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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Der Instinkt der Tiere

Schweine seien eins hinter dem andern, immer genau in die Führte des
Vorgängers tretend, gelaufen, um den Jäger glauben zu machen, es sei nur
ein Tier vorhanden.

Diese Erzählungen, die in Petermanns Jagdbüchern zu stehn verdienten,
waren allen Ernstes als Beweise für die Vernunft der Tiere wiedergegeben.

Brehm meint wirklich, daß ein Papagei, der sprechen gelernt hat, das
verstehe, was er sagt; wenn ein Papagei immer wieder hört, daß man im
Zimmer, nachdem an die Thür geklopft ist, "herein" sagt, so kann es kommen,
daß er auch eines Tages, wenn geklopft wird, "herein" sagt; besteht doch das
Abrichten der Tiere lediglich in der Hervorrufung bestimmter Handlungen durch
bestimmte Worte oder Töne oder durch Veranstaltung gewisser Umstünde, deren
das Tier sich erinnert.

Im folgenden soll eine Reihe merkwürdiger Handlungen von Tieren be¬
sprochen werden, die nur durch den Instinkt zu erklären sind; als instinktive
Handlungen werden solche bezeichnet, bei denen das Tier, mag es außerdem
seelische Eigenschaften haben oder nicht, ohne vorheriges Lernen blindlings
und zwangweise einem angebornen Triebe folgt.

Unter den Säugetieren ist der Biber wohl das, das durch seine kunst¬
vollen Bauten am meisten unsre Aufmerksamkeit erregt. Er baut, wenn der
Wasserspiegel seines Wohnorts starke Schwankungen erleidet, seine Dämme,
besonders bei sinkendem Wasser, damit die unter dem Wasserspiegel liegenden
Eingänge seiner Wohnung nicht zu Tage treten; so zieht er querdurch einen
Bach oder Fluß kunstvolle, oft sehr lange Dämme, um das Wasser zu stauen.
Der Effekt der Arbeit kann erst eintreten, wenn die Arbeit vollendet ist; die
Dämme verlaufen zwischen der Wohnung des Tieres und der Flußmündung,
sie haben die nötige Festigkeit, Breite und Höhe, und zu der Herstellung
werden Baumstämme an der Wasserseite angenagt, sodaß sie in der Richtung
quer über den Wasserlauf umfallen. Will man diese Arbeiten als überlegte
Handlungen auffassen, so muß man annehmen, daß die Biber Kenntnisse in
der Physik, besonders in der Lehre von der Schwerkraft, der Hydrostatik und der
Hydrodynamik haben, und da das doch wohl nicht angeht, müssen wir ihre
Handlungen als instinktiv auffassen.

Bei manchen unsrer einheimischen Säugetiere, beim Dachs, Igel, Bär,
Murmeltier beobachten wir einen Winterschlaf, und die Vorbereitungen zu
ihm, die darin bestehn, daß sie sich eine passende Höhle suchen und diese in
Stand setzen, sind es, was unsre Aufmerksamkeit erregt. Die genannten Tiere
tragen im Spätherbst Laub, Gras, Zweige, Moos in ihre Lagerstätte; oft
graben und erweitern sie auch erst die Höhle, in der sie den Winterschlaf ab¬
halten wollen. Das Murmeltier verstopft von innen die Einfahrtsröhre seiner
Wohnung auf eine mehrere Fuß lange Strecke mit Erde, Steinen, Wurzeln,
trocknem Gras, sodaß der Bau nun nach außen luftdicht abgeschlossen ist.
Da die Tiere, wenn sie zum erstenmal einem Winter entgegengehn, unmöglich
wissen können, daß sie einem mehrere Monate dauernden Schlaf verfallen werden,
so kann man ihre Handlungen nur auf den Instinkt zurückführe".

Das Eichhörnchen und der Hamster sammeln sich Wintervorrüte; die Tiere


Der Instinkt der Tiere

Schweine seien eins hinter dem andern, immer genau in die Führte des
Vorgängers tretend, gelaufen, um den Jäger glauben zu machen, es sei nur
ein Tier vorhanden.

Diese Erzählungen, die in Petermanns Jagdbüchern zu stehn verdienten,
waren allen Ernstes als Beweise für die Vernunft der Tiere wiedergegeben.

Brehm meint wirklich, daß ein Papagei, der sprechen gelernt hat, das
verstehe, was er sagt; wenn ein Papagei immer wieder hört, daß man im
Zimmer, nachdem an die Thür geklopft ist, „herein" sagt, so kann es kommen,
daß er auch eines Tages, wenn geklopft wird, „herein" sagt; besteht doch das
Abrichten der Tiere lediglich in der Hervorrufung bestimmter Handlungen durch
bestimmte Worte oder Töne oder durch Veranstaltung gewisser Umstünde, deren
das Tier sich erinnert.

Im folgenden soll eine Reihe merkwürdiger Handlungen von Tieren be¬
sprochen werden, die nur durch den Instinkt zu erklären sind; als instinktive
Handlungen werden solche bezeichnet, bei denen das Tier, mag es außerdem
seelische Eigenschaften haben oder nicht, ohne vorheriges Lernen blindlings
und zwangweise einem angebornen Triebe folgt.

Unter den Säugetieren ist der Biber wohl das, das durch seine kunst¬
vollen Bauten am meisten unsre Aufmerksamkeit erregt. Er baut, wenn der
Wasserspiegel seines Wohnorts starke Schwankungen erleidet, seine Dämme,
besonders bei sinkendem Wasser, damit die unter dem Wasserspiegel liegenden
Eingänge seiner Wohnung nicht zu Tage treten; so zieht er querdurch einen
Bach oder Fluß kunstvolle, oft sehr lange Dämme, um das Wasser zu stauen.
Der Effekt der Arbeit kann erst eintreten, wenn die Arbeit vollendet ist; die
Dämme verlaufen zwischen der Wohnung des Tieres und der Flußmündung,
sie haben die nötige Festigkeit, Breite und Höhe, und zu der Herstellung
werden Baumstämme an der Wasserseite angenagt, sodaß sie in der Richtung
quer über den Wasserlauf umfallen. Will man diese Arbeiten als überlegte
Handlungen auffassen, so muß man annehmen, daß die Biber Kenntnisse in
der Physik, besonders in der Lehre von der Schwerkraft, der Hydrostatik und der
Hydrodynamik haben, und da das doch wohl nicht angeht, müssen wir ihre
Handlungen als instinktiv auffassen.

Bei manchen unsrer einheimischen Säugetiere, beim Dachs, Igel, Bär,
Murmeltier beobachten wir einen Winterschlaf, und die Vorbereitungen zu
ihm, die darin bestehn, daß sie sich eine passende Höhle suchen und diese in
Stand setzen, sind es, was unsre Aufmerksamkeit erregt. Die genannten Tiere
tragen im Spätherbst Laub, Gras, Zweige, Moos in ihre Lagerstätte; oft
graben und erweitern sie auch erst die Höhle, in der sie den Winterschlaf ab¬
halten wollen. Das Murmeltier verstopft von innen die Einfahrtsröhre seiner
Wohnung auf eine mehrere Fuß lange Strecke mit Erde, Steinen, Wurzeln,
trocknem Gras, sodaß der Bau nun nach außen luftdicht abgeschlossen ist.
Da die Tiere, wenn sie zum erstenmal einem Winter entgegengehn, unmöglich
wissen können, daß sie einem mehrere Monate dauernden Schlaf verfallen werden,
so kann man ihre Handlungen nur auf den Instinkt zurückführe«.

Das Eichhörnchen und der Hamster sammeln sich Wintervorrüte; die Tiere


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[0722] Der Instinkt der Tiere Schweine seien eins hinter dem andern, immer genau in die Führte des Vorgängers tretend, gelaufen, um den Jäger glauben zu machen, es sei nur ein Tier vorhanden. Diese Erzählungen, die in Petermanns Jagdbüchern zu stehn verdienten, waren allen Ernstes als Beweise für die Vernunft der Tiere wiedergegeben. Brehm meint wirklich, daß ein Papagei, der sprechen gelernt hat, das verstehe, was er sagt; wenn ein Papagei immer wieder hört, daß man im Zimmer, nachdem an die Thür geklopft ist, „herein" sagt, so kann es kommen, daß er auch eines Tages, wenn geklopft wird, „herein" sagt; besteht doch das Abrichten der Tiere lediglich in der Hervorrufung bestimmter Handlungen durch bestimmte Worte oder Töne oder durch Veranstaltung gewisser Umstünde, deren das Tier sich erinnert. Im folgenden soll eine Reihe merkwürdiger Handlungen von Tieren be¬ sprochen werden, die nur durch den Instinkt zu erklären sind; als instinktive Handlungen werden solche bezeichnet, bei denen das Tier, mag es außerdem seelische Eigenschaften haben oder nicht, ohne vorheriges Lernen blindlings und zwangweise einem angebornen Triebe folgt. Unter den Säugetieren ist der Biber wohl das, das durch seine kunst¬ vollen Bauten am meisten unsre Aufmerksamkeit erregt. Er baut, wenn der Wasserspiegel seines Wohnorts starke Schwankungen erleidet, seine Dämme, besonders bei sinkendem Wasser, damit die unter dem Wasserspiegel liegenden Eingänge seiner Wohnung nicht zu Tage treten; so zieht er querdurch einen Bach oder Fluß kunstvolle, oft sehr lange Dämme, um das Wasser zu stauen. Der Effekt der Arbeit kann erst eintreten, wenn die Arbeit vollendet ist; die Dämme verlaufen zwischen der Wohnung des Tieres und der Flußmündung, sie haben die nötige Festigkeit, Breite und Höhe, und zu der Herstellung werden Baumstämme an der Wasserseite angenagt, sodaß sie in der Richtung quer über den Wasserlauf umfallen. Will man diese Arbeiten als überlegte Handlungen auffassen, so muß man annehmen, daß die Biber Kenntnisse in der Physik, besonders in der Lehre von der Schwerkraft, der Hydrostatik und der Hydrodynamik haben, und da das doch wohl nicht angeht, müssen wir ihre Handlungen als instinktiv auffassen. Bei manchen unsrer einheimischen Säugetiere, beim Dachs, Igel, Bär, Murmeltier beobachten wir einen Winterschlaf, und die Vorbereitungen zu ihm, die darin bestehn, daß sie sich eine passende Höhle suchen und diese in Stand setzen, sind es, was unsre Aufmerksamkeit erregt. Die genannten Tiere tragen im Spätherbst Laub, Gras, Zweige, Moos in ihre Lagerstätte; oft graben und erweitern sie auch erst die Höhle, in der sie den Winterschlaf ab¬ halten wollen. Das Murmeltier verstopft von innen die Einfahrtsröhre seiner Wohnung auf eine mehrere Fuß lange Strecke mit Erde, Steinen, Wurzeln, trocknem Gras, sodaß der Bau nun nach außen luftdicht abgeschlossen ist. Da die Tiere, wenn sie zum erstenmal einem Winter entgegengehn, unmöglich wissen können, daß sie einem mehrere Monate dauernden Schlaf verfallen werden, so kann man ihre Handlungen nur auf den Instinkt zurückführe«. Das Eichhörnchen und der Hamster sammeln sich Wintervorrüte; die Tiere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/722>, abgerufen am 26.06.2024.