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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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nicht am Platze. Wenn man ein so empfindliches Gewissen hat, daß man der
Landessitte ein solches Opfer der eignen Überzeugung nicht bringen mag, so
thut man besser, aufzupacken und sich in ein Land zu begeben, wo die eigne
Religion auch die des Staates ist. In derselben Weise hat sich in einem
protestantischen Lande der Katholik dem Landesgesetz und der Landessitte zu
fügen. So gern wir dem Katholiken die üppige Pracht seines Kultus lassen,
so wenig es uns verschlagen würde, wenn katholische Prozessionen durch die
Straßen zögen, so unmöglich es uns wäre, einem Katholiken gegenüber über
den Papst, die Messe, den Marienglauben oder die Heiligenverehrung unehr¬
erbietige, sarkastische Bemerkungen zu machen, so fern es uns liegt, über
Katholiken zu jubeln, die zum protestantischen Glauben übertreten, so fest sind
Nur andrerseits überzeugt, daß der dem Pharisäer erteilte Bescheid: Gebt dem
Kaiser, was des Kaisers ist, keine, auch nicht die geringste Ausnahme erleiden
darf. Das Reich Gottes ist unermeßlich genug, und seine Anforderungen sind,
obwohl sie ein leichtes Joch vorstellen, umfassend genng, daß niemand, dem
es im Ernst darum zu thun ist, Gott zu geben, was Gottes ist, mit seinem
guten Willen in Verlegenheit zu sein und sich für verpflichtet zu halten
braucht, den Staat nach seiner Idee vom Reiche Gottes umzumodeln und zu
reorganisieren.

Die römisch-katholische Kirche ist in dieser Beziehung mit ihren Lehren,
mit ihren Ansprüchen, mit ihrer Handlungsweise eine chronische, durch Herrsch¬
sucht und weltliche Rücksichten hervorgerufne Anomalie. Das muß, unbeschadet
des Umstandes, daß wir ihr in Glaubenssachen nichts vorzuschreiben und viel¬
mehr ihre Überzeugung, wie die jeder andern Religionsgemeinschaft, die es
ehrlich meint, zu achten haben, immer von neuem gesagt und danach muß auch
immer von neuem gehandelt werden. Die maßlose Vermessenheit, mit der die
römisch-katholische Kirche das ihr zu unbeschränkter Verfügung stehende geistige
und geistliche Gebiet verlassen hat, um dem Kaiser zu nehmen, was des Kaisers
ist, würde nicht so um sich gegriffen und eine so bedenkliche Ausdehnung ge¬
wonnen haben, wenn Katholiken und Protestanten die in ihrem Wesen grund-
verschiednen Gebiete der weltlichen Macht des Kaisers und der geistigen Führung
der Kirche besser zu scheiden verstünden.

Das Rechte und Wahre ist einmal, ein einziges mal höchsten Orts gesagt
worden, als Kaiser Wilhelm l. den Papst darauf aufmerksam machte, daß ihm
Protestanten gegenüber keine Jurisdiktion, keine Autorität zustehe, daß ihm
auch, was die Hauptsache ist, Protestanten gegenüber keine Verantwortung ob¬
liege. Der damals eiugeschlagne rechte Weg ist inzwischen wieder verlassen
worden: für alle die, die den Reichskanzler damals im Stiche gelassen haben,
als ein einigermaßen abgeschwächtes Kanossa in Frage kam, bleibt das ein
steter schwerer Vorwurf, und wir find überzeugt, daß sich die damals zu Tage
getretne deutsche Schwäche in der Zukunft noch empfindlicher rächen wird, als
es schon geschehn ist und heutigentags geschieht.

Damit, daß dem Papst und der römisch-katholischen Kirche verboten und
verwehrt würde -- verboten und verwehrt sind die einzig rechten Ausdrücke --,
sich in Dinge zu mischen, über die von Rechts wegen niemand anders zu be-


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nicht am Platze. Wenn man ein so empfindliches Gewissen hat, daß man der
Landessitte ein solches Opfer der eignen Überzeugung nicht bringen mag, so
thut man besser, aufzupacken und sich in ein Land zu begeben, wo die eigne
Religion auch die des Staates ist. In derselben Weise hat sich in einem
protestantischen Lande der Katholik dem Landesgesetz und der Landessitte zu
fügen. So gern wir dem Katholiken die üppige Pracht seines Kultus lassen,
so wenig es uns verschlagen würde, wenn katholische Prozessionen durch die
Straßen zögen, so unmöglich es uns wäre, einem Katholiken gegenüber über
den Papst, die Messe, den Marienglauben oder die Heiligenverehrung unehr¬
erbietige, sarkastische Bemerkungen zu machen, so fern es uns liegt, über
Katholiken zu jubeln, die zum protestantischen Glauben übertreten, so fest sind
Nur andrerseits überzeugt, daß der dem Pharisäer erteilte Bescheid: Gebt dem
Kaiser, was des Kaisers ist, keine, auch nicht die geringste Ausnahme erleiden
darf. Das Reich Gottes ist unermeßlich genug, und seine Anforderungen sind,
obwohl sie ein leichtes Joch vorstellen, umfassend genng, daß niemand, dem
es im Ernst darum zu thun ist, Gott zu geben, was Gottes ist, mit seinem
guten Willen in Verlegenheit zu sein und sich für verpflichtet zu halten
braucht, den Staat nach seiner Idee vom Reiche Gottes umzumodeln und zu
reorganisieren.

Die römisch-katholische Kirche ist in dieser Beziehung mit ihren Lehren,
mit ihren Ansprüchen, mit ihrer Handlungsweise eine chronische, durch Herrsch¬
sucht und weltliche Rücksichten hervorgerufne Anomalie. Das muß, unbeschadet
des Umstandes, daß wir ihr in Glaubenssachen nichts vorzuschreiben und viel¬
mehr ihre Überzeugung, wie die jeder andern Religionsgemeinschaft, die es
ehrlich meint, zu achten haben, immer von neuem gesagt und danach muß auch
immer von neuem gehandelt werden. Die maßlose Vermessenheit, mit der die
römisch-katholische Kirche das ihr zu unbeschränkter Verfügung stehende geistige
und geistliche Gebiet verlassen hat, um dem Kaiser zu nehmen, was des Kaisers
ist, würde nicht so um sich gegriffen und eine so bedenkliche Ausdehnung ge¬
wonnen haben, wenn Katholiken und Protestanten die in ihrem Wesen grund-
verschiednen Gebiete der weltlichen Macht des Kaisers und der geistigen Führung
der Kirche besser zu scheiden verstünden.

Das Rechte und Wahre ist einmal, ein einziges mal höchsten Orts gesagt
worden, als Kaiser Wilhelm l. den Papst darauf aufmerksam machte, daß ihm
Protestanten gegenüber keine Jurisdiktion, keine Autorität zustehe, daß ihm
auch, was die Hauptsache ist, Protestanten gegenüber keine Verantwortung ob¬
liege. Der damals eiugeschlagne rechte Weg ist inzwischen wieder verlassen
worden: für alle die, die den Reichskanzler damals im Stiche gelassen haben,
als ein einigermaßen abgeschwächtes Kanossa in Frage kam, bleibt das ein
steter schwerer Vorwurf, und wir find überzeugt, daß sich die damals zu Tage
getretne deutsche Schwäche in der Zukunft noch empfindlicher rächen wird, als
es schon geschehn ist und heutigentags geschieht.

Damit, daß dem Papst und der römisch-katholischen Kirche verboten und
verwehrt würde — verboten und verwehrt sind die einzig rechten Ausdrücke —,
sich in Dinge zu mischen, über die von Rechts wegen niemand anders zu be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/94>, abgerufen am 01.07.2024.