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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Herausgeber immer noch dann stellt und glauben machen will, er halte dieses
Evangelium für den Inbegriff aller Wahrheit und Weisheit und jeden, der nicht
daran glaubt, für einen beschränkten Kopf, so wirkt das doppelt komisch in diesen
Tagen, wo die belgischen und die schwedischen Arbeiter der Welt so arithmetisch
genau gezeigt habe", wie viel und wie wenig sie vermögen, wo die englischen
organisierten Arbeiter nach der richtigen Charakteristik, die der Vorwärts von ihnen
entwirft, reaktionäre Zünftler sind, die Nichtorganisierten aber Nullen, die kein
Politiker in Rechnung stellt, und wo das "Fest der Arbeit" aus dem Stadium der
Lächerlichkeit in das der Vergessenheit eingetreten ist.


Das Deutschtum in Tirol.

Der Altdeutsche Verband giebt bei I. F. Leh-
mann in München ein Werk: Der Kampf um das Deutschtum in zwanzig Heften
heraus. Im siebenten, 1901 erschienen, behandelt H. Nähert: Das Deutschtum
in Tirol. Seine Schrift ist kein Pamphlet, sondern eine mühsame historisch-
statistische Studie, aber dem aufgewandten Fleiß entspricht leider nicht der Wert;
sie ist eine wüste Materialiensmnmlnng, die über die Ursachen und den innern Zu¬
sammenhang der erzählten Vorgänge keinen Aufschluß giebt. Der Verfasser teilt
seinen Stoff in die vier Abschnitte: Allgemeines; Kirchliches; Unterricht; Industrie,
Handel, Land- und Forstwirtschaft, sowie Fremdenverkehr in der Gegenwart. Diese
Einteilung verursacht zwei Nbclstände, einmal, daß manche Dinge, wie der Bauern¬
aufstand des sechzehnten Jahrhunderts, wiederholt abgehandelt werden, sodann, daß
die Kirchen- und Unterrichtsgeschichte von ganz Österreich eingeflochten wird samt
einem Stück politischer Geschichte der Monarchie einschließlich der Schicksale der
Christlich-sozialen Partei und der Los-Vou-Nom-Bewegung. Der Verfasser hätte
besser gethan, wenn er zum Einteilungsgrunde die zwei Fragen gewählt hätte, die
ihm vorgeschwebt haben, die er aber nicht ausspricht: Wie wirkt das Jtalienertum,
"ut wie wirkt der Klerikalismus ans das Tiroler Deutschtum ein? So wie in
den Sudetenländern wirken das nationale und das religiöse Element in Tirol gewiß
nicht zusammen. Dort liegt die Sache so, daß die Leute von Besitz und Bildung
meist Deutsche und dabei seit der josephinischen Zeit unkirchlich, zum Teil entschieden
kirchenfeindlich sind, der katholische Klerus sich darum meist aus dem Tschechentum
rekrutiert, womit zwei Gründe für die antideutsche Gesinnung des Klerus gegeben
sind. In Tirol dagegen sind die Deutschen fromme, jn bigotte und fanatische Ka¬
tholiken, und der Verfasser giebt ihnen das Zeugnis, daß sie trotzdem gute Deutsche
bleiben; daß sich aber deutsche Gemeinden italienische Seelsorger oder Lehrer ge¬
fallen lassen müssen, kommt nicht vor. Der Kampf gegen den Klerikalismus kann
also in Tirol nur den Sinn haben, daß nach einer bei den Protestanten ziemlich
allgemein herrschenden Meinung der Katholizismus an sich etwas Altdeutsches sei,
und daß man die tiroler von ihm befreien müsse, um sie wieder zu echten Deutschen
An machen. Daran arbeiten nun auch der Scherer und seine Freunde, und es Ware
also darzulegen gewesen, wie stark die Anhängerschaft dieses Blattes ist. und ob
wirklich in ihm der echt deutsche Geist lebt, was nach den Geschichten, die seinem
Herausgeber in Schmierers Organ nachgesagt werden, bezweifelt werden darf, ^or
allem würde ein Mann, der eine auch noch so kurze Geschichte des Droler Deutsch¬
tums vom protestantischen Standpunkt aus schreibt, das Rätsel zu losen haben,
wie diese Tiroler Bauern, die sich im sechzehnten Jahrhundert so energisch gegen
ihren Klerus erhoben haben, so bigotte Katholiken geworden sind, daß ihr Landtag
den Toleranz- und Schulgesetzen der neue" Zeit den größten Widerstand entgegen¬
gesetzt und die Glanbenseinhcit des Landes bis vor zehn Jahren als sein heiligstes
Gut verfochten hat? Mit dem Worte Jesuiten ist doch nichts erklärt, wenn man
diesen Ordeusleuten nicht übermenschliche Kraft zuschreiben will, und die Soldateska
der Ferdinande thuts auch noch nicht. Man muß bedeute", daß behauptet wird.
29 Dreißigstel der Bewohner der österreichischen Monarchie seien vor der Gegen¬
reformation Protestanten gewesen (S. 91 der vorliegenden Schrift), daß die Iren
i" dreihundertjährigcr beispielloser Unterdrückung treue, ja fanatische Katholiken ge-


Grenzbote" IV 1902
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Herausgeber immer noch dann stellt und glauben machen will, er halte dieses
Evangelium für den Inbegriff aller Wahrheit und Weisheit und jeden, der nicht
daran glaubt, für einen beschränkten Kopf, so wirkt das doppelt komisch in diesen
Tagen, wo die belgischen und die schwedischen Arbeiter der Welt so arithmetisch
genau gezeigt habe», wie viel und wie wenig sie vermögen, wo die englischen
organisierten Arbeiter nach der richtigen Charakteristik, die der Vorwärts von ihnen
entwirft, reaktionäre Zünftler sind, die Nichtorganisierten aber Nullen, die kein
Politiker in Rechnung stellt, und wo das „Fest der Arbeit" aus dem Stadium der
Lächerlichkeit in das der Vergessenheit eingetreten ist.


Das Deutschtum in Tirol.

Der Altdeutsche Verband giebt bei I. F. Leh-
mann in München ein Werk: Der Kampf um das Deutschtum in zwanzig Heften
heraus. Im siebenten, 1901 erschienen, behandelt H. Nähert: Das Deutschtum
in Tirol. Seine Schrift ist kein Pamphlet, sondern eine mühsame historisch-
statistische Studie, aber dem aufgewandten Fleiß entspricht leider nicht der Wert;
sie ist eine wüste Materialiensmnmlnng, die über die Ursachen und den innern Zu¬
sammenhang der erzählten Vorgänge keinen Aufschluß giebt. Der Verfasser teilt
seinen Stoff in die vier Abschnitte: Allgemeines; Kirchliches; Unterricht; Industrie,
Handel, Land- und Forstwirtschaft, sowie Fremdenverkehr in der Gegenwart. Diese
Einteilung verursacht zwei Nbclstände, einmal, daß manche Dinge, wie der Bauern¬
aufstand des sechzehnten Jahrhunderts, wiederholt abgehandelt werden, sodann, daß
die Kirchen- und Unterrichtsgeschichte von ganz Österreich eingeflochten wird samt
einem Stück politischer Geschichte der Monarchie einschließlich der Schicksale der
Christlich-sozialen Partei und der Los-Vou-Nom-Bewegung. Der Verfasser hätte
besser gethan, wenn er zum Einteilungsgrunde die zwei Fragen gewählt hätte, die
ihm vorgeschwebt haben, die er aber nicht ausspricht: Wie wirkt das Jtalienertum,
"ut wie wirkt der Klerikalismus ans das Tiroler Deutschtum ein? So wie in
den Sudetenländern wirken das nationale und das religiöse Element in Tirol gewiß
nicht zusammen. Dort liegt die Sache so, daß die Leute von Besitz und Bildung
meist Deutsche und dabei seit der josephinischen Zeit unkirchlich, zum Teil entschieden
kirchenfeindlich sind, der katholische Klerus sich darum meist aus dem Tschechentum
rekrutiert, womit zwei Gründe für die antideutsche Gesinnung des Klerus gegeben
sind. In Tirol dagegen sind die Deutschen fromme, jn bigotte und fanatische Ka¬
tholiken, und der Verfasser giebt ihnen das Zeugnis, daß sie trotzdem gute Deutsche
bleiben; daß sich aber deutsche Gemeinden italienische Seelsorger oder Lehrer ge¬
fallen lassen müssen, kommt nicht vor. Der Kampf gegen den Klerikalismus kann
also in Tirol nur den Sinn haben, daß nach einer bei den Protestanten ziemlich
allgemein herrschenden Meinung der Katholizismus an sich etwas Altdeutsches sei,
und daß man die tiroler von ihm befreien müsse, um sie wieder zu echten Deutschen
An machen. Daran arbeiten nun auch der Scherer und seine Freunde, und es Ware
also darzulegen gewesen, wie stark die Anhängerschaft dieses Blattes ist. und ob
wirklich in ihm der echt deutsche Geist lebt, was nach den Geschichten, die seinem
Herausgeber in Schmierers Organ nachgesagt werden, bezweifelt werden darf, ^or
allem würde ein Mann, der eine auch noch so kurze Geschichte des Droler Deutsch¬
tums vom protestantischen Standpunkt aus schreibt, das Rätsel zu losen haben,
wie diese Tiroler Bauern, die sich im sechzehnten Jahrhundert so energisch gegen
ihren Klerus erhoben haben, so bigotte Katholiken geworden sind, daß ihr Landtag
den Toleranz- und Schulgesetzen der neue» Zeit den größten Widerstand entgegen¬
gesetzt und die Glanbenseinhcit des Landes bis vor zehn Jahren als sein heiligstes
Gut verfochten hat? Mit dem Worte Jesuiten ist doch nichts erklärt, wenn man
diesen Ordeusleuten nicht übermenschliche Kraft zuschreiben will, und die Soldateska
der Ferdinande thuts auch noch nicht. Man muß bedeute», daß behauptet wird.
29 Dreißigstel der Bewohner der österreichischen Monarchie seien vor der Gegen¬
reformation Protestanten gewesen (S. 91 der vorliegenden Schrift), daß die Iren
i» dreihundertjährigcr beispielloser Unterdrückung treue, ja fanatische Katholiken ge-


Grenzbote» IV 1902
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[0115] Maßgebliches und Unmaßgebliches Herausgeber immer noch dann stellt und glauben machen will, er halte dieses Evangelium für den Inbegriff aller Wahrheit und Weisheit und jeden, der nicht daran glaubt, für einen beschränkten Kopf, so wirkt das doppelt komisch in diesen Tagen, wo die belgischen und die schwedischen Arbeiter der Welt so arithmetisch genau gezeigt habe», wie viel und wie wenig sie vermögen, wo die englischen organisierten Arbeiter nach der richtigen Charakteristik, die der Vorwärts von ihnen entwirft, reaktionäre Zünftler sind, die Nichtorganisierten aber Nullen, die kein Politiker in Rechnung stellt, und wo das „Fest der Arbeit" aus dem Stadium der Lächerlichkeit in das der Vergessenheit eingetreten ist. Das Deutschtum in Tirol. Der Altdeutsche Verband giebt bei I. F. Leh- mann in München ein Werk: Der Kampf um das Deutschtum in zwanzig Heften heraus. Im siebenten, 1901 erschienen, behandelt H. Nähert: Das Deutschtum in Tirol. Seine Schrift ist kein Pamphlet, sondern eine mühsame historisch- statistische Studie, aber dem aufgewandten Fleiß entspricht leider nicht der Wert; sie ist eine wüste Materialiensmnmlnng, die über die Ursachen und den innern Zu¬ sammenhang der erzählten Vorgänge keinen Aufschluß giebt. Der Verfasser teilt seinen Stoff in die vier Abschnitte: Allgemeines; Kirchliches; Unterricht; Industrie, Handel, Land- und Forstwirtschaft, sowie Fremdenverkehr in der Gegenwart. Diese Einteilung verursacht zwei Nbclstände, einmal, daß manche Dinge, wie der Bauern¬ aufstand des sechzehnten Jahrhunderts, wiederholt abgehandelt werden, sodann, daß die Kirchen- und Unterrichtsgeschichte von ganz Österreich eingeflochten wird samt einem Stück politischer Geschichte der Monarchie einschließlich der Schicksale der Christlich-sozialen Partei und der Los-Vou-Nom-Bewegung. Der Verfasser hätte besser gethan, wenn er zum Einteilungsgrunde die zwei Fragen gewählt hätte, die ihm vorgeschwebt haben, die er aber nicht ausspricht: Wie wirkt das Jtalienertum, "ut wie wirkt der Klerikalismus ans das Tiroler Deutschtum ein? So wie in den Sudetenländern wirken das nationale und das religiöse Element in Tirol gewiß nicht zusammen. Dort liegt die Sache so, daß die Leute von Besitz und Bildung meist Deutsche und dabei seit der josephinischen Zeit unkirchlich, zum Teil entschieden kirchenfeindlich sind, der katholische Klerus sich darum meist aus dem Tschechentum rekrutiert, womit zwei Gründe für die antideutsche Gesinnung des Klerus gegeben sind. In Tirol dagegen sind die Deutschen fromme, jn bigotte und fanatische Ka¬ tholiken, und der Verfasser giebt ihnen das Zeugnis, daß sie trotzdem gute Deutsche bleiben; daß sich aber deutsche Gemeinden italienische Seelsorger oder Lehrer ge¬ fallen lassen müssen, kommt nicht vor. Der Kampf gegen den Klerikalismus kann also in Tirol nur den Sinn haben, daß nach einer bei den Protestanten ziemlich allgemein herrschenden Meinung der Katholizismus an sich etwas Altdeutsches sei, und daß man die tiroler von ihm befreien müsse, um sie wieder zu echten Deutschen An machen. Daran arbeiten nun auch der Scherer und seine Freunde, und es Ware also darzulegen gewesen, wie stark die Anhängerschaft dieses Blattes ist. und ob wirklich in ihm der echt deutsche Geist lebt, was nach den Geschichten, die seinem Herausgeber in Schmierers Organ nachgesagt werden, bezweifelt werden darf, ^or allem würde ein Mann, der eine auch noch so kurze Geschichte des Droler Deutsch¬ tums vom protestantischen Standpunkt aus schreibt, das Rätsel zu losen haben, wie diese Tiroler Bauern, die sich im sechzehnten Jahrhundert so energisch gegen ihren Klerus erhoben haben, so bigotte Katholiken geworden sind, daß ihr Landtag den Toleranz- und Schulgesetzen der neue» Zeit den größten Widerstand entgegen¬ gesetzt und die Glanbenseinhcit des Landes bis vor zehn Jahren als sein heiligstes Gut verfochten hat? Mit dem Worte Jesuiten ist doch nichts erklärt, wenn man diesen Ordeusleuten nicht übermenschliche Kraft zuschreiben will, und die Soldateska der Ferdinande thuts auch noch nicht. Man muß bedeute», daß behauptet wird. 29 Dreißigstel der Bewohner der österreichischen Monarchie seien vor der Gegen¬ reformation Protestanten gewesen (S. 91 der vorliegenden Schrift), daß die Iren i» dreihundertjährigcr beispielloser Unterdrückung treue, ja fanatische Katholiken ge- Grenzbote» IV 1902

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/115>, abgerufen am 01.09.2024.