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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Die über Gebühr vorsichtige und ängstliche Presse

taten an den Tänzerinnen. Wie die Moslim zu phlegmatisch und zu vornehm
sind, als daß sie selbst das Tanzbein schwingen sollten, so lassen wir uns von den
Kritikern die Mühe abnehmen, selbst über Theaterdinge ein Urteil zu fällen, und
entnehmen es out auel air^ unsrer Leib- und Magenzeituug. Und ebensowenig wie
der mit gekreuzten Beinen dasitzende Pascha an den Wendungen und Windungen
der sich in zu weiten Pumphosen und zu kurzen Westchen für ihn abmühenden
goldmünzenklirrenden Fatmes mäkelt oder sich gar aufrafft, um in einem oavalier
soul zu zeigen, wie man es anders und mehr nach seinem Geschmack machen könne,
ebensowenig kommt es uns auf Stühlen sitzenden Westeuropäer" bei, gegen die
sich unter der Doppclrubrik "Litteratur und Theater" formenden Artikel der hier
wirkenden Nessvrtchefs mit feindlicher Lanze vorzugehn.

Einverstanden braucht man deshalb mit dem, was man liest, nicht immer zu
sein, und wir sind z, B. vor einiger Zeit einer Charakteristik der Franeillvnrolle
begegnet, die nicht blos; Dumas Ms, von dem die Skizze zur Rolle kam, sondern
auch Madame Barthel, die die Rolle geschaffen hat, auf dem Flecke umgebracht hätte,
aber man schweigt sich über solche Dinge aus, da man den Eindruck hat, daß man die
Hohenpriester der Kritik doch nicht bekehren würde, und daß es morgen doch Vor¬
mittag, Mittag und Abend geben wird, wenn sich auch ein Teil der dem Kunst¬
kritiker anhängenden Gemeinde kein genügend schillerndes Bild von Madame de
Niverolle macheu sollte.

Etwas andres ist es, wenn der Kunstkritiker, sans erior ^aro, auf das
politische Gebiet übergeht und da mit demselben Avplomb, der ihm in Kunstsachen
so wohl ansteht, fertige Urteile in geschmackvoll abgerundeter Form wie Blumen
aus einem Körbchen vor sich hinstreut. Es giebt vielseitige Menschen. Leonardo
da Vinci war ein solcher: aber einige Vorsicht ist, wenn man solche Vielseitigkeit
um sich zu entdecken glaubt, in der Regel doch anzuraten. Monsieur de Wyzewa,
der bekannte Literaturkritiker, der auch für den Temps schreibt, und der neben
feinem litterarischem Geschmack auch die rechte Slawenzunge hat, die mit jeder
Sprache der Welt fertig wird, hatte neben diesem ganz ungewöhnlichen Sprach¬
talent auch noch ein Auge für Malerei bei sich zu entdecken geglaubt, und das
führte, da er diese Begabung für einen ks.it aociuis ansah, zu etwas, was uns
tief geschmerzt hat, semel-, unsere- und des Temps wegen. Eine seiner ersten
Leistungen auf diesem neuen Felde war nämlich, daß er die Sixtinische Madonna
1. für unecht, 2. für stark übermalt und 3. was die Farbe anbelangt, für einen
Ausbund von Geschmacklosigkeit erklärte. Was das Erstaunlichste bei der Sache
ist, der Temps druckte, was Monsieur de Wyzewa geschrieben hatte, Wort für
Wort ab, und wer das Unglaubliche nicht glauben will, kann, wenn es ihm Ver¬
gnügen macht, die Rutschpartie im Temps nachlesen.

So etwas macht einen doch großen Lichtern gegenüber bedenklich und ver¬
anlaßt einen, sich in Monsieur de Wyzewas Falle mit einem Lichtchen an den
heiligen Crispinus zu wenden, damit der dafür sorge, daß der Schuster bei seinem
Leisten bleibe, und an unsre verehrten Theaterkritiker die Frage zu richten: Woher
haben Sie Ihre politische Weisheit? Solange es sich um innere und äußere Be¬
gabung von Schauspielern und Schauspielerinnen handelt, sind wir um den Finger
zu wickeln, weil das das Fach unsers verehrten Rezensenten ist; wenn er aber
außerdem zu wittern behauptet, wie nahe mau mit der ca,pa, des sich als Statisten¬
muster ausstellenden deutschen Mnsensohues an den Pariser Stier herangehn könne,
ohne daß der den Kopf zwischen die Beine nimmt und mit wild in der Luft
peitschendem Schweife durch die Arena stürmt, so liegt die Frage nahe: Hochver¬
ehrter Herr, in welcher Quadrille haben Sie gelernt?

Mit andern Worten, woher weiß unser Kritiker, daß die Presse, die Herrn
von Gerlach und seinen Freunden abgeraten hat, ihren Thespiskarren nach Paris
zu instradiereu, wie er sich auszudrücken beliebt, "über Gebühr vorsichtig und
ängstlich" war? Auf welche Weise hat er die Gesinnung und die Stimmung der
Pariser Kreise keimen gelernt, ans deren Haltung es bei einem öffentlichen An¬
treten deutscher Studenten in Paris ankam? Hat er zur Zeit der Schnäbele-


Die über Gebühr vorsichtige und ängstliche Presse

taten an den Tänzerinnen. Wie die Moslim zu phlegmatisch und zu vornehm
sind, als daß sie selbst das Tanzbein schwingen sollten, so lassen wir uns von den
Kritikern die Mühe abnehmen, selbst über Theaterdinge ein Urteil zu fällen, und
entnehmen es out auel air^ unsrer Leib- und Magenzeituug. Und ebensowenig wie
der mit gekreuzten Beinen dasitzende Pascha an den Wendungen und Windungen
der sich in zu weiten Pumphosen und zu kurzen Westchen für ihn abmühenden
goldmünzenklirrenden Fatmes mäkelt oder sich gar aufrafft, um in einem oavalier
soul zu zeigen, wie man es anders und mehr nach seinem Geschmack machen könne,
ebensowenig kommt es uns auf Stühlen sitzenden Westeuropäer» bei, gegen die
sich unter der Doppclrubrik „Litteratur und Theater" formenden Artikel der hier
wirkenden Nessvrtchefs mit feindlicher Lanze vorzugehn.

Einverstanden braucht man deshalb mit dem, was man liest, nicht immer zu
sein, und wir sind z, B. vor einiger Zeit einer Charakteristik der Franeillvnrolle
begegnet, die nicht blos; Dumas Ms, von dem die Skizze zur Rolle kam, sondern
auch Madame Barthel, die die Rolle geschaffen hat, auf dem Flecke umgebracht hätte,
aber man schweigt sich über solche Dinge aus, da man den Eindruck hat, daß man die
Hohenpriester der Kritik doch nicht bekehren würde, und daß es morgen doch Vor¬
mittag, Mittag und Abend geben wird, wenn sich auch ein Teil der dem Kunst¬
kritiker anhängenden Gemeinde kein genügend schillerndes Bild von Madame de
Niverolle macheu sollte.

Etwas andres ist es, wenn der Kunstkritiker, sans erior ^aro, auf das
politische Gebiet übergeht und da mit demselben Avplomb, der ihm in Kunstsachen
so wohl ansteht, fertige Urteile in geschmackvoll abgerundeter Form wie Blumen
aus einem Körbchen vor sich hinstreut. Es giebt vielseitige Menschen. Leonardo
da Vinci war ein solcher: aber einige Vorsicht ist, wenn man solche Vielseitigkeit
um sich zu entdecken glaubt, in der Regel doch anzuraten. Monsieur de Wyzewa,
der bekannte Literaturkritiker, der auch für den Temps schreibt, und der neben
feinem litterarischem Geschmack auch die rechte Slawenzunge hat, die mit jeder
Sprache der Welt fertig wird, hatte neben diesem ganz ungewöhnlichen Sprach¬
talent auch noch ein Auge für Malerei bei sich zu entdecken geglaubt, und das
führte, da er diese Begabung für einen ks.it aociuis ansah, zu etwas, was uns
tief geschmerzt hat, semel-, unsere- und des Temps wegen. Eine seiner ersten
Leistungen auf diesem neuen Felde war nämlich, daß er die Sixtinische Madonna
1. für unecht, 2. für stark übermalt und 3. was die Farbe anbelangt, für einen
Ausbund von Geschmacklosigkeit erklärte. Was das Erstaunlichste bei der Sache
ist, der Temps druckte, was Monsieur de Wyzewa geschrieben hatte, Wort für
Wort ab, und wer das Unglaubliche nicht glauben will, kann, wenn es ihm Ver¬
gnügen macht, die Rutschpartie im Temps nachlesen.

So etwas macht einen doch großen Lichtern gegenüber bedenklich und ver¬
anlaßt einen, sich in Monsieur de Wyzewas Falle mit einem Lichtchen an den
heiligen Crispinus zu wenden, damit der dafür sorge, daß der Schuster bei seinem
Leisten bleibe, und an unsre verehrten Theaterkritiker die Frage zu richten: Woher
haben Sie Ihre politische Weisheit? Solange es sich um innere und äußere Be¬
gabung von Schauspielern und Schauspielerinnen handelt, sind wir um den Finger
zu wickeln, weil das das Fach unsers verehrten Rezensenten ist; wenn er aber
außerdem zu wittern behauptet, wie nahe mau mit der ca,pa, des sich als Statisten¬
muster ausstellenden deutschen Mnsensohues an den Pariser Stier herangehn könne,
ohne daß der den Kopf zwischen die Beine nimmt und mit wild in der Luft
peitschendem Schweife durch die Arena stürmt, so liegt die Frage nahe: Hochver¬
ehrter Herr, in welcher Quadrille haben Sie gelernt?

Mit andern Worten, woher weiß unser Kritiker, daß die Presse, die Herrn
von Gerlach und seinen Freunden abgeraten hat, ihren Thespiskarren nach Paris
zu instradiereu, wie er sich auszudrücken beliebt, „über Gebühr vorsichtig und
ängstlich" war? Auf welche Weise hat er die Gesinnung und die Stimmung der
Pariser Kreise keimen gelernt, ans deren Haltung es bei einem öffentlichen An¬
treten deutscher Studenten in Paris ankam? Hat er zur Zeit der Schnäbele-


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[0448] Die über Gebühr vorsichtige und ängstliche Presse taten an den Tänzerinnen. Wie die Moslim zu phlegmatisch und zu vornehm sind, als daß sie selbst das Tanzbein schwingen sollten, so lassen wir uns von den Kritikern die Mühe abnehmen, selbst über Theaterdinge ein Urteil zu fällen, und entnehmen es out auel air^ unsrer Leib- und Magenzeituug. Und ebensowenig wie der mit gekreuzten Beinen dasitzende Pascha an den Wendungen und Windungen der sich in zu weiten Pumphosen und zu kurzen Westchen für ihn abmühenden goldmünzenklirrenden Fatmes mäkelt oder sich gar aufrafft, um in einem oavalier soul zu zeigen, wie man es anders und mehr nach seinem Geschmack machen könne, ebensowenig kommt es uns auf Stühlen sitzenden Westeuropäer» bei, gegen die sich unter der Doppclrubrik „Litteratur und Theater" formenden Artikel der hier wirkenden Nessvrtchefs mit feindlicher Lanze vorzugehn. Einverstanden braucht man deshalb mit dem, was man liest, nicht immer zu sein, und wir sind z, B. vor einiger Zeit einer Charakteristik der Franeillvnrolle begegnet, die nicht blos; Dumas Ms, von dem die Skizze zur Rolle kam, sondern auch Madame Barthel, die die Rolle geschaffen hat, auf dem Flecke umgebracht hätte, aber man schweigt sich über solche Dinge aus, da man den Eindruck hat, daß man die Hohenpriester der Kritik doch nicht bekehren würde, und daß es morgen doch Vor¬ mittag, Mittag und Abend geben wird, wenn sich auch ein Teil der dem Kunst¬ kritiker anhängenden Gemeinde kein genügend schillerndes Bild von Madame de Niverolle macheu sollte. Etwas andres ist es, wenn der Kunstkritiker, sans erior ^aro, auf das politische Gebiet übergeht und da mit demselben Avplomb, der ihm in Kunstsachen so wohl ansteht, fertige Urteile in geschmackvoll abgerundeter Form wie Blumen aus einem Körbchen vor sich hinstreut. Es giebt vielseitige Menschen. Leonardo da Vinci war ein solcher: aber einige Vorsicht ist, wenn man solche Vielseitigkeit um sich zu entdecken glaubt, in der Regel doch anzuraten. Monsieur de Wyzewa, der bekannte Literaturkritiker, der auch für den Temps schreibt, und der neben feinem litterarischem Geschmack auch die rechte Slawenzunge hat, die mit jeder Sprache der Welt fertig wird, hatte neben diesem ganz ungewöhnlichen Sprach¬ talent auch noch ein Auge für Malerei bei sich zu entdecken geglaubt, und das führte, da er diese Begabung für einen ks.it aociuis ansah, zu etwas, was uns tief geschmerzt hat, semel-, unsere- und des Temps wegen. Eine seiner ersten Leistungen auf diesem neuen Felde war nämlich, daß er die Sixtinische Madonna 1. für unecht, 2. für stark übermalt und 3. was die Farbe anbelangt, für einen Ausbund von Geschmacklosigkeit erklärte. Was das Erstaunlichste bei der Sache ist, der Temps druckte, was Monsieur de Wyzewa geschrieben hatte, Wort für Wort ab, und wer das Unglaubliche nicht glauben will, kann, wenn es ihm Ver¬ gnügen macht, die Rutschpartie im Temps nachlesen. So etwas macht einen doch großen Lichtern gegenüber bedenklich und ver¬ anlaßt einen, sich in Monsieur de Wyzewas Falle mit einem Lichtchen an den heiligen Crispinus zu wenden, damit der dafür sorge, daß der Schuster bei seinem Leisten bleibe, und an unsre verehrten Theaterkritiker die Frage zu richten: Woher haben Sie Ihre politische Weisheit? Solange es sich um innere und äußere Be¬ gabung von Schauspielern und Schauspielerinnen handelt, sind wir um den Finger zu wickeln, weil das das Fach unsers verehrten Rezensenten ist; wenn er aber außerdem zu wittern behauptet, wie nahe mau mit der ca,pa, des sich als Statisten¬ muster ausstellenden deutschen Mnsensohues an den Pariser Stier herangehn könne, ohne daß der den Kopf zwischen die Beine nimmt und mit wild in der Luft peitschendem Schweife durch die Arena stürmt, so liegt die Frage nahe: Hochver¬ ehrter Herr, in welcher Quadrille haben Sie gelernt? Mit andern Worten, woher weiß unser Kritiker, daß die Presse, die Herrn von Gerlach und seinen Freunden abgeraten hat, ihren Thespiskarren nach Paris zu instradiereu, wie er sich auszudrücken beliebt, „über Gebühr vorsichtig und ängstlich" war? Auf welche Weise hat er die Gesinnung und die Stimmung der Pariser Kreise keimen gelernt, ans deren Haltung es bei einem öffentlichen An¬ treten deutscher Studenten in Paris ankam? Hat er zur Zeit der Schnäbele-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/448>, abgerufen am 29.06.2024.