Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.Musikalische Ieitfragen die Massenbesetzung ^ die durch die Dilettantenchöre zum Gesetz geworden ist, Die Bedeutung, die gute Programme für das Konzert haben, wird all¬ Auch noch im neunzehnten Jahrhundert beschränkten sie sich dabei wesentlich Musikalische Ieitfragen die Massenbesetzung ^ die durch die Dilettantenchöre zum Gesetz geworden ist, Die Bedeutung, die gute Programme für das Konzert haben, wird all¬ Auch noch im neunzehnten Jahrhundert beschränkten sie sich dabei wesentlich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239107"/> <fw type="header" place="top"> Musikalische Ieitfragen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1509" prev="#ID_1508"> die Massenbesetzung ^ die durch die Dilettantenchöre zum Gesetz geworden ist,<lb/> mag den Musikfesten vorbehalten bleiben. An dem einen Ende gestützt, wird<lb/> sich die Vokalmusik uach den andern Seiten wieder erheben, Solocantate und<lb/> Madrigal werden wieder erwachen, und neue Strome musikalischen Lebens Haus<lb/> und Gesellschaft erfrischen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1510"> Die Bedeutung, die gute Programme für das Konzert haben, wird all¬<lb/> mählich von Kritik und Fachleuten mehr und mehr erkannt. Die Güte eines<lb/> Programms liegt in dem geistigen Zusammenhang der zu Gehör gebrachten<lb/> Werke, und dieser Zusammenhang muß ebenso zwischen den Konzerten einer<lb/> Saison wie zwischen den Nummern des einzelnen Konzerts bestehn. Das ist<lb/> eine einfache Forderung des guten Geschmacks; die Geschichte kennt ihre Be¬<lb/> rechtigung genügend an. Soweit wir über die Akademien des siebzehnten<lb/> Jahrhunderts, über die ihnen folgenden Musikkollegien und andre Vorläufer<lb/> des heutigen Konzerts unterrichtet sind, tragen sie samt und sonders einen<lb/> lehrhaften Charakter, die Kunstbildung überwog vollständig den Kunstgenuß.<lb/> Der Hauptmasse nach handelte es sich um Novitätenkonzerte, um das Einleben<lb/> in die bedeutendsten neuen Erscheinungen im dramatischen Sologesang, in Cantate,<lb/> Kammerkonzert, Kammersonate, auch Sinfonie; um die Bekanntschaft also mit<lb/> ausschließlich moderner Kunst. Daneben bildeten sich zunächst nur spärlich be¬<lb/> sondre Vereine von Fachmnsikern, die die Notwendigkeit erkannten, auch für die<lb/> übrige außerkirchliche Musik einzutreten: in London die Nusiog.1 ^vtiauarimr<lb/> Looiot^, durch die in England das Madrigal bis heute lebendig geblieben ist,<lb/> in Leipzig Mitzlers Musikalische Gesellschaft, die Musikwissenschaft pflegte, in<lb/> Paris die Looi6t6 as8 vonoerts spiriwels, in Wien ihr folgend die Ton-<lb/> künstlersozietüt zur regelmäßigen Aufführung von Oratorien, die ja früher als<lb/> geistliche, halb kirchliche Musikdramen zur dienenden Kunst gerechnet worden<lb/> waren. Erst gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts werden diese Be¬<lb/> strebungen zusammengefaßt. Die Konzerte sollen nach Forkel für die Musik<lb/> die Museen und die Galerien vertreten, die letzte und höchste Stufe musikalischen<lb/> Unterrichts, große und glänzende Festveranstaltungen der freien Kunst sein.<lb/> Bunte Programme, Musikvortrnge ohne leitende Ideen sind nach seiner Meinung<lb/> nicht Sache des Konzerts, sondern der Tafelmusik, der Gesellschafts- und Ge¬<lb/> legenheitsmusik in Haus und Öffentlichkeit. Nach diesen Forkelschen Forderungen<lb/> hat das Konzert lange gearbeitet, sich durch den Lehrzweck sogar bestimmen<lb/> lassen, aus fremden Gebieten, aus der Oper Fragmente, aus der Kirche, also<lb/> aus dem Bereich der dienenden Kunst, Messen und Psalmen herüberznnehmen,<lb/> wenn bedeutende Werke am Ursprungsort nicht genügend zur Geltung kamen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1511" next="#ID_1512"> Auch noch im neunzehnten Jahrhundert beschränkten sie sich dabei wesentlich<lb/> auf moderne Produktion, bis auf einmal die alte Musik allgemein im Werte<lb/> stieg und in den dreißiger Jahren zu „historischen Konzerten," deren vereinzelte<lb/> Spuren sich schon im siebzehnten Jahrhunderte finden, drängte. Felis ging<lb/> damit in Paris voran, für Mendelssohn wurden sie in Leipzig das Haupt-<lb/> Kittel, Bachsche Orchesterkompositionen und Konzerte wieder zu Ehren zu bringen,<lb/> .aus neuerer Zeit sind die Erfolge allgemein bekannt, die Karl Riedel in Leipzig,<lb/> Emil Bohn in Breslau, A- Gevaert in Brüssel, die die Sänger von Se. Gervais</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0319]
Musikalische Ieitfragen
die Massenbesetzung ^ die durch die Dilettantenchöre zum Gesetz geworden ist,
mag den Musikfesten vorbehalten bleiben. An dem einen Ende gestützt, wird
sich die Vokalmusik uach den andern Seiten wieder erheben, Solocantate und
Madrigal werden wieder erwachen, und neue Strome musikalischen Lebens Haus
und Gesellschaft erfrischen.
Die Bedeutung, die gute Programme für das Konzert haben, wird all¬
mählich von Kritik und Fachleuten mehr und mehr erkannt. Die Güte eines
Programms liegt in dem geistigen Zusammenhang der zu Gehör gebrachten
Werke, und dieser Zusammenhang muß ebenso zwischen den Konzerten einer
Saison wie zwischen den Nummern des einzelnen Konzerts bestehn. Das ist
eine einfache Forderung des guten Geschmacks; die Geschichte kennt ihre Be¬
rechtigung genügend an. Soweit wir über die Akademien des siebzehnten
Jahrhunderts, über die ihnen folgenden Musikkollegien und andre Vorläufer
des heutigen Konzerts unterrichtet sind, tragen sie samt und sonders einen
lehrhaften Charakter, die Kunstbildung überwog vollständig den Kunstgenuß.
Der Hauptmasse nach handelte es sich um Novitätenkonzerte, um das Einleben
in die bedeutendsten neuen Erscheinungen im dramatischen Sologesang, in Cantate,
Kammerkonzert, Kammersonate, auch Sinfonie; um die Bekanntschaft also mit
ausschließlich moderner Kunst. Daneben bildeten sich zunächst nur spärlich be¬
sondre Vereine von Fachmnsikern, die die Notwendigkeit erkannten, auch für die
übrige außerkirchliche Musik einzutreten: in London die Nusiog.1 ^vtiauarimr
Looiot^, durch die in England das Madrigal bis heute lebendig geblieben ist,
in Leipzig Mitzlers Musikalische Gesellschaft, die Musikwissenschaft pflegte, in
Paris die Looi6t6 as8 vonoerts spiriwels, in Wien ihr folgend die Ton-
künstlersozietüt zur regelmäßigen Aufführung von Oratorien, die ja früher als
geistliche, halb kirchliche Musikdramen zur dienenden Kunst gerechnet worden
waren. Erst gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts werden diese Be¬
strebungen zusammengefaßt. Die Konzerte sollen nach Forkel für die Musik
die Museen und die Galerien vertreten, die letzte und höchste Stufe musikalischen
Unterrichts, große und glänzende Festveranstaltungen der freien Kunst sein.
Bunte Programme, Musikvortrnge ohne leitende Ideen sind nach seiner Meinung
nicht Sache des Konzerts, sondern der Tafelmusik, der Gesellschafts- und Ge¬
legenheitsmusik in Haus und Öffentlichkeit. Nach diesen Forkelschen Forderungen
hat das Konzert lange gearbeitet, sich durch den Lehrzweck sogar bestimmen
lassen, aus fremden Gebieten, aus der Oper Fragmente, aus der Kirche, also
aus dem Bereich der dienenden Kunst, Messen und Psalmen herüberznnehmen,
wenn bedeutende Werke am Ursprungsort nicht genügend zur Geltung kamen.
Auch noch im neunzehnten Jahrhundert beschränkten sie sich dabei wesentlich
auf moderne Produktion, bis auf einmal die alte Musik allgemein im Werte
stieg und in den dreißiger Jahren zu „historischen Konzerten," deren vereinzelte
Spuren sich schon im siebzehnten Jahrhunderte finden, drängte. Felis ging
damit in Paris voran, für Mendelssohn wurden sie in Leipzig das Haupt-
Kittel, Bachsche Orchesterkompositionen und Konzerte wieder zu Ehren zu bringen,
.aus neuerer Zeit sind die Erfolge allgemein bekannt, die Karl Riedel in Leipzig,
Emil Bohn in Breslau, A- Gevaert in Brüssel, die die Sänger von Se. Gervais
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