthilfe behandelt, die sich in Deutschland so erfreulich ent¬
faltet. Der Verfasser rügt es scharf, daß die sozialdenwkmtischcn Theoretiker in
ihrer doktrinären Verbohrtheit bisher alles, was den Bauernstand betrifft, falsch
gesehen, beurteilt und dargestellt habe», während die bürgerlichen Gelehrten im all¬
gemeinen richtig sehen und billig urteilen. Er glaubt demungeachtet, daß der So-
zicilismns der Genossenschaftsbewegung in Zukunft nützen werde, nämlich dadurch,
daß er ihr, wo sie individualistisch und kapitalistisch zu werden droht, den soziale»
Geist einhaucht. Nun. das könnten wohl die Geistlichen beider Konfessionen ebenso¬
gut besorgen; aber darin hat Nossig Recht, daß das vielgestaltige Genossenschaft
Wesen die Bauernwelt sozialisiert, ohne das Privateigentum anzutasten, und daß se')
der Kapitalismus durch die Genossenschaften selbst aus den Angeln hebt, ohne dumm
den Kommunismus herbeizuführen. Unter den Proben von der Verbohrtheit e
Marxisten, die Nossig anführt, ist die folgende besonders interessant. Kautsky meint,
der Bauer sei jetzt schon depossedicrt, zum Lohnarbeiter degradiert, nicht allein dur^
den Hypothekengläubiger, souderu auch durch die Fabrik und die Genossenschaft
„Die Zuckerfabrik schreibt ihm vor, welchen Sennen er anzuwenden und wie z
düngen habe. Die Molkereigenossenschaft ist noch tyrannischer: sie schreibt ihm ^une ,
Melkzeit, jn sogar die Art des Melkviehs vor und schickt ihm Mitglieder ihres AnsM^.
mes unangemeldet in den Kuhstnll. Unerhörte Sklaverei! Der Bauer Hort aus, H
in seiner Wirtschaft zu sein; diese wird ein Anhängsel des JttdustnebeMeos.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/396>, abgerufen am 01.09.2024.