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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

französischen Positivismus, der englischen klassischen Nationalökonomie und des
französischen Sozialismus, des in Naturalismus umgewandelten Hegelianismus und
des in Romantik hinübergeflosscnen gallischen Kommunismus, der englischen und
französischen Forlgeschrittenheit auf sozialem Gebiete und der der deutscheu Zurück¬
gebliebenheit usw. usw." ergiebt, sollte kommen, was aber der Verfasser am Ende
zu setzen unterläßt; er hilft sich mit einem Anakoluth. Man würde für die brauch¬
bare Stoffsammlung dankbarer sein, wenn nicht die unbeholfne Darstellung das
Lesen erschwerte.

Jakob Hollitscher stellt in seiner Schrift: "Das historische Gesetz;
zur Kritik der materialistischen Geschichtsauffassung (Carl Reißner, Dresden und
Leipzig, 1901) seinen Gegenstand sehr gut dar, zunächst die Unmöglichkeit einer
deduktiven Geschichtsphilosophie und die Schwierigkeit, auf induktiven Wege histo¬
rische Gesetze zu finden, dann Marxens Geschichtsphilosophie. In der Kritik dieser
Philosophie finden wir viel zutreffendes, aber wir vermögen nicht genau zu
erkennen, worauf der Verfasser hinaus will. Verständlich ist es, wenn er Marx
der Inkonsequenz beschuldigt, weil dieser nichts Außermenschliches (das Absolute
oder Gott) als Triebkraft der historischen Entwicklung anerkennen will, dann aber
doch wieder den Menschen von den Produktivkräften der Gesellschaft abhängig macht,
die nach einem Gesetz wirken, das dem Menschen -- bis auf Marx -- nie zum Be¬
wußtsein gekommen ist, und weil er dem dienend mit seinen egoistischen Bestrebungen
oft das Gegenteil von dem herbeiführt, was er beabsichtigt hat. Verständlich ist
auch, daß die marxistische Theorie wieder die uralte Frage nach dem Ursprung
der Begriffe zu stellen zwingt, die Frage, ob der absolute Geist "der Schatten
eines Traumes oder die Grundlage unsrer Erkenntnis sei." Und einmal glaubten
wir schon, Hollitscher in unserm Fahrwasser zu sehen, wo er fragt, wie der Mensch
durch das materielle Bedürfnis zum Nachdenken über die Mittel zur Befriedigung
gekommen sein könne, wenn er nicht vorher schon ein denkendes, ein geistiges Wesen
gewesen sei. Dann aber wurden wir wieder an ihm irre durch die Polemik gegen
alle, die meinen, es setze sich irgend etwas in der Weltgeschichte durch, sei es Gott
oder die Idee, oder die Gerechtigkeit, oder die Produktivkräfte; niemand und nichts
setze sich dnrch als der Mensch selbst; alle Ursachen des historischen Geschehens
lägen ini Menschen. Daraus zieht er aber nicht die utopistische Folgerung, daß
die Menschen je einmal mit Bewußtsein und planmäßig ihr Schicksal machen und
zuletzt, wenn sie die Geschichte satt haben, den Erdball in die Luft oder vielmehr
in den Weltäther sprengen werden. Sondern er schließt bescheiden: wer auf die
unerreichbare volle Erkenntnis aller Ursachen des historischen Geschehens verzichte,
der werde finden, daß es "reicher und kühner" sei, selbstbewußt mitzuwirken am
sausenden Webstuhl der Zeit, als "im Zauberkessel der Mythologie Prophezeiungen
und Rezepte zu brauen für eine Zukunft der Phantasie." Das heißt doch Wohl:
es giebt keine Erkenntnis ewiger Gesetze und höchster Ziele für das Menschenleben;
begnügen wir uns damit, die Geschäfte des Tages zu erledigen! Damit haben sich
ja die zufriedner Alltagsmenschen immer, die Unglücklichen aber und die unruhigen
Geister niemals begnügt. -- Nicht frei von Utvpismus ist Dr. Karl Wvllf, der
in seiner Schrift: "Sozialer Geist, sein Wesen und seine Entfaltung (Mannheim,
Ernst Aletter, 1901) die "Höherbildung des Menschheitstypus" fordert. Wir haben
oft gezeigt, daß sich unter dieser Forderung nichts denken läßt. Man versteht,
was gemeint ist, wenn jemand fordert, daß alle Farbigen Weiße werden und die
Schönheit, Intelligenz und Gemütsart der Weißen erlangen sollen; man versteht
auch, was mit einem Zustande gemeint ist, wo es unter deu Weißen keine Dummen,
keine Elenden, keine Schlechten und keine Bösen mehr geben soll, aber niemand
versteht, was es noch vollkommneres geben könne, als die schönsten, die besten,
die größten, die tüchtigsten, die genialsten Menschen, die wir kennen, und wie über¬
haupt von einem höhern Typus die Rede sein könne, da es viele Typen der
Gattung Mensch giebt, und die Vollkommenheiten der verschiednen Typen unver¬
einbar miteinander sind. Der Verfasser wird wohl anch unter seinem nebelhaften


Maßgebliches und Unmaßgebliches

französischen Positivismus, der englischen klassischen Nationalökonomie und des
französischen Sozialismus, des in Naturalismus umgewandelten Hegelianismus und
des in Romantik hinübergeflosscnen gallischen Kommunismus, der englischen und
französischen Forlgeschrittenheit auf sozialem Gebiete und der der deutscheu Zurück¬
gebliebenheit usw. usw." ergiebt, sollte kommen, was aber der Verfasser am Ende
zu setzen unterläßt; er hilft sich mit einem Anakoluth. Man würde für die brauch¬
bare Stoffsammlung dankbarer sein, wenn nicht die unbeholfne Darstellung das
Lesen erschwerte.

Jakob Hollitscher stellt in seiner Schrift: „Das historische Gesetz;
zur Kritik der materialistischen Geschichtsauffassung (Carl Reißner, Dresden und
Leipzig, 1901) seinen Gegenstand sehr gut dar, zunächst die Unmöglichkeit einer
deduktiven Geschichtsphilosophie und die Schwierigkeit, auf induktiven Wege histo¬
rische Gesetze zu finden, dann Marxens Geschichtsphilosophie. In der Kritik dieser
Philosophie finden wir viel zutreffendes, aber wir vermögen nicht genau zu
erkennen, worauf der Verfasser hinaus will. Verständlich ist es, wenn er Marx
der Inkonsequenz beschuldigt, weil dieser nichts Außermenschliches (das Absolute
oder Gott) als Triebkraft der historischen Entwicklung anerkennen will, dann aber
doch wieder den Menschen von den Produktivkräften der Gesellschaft abhängig macht,
die nach einem Gesetz wirken, das dem Menschen — bis auf Marx — nie zum Be¬
wußtsein gekommen ist, und weil er dem dienend mit seinen egoistischen Bestrebungen
oft das Gegenteil von dem herbeiführt, was er beabsichtigt hat. Verständlich ist
auch, daß die marxistische Theorie wieder die uralte Frage nach dem Ursprung
der Begriffe zu stellen zwingt, die Frage, ob der absolute Geist „der Schatten
eines Traumes oder die Grundlage unsrer Erkenntnis sei." Und einmal glaubten
wir schon, Hollitscher in unserm Fahrwasser zu sehen, wo er fragt, wie der Mensch
durch das materielle Bedürfnis zum Nachdenken über die Mittel zur Befriedigung
gekommen sein könne, wenn er nicht vorher schon ein denkendes, ein geistiges Wesen
gewesen sei. Dann aber wurden wir wieder an ihm irre durch die Polemik gegen
alle, die meinen, es setze sich irgend etwas in der Weltgeschichte durch, sei es Gott
oder die Idee, oder die Gerechtigkeit, oder die Produktivkräfte; niemand und nichts
setze sich dnrch als der Mensch selbst; alle Ursachen des historischen Geschehens
lägen ini Menschen. Daraus zieht er aber nicht die utopistische Folgerung, daß
die Menschen je einmal mit Bewußtsein und planmäßig ihr Schicksal machen und
zuletzt, wenn sie die Geschichte satt haben, den Erdball in die Luft oder vielmehr
in den Weltäther sprengen werden. Sondern er schließt bescheiden: wer auf die
unerreichbare volle Erkenntnis aller Ursachen des historischen Geschehens verzichte,
der werde finden, daß es „reicher und kühner" sei, selbstbewußt mitzuwirken am
sausenden Webstuhl der Zeit, als „im Zauberkessel der Mythologie Prophezeiungen
und Rezepte zu brauen für eine Zukunft der Phantasie." Das heißt doch Wohl:
es giebt keine Erkenntnis ewiger Gesetze und höchster Ziele für das Menschenleben;
begnügen wir uns damit, die Geschäfte des Tages zu erledigen! Damit haben sich
ja die zufriedner Alltagsmenschen immer, die Unglücklichen aber und die unruhigen
Geister niemals begnügt. — Nicht frei von Utvpismus ist Dr. Karl Wvllf, der
in seiner Schrift: „Sozialer Geist, sein Wesen und seine Entfaltung (Mannheim,
Ernst Aletter, 1901) die „Höherbildung des Menschheitstypus" fordert. Wir haben
oft gezeigt, daß sich unter dieser Forderung nichts denken läßt. Man versteht,
was gemeint ist, wenn jemand fordert, daß alle Farbigen Weiße werden und die
Schönheit, Intelligenz und Gemütsart der Weißen erlangen sollen; man versteht
auch, was mit einem Zustande gemeint ist, wo es unter deu Weißen keine Dummen,
keine Elenden, keine Schlechten und keine Bösen mehr geben soll, aber niemand
versteht, was es noch vollkommneres geben könne, als die schönsten, die besten,
die größten, die tüchtigsten, die genialsten Menschen, die wir kennen, und wie über¬
haupt von einem höhern Typus die Rede sein könne, da es viele Typen der
Gattung Mensch giebt, und die Vollkommenheiten der verschiednen Typen unver¬
einbar miteinander sind. Der Verfasser wird wohl anch unter seinem nebelhaften


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[0748] Maßgebliches und Unmaßgebliches französischen Positivismus, der englischen klassischen Nationalökonomie und des französischen Sozialismus, des in Naturalismus umgewandelten Hegelianismus und des in Romantik hinübergeflosscnen gallischen Kommunismus, der englischen und französischen Forlgeschrittenheit auf sozialem Gebiete und der der deutscheu Zurück¬ gebliebenheit usw. usw." ergiebt, sollte kommen, was aber der Verfasser am Ende zu setzen unterläßt; er hilft sich mit einem Anakoluth. Man würde für die brauch¬ bare Stoffsammlung dankbarer sein, wenn nicht die unbeholfne Darstellung das Lesen erschwerte. Jakob Hollitscher stellt in seiner Schrift: „Das historische Gesetz; zur Kritik der materialistischen Geschichtsauffassung (Carl Reißner, Dresden und Leipzig, 1901) seinen Gegenstand sehr gut dar, zunächst die Unmöglichkeit einer deduktiven Geschichtsphilosophie und die Schwierigkeit, auf induktiven Wege histo¬ rische Gesetze zu finden, dann Marxens Geschichtsphilosophie. In der Kritik dieser Philosophie finden wir viel zutreffendes, aber wir vermögen nicht genau zu erkennen, worauf der Verfasser hinaus will. Verständlich ist es, wenn er Marx der Inkonsequenz beschuldigt, weil dieser nichts Außermenschliches (das Absolute oder Gott) als Triebkraft der historischen Entwicklung anerkennen will, dann aber doch wieder den Menschen von den Produktivkräften der Gesellschaft abhängig macht, die nach einem Gesetz wirken, das dem Menschen — bis auf Marx — nie zum Be¬ wußtsein gekommen ist, und weil er dem dienend mit seinen egoistischen Bestrebungen oft das Gegenteil von dem herbeiführt, was er beabsichtigt hat. Verständlich ist auch, daß die marxistische Theorie wieder die uralte Frage nach dem Ursprung der Begriffe zu stellen zwingt, die Frage, ob der absolute Geist „der Schatten eines Traumes oder die Grundlage unsrer Erkenntnis sei." Und einmal glaubten wir schon, Hollitscher in unserm Fahrwasser zu sehen, wo er fragt, wie der Mensch durch das materielle Bedürfnis zum Nachdenken über die Mittel zur Befriedigung gekommen sein könne, wenn er nicht vorher schon ein denkendes, ein geistiges Wesen gewesen sei. Dann aber wurden wir wieder an ihm irre durch die Polemik gegen alle, die meinen, es setze sich irgend etwas in der Weltgeschichte durch, sei es Gott oder die Idee, oder die Gerechtigkeit, oder die Produktivkräfte; niemand und nichts setze sich dnrch als der Mensch selbst; alle Ursachen des historischen Geschehens lägen ini Menschen. Daraus zieht er aber nicht die utopistische Folgerung, daß die Menschen je einmal mit Bewußtsein und planmäßig ihr Schicksal machen und zuletzt, wenn sie die Geschichte satt haben, den Erdball in die Luft oder vielmehr in den Weltäther sprengen werden. Sondern er schließt bescheiden: wer auf die unerreichbare volle Erkenntnis aller Ursachen des historischen Geschehens verzichte, der werde finden, daß es „reicher und kühner" sei, selbstbewußt mitzuwirken am sausenden Webstuhl der Zeit, als „im Zauberkessel der Mythologie Prophezeiungen und Rezepte zu brauen für eine Zukunft der Phantasie." Das heißt doch Wohl: es giebt keine Erkenntnis ewiger Gesetze und höchster Ziele für das Menschenleben; begnügen wir uns damit, die Geschäfte des Tages zu erledigen! Damit haben sich ja die zufriedner Alltagsmenschen immer, die Unglücklichen aber und die unruhigen Geister niemals begnügt. — Nicht frei von Utvpismus ist Dr. Karl Wvllf, der in seiner Schrift: „Sozialer Geist, sein Wesen und seine Entfaltung (Mannheim, Ernst Aletter, 1901) die „Höherbildung des Menschheitstypus" fordert. Wir haben oft gezeigt, daß sich unter dieser Forderung nichts denken läßt. Man versteht, was gemeint ist, wenn jemand fordert, daß alle Farbigen Weiße werden und die Schönheit, Intelligenz und Gemütsart der Weißen erlangen sollen; man versteht auch, was mit einem Zustande gemeint ist, wo es unter deu Weißen keine Dummen, keine Elenden, keine Schlechten und keine Bösen mehr geben soll, aber niemand versteht, was es noch vollkommneres geben könne, als die schönsten, die besten, die größten, die tüchtigsten, die genialsten Menschen, die wir kennen, und wie über¬ haupt von einem höhern Typus die Rede sein könne, da es viele Typen der Gattung Mensch giebt, und die Vollkommenheiten der verschiednen Typen unver¬ einbar miteinander sind. Der Verfasser wird wohl anch unter seinem nebelhaften

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/748>, abgerufen am 26.06.2024.