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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Die Ruthenen und ihre Gönner in Berlin

Polen getrieben werden, dem christlichen Geiste und dem klaren Wortlaute der
Schrift entspricht.

"So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist"
(Mark. 12, 17), und "Jedermann sei Unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über
ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit, ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist,
die ist von Gott verordnet. Wer sich nun wider die Obrigkeit setzet, der wider¬
strebt Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden über sich ein Urteil
empfangen" (Rom. 13, 1). Die Polen mögen diese Schriftworte beherzigen,
bevor sie dem Deutschen Reiche antichristliche Tendenzen nachsagen, deren Nach¬
weis man wohl ruhig und zuversichtlich erwarten kann. So lange Preußen
der Erfüllung ihrer staatsbürgerlichen Pflichten nicht gewiß ist, wird es den
von Herrn Smolka g.et live erfundnen Grundsatz cujus rsg-lo, ojus linAug, se
rmtic,, der sicherlich nicht allgemein, sondern nur mit Einschrünknngen Billig¬
keit beanspruchen darf, auf sie nicht anwenden können.

Mit dem Begriff der Muttersprache und dem Recht auf ihren Gebrauch
und ihre Pflege wird heutzutage zu agitatorischen Zwecken ein großer Mi߬
brauch getrieben. In vielsprachigen Ländern, wie z. B. in Österreich, fehlt es
zahlreichen Personen, zumal denen, deren Eltern verschiednen Nationalitäten
angehörten, überhaupt an einer einheitlichen Muttersprache, und es sind ihnen
mehrere, zum mindesten zwei Sprachen, die als solche bezeichnet werden könnten,
in gleicher Weise geläufig. Es steht nun jedermann frei, sich zum täglichen
Gebrauch im Privatleben einer bestimmten Sprache zu bedienen, sie innerhalb
der Familie seinen Kindern als Muttersprache zu überliefern und sie darin zu
erziehn. Der Staat wird diese Freiheit gewiß als ein unantastbares Privat¬
recht betrachten: er muß dagegen regelnd eingreifen, sobald die Stellung des
Einzelnen zum Staat in Frage kommt, also namentlich beim Gebrauch der
Sprache vor den Behörden sowie im Schulunterricht. Ist dem Staat das
gegenwärtig wohl unbestritwe Recht eingeräumt, einen Zwang zum Unterricht
der künftigen Staatsbürger auszuüben, so muß ihm auch das Recht zustehn,
diesen Unterricht in einer Weise, die dein Staatsbedürfnis und dem sich damit
deckenden allgemeinen Bedürfnis entspricht, zu organisieren: hierzu gehört aber
insbesondre auch die Bestimmung der Sprache, in der dieser Unterricht geschehn
soll. Die schrankenlose Durchführung des Prinzips: oujris rsgio eM8 lingug.
et ratio würde also einen schweren Eingriff in das Verfügungsrecht des Staats
aus einem besonders wichtigen Kulturgebiet bedeuten, der von ihm im all¬
gemeinen Interesse unter keinen Umstünden geduldet werden kann, um so
weniger, wenn dieser Grundsatz, wie jetzt, zu staatsfeindlichen Zwecken aus¬
gebeutet wird. Das Zukunftsideal des Herrn Smolka kann also immer nur
insoweit verwirklicht werden, als die nationalen Interessen mit dem Staats-
interesse übereinstimmen: mögen die Polen dafür Sorge tragen, daß von ihrer
Seite diese Voraussetzung erfüllt werde!




Die Ruthenen und ihre Gönner in Berlin

Polen getrieben werden, dem christlichen Geiste und dem klaren Wortlaute der
Schrift entspricht.

„So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist"
(Mark. 12, 17), und „Jedermann sei Unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über
ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit, ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist,
die ist von Gott verordnet. Wer sich nun wider die Obrigkeit setzet, der wider¬
strebt Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden über sich ein Urteil
empfangen" (Rom. 13, 1). Die Polen mögen diese Schriftworte beherzigen,
bevor sie dem Deutschen Reiche antichristliche Tendenzen nachsagen, deren Nach¬
weis man wohl ruhig und zuversichtlich erwarten kann. So lange Preußen
der Erfüllung ihrer staatsbürgerlichen Pflichten nicht gewiß ist, wird es den
von Herrn Smolka g.et live erfundnen Grundsatz cujus rsg-lo, ojus linAug, se
rmtic,, der sicherlich nicht allgemein, sondern nur mit Einschrünknngen Billig¬
keit beanspruchen darf, auf sie nicht anwenden können.

Mit dem Begriff der Muttersprache und dem Recht auf ihren Gebrauch
und ihre Pflege wird heutzutage zu agitatorischen Zwecken ein großer Mi߬
brauch getrieben. In vielsprachigen Ländern, wie z. B. in Österreich, fehlt es
zahlreichen Personen, zumal denen, deren Eltern verschiednen Nationalitäten
angehörten, überhaupt an einer einheitlichen Muttersprache, und es sind ihnen
mehrere, zum mindesten zwei Sprachen, die als solche bezeichnet werden könnten,
in gleicher Weise geläufig. Es steht nun jedermann frei, sich zum täglichen
Gebrauch im Privatleben einer bestimmten Sprache zu bedienen, sie innerhalb
der Familie seinen Kindern als Muttersprache zu überliefern und sie darin zu
erziehn. Der Staat wird diese Freiheit gewiß als ein unantastbares Privat¬
recht betrachten: er muß dagegen regelnd eingreifen, sobald die Stellung des
Einzelnen zum Staat in Frage kommt, also namentlich beim Gebrauch der
Sprache vor den Behörden sowie im Schulunterricht. Ist dem Staat das
gegenwärtig wohl unbestritwe Recht eingeräumt, einen Zwang zum Unterricht
der künftigen Staatsbürger auszuüben, so muß ihm auch das Recht zustehn,
diesen Unterricht in einer Weise, die dein Staatsbedürfnis und dem sich damit
deckenden allgemeinen Bedürfnis entspricht, zu organisieren: hierzu gehört aber
insbesondre auch die Bestimmung der Sprache, in der dieser Unterricht geschehn
soll. Die schrankenlose Durchführung des Prinzips: oujris rsgio eM8 lingug.
et ratio würde also einen schweren Eingriff in das Verfügungsrecht des Staats
aus einem besonders wichtigen Kulturgebiet bedeuten, der von ihm im all¬
gemeinen Interesse unter keinen Umstünden geduldet werden kann, um so
weniger, wenn dieser Grundsatz, wie jetzt, zu staatsfeindlichen Zwecken aus¬
gebeutet wird. Das Zukunftsideal des Herrn Smolka kann also immer nur
insoweit verwirklicht werden, als die nationalen Interessen mit dem Staats-
interesse übereinstimmen: mögen die Polen dafür Sorge tragen, daß von ihrer
Seite diese Voraussetzung erfüllt werde!




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[0070] Die Ruthenen und ihre Gönner in Berlin Polen getrieben werden, dem christlichen Geiste und dem klaren Wortlaute der Schrift entspricht. „So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist" (Mark. 12, 17), und „Jedermann sei Unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit, ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Wer sich nun wider die Obrigkeit setzet, der wider¬ strebt Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden über sich ein Urteil empfangen" (Rom. 13, 1). Die Polen mögen diese Schriftworte beherzigen, bevor sie dem Deutschen Reiche antichristliche Tendenzen nachsagen, deren Nach¬ weis man wohl ruhig und zuversichtlich erwarten kann. So lange Preußen der Erfüllung ihrer staatsbürgerlichen Pflichten nicht gewiß ist, wird es den von Herrn Smolka g.et live erfundnen Grundsatz cujus rsg-lo, ojus linAug, se rmtic,, der sicherlich nicht allgemein, sondern nur mit Einschrünknngen Billig¬ keit beanspruchen darf, auf sie nicht anwenden können. Mit dem Begriff der Muttersprache und dem Recht auf ihren Gebrauch und ihre Pflege wird heutzutage zu agitatorischen Zwecken ein großer Mi߬ brauch getrieben. In vielsprachigen Ländern, wie z. B. in Österreich, fehlt es zahlreichen Personen, zumal denen, deren Eltern verschiednen Nationalitäten angehörten, überhaupt an einer einheitlichen Muttersprache, und es sind ihnen mehrere, zum mindesten zwei Sprachen, die als solche bezeichnet werden könnten, in gleicher Weise geläufig. Es steht nun jedermann frei, sich zum täglichen Gebrauch im Privatleben einer bestimmten Sprache zu bedienen, sie innerhalb der Familie seinen Kindern als Muttersprache zu überliefern und sie darin zu erziehn. Der Staat wird diese Freiheit gewiß als ein unantastbares Privat¬ recht betrachten: er muß dagegen regelnd eingreifen, sobald die Stellung des Einzelnen zum Staat in Frage kommt, also namentlich beim Gebrauch der Sprache vor den Behörden sowie im Schulunterricht. Ist dem Staat das gegenwärtig wohl unbestritwe Recht eingeräumt, einen Zwang zum Unterricht der künftigen Staatsbürger auszuüben, so muß ihm auch das Recht zustehn, diesen Unterricht in einer Weise, die dein Staatsbedürfnis und dem sich damit deckenden allgemeinen Bedürfnis entspricht, zu organisieren: hierzu gehört aber insbesondre auch die Bestimmung der Sprache, in der dieser Unterricht geschehn soll. Die schrankenlose Durchführung des Prinzips: oujris rsgio eM8 lingug. et ratio würde also einen schweren Eingriff in das Verfügungsrecht des Staats aus einem besonders wichtigen Kulturgebiet bedeuten, der von ihm im all¬ gemeinen Interesse unter keinen Umstünden geduldet werden kann, um so weniger, wenn dieser Grundsatz, wie jetzt, zu staatsfeindlichen Zwecken aus¬ gebeutet wird. Das Zukunftsideal des Herrn Smolka kann also immer nur insoweit verwirklicht werden, als die nationalen Interessen mit dem Staats- interesse übereinstimmen: mögen die Polen dafür Sorge tragen, daß von ihrer Seite diese Voraussetzung erfüllt werde!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/70>, abgerufen am 22.07.2024.