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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und der italienische Dichter Vincenzo Monti

Briefen widerspiegeln. Deshalb finden wir in den italienischen Briefen keine
eigentlichen Reiseberichte, die man ans einer Reise in Italien zu eignem Zwecke
nachschlagen könnte, aber wir finden das wichtigste Stück seines Lebensbildes,
worin sich der Umschwung seines ganzen Wesens, seine künstlerische und seine
dichterische Wandlung vollzog. Wer diese Briefe wiederholt liest, wird unwill¬
kürlich an die Worte in Goethes "Gedichten" erinnert:

Aus der frischen, klaren Sprache weht uns ein unvergänglicher Zauber
entgegen, wir atmen den Duft des im Sonnenglanze vor seinen Augen da¬
liegenden Landes, wir fühlen den wonnigen Rausch, der ihn erfaßte, wenn er
frei von allen Fesseln die wunderbare Schönheit der Natur und der Kunst¬
schätze in allen ihren einzelnen Formen schauen und aus warmem Herzen mit
frischer Anschaulichkeit wiedergeben durfte.

Der Ruf des jungen Dichters war längst in Italien verbreitet, deshalb
wurde er von den Italienern mit Bewundrung aufgenommen. Aber auch seine
Landsleute wollten nicht zurückstehn. Von ihnen sagt der Dichter an 4. Ja¬
nuar 1787, sie seien wie mit einer Stimme für ihn und würden, wenn er nur
ein wenig einstimmte, hundert Thorheiten mit ihm beginnen und ihn zuletzt
auf dem Kapitol krönen, worauf sie schon im Ernst gesonnen hätten. Darum
sah sich Goethe zeitweilig genötigt, sein Inkognito aufzugeben, damit es ihm
nicht wie dem Vogel Strauß ergehe, der sich für versteckt hält, wenn er den
Kopf verbirgt. So begrüßte er den Fürsten Liechtenstein und hörte dort, daß
der Dichter Abbate Monti eine Tragödie Aristodemo geschrieben habe und sie
ihm vorzulesen wünsche. Goethe ließ die Sache anfangs fallen, ohne sie ab¬
zulehnen, aber er fand den Dichter einmal bei dem Fürsten, und das Stück
wurde vorgelesen. Zugleich wurde ihm zu verstehn gegeben, der Dichter des
Werther würde es wohl nicht übel nehmen, wenn er in der Tragödie einige
Stellen seines trefflichen Buches benutzt finde.

Vincenzo Monti war etwa fünf Jahre jünger als Goethe; er war 1754
bei Fusignano im Gebiete von Ferrara geboren, kam 1778 nach Rom als
Sekretär des Don Lnigi Braschi, des Neffen des Papstes Pius des Sechstel
Dort schrieb er, durch'Alfieri begeistert, die Trauerspiele Galeotto Manfred:
und Aristodemo. Weil er sich als Geistlicher trug, wurde er Abbate Monte
genannt. In seinem Aristodem benutzte Monti die Darstellung des Pausn-
iiias (IV, 9 ff.). Nach dieser Quelle beschlossen die Messenier während des
ersten messenischen Krieges 743 bis 724 v. Chr., als sie von den Spartanern
hart bedrängt waren, die meisten Städte zu verlasse" und sich auf die Berg¬
feste Jthome zurückzuziehn, zugleich aber auch den Gott in Delphi um Rat
zu fragen. Apollo antwortete, sie sollten eine Jungfrau aus dem Geschlechte
der Äpytiden opfern; wenn aber die durch das Los bestimmte Jungfrau nich
geweiht werden könnte, dann sollten sie ans demselben Geschlecht die Tochter


Goethe und der italienische Dichter Vincenzo Monti

Briefen widerspiegeln. Deshalb finden wir in den italienischen Briefen keine
eigentlichen Reiseberichte, die man ans einer Reise in Italien zu eignem Zwecke
nachschlagen könnte, aber wir finden das wichtigste Stück seines Lebensbildes,
worin sich der Umschwung seines ganzen Wesens, seine künstlerische und seine
dichterische Wandlung vollzog. Wer diese Briefe wiederholt liest, wird unwill¬
kürlich an die Worte in Goethes „Gedichten" erinnert:

Aus der frischen, klaren Sprache weht uns ein unvergänglicher Zauber
entgegen, wir atmen den Duft des im Sonnenglanze vor seinen Augen da¬
liegenden Landes, wir fühlen den wonnigen Rausch, der ihn erfaßte, wenn er
frei von allen Fesseln die wunderbare Schönheit der Natur und der Kunst¬
schätze in allen ihren einzelnen Formen schauen und aus warmem Herzen mit
frischer Anschaulichkeit wiedergeben durfte.

Der Ruf des jungen Dichters war längst in Italien verbreitet, deshalb
wurde er von den Italienern mit Bewundrung aufgenommen. Aber auch seine
Landsleute wollten nicht zurückstehn. Von ihnen sagt der Dichter an 4. Ja¬
nuar 1787, sie seien wie mit einer Stimme für ihn und würden, wenn er nur
ein wenig einstimmte, hundert Thorheiten mit ihm beginnen und ihn zuletzt
auf dem Kapitol krönen, worauf sie schon im Ernst gesonnen hätten. Darum
sah sich Goethe zeitweilig genötigt, sein Inkognito aufzugeben, damit es ihm
nicht wie dem Vogel Strauß ergehe, der sich für versteckt hält, wenn er den
Kopf verbirgt. So begrüßte er den Fürsten Liechtenstein und hörte dort, daß
der Dichter Abbate Monti eine Tragödie Aristodemo geschrieben habe und sie
ihm vorzulesen wünsche. Goethe ließ die Sache anfangs fallen, ohne sie ab¬
zulehnen, aber er fand den Dichter einmal bei dem Fürsten, und das Stück
wurde vorgelesen. Zugleich wurde ihm zu verstehn gegeben, der Dichter des
Werther würde es wohl nicht übel nehmen, wenn er in der Tragödie einige
Stellen seines trefflichen Buches benutzt finde.

Vincenzo Monti war etwa fünf Jahre jünger als Goethe; er war 1754
bei Fusignano im Gebiete von Ferrara geboren, kam 1778 nach Rom als
Sekretär des Don Lnigi Braschi, des Neffen des Papstes Pius des Sechstel
Dort schrieb er, durch'Alfieri begeistert, die Trauerspiele Galeotto Manfred:
und Aristodemo. Weil er sich als Geistlicher trug, wurde er Abbate Monte
genannt. In seinem Aristodem benutzte Monti die Darstellung des Pausn-
iiias (IV, 9 ff.). Nach dieser Quelle beschlossen die Messenier während des
ersten messenischen Krieges 743 bis 724 v. Chr., als sie von den Spartanern
hart bedrängt waren, die meisten Städte zu verlasse» und sich auf die Berg¬
feste Jthome zurückzuziehn, zugleich aber auch den Gott in Delphi um Rat
zu fragen. Apollo antwortete, sie sollten eine Jungfrau aus dem Geschlechte
der Äpytiden opfern; wenn aber die durch das Los bestimmte Jungfrau nich
geweiht werden könnte, dann sollten sie ans demselben Geschlecht die Tochter


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[0266] Goethe und der italienische Dichter Vincenzo Monti Briefen widerspiegeln. Deshalb finden wir in den italienischen Briefen keine eigentlichen Reiseberichte, die man ans einer Reise in Italien zu eignem Zwecke nachschlagen könnte, aber wir finden das wichtigste Stück seines Lebensbildes, worin sich der Umschwung seines ganzen Wesens, seine künstlerische und seine dichterische Wandlung vollzog. Wer diese Briefe wiederholt liest, wird unwill¬ kürlich an die Worte in Goethes „Gedichten" erinnert: Aus der frischen, klaren Sprache weht uns ein unvergänglicher Zauber entgegen, wir atmen den Duft des im Sonnenglanze vor seinen Augen da¬ liegenden Landes, wir fühlen den wonnigen Rausch, der ihn erfaßte, wenn er frei von allen Fesseln die wunderbare Schönheit der Natur und der Kunst¬ schätze in allen ihren einzelnen Formen schauen und aus warmem Herzen mit frischer Anschaulichkeit wiedergeben durfte. Der Ruf des jungen Dichters war längst in Italien verbreitet, deshalb wurde er von den Italienern mit Bewundrung aufgenommen. Aber auch seine Landsleute wollten nicht zurückstehn. Von ihnen sagt der Dichter an 4. Ja¬ nuar 1787, sie seien wie mit einer Stimme für ihn und würden, wenn er nur ein wenig einstimmte, hundert Thorheiten mit ihm beginnen und ihn zuletzt auf dem Kapitol krönen, worauf sie schon im Ernst gesonnen hätten. Darum sah sich Goethe zeitweilig genötigt, sein Inkognito aufzugeben, damit es ihm nicht wie dem Vogel Strauß ergehe, der sich für versteckt hält, wenn er den Kopf verbirgt. So begrüßte er den Fürsten Liechtenstein und hörte dort, daß der Dichter Abbate Monti eine Tragödie Aristodemo geschrieben habe und sie ihm vorzulesen wünsche. Goethe ließ die Sache anfangs fallen, ohne sie ab¬ zulehnen, aber er fand den Dichter einmal bei dem Fürsten, und das Stück wurde vorgelesen. Zugleich wurde ihm zu verstehn gegeben, der Dichter des Werther würde es wohl nicht übel nehmen, wenn er in der Tragödie einige Stellen seines trefflichen Buches benutzt finde. Vincenzo Monti war etwa fünf Jahre jünger als Goethe; er war 1754 bei Fusignano im Gebiete von Ferrara geboren, kam 1778 nach Rom als Sekretär des Don Lnigi Braschi, des Neffen des Papstes Pius des Sechstel Dort schrieb er, durch'Alfieri begeistert, die Trauerspiele Galeotto Manfred: und Aristodemo. Weil er sich als Geistlicher trug, wurde er Abbate Monte genannt. In seinem Aristodem benutzte Monti die Darstellung des Pausn- iiias (IV, 9 ff.). Nach dieser Quelle beschlossen die Messenier während des ersten messenischen Krieges 743 bis 724 v. Chr., als sie von den Spartanern hart bedrängt waren, die meisten Städte zu verlasse» und sich auf die Berg¬ feste Jthome zurückzuziehn, zugleich aber auch den Gott in Delphi um Rat zu fragen. Apollo antwortete, sie sollten eine Jungfrau aus dem Geschlechte der Äpytiden opfern; wenn aber die durch das Los bestimmte Jungfrau nich geweiht werden könnte, dann sollten sie ans demselben Geschlecht die Tochter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/266>, abgerufen am 01.09.2024.