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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Doktor Vnttmüller und sei" Freund

es Ihnen nicht. Hei! hä! Könnte jeder kommen. Was? Direktor werden? Geld
verdienen? Auch überschnappen? Wandrer, Sie sind ein Stiefel! Warum heiraten
Sie meine Lydia nicht?

Hier wurde er von Wandrer und Lydia schnell zum Schweigen gebracht, was
"und gelang, nur daß der Direktor fortfuhr mit dem Kopfe zu nicken und zu murmeln:
Wciudrer, Sie sind ein Stiefel, was gehn Sie die Bergleute an?

Die Besserung im Befinden des Direktors kehrte zurück, doch wurde er alle¬
mal, wenn Wandrer versuchte, aus ihm heraus zu bringen, wie man in Ungarn das
ertrunkne Werk mit Zement gerettet habe, hartnäckig, sing an irre zu reden und
schloß mit der Versicherung: Wandrer, Sie sind ein Stiefel, warum heiraten Sie
meine Lydia nicht? Wovon er hernach, wenn ihm Lydia Vorwürfe machte, nichts
wußte. Kurz, es war mit dem Direktor nichts zu machen. Das Werk blieb ver¬
loren, weil sein Direktor das Geheimnis nicht verraten wollte, wie es gerettet
Werden könnte.

Es giebt Zeiten und Lage", da kommt einem Menschen die Welt wie vernagelt
vor; keine Thür, die aufzuschließen wäre, kein Ritz, wo man anfassen und durch¬
schlüpfen könnte. So ging es Wandrer. Man sagt, das Geld liege auf der Straße.
Aber gerade, wenn man es braucht, ist es nirgend zu finden. Man sagt: Wer
nur arbeiten will, der kommt schon durch. Hier waren nun eine Menge Leute,
die gern arbeiten wollten, und nirgend war Arbeit zu haben. Man sagt: Ein findiger
Kopf findet schon etwas. Er -- Wandrer -- gehörte doch wahrhaftig nicht zu
den Dummen; aber es fiel ihm absolut nichts ein, womit er sich und seine Arbeiter
über Wasser hatte halten können. Alle seine Projekte erwiesen sich als undurch¬
führbar, denn sie kosteten alle Geld, und an dem fehlte es.

War es nun recht, sich unthätig hinzusetzen, die Leute zu vertrösten und zu
warten, ob ein glücklicher Zufall vom Himmel herabkomme?

Da lief ein Telegramm aus London ein, in dem Wandrer aufgefordert wurde,
^es zu erklären, ob er in den Dienst von Blower and Sons eintreten wolle. Das
Angebot war glänzend. Mancher andre hätte sich keinen Augenblick besonnen, es
zuzunehmen, und auch Wandrer selbst hätte vor Jahr und Tag mit leichtem Herzen
°en Wnnderstab ergriffen und wäre in die weite Welt gezogen, aber heute machte
^hin die Entscheidung schwere Sorgen. Er hatte sein Wort gegeben, seine Leute nicht
Zu verlassen ; sollte er sein Wort brechen? Andrerseits, was half es ihnen, wenn er
und selbst seine Zukunft verdarb und in Heinrichshall blieb, ohnmächtig, wie er war,
ohne Aussicht, helfen zu können, und mit der gewissen Erwartung, selbst entlassen zu
werden? Sollte er, indem er zwecklos ein gegebnes Wort hielt, abermals eine bewußte
Dummheit machen? Wie er genugsam erfahren hatte, straften sich bewußte Dumm¬
heiten gerade so gut wie unbewußte. Das Leben hat gar keinen Sinn für Romantik,
und es gerät einem Menschen wunderselten so schön, wie man es in Romanen liest.

Und zugleich ward es ihm bitter schwer, Heinrichshall und die Gegend zu
verlassen. Was hielt ihn denn fest? Er war doch kein Pfahlbürger, dem es un¬
heimlich wird, über die Grenze der Feldmark hinmisgehn zu sollen. Er war doch
d"s Reisen und Umpflanzen gewohnt. Aber da tauchte vor seinem geistigen Auge
Bild eines Mädchenkopfes auf, und mit seinem geistigen Ohre vernahm er die
^t kameradschaftlicher Zärtlichkeit gesprochnen Worte: Onkel Felix. Ein schönes
<mit, aber ein hoffnungsloser Traum. Als man auf der Taufe bei Duttmüller
°en Nichtheiratskontrakt unterschrieben hatte, war es zwar lachenden Mundes geschehn,
""er man hatte seinen ernsten Grund dazu gehabt. Und doch, man freut sich an
ewein lieblichen Bilde, Wenn man auch keine Aussicht hat, es je sein Eigentum
nennen zu dürfen; man empfindet es schmerzlich, es weggeben zu sollen. Es schmerzte
Wandrer, seine Tante Ellen weggeben zu sollen, aber er machte sichs nicht klar, er
Mgte sichs "^de. ^ ^ Mädchenaugen, die dich festhalten, sondern er but
Mue Gednnkentorte, auf die er mit großer Tugendhaftigkeit schrieb: Ich bleibe, ich
'"uß mein gegebnes Wort halten, ich muß bei meinen Bergleuten ausharren, so-
I"uge es geht.


Doktor Vnttmüller und sei» Freund

es Ihnen nicht. Hei! hä! Könnte jeder kommen. Was? Direktor werden? Geld
verdienen? Auch überschnappen? Wandrer, Sie sind ein Stiefel! Warum heiraten
Sie meine Lydia nicht?

Hier wurde er von Wandrer und Lydia schnell zum Schweigen gebracht, was
"und gelang, nur daß der Direktor fortfuhr mit dem Kopfe zu nicken und zu murmeln:
Wciudrer, Sie sind ein Stiefel, was gehn Sie die Bergleute an?

Die Besserung im Befinden des Direktors kehrte zurück, doch wurde er alle¬
mal, wenn Wandrer versuchte, aus ihm heraus zu bringen, wie man in Ungarn das
ertrunkne Werk mit Zement gerettet habe, hartnäckig, sing an irre zu reden und
schloß mit der Versicherung: Wandrer, Sie sind ein Stiefel, warum heiraten Sie
meine Lydia nicht? Wovon er hernach, wenn ihm Lydia Vorwürfe machte, nichts
wußte. Kurz, es war mit dem Direktor nichts zu machen. Das Werk blieb ver¬
loren, weil sein Direktor das Geheimnis nicht verraten wollte, wie es gerettet
Werden könnte.

Es giebt Zeiten und Lage«, da kommt einem Menschen die Welt wie vernagelt
vor; keine Thür, die aufzuschließen wäre, kein Ritz, wo man anfassen und durch¬
schlüpfen könnte. So ging es Wandrer. Man sagt, das Geld liege auf der Straße.
Aber gerade, wenn man es braucht, ist es nirgend zu finden. Man sagt: Wer
nur arbeiten will, der kommt schon durch. Hier waren nun eine Menge Leute,
die gern arbeiten wollten, und nirgend war Arbeit zu haben. Man sagt: Ein findiger
Kopf findet schon etwas. Er — Wandrer — gehörte doch wahrhaftig nicht zu
den Dummen; aber es fiel ihm absolut nichts ein, womit er sich und seine Arbeiter
über Wasser hatte halten können. Alle seine Projekte erwiesen sich als undurch¬
führbar, denn sie kosteten alle Geld, und an dem fehlte es.

War es nun recht, sich unthätig hinzusetzen, die Leute zu vertrösten und zu
warten, ob ein glücklicher Zufall vom Himmel herabkomme?

Da lief ein Telegramm aus London ein, in dem Wandrer aufgefordert wurde,
^es zu erklären, ob er in den Dienst von Blower and Sons eintreten wolle. Das
Angebot war glänzend. Mancher andre hätte sich keinen Augenblick besonnen, es
zuzunehmen, und auch Wandrer selbst hätte vor Jahr und Tag mit leichtem Herzen
°en Wnnderstab ergriffen und wäre in die weite Welt gezogen, aber heute machte
^hin die Entscheidung schwere Sorgen. Er hatte sein Wort gegeben, seine Leute nicht
Zu verlassen ; sollte er sein Wort brechen? Andrerseits, was half es ihnen, wenn er
und selbst seine Zukunft verdarb und in Heinrichshall blieb, ohnmächtig, wie er war,
ohne Aussicht, helfen zu können, und mit der gewissen Erwartung, selbst entlassen zu
werden? Sollte er, indem er zwecklos ein gegebnes Wort hielt, abermals eine bewußte
Dummheit machen? Wie er genugsam erfahren hatte, straften sich bewußte Dumm¬
heiten gerade so gut wie unbewußte. Das Leben hat gar keinen Sinn für Romantik,
und es gerät einem Menschen wunderselten so schön, wie man es in Romanen liest.

Und zugleich ward es ihm bitter schwer, Heinrichshall und die Gegend zu
verlassen. Was hielt ihn denn fest? Er war doch kein Pfahlbürger, dem es un¬
heimlich wird, über die Grenze der Feldmark hinmisgehn zu sollen. Er war doch
d"s Reisen und Umpflanzen gewohnt. Aber da tauchte vor seinem geistigen Auge
Bild eines Mädchenkopfes auf, und mit seinem geistigen Ohre vernahm er die
^t kameradschaftlicher Zärtlichkeit gesprochnen Worte: Onkel Felix. Ein schönes
<mit, aber ein hoffnungsloser Traum. Als man auf der Taufe bei Duttmüller
°en Nichtheiratskontrakt unterschrieben hatte, war es zwar lachenden Mundes geschehn,
""er man hatte seinen ernsten Grund dazu gehabt. Und doch, man freut sich an
ewein lieblichen Bilde, Wenn man auch keine Aussicht hat, es je sein Eigentum
nennen zu dürfen; man empfindet es schmerzlich, es weggeben zu sollen. Es schmerzte
Wandrer, seine Tante Ellen weggeben zu sollen, aber er machte sichs nicht klar, er
Mgte sichs „^de. ^ ^ Mädchenaugen, die dich festhalten, sondern er but
Mue Gednnkentorte, auf die er mit großer Tugendhaftigkeit schrieb: Ich bleibe, ich
'"uß mein gegebnes Wort halten, ich muß bei meinen Bergleuten ausharren, so-
I"uge es geht.


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[0677] Doktor Vnttmüller und sei» Freund es Ihnen nicht. Hei! hä! Könnte jeder kommen. Was? Direktor werden? Geld verdienen? Auch überschnappen? Wandrer, Sie sind ein Stiefel! Warum heiraten Sie meine Lydia nicht? Hier wurde er von Wandrer und Lydia schnell zum Schweigen gebracht, was "und gelang, nur daß der Direktor fortfuhr mit dem Kopfe zu nicken und zu murmeln: Wciudrer, Sie sind ein Stiefel, was gehn Sie die Bergleute an? Die Besserung im Befinden des Direktors kehrte zurück, doch wurde er alle¬ mal, wenn Wandrer versuchte, aus ihm heraus zu bringen, wie man in Ungarn das ertrunkne Werk mit Zement gerettet habe, hartnäckig, sing an irre zu reden und schloß mit der Versicherung: Wandrer, Sie sind ein Stiefel, warum heiraten Sie meine Lydia nicht? Wovon er hernach, wenn ihm Lydia Vorwürfe machte, nichts wußte. Kurz, es war mit dem Direktor nichts zu machen. Das Werk blieb ver¬ loren, weil sein Direktor das Geheimnis nicht verraten wollte, wie es gerettet Werden könnte. Es giebt Zeiten und Lage«, da kommt einem Menschen die Welt wie vernagelt vor; keine Thür, die aufzuschließen wäre, kein Ritz, wo man anfassen und durch¬ schlüpfen könnte. So ging es Wandrer. Man sagt, das Geld liege auf der Straße. Aber gerade, wenn man es braucht, ist es nirgend zu finden. Man sagt: Wer nur arbeiten will, der kommt schon durch. Hier waren nun eine Menge Leute, die gern arbeiten wollten, und nirgend war Arbeit zu haben. Man sagt: Ein findiger Kopf findet schon etwas. Er — Wandrer — gehörte doch wahrhaftig nicht zu den Dummen; aber es fiel ihm absolut nichts ein, womit er sich und seine Arbeiter über Wasser hatte halten können. Alle seine Projekte erwiesen sich als undurch¬ führbar, denn sie kosteten alle Geld, und an dem fehlte es. War es nun recht, sich unthätig hinzusetzen, die Leute zu vertrösten und zu warten, ob ein glücklicher Zufall vom Himmel herabkomme? Da lief ein Telegramm aus London ein, in dem Wandrer aufgefordert wurde, ^es zu erklären, ob er in den Dienst von Blower and Sons eintreten wolle. Das Angebot war glänzend. Mancher andre hätte sich keinen Augenblick besonnen, es zuzunehmen, und auch Wandrer selbst hätte vor Jahr und Tag mit leichtem Herzen °en Wnnderstab ergriffen und wäre in die weite Welt gezogen, aber heute machte ^hin die Entscheidung schwere Sorgen. Er hatte sein Wort gegeben, seine Leute nicht Zu verlassen ; sollte er sein Wort brechen? Andrerseits, was half es ihnen, wenn er und selbst seine Zukunft verdarb und in Heinrichshall blieb, ohnmächtig, wie er war, ohne Aussicht, helfen zu können, und mit der gewissen Erwartung, selbst entlassen zu werden? Sollte er, indem er zwecklos ein gegebnes Wort hielt, abermals eine bewußte Dummheit machen? Wie er genugsam erfahren hatte, straften sich bewußte Dumm¬ heiten gerade so gut wie unbewußte. Das Leben hat gar keinen Sinn für Romantik, und es gerät einem Menschen wunderselten so schön, wie man es in Romanen liest. Und zugleich ward es ihm bitter schwer, Heinrichshall und die Gegend zu verlassen. Was hielt ihn denn fest? Er war doch kein Pfahlbürger, dem es un¬ heimlich wird, über die Grenze der Feldmark hinmisgehn zu sollen. Er war doch d"s Reisen und Umpflanzen gewohnt. Aber da tauchte vor seinem geistigen Auge Bild eines Mädchenkopfes auf, und mit seinem geistigen Ohre vernahm er die ^t kameradschaftlicher Zärtlichkeit gesprochnen Worte: Onkel Felix. Ein schönes <mit, aber ein hoffnungsloser Traum. Als man auf der Taufe bei Duttmüller °en Nichtheiratskontrakt unterschrieben hatte, war es zwar lachenden Mundes geschehn, ""er man hatte seinen ernsten Grund dazu gehabt. Und doch, man freut sich an ewein lieblichen Bilde, Wenn man auch keine Aussicht hat, es je sein Eigentum nennen zu dürfen; man empfindet es schmerzlich, es weggeben zu sollen. Es schmerzte Wandrer, seine Tante Ellen weggeben zu sollen, aber er machte sichs nicht klar, er Mgte sichs „^de. ^ ^ Mädchenaugen, die dich festhalten, sondern er but Mue Gednnkentorte, auf die er mit großer Tugendhaftigkeit schrieb: Ich bleibe, ich '"uß mein gegebnes Wort halten, ich muß bei meinen Bergleuten ausharren, so- I"uge es geht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/677>, abgerufen am 26.06.2024.