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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Österreich
Albin Geyer Von

an redet so oft von dem Gegensatz der Nationalitäten in Öster¬
reich als dem Grundübel der dortigen Zustände; in der That
ist er das Grundübel, zugleich aber auch die Grundlage der
Existenz für Österreich, Diese nationale Buntheit, diese ethno-
I graphischen Gegensätze erhalten die österreichische Monarchie in
ihrem Bestände, sind freilich auch allem äußern Anschein nach für sie ein
Hindernis, sich über gewisse chaotische und zum großen Teile heillos verfcchrne
Verhältnisse zu erheben. Dem ferner stehenden Beobachter mögen diese Zu¬
stände als vollkommen haltlos erscheinen, aber sie sind es in Wirklichkeit nicht;
nur macht es ganz besondre Schwierigkeiten, namentlich in einer Zeit, wo die
Lehre vom Rechte der Nationalitäten die Völker berauscht, ein Reich zusammen¬
zuhalten, das von nahezu vierzig Haupt- und unzähligen Nebensprachgrenzen
durchschnitten wird. Aber die Bildung der österreichischen Monarchie in ihrer
Hauptmasse ist durchaus uicht künstlich und unnatürlich, wie man vielfach außer¬
halb Österreichs anzunehmen beliebt. Die zumeist parteilichen Schilderungen
in den Blättern, die ausschließlich vom nationalen Standpunkt aus fast
allein das Trennende, die tiefen Unterschiede der Nassen und Sprachen sowie
der Lebensgewohnheiten betonen, müssen in allen, denen eine andre Gelegen¬
heit abgeht, sich ein eignes Urteil zu verschaffe", die Meinung erwecken, als
hätte man da ein Doppelreich, ja ein Dreireich vor sich, das in sich selbst die
Bedingungen des Auseinanderfallens, der politischen Störung trage. Viele na¬
tionalen Schwarmgeister in Österreich selbst und zahlreiche Leute in den Nachbar¬
ländern, auch in Deutschland, die sich von ähnlichen Anschauungen leiten lassen,
sind derselben Meinung und warten schon auf die Stunde, wo sich der ver¬
mutete Prozeß vollzieh" müsse.

Wir haben niemals an einen Zerfall Österreichs, am wenigsten einen nahe
bevorstehenden, geglaubt. Wie Treitschke, der entschiedenste Gegner einer habs-
burgischen Hegemonie in Deutschland, schon vor vierzig Jahren schrieb, wäre
^n solches Ereignis "die furchtbarste Revolution, die dieser Wettteil je gesehen,
und der bisherige Gang der österreichischen Verhältnisse berechtigt niemand,
^ für wahrscheinlich zuhalten," Das ist noch heute vollkommen wahr. That-


Grenzboten IV 1902 22


Österreich
Albin Geyer Von

an redet so oft von dem Gegensatz der Nationalitäten in Öster¬
reich als dem Grundübel der dortigen Zustände; in der That
ist er das Grundübel, zugleich aber auch die Grundlage der
Existenz für Österreich, Diese nationale Buntheit, diese ethno-
I graphischen Gegensätze erhalten die österreichische Monarchie in
ihrem Bestände, sind freilich auch allem äußern Anschein nach für sie ein
Hindernis, sich über gewisse chaotische und zum großen Teile heillos verfcchrne
Verhältnisse zu erheben. Dem ferner stehenden Beobachter mögen diese Zu¬
stände als vollkommen haltlos erscheinen, aber sie sind es in Wirklichkeit nicht;
nur macht es ganz besondre Schwierigkeiten, namentlich in einer Zeit, wo die
Lehre vom Rechte der Nationalitäten die Völker berauscht, ein Reich zusammen¬
zuhalten, das von nahezu vierzig Haupt- und unzähligen Nebensprachgrenzen
durchschnitten wird. Aber die Bildung der österreichischen Monarchie in ihrer
Hauptmasse ist durchaus uicht künstlich und unnatürlich, wie man vielfach außer¬
halb Österreichs anzunehmen beliebt. Die zumeist parteilichen Schilderungen
in den Blättern, die ausschließlich vom nationalen Standpunkt aus fast
allein das Trennende, die tiefen Unterschiede der Nassen und Sprachen sowie
der Lebensgewohnheiten betonen, müssen in allen, denen eine andre Gelegen¬
heit abgeht, sich ein eignes Urteil zu verschaffe», die Meinung erwecken, als
hätte man da ein Doppelreich, ja ein Dreireich vor sich, das in sich selbst die
Bedingungen des Auseinanderfallens, der politischen Störung trage. Viele na¬
tionalen Schwarmgeister in Österreich selbst und zahlreiche Leute in den Nachbar¬
ländern, auch in Deutschland, die sich von ähnlichen Anschauungen leiten lassen,
sind derselben Meinung und warten schon auf die Stunde, wo sich der ver¬
mutete Prozeß vollzieh« müsse.

Wir haben niemals an einen Zerfall Österreichs, am wenigsten einen nahe
bevorstehenden, geglaubt. Wie Treitschke, der entschiedenste Gegner einer habs-
burgischen Hegemonie in Deutschland, schon vor vierzig Jahren schrieb, wäre
^n solches Ereignis „die furchtbarste Revolution, die dieser Wettteil je gesehen,
und der bisherige Gang der österreichischen Verhältnisse berechtigt niemand,
^ für wahrscheinlich zuhalten," Das ist noch heute vollkommen wahr. That-


Grenzboten IV 1902 22
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[0179] [Abbildung] Österreich Albin Geyer Von an redet so oft von dem Gegensatz der Nationalitäten in Öster¬ reich als dem Grundübel der dortigen Zustände; in der That ist er das Grundübel, zugleich aber auch die Grundlage der Existenz für Österreich, Diese nationale Buntheit, diese ethno- I graphischen Gegensätze erhalten die österreichische Monarchie in ihrem Bestände, sind freilich auch allem äußern Anschein nach für sie ein Hindernis, sich über gewisse chaotische und zum großen Teile heillos verfcchrne Verhältnisse zu erheben. Dem ferner stehenden Beobachter mögen diese Zu¬ stände als vollkommen haltlos erscheinen, aber sie sind es in Wirklichkeit nicht; nur macht es ganz besondre Schwierigkeiten, namentlich in einer Zeit, wo die Lehre vom Rechte der Nationalitäten die Völker berauscht, ein Reich zusammen¬ zuhalten, das von nahezu vierzig Haupt- und unzähligen Nebensprachgrenzen durchschnitten wird. Aber die Bildung der österreichischen Monarchie in ihrer Hauptmasse ist durchaus uicht künstlich und unnatürlich, wie man vielfach außer¬ halb Österreichs anzunehmen beliebt. Die zumeist parteilichen Schilderungen in den Blättern, die ausschließlich vom nationalen Standpunkt aus fast allein das Trennende, die tiefen Unterschiede der Nassen und Sprachen sowie der Lebensgewohnheiten betonen, müssen in allen, denen eine andre Gelegen¬ heit abgeht, sich ein eignes Urteil zu verschaffe», die Meinung erwecken, als hätte man da ein Doppelreich, ja ein Dreireich vor sich, das in sich selbst die Bedingungen des Auseinanderfallens, der politischen Störung trage. Viele na¬ tionalen Schwarmgeister in Österreich selbst und zahlreiche Leute in den Nachbar¬ ländern, auch in Deutschland, die sich von ähnlichen Anschauungen leiten lassen, sind derselben Meinung und warten schon auf die Stunde, wo sich der ver¬ mutete Prozeß vollzieh« müsse. Wir haben niemals an einen Zerfall Österreichs, am wenigsten einen nahe bevorstehenden, geglaubt. Wie Treitschke, der entschiedenste Gegner einer habs- burgischen Hegemonie in Deutschland, schon vor vierzig Jahren schrieb, wäre ^n solches Ereignis „die furchtbarste Revolution, die dieser Wettteil je gesehen, und der bisherige Gang der österreichischen Verhältnisse berechtigt niemand, ^ für wahrscheinlich zuhalten," Das ist noch heute vollkommen wahr. That- Grenzboten IV 1902 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/179>, abgerufen am 01.09.2024.