Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Goethe und der italienische Dichter vincenzo Monti

Urkunde eines bisherigen avou" oder Notars angestellt werden. Deshalb finden
wir die uns etwas fremd anmutende Erscheinung in Frankreich, daß sich ein
Notar oder g-vous die Stelle von seinein Vorgänger kaufen muß, falls er es nicht
vorzieht, dessen Tochter oder Witwe zu heiraten.

Wenn ich zum Schluß die Eindrücke zusammenfasse, die ich von der fran¬
zösischen Justiz erhalten habe, so geht mein Urteil dahin, daß die französische
Gesetzgebung im allgemeinen bestrebt ist, in der Entwicklung der Rechtspflege
nicht still zu stehn. Umwälzende Neuerungen sind zwar seit langem nicht
erfolgt, aber das ist auch nicht erforderlich. Die Franzosen haben schon seit
etwa hundert Jahren ein einheitliches Recht, das sich ruhig und gleichmäßig
weiter entwickelt, da der Richterstand von dem fortwährenden Wechsel der Re¬
gierung und der politischen Strömungen fast unberührt bleibt. Der französische
Richter scheint auch besonders befähigt zu sein, den sich ändernden Bedürfnissen
des praktischen Lebens gerecht zu werden. Freilich auch in Frankreich schilt
man über die Urteile, aber wo geschieht das nicht? Einer ist immer der
Unterliegende und mit dem Urteil unzufrieden. Zugehen muß man, daß die
Ausbildung der französischen Richter nicht so gründlich ist wie bei uns. Gleich
nach vollendetem Studium kann man Richter oder Advokat werden, während
bei uns noch eine mehrjährige Thätigkeit als Referendar und ein zweites
schwieriges Examen vorgeschrieben ist. Jedenfalls aber nimmt der französische
Richter eine hochgeachtete, viel erstrebte und viel beneidete Stellung ein. Daß
er bestechlich ist oder aus persönlichem Ehrgeiz falsche Untersuchungen führt,
wie es in dem Schauspiel "Die rote Robe" geschildert wird, glaube ich nicht.
Denn während man sich wohl erzählt, daß Abgeordnete oder höhere Staats¬
beamte ihre Stellungen dazu benutzen, ihren oder ihrer Verwandten persön¬
lichen Vorteil zu erreichen, habe ich nie gehört, daß in Frankreich ähnliche
Vorwürfe gegen den Richterstand erhoben worden wären.




Goethe und der italienische Dichter Vincenzo Monti

is Goethe im Sommer 1786 von Karlsbad aus nach Italien
aufbrach, erging es ihm wie seiner Iphigenie, die an dem Ufer
von Tauris lange Tage steht "das Land der Griechen mit der
Seele suchend." Er schaute von den Abhängen der Alpen nach
den Fluren Italiens mit einer Sehnsucht hinab, wie sie kaum
ein andrer gefühlt hat. Die körperlichen Übel und die seelische Niedergeschlagen¬
heit, die ihn in Weimar quälten, hatten in dem Grade zugenommen, daß er
sich davon befreien mußte, wenn er weiter leben und weiter wirken wollte.
Dazu kam sein heißer Durst nach der Kunst, deren heilig Brit. wie es in
seinem Tagebuche heißt, er in die Seele prägen und zu stillem Genusse be¬
wahren wollte. Und doch blieb er seinen Freunden in der Heimat treu; für
sie wollte er Natur. Kunst, Land und Leute kennen lernen und in seinen


Goethe und der italienische Dichter vincenzo Monti

Urkunde eines bisherigen avou» oder Notars angestellt werden. Deshalb finden
wir die uns etwas fremd anmutende Erscheinung in Frankreich, daß sich ein
Notar oder g-vous die Stelle von seinein Vorgänger kaufen muß, falls er es nicht
vorzieht, dessen Tochter oder Witwe zu heiraten.

Wenn ich zum Schluß die Eindrücke zusammenfasse, die ich von der fran¬
zösischen Justiz erhalten habe, so geht mein Urteil dahin, daß die französische
Gesetzgebung im allgemeinen bestrebt ist, in der Entwicklung der Rechtspflege
nicht still zu stehn. Umwälzende Neuerungen sind zwar seit langem nicht
erfolgt, aber das ist auch nicht erforderlich. Die Franzosen haben schon seit
etwa hundert Jahren ein einheitliches Recht, das sich ruhig und gleichmäßig
weiter entwickelt, da der Richterstand von dem fortwährenden Wechsel der Re¬
gierung und der politischen Strömungen fast unberührt bleibt. Der französische
Richter scheint auch besonders befähigt zu sein, den sich ändernden Bedürfnissen
des praktischen Lebens gerecht zu werden. Freilich auch in Frankreich schilt
man über die Urteile, aber wo geschieht das nicht? Einer ist immer der
Unterliegende und mit dem Urteil unzufrieden. Zugehen muß man, daß die
Ausbildung der französischen Richter nicht so gründlich ist wie bei uns. Gleich
nach vollendetem Studium kann man Richter oder Advokat werden, während
bei uns noch eine mehrjährige Thätigkeit als Referendar und ein zweites
schwieriges Examen vorgeschrieben ist. Jedenfalls aber nimmt der französische
Richter eine hochgeachtete, viel erstrebte und viel beneidete Stellung ein. Daß
er bestechlich ist oder aus persönlichem Ehrgeiz falsche Untersuchungen führt,
wie es in dem Schauspiel „Die rote Robe" geschildert wird, glaube ich nicht.
Denn während man sich wohl erzählt, daß Abgeordnete oder höhere Staats¬
beamte ihre Stellungen dazu benutzen, ihren oder ihrer Verwandten persön¬
lichen Vorteil zu erreichen, habe ich nie gehört, daß in Frankreich ähnliche
Vorwürfe gegen den Richterstand erhoben worden wären.




Goethe und der italienische Dichter Vincenzo Monti

is Goethe im Sommer 1786 von Karlsbad aus nach Italien
aufbrach, erging es ihm wie seiner Iphigenie, die an dem Ufer
von Tauris lange Tage steht „das Land der Griechen mit der
Seele suchend." Er schaute von den Abhängen der Alpen nach
den Fluren Italiens mit einer Sehnsucht hinab, wie sie kaum
ein andrer gefühlt hat. Die körperlichen Übel und die seelische Niedergeschlagen¬
heit, die ihn in Weimar quälten, hatten in dem Grade zugenommen, daß er
sich davon befreien mußte, wenn er weiter leben und weiter wirken wollte.
Dazu kam sein heißer Durst nach der Kunst, deren heilig Brit. wie es in
seinem Tagebuche heißt, er in die Seele prägen und zu stillem Genusse be¬
wahren wollte. Und doch blieb er seinen Freunden in der Heimat treu; für
sie wollte er Natur. Kunst, Land und Leute kennen lernen und in seinen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0265" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239053"/>
          <fw type="header" place="top"> Goethe und der italienische Dichter vincenzo Monti</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1251" prev="#ID_1250"> Urkunde eines bisherigen avou» oder Notars angestellt werden. Deshalb finden<lb/>
wir die uns etwas fremd anmutende Erscheinung in Frankreich, daß sich ein<lb/>
Notar oder g-vous die Stelle von seinein Vorgänger kaufen muß, falls er es nicht<lb/>
vorzieht, dessen Tochter oder Witwe zu heiraten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1252"> Wenn ich zum Schluß die Eindrücke zusammenfasse, die ich von der fran¬<lb/>
zösischen Justiz erhalten habe, so geht mein Urteil dahin, daß die französische<lb/>
Gesetzgebung im allgemeinen bestrebt ist, in der Entwicklung der Rechtspflege<lb/>
nicht still zu stehn. Umwälzende Neuerungen sind zwar seit langem nicht<lb/>
erfolgt, aber das ist auch nicht erforderlich. Die Franzosen haben schon seit<lb/>
etwa hundert Jahren ein einheitliches Recht, das sich ruhig und gleichmäßig<lb/>
weiter entwickelt, da der Richterstand von dem fortwährenden Wechsel der Re¬<lb/>
gierung und der politischen Strömungen fast unberührt bleibt. Der französische<lb/>
Richter scheint auch besonders befähigt zu sein, den sich ändernden Bedürfnissen<lb/>
des praktischen Lebens gerecht zu werden. Freilich auch in Frankreich schilt<lb/>
man über die Urteile, aber wo geschieht das nicht? Einer ist immer der<lb/>
Unterliegende und mit dem Urteil unzufrieden. Zugehen muß man, daß die<lb/>
Ausbildung der französischen Richter nicht so gründlich ist wie bei uns. Gleich<lb/>
nach vollendetem Studium kann man Richter oder Advokat werden, während<lb/>
bei uns noch eine mehrjährige Thätigkeit als Referendar und ein zweites<lb/>
schwieriges Examen vorgeschrieben ist. Jedenfalls aber nimmt der französische<lb/>
Richter eine hochgeachtete, viel erstrebte und viel beneidete Stellung ein. Daß<lb/>
er bestechlich ist oder aus persönlichem Ehrgeiz falsche Untersuchungen führt,<lb/>
wie es in dem Schauspiel &#x201E;Die rote Robe" geschildert wird, glaube ich nicht.<lb/>
Denn während man sich wohl erzählt, daß Abgeordnete oder höhere Staats¬<lb/>
beamte ihre Stellungen dazu benutzen, ihren oder ihrer Verwandten persön¬<lb/>
lichen Vorteil zu erreichen, habe ich nie gehört, daß in Frankreich ähnliche<lb/>
Vorwürfe gegen den Richterstand erhoben worden wären.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Goethe und der italienische Dichter Vincenzo Monti</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1253" next="#ID_1254"> is Goethe im Sommer 1786 von Karlsbad aus nach Italien<lb/>
aufbrach, erging es ihm wie seiner Iphigenie, die an dem Ufer<lb/>
von Tauris lange Tage steht &#x201E;das Land der Griechen mit der<lb/>
Seele suchend." Er schaute von den Abhängen der Alpen nach<lb/>
den Fluren Italiens mit einer Sehnsucht hinab, wie sie kaum<lb/>
ein andrer gefühlt hat. Die körperlichen Übel und die seelische Niedergeschlagen¬<lb/>
heit, die ihn in Weimar quälten, hatten in dem Grade zugenommen, daß er<lb/>
sich davon befreien mußte, wenn er weiter leben und weiter wirken wollte.<lb/>
Dazu kam sein heißer Durst nach der Kunst, deren heilig Brit. wie es in<lb/>
seinem Tagebuche heißt, er in die Seele prägen und zu stillem Genusse be¬<lb/>
wahren wollte. Und doch blieb er seinen Freunden in der Heimat treu; für<lb/>
sie wollte er Natur. Kunst, Land und Leute kennen lernen und in seinen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0265] Goethe und der italienische Dichter vincenzo Monti Urkunde eines bisherigen avou» oder Notars angestellt werden. Deshalb finden wir die uns etwas fremd anmutende Erscheinung in Frankreich, daß sich ein Notar oder g-vous die Stelle von seinein Vorgänger kaufen muß, falls er es nicht vorzieht, dessen Tochter oder Witwe zu heiraten. Wenn ich zum Schluß die Eindrücke zusammenfasse, die ich von der fran¬ zösischen Justiz erhalten habe, so geht mein Urteil dahin, daß die französische Gesetzgebung im allgemeinen bestrebt ist, in der Entwicklung der Rechtspflege nicht still zu stehn. Umwälzende Neuerungen sind zwar seit langem nicht erfolgt, aber das ist auch nicht erforderlich. Die Franzosen haben schon seit etwa hundert Jahren ein einheitliches Recht, das sich ruhig und gleichmäßig weiter entwickelt, da der Richterstand von dem fortwährenden Wechsel der Re¬ gierung und der politischen Strömungen fast unberührt bleibt. Der französische Richter scheint auch besonders befähigt zu sein, den sich ändernden Bedürfnissen des praktischen Lebens gerecht zu werden. Freilich auch in Frankreich schilt man über die Urteile, aber wo geschieht das nicht? Einer ist immer der Unterliegende und mit dem Urteil unzufrieden. Zugehen muß man, daß die Ausbildung der französischen Richter nicht so gründlich ist wie bei uns. Gleich nach vollendetem Studium kann man Richter oder Advokat werden, während bei uns noch eine mehrjährige Thätigkeit als Referendar und ein zweites schwieriges Examen vorgeschrieben ist. Jedenfalls aber nimmt der französische Richter eine hochgeachtete, viel erstrebte und viel beneidete Stellung ein. Daß er bestechlich ist oder aus persönlichem Ehrgeiz falsche Untersuchungen führt, wie es in dem Schauspiel „Die rote Robe" geschildert wird, glaube ich nicht. Denn während man sich wohl erzählt, daß Abgeordnete oder höhere Staats¬ beamte ihre Stellungen dazu benutzen, ihren oder ihrer Verwandten persön¬ lichen Vorteil zu erreichen, habe ich nie gehört, daß in Frankreich ähnliche Vorwürfe gegen den Richterstand erhoben worden wären. Goethe und der italienische Dichter Vincenzo Monti is Goethe im Sommer 1786 von Karlsbad aus nach Italien aufbrach, erging es ihm wie seiner Iphigenie, die an dem Ufer von Tauris lange Tage steht „das Land der Griechen mit der Seele suchend." Er schaute von den Abhängen der Alpen nach den Fluren Italiens mit einer Sehnsucht hinab, wie sie kaum ein andrer gefühlt hat. Die körperlichen Übel und die seelische Niedergeschlagen¬ heit, die ihn in Weimar quälten, hatten in dem Grade zugenommen, daß er sich davon befreien mußte, wenn er weiter leben und weiter wirken wollte. Dazu kam sein heißer Durst nach der Kunst, deren heilig Brit. wie es in seinem Tagebuche heißt, er in die Seele prägen und zu stillem Genusse be¬ wahren wollte. Und doch blieb er seinen Freunden in der Heimat treu; für sie wollte er Natur. Kunst, Land und Leute kennen lernen und in seinen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/265
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/265>, abgerufen am 01.09.2024.