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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Der Instinkt der Tiere

Die Jagdspiuueu beschleichen ihre Beute und kühnen sie mit einem ver¬
giftenden Biß, wie die Giftschlangen; die Netzspinnen weben kunstvolle Netze,
jede Art nicht nach freier Wahl, sondern nach einem für jede Art ganz be¬
stimmten Muster, das ihr durch den Instinkt vorgeschrieben ist; eine Be¬
lehrung durch die Eltern können sie nicht bekommen, denn wenn im Frühling
die jungen Spinnen ans den überwinterten Eiern schlüpfen, sind die Eltern
lange tot. Nicht nur die Art und Weise der Webung des Netzes, sondern
auch, daß sie überhaupt eins weben, ist auf den angebornen Instinkt zurück¬
zuführen.

Unter den Insekten sind es die Ameisen und die Bienen, die von jeher
die Aufmerksamkeit auf sich lenkten durch ihr geordnetes Staatensystem und
ihre kunstvollen Bauten. Die Ameisen bewegen sich außerhalb ihres Baues
auf Straßen, die einen folgen den andern, und sie hinterlassen nach den Unter¬
suchungen Beeses auf ihrem Wege eine Spur, die den nachfolgenden und spater
ihnen selbst als Wegweiser dient; dieser Spur haftet etwas an, was darauf
hindeutet, ob auf diesem Wege etwas zu finden ist oder nicht. Entfernt man
von einer Ameisenstraße, die über Sand führt, eine Sandschicht von einigen
Millimetern, so entsteht auf beiden Seiten eine Stauung. Bringt man in einer
Ameisenstraße eine um 180 Grad drehbare Strecke an und dreht dieselbe um
diesen Winkel, so entsteht ebenfalls an beiden Endpunkten eine Stauung. Die
zum Nest führende Spur kann ferner den vom Nest kommenden nicht als
Wegweiser dienen, die Spur ist also polarisiert; und von der Sinneswahr-
nehmung, die hier in Frage kommt, können wir uns keine Vorstellung machen.
Ein Mitteilungsvermügen haben die Ameisen nicht; die feindliche Reaktion
auf Individuell andrer Nester ist angeboren und wird durch deu Geruchssinn
ausgelöst.

Die Ameisen leben vorwiegend von kleinen Tieren, mit gewissen Arten
aber haben sie ein Freundschaftsverhältnis; diese leben als Gäste in ihren
Bauen, und Janet führt 1246 solcher Arten an, die meistens zu den Küferu
gehören; einige, wie der Keulenküfer, der blind ist, werden nirgend anders
als in Ameisennestern gefunden.

Die Bienen bauen ihre Waben, um sie mit Honig zu füllen, der zur
Ernährung der Larven dienen soll zu einer Zeit, wo diese noch gar nicht
vorhanden sind. Die Bienenkönigin legt die befruchteten Eier, aus denen Ar¬
beiterinnen entstehn, in gewöhnliche Zellen, die unbefruchteten, aus denen die
Drohnen oder Männchen ausschlüpfen, in Buckelzellen; nach der Befruchtung
der Königin durch eine Drohne töten die Arbeiterinnen die sämtlichen Drohnen
in der sogenannten Drohnenschlacht. Entfernt man einen Bienenstock von
seiner Stelle, so fliegen die Bienen, die ausgeflogen waren und nun zurück¬
kehren, an die Stelle des Raumes, wo bisher das Flugloch war; beträgt dabei
die Entfernung des Stockes von seinem frühern Standort mehr als zwei Meter,
so findet sich keine Biene wieder in ihren Stock zurück. Sie folgen bei dem
Rückfluge zum Stock eiuer unbekannten Kraft und fliegen geradlinig auf den
Punkt zu, von dem sie kamen; die Wirksamkeit dieser Kraft erstreckt sich auf
einige Kilometer im Umkreise. Isoliert man eine Wabe mit junger Brut, so


Der Instinkt der Tiere

Die Jagdspiuueu beschleichen ihre Beute und kühnen sie mit einem ver¬
giftenden Biß, wie die Giftschlangen; die Netzspinnen weben kunstvolle Netze,
jede Art nicht nach freier Wahl, sondern nach einem für jede Art ganz be¬
stimmten Muster, das ihr durch den Instinkt vorgeschrieben ist; eine Be¬
lehrung durch die Eltern können sie nicht bekommen, denn wenn im Frühling
die jungen Spinnen ans den überwinterten Eiern schlüpfen, sind die Eltern
lange tot. Nicht nur die Art und Weise der Webung des Netzes, sondern
auch, daß sie überhaupt eins weben, ist auf den angebornen Instinkt zurück¬
zuführen.

Unter den Insekten sind es die Ameisen und die Bienen, die von jeher
die Aufmerksamkeit auf sich lenkten durch ihr geordnetes Staatensystem und
ihre kunstvollen Bauten. Die Ameisen bewegen sich außerhalb ihres Baues
auf Straßen, die einen folgen den andern, und sie hinterlassen nach den Unter¬
suchungen Beeses auf ihrem Wege eine Spur, die den nachfolgenden und spater
ihnen selbst als Wegweiser dient; dieser Spur haftet etwas an, was darauf
hindeutet, ob auf diesem Wege etwas zu finden ist oder nicht. Entfernt man
von einer Ameisenstraße, die über Sand führt, eine Sandschicht von einigen
Millimetern, so entsteht auf beiden Seiten eine Stauung. Bringt man in einer
Ameisenstraße eine um 180 Grad drehbare Strecke an und dreht dieselbe um
diesen Winkel, so entsteht ebenfalls an beiden Endpunkten eine Stauung. Die
zum Nest führende Spur kann ferner den vom Nest kommenden nicht als
Wegweiser dienen, die Spur ist also polarisiert; und von der Sinneswahr-
nehmung, die hier in Frage kommt, können wir uns keine Vorstellung machen.
Ein Mitteilungsvermügen haben die Ameisen nicht; die feindliche Reaktion
auf Individuell andrer Nester ist angeboren und wird durch deu Geruchssinn
ausgelöst.

Die Ameisen leben vorwiegend von kleinen Tieren, mit gewissen Arten
aber haben sie ein Freundschaftsverhältnis; diese leben als Gäste in ihren
Bauen, und Janet führt 1246 solcher Arten an, die meistens zu den Küferu
gehören; einige, wie der Keulenküfer, der blind ist, werden nirgend anders
als in Ameisennestern gefunden.

Die Bienen bauen ihre Waben, um sie mit Honig zu füllen, der zur
Ernährung der Larven dienen soll zu einer Zeit, wo diese noch gar nicht
vorhanden sind. Die Bienenkönigin legt die befruchteten Eier, aus denen Ar¬
beiterinnen entstehn, in gewöhnliche Zellen, die unbefruchteten, aus denen die
Drohnen oder Männchen ausschlüpfen, in Buckelzellen; nach der Befruchtung
der Königin durch eine Drohne töten die Arbeiterinnen die sämtlichen Drohnen
in der sogenannten Drohnenschlacht. Entfernt man einen Bienenstock von
seiner Stelle, so fliegen die Bienen, die ausgeflogen waren und nun zurück¬
kehren, an die Stelle des Raumes, wo bisher das Flugloch war; beträgt dabei
die Entfernung des Stockes von seinem frühern Standort mehr als zwei Meter,
so findet sich keine Biene wieder in ihren Stock zurück. Sie folgen bei dem
Rückfluge zum Stock eiuer unbekannten Kraft und fliegen geradlinig auf den
Punkt zu, von dem sie kamen; die Wirksamkeit dieser Kraft erstreckt sich auf
einige Kilometer im Umkreise. Isoliert man eine Wabe mit junger Brut, so


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[0728] Der Instinkt der Tiere Die Jagdspiuueu beschleichen ihre Beute und kühnen sie mit einem ver¬ giftenden Biß, wie die Giftschlangen; die Netzspinnen weben kunstvolle Netze, jede Art nicht nach freier Wahl, sondern nach einem für jede Art ganz be¬ stimmten Muster, das ihr durch den Instinkt vorgeschrieben ist; eine Be¬ lehrung durch die Eltern können sie nicht bekommen, denn wenn im Frühling die jungen Spinnen ans den überwinterten Eiern schlüpfen, sind die Eltern lange tot. Nicht nur die Art und Weise der Webung des Netzes, sondern auch, daß sie überhaupt eins weben, ist auf den angebornen Instinkt zurück¬ zuführen. Unter den Insekten sind es die Ameisen und die Bienen, die von jeher die Aufmerksamkeit auf sich lenkten durch ihr geordnetes Staatensystem und ihre kunstvollen Bauten. Die Ameisen bewegen sich außerhalb ihres Baues auf Straßen, die einen folgen den andern, und sie hinterlassen nach den Unter¬ suchungen Beeses auf ihrem Wege eine Spur, die den nachfolgenden und spater ihnen selbst als Wegweiser dient; dieser Spur haftet etwas an, was darauf hindeutet, ob auf diesem Wege etwas zu finden ist oder nicht. Entfernt man von einer Ameisenstraße, die über Sand führt, eine Sandschicht von einigen Millimetern, so entsteht auf beiden Seiten eine Stauung. Bringt man in einer Ameisenstraße eine um 180 Grad drehbare Strecke an und dreht dieselbe um diesen Winkel, so entsteht ebenfalls an beiden Endpunkten eine Stauung. Die zum Nest führende Spur kann ferner den vom Nest kommenden nicht als Wegweiser dienen, die Spur ist also polarisiert; und von der Sinneswahr- nehmung, die hier in Frage kommt, können wir uns keine Vorstellung machen. Ein Mitteilungsvermügen haben die Ameisen nicht; die feindliche Reaktion auf Individuell andrer Nester ist angeboren und wird durch deu Geruchssinn ausgelöst. Die Ameisen leben vorwiegend von kleinen Tieren, mit gewissen Arten aber haben sie ein Freundschaftsverhältnis; diese leben als Gäste in ihren Bauen, und Janet führt 1246 solcher Arten an, die meistens zu den Küferu gehören; einige, wie der Keulenküfer, der blind ist, werden nirgend anders als in Ameisennestern gefunden. Die Bienen bauen ihre Waben, um sie mit Honig zu füllen, der zur Ernährung der Larven dienen soll zu einer Zeit, wo diese noch gar nicht vorhanden sind. Die Bienenkönigin legt die befruchteten Eier, aus denen Ar¬ beiterinnen entstehn, in gewöhnliche Zellen, die unbefruchteten, aus denen die Drohnen oder Männchen ausschlüpfen, in Buckelzellen; nach der Befruchtung der Königin durch eine Drohne töten die Arbeiterinnen die sämtlichen Drohnen in der sogenannten Drohnenschlacht. Entfernt man einen Bienenstock von seiner Stelle, so fliegen die Bienen, die ausgeflogen waren und nun zurück¬ kehren, an die Stelle des Raumes, wo bisher das Flugloch war; beträgt dabei die Entfernung des Stockes von seinem frühern Standort mehr als zwei Meter, so findet sich keine Biene wieder in ihren Stock zurück. Sie folgen bei dem Rückfluge zum Stock eiuer unbekannten Kraft und fliegen geradlinig auf den Punkt zu, von dem sie kamen; die Wirksamkeit dieser Kraft erstreckt sich auf einige Kilometer im Umkreise. Isoliert man eine Wabe mit junger Brut, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/728>, abgerufen am 26.06.2024.