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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Iveltcntivickliuig und wcltschöjifung

eine andre die Bibel ignorieren. Diese letzten waren die Klügern. Lhell nett
Darwin gehörten zu ihnen. Wir wollen uns zu keiner von beiden schlagen,
denn die Bibel ist uns etwas mehr als ein Buch, ja viel mehr. Klar ist die
Unmöglichkeit, uns an den Wortlaut der Schöpfungsgeschichte im ersten Buch
Mosis zu binden./Schon die elementarste Frage, die Zeitfrage, macht es un¬
möglich, die Schöpfungstage wörtlich aufzufassen, und wenn wir einmal die
Bildlichkeit im Chronologischen zugeben, so wird sie folgerichtig für die ganze
Erzählung zur Notwendigkeit. Da ist es ganz vergeblich, einzelnes retten zu
wollen. Die historische Kritik kommt uns ohnehin entgegen, die die allmähliche
Entstehung aller Bücher des Alten Testaments auch wieder als eine Art
Entwicklung zeigt, die geschichtlich begründet ist. Was wir ans diesem ganzen
Schöpfungsmythus retten wollen, müssen und können, das ist der Schöpscr-
geist über den Wassern, der mit bewußtem Willen auch diese Welt hervorruft,
und der lebendige Odem, der dem Erdenkloß Leben und Seele giebt. Im
übrigen stehn wir der Bibel als der größten "Urkunde des Menschengeschlechts"
mit derselben Verehrung gegenüber wie allem, worin Gottes Geist weht --
auch wie der Natur selbst. Und niemand wird heute der kritischen Wissenschaft
in die Arme fallen wollen, wenn sie diese Urkunde zergliedert und ihr geschicht¬
liches Gcwordensein nachweist.

Aber das Werk der Geschichte besteht nicht aus Kritik allein; ein viel
größerer und wichtigerer Teil von ihr sind die positiven Lehren der Ver¬
gangenheit. Den Geschichtschreibern liegt die Pflicht ob, uns diese Lehren wahr
und klar zu übermitteln; es werden damit die Schmerzen und die Verluste in
etwas gut gemacht, die das kritische Wasser verursacht. Die Bibel lehrt mich
nun als geschichtliche Thatsache vor allem die ungeheure Bedeutung einer
einheitlichen Weltanschauung und die Unmöglichkeit, ohne solche zu bestehn.
Einen solchen Halt verschmähen wir nicht, was auch kritische Augen an
ihm aussetze" mögen, so lange kein andrer geboten ist. Wer leicht darüber
weggeht, ist nicht unser Mann. Die Geschichte selbst lehrt uns, daß nicht so
leicht eine Überzeugung an die Stelle der andern gesetzt werden kann. Was
uns künftighin leiten soll, muß vor allem um das anknüpfen, was unsre Väter
geleitet hat. Wir wollen damit nicht einer doppelten Buchführung in Glanben
und Wissen das Wort reden, die wir vielmehr für eins der größten Übel des
jetzt hinabsinkenden Zeitalters halten, sondern vielmehr die Notwendigkeit einer
ebenso einheitlichen Auffassung der Welt und unsrer selbst feststellen, wie die
Bibel sie der Welt vermittelt hatte. Deren Kern aber kann nur derselbe
Glaube an einen persönliche" Gott sein, der diesem Buch eine solche Kraft ge¬
geben hat.




Daß der englische Geologe Charles Lyell und der Zoologe und Geologe
Charles Darwin, den man wohl Lyells Schüler nennen kann, die eigent¬
lichen Meister des großen Baues der Entwicklungslehre der Erde und ihres
Lebens gewesen sind, wird heute allgemein zugegeben. Männer wie Hutton,
Lamarck und Von Hoff sind ihre großen Vorläufer, aber jene beiden haben


Iveltcntivickliuig und wcltschöjifung

eine andre die Bibel ignorieren. Diese letzten waren die Klügern. Lhell nett
Darwin gehörten zu ihnen. Wir wollen uns zu keiner von beiden schlagen,
denn die Bibel ist uns etwas mehr als ein Buch, ja viel mehr. Klar ist die
Unmöglichkeit, uns an den Wortlaut der Schöpfungsgeschichte im ersten Buch
Mosis zu binden./Schon die elementarste Frage, die Zeitfrage, macht es un¬
möglich, die Schöpfungstage wörtlich aufzufassen, und wenn wir einmal die
Bildlichkeit im Chronologischen zugeben, so wird sie folgerichtig für die ganze
Erzählung zur Notwendigkeit. Da ist es ganz vergeblich, einzelnes retten zu
wollen. Die historische Kritik kommt uns ohnehin entgegen, die die allmähliche
Entstehung aller Bücher des Alten Testaments auch wieder als eine Art
Entwicklung zeigt, die geschichtlich begründet ist. Was wir ans diesem ganzen
Schöpfungsmythus retten wollen, müssen und können, das ist der Schöpscr-
geist über den Wassern, der mit bewußtem Willen auch diese Welt hervorruft,
und der lebendige Odem, der dem Erdenkloß Leben und Seele giebt. Im
übrigen stehn wir der Bibel als der größten „Urkunde des Menschengeschlechts"
mit derselben Verehrung gegenüber wie allem, worin Gottes Geist weht —
auch wie der Natur selbst. Und niemand wird heute der kritischen Wissenschaft
in die Arme fallen wollen, wenn sie diese Urkunde zergliedert und ihr geschicht¬
liches Gcwordensein nachweist.

Aber das Werk der Geschichte besteht nicht aus Kritik allein; ein viel
größerer und wichtigerer Teil von ihr sind die positiven Lehren der Ver¬
gangenheit. Den Geschichtschreibern liegt die Pflicht ob, uns diese Lehren wahr
und klar zu übermitteln; es werden damit die Schmerzen und die Verluste in
etwas gut gemacht, die das kritische Wasser verursacht. Die Bibel lehrt mich
nun als geschichtliche Thatsache vor allem die ungeheure Bedeutung einer
einheitlichen Weltanschauung und die Unmöglichkeit, ohne solche zu bestehn.
Einen solchen Halt verschmähen wir nicht, was auch kritische Augen an
ihm aussetze» mögen, so lange kein andrer geboten ist. Wer leicht darüber
weggeht, ist nicht unser Mann. Die Geschichte selbst lehrt uns, daß nicht so
leicht eine Überzeugung an die Stelle der andern gesetzt werden kann. Was
uns künftighin leiten soll, muß vor allem um das anknüpfen, was unsre Väter
geleitet hat. Wir wollen damit nicht einer doppelten Buchführung in Glanben
und Wissen das Wort reden, die wir vielmehr für eins der größten Übel des
jetzt hinabsinkenden Zeitalters halten, sondern vielmehr die Notwendigkeit einer
ebenso einheitlichen Auffassung der Welt und unsrer selbst feststellen, wie die
Bibel sie der Welt vermittelt hatte. Deren Kern aber kann nur derselbe
Glaube an einen persönliche» Gott sein, der diesem Buch eine solche Kraft ge¬
geben hat.




Daß der englische Geologe Charles Lyell und der Zoologe und Geologe
Charles Darwin, den man wohl Lyells Schüler nennen kann, die eigent¬
lichen Meister des großen Baues der Entwicklungslehre der Erde und ihres
Lebens gewesen sind, wird heute allgemein zugegeben. Männer wie Hutton,
Lamarck und Von Hoff sind ihre großen Vorläufer, aber jene beiden haben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/590>, abgerufen am 26.06.2024.