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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Kommunen, deren Umlagen ständig steigen, können nur dann auf eine gesicherte
Grundlage gestellt werden. Erst nach Einführung der allgemeinen Einkommensteuer
für die ja in dem Miquelschen Gesetz ein Vorbild vorhanden ist, wird es möglich
sein, den Gemeinden Nealsteueru, wie die Grundsteuer, zu überweisen. Jetzt,
nach fast hundertjähriger Geltung, wird die Gesetzgebung über die Organisation der
Stenererhebnngsbehörden einer Änderung unterzogen und eine neue Organisation
der Rentämter geschaffen; aber auch hier muß sich die Negierung wesentliche Ab¬
striche gefallen lassen, wenn sie von der regierenden Partei, dem Zentrum, die Neu¬
organisation bewilligt erhalten will. Die Neuregelung des gesamten Beamtenwesens,
die Schaffung eines einheitlichen Beamtengesetzes, das den Unterschied zwischen prag¬
matischen und nicht pragmatischen Beamten beseitigt, und die Besserung der Ein¬
kommensverhältnisse der Beamten werden immer dringlicher; die Gehaltsverhält¬
nisse der bayrischen Beamten sind unzureichend, und namentlich in den großen
Städten bei den teuern Wohnnngs- und Lebensverhältnissen müssen sich die Be¬
amten den größten Einschränkungen unterwerfen. Man kann in dieser Richtung
in einzelnen Fällen direkt von einer Notlage reden, aber die schlechte Bezahlung
der Beamten scheint sich in Bayern allmählich zu einem Neservatrecht auszubilden.
Das Zentrum wird zu einer Verbesserung dieser Gehaltsverhältnisse nicht zu habe"
sein, zumal da ihm der Rückgang der Staatseinnahmen den formellen Einwand an
die Hand giebt.

Es ist überhaupt ein eignes Ding um die Entwicklung der parlamentarischen
Verhältnisse in der bayrischen Abgeordnetenkammer. Die Erledigung der Gesetzes¬
vorlagen, namentlich der finanziellen, geschieht vor allein mit Rücksicht darauf, ob
nicht eine Schädigung des platten Landes eintritt; dadurch werden Interessen¬
gegensätze vertieft, und wo solche noch nicht bestehn, unnötigerweise geschaffen.
Die Städte, die Träger der Hauptsteuerkraft, werden vom Zentrum nicht geliebt.
Von den 290 Millionen Mark, die in den letzten zehn Jahren in der Finanz-
verwaltung als Überschüsse erzielt wurden, ist ein wesentlicher Teil der Landwirt¬
schaft zu gute gekommen; mau kaun aber nicht sagen, daß sich die Landwirtschaft,
namentlich in Altbayern, den jetzigen wirtschaftlichen Verhältnissen anbequemt habe,
die eine größere Sparsamkeit erfordern. Die Art des Wirtschaftsbetriebes und
der Aufwand sind fast geblieben wie in der guten alten Zeit, wo der Bauer uoch mit
Kronenthalern statt rin Markstücken rechnen konnte. Man darf nur in altbay¬
rischen Städten und Märkten, insbesondre in Niederbayern, Nachfrage halten, welche
Summen jährlich von den einzelnen Bauernhöfen zum Bierbrauer und zum Konditor
wandern, dann wird man einräumen müssen, daß die Not der "notleidenden"
Landwirtschaft wenigstens in diesen Gegenden nicht so arg ist. Aber obgleich die
Staatsregierung für die Landwirtschaft das Geld bisher in sehr reichlichem Maße
zur Verfügung gestellt hat, hört das agrarische Begehren nicht auf. das sich be¬
sonders auf Nachlasse bei der Grundsteuer erstreckt. Diese agrarischen Interessen
und neben ihnen die konfessionellen, d. h. die Interessen der katholischen Kirche,
sind die Leitmotive für die Kammerverhandlungen, denen ein großer Zug fehlt.
Endlos ziehn sich die Verhandlungen dahin; die kleinsten und unbedeutendsten
Angelegenheiten werde" besprochen, und damit vollzieht sich langsam ein Übergriff
von der Legislative in die Exekutive. In Bayern könnte man entgegen der Ver¬
fassung, die gottlob keinen ausgeprägten Parlamentarismus wie in Italien oder
Frankreich keunt, eine Parlamentsrepublik erhalten, in der die einzelnen Referenten
kleine Parlamentsdiktatoren spielen könnten, wenn nicht die Reichsratskammer und
noch ein höherer Wille ein kräftiger Hemmschuh wären.

Leider kann die liberale Partei, die in Bayern Nationalliberale und Freisinnige
umfaßt, an diesen Verhältnissen wenig ändern, sie hat im Laufe der Jahre viele
Parlamentarisch geschulte Kräfte, z. B. die vorzüglichen Redner Schnuß und Fischer,
verloren; ihr Nachwuchs hat mit diesen Verlusten nicht gleichen Schritt gehalten,
und der redegewandte Bürgermeister von Bayreuth, Casselmcmn, vermag allein


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Kommunen, deren Umlagen ständig steigen, können nur dann auf eine gesicherte
Grundlage gestellt werden. Erst nach Einführung der allgemeinen Einkommensteuer
für die ja in dem Miquelschen Gesetz ein Vorbild vorhanden ist, wird es möglich
sein, den Gemeinden Nealsteueru, wie die Grundsteuer, zu überweisen. Jetzt,
nach fast hundertjähriger Geltung, wird die Gesetzgebung über die Organisation der
Stenererhebnngsbehörden einer Änderung unterzogen und eine neue Organisation
der Rentämter geschaffen; aber auch hier muß sich die Negierung wesentliche Ab¬
striche gefallen lassen, wenn sie von der regierenden Partei, dem Zentrum, die Neu¬
organisation bewilligt erhalten will. Die Neuregelung des gesamten Beamtenwesens,
die Schaffung eines einheitlichen Beamtengesetzes, das den Unterschied zwischen prag¬
matischen und nicht pragmatischen Beamten beseitigt, und die Besserung der Ein¬
kommensverhältnisse der Beamten werden immer dringlicher; die Gehaltsverhält¬
nisse der bayrischen Beamten sind unzureichend, und namentlich in den großen
Städten bei den teuern Wohnnngs- und Lebensverhältnissen müssen sich die Be¬
amten den größten Einschränkungen unterwerfen. Man kann in dieser Richtung
in einzelnen Fällen direkt von einer Notlage reden, aber die schlechte Bezahlung
der Beamten scheint sich in Bayern allmählich zu einem Neservatrecht auszubilden.
Das Zentrum wird zu einer Verbesserung dieser Gehaltsverhältnisse nicht zu habe»
sein, zumal da ihm der Rückgang der Staatseinnahmen den formellen Einwand an
die Hand giebt.

Es ist überhaupt ein eignes Ding um die Entwicklung der parlamentarischen
Verhältnisse in der bayrischen Abgeordnetenkammer. Die Erledigung der Gesetzes¬
vorlagen, namentlich der finanziellen, geschieht vor allein mit Rücksicht darauf, ob
nicht eine Schädigung des platten Landes eintritt; dadurch werden Interessen¬
gegensätze vertieft, und wo solche noch nicht bestehn, unnötigerweise geschaffen.
Die Städte, die Träger der Hauptsteuerkraft, werden vom Zentrum nicht geliebt.
Von den 290 Millionen Mark, die in den letzten zehn Jahren in der Finanz-
verwaltung als Überschüsse erzielt wurden, ist ein wesentlicher Teil der Landwirt¬
schaft zu gute gekommen; mau kaun aber nicht sagen, daß sich die Landwirtschaft,
namentlich in Altbayern, den jetzigen wirtschaftlichen Verhältnissen anbequemt habe,
die eine größere Sparsamkeit erfordern. Die Art des Wirtschaftsbetriebes und
der Aufwand sind fast geblieben wie in der guten alten Zeit, wo der Bauer uoch mit
Kronenthalern statt rin Markstücken rechnen konnte. Man darf nur in altbay¬
rischen Städten und Märkten, insbesondre in Niederbayern, Nachfrage halten, welche
Summen jährlich von den einzelnen Bauernhöfen zum Bierbrauer und zum Konditor
wandern, dann wird man einräumen müssen, daß die Not der „notleidenden"
Landwirtschaft wenigstens in diesen Gegenden nicht so arg ist. Aber obgleich die
Staatsregierung für die Landwirtschaft das Geld bisher in sehr reichlichem Maße
zur Verfügung gestellt hat, hört das agrarische Begehren nicht auf. das sich be¬
sonders auf Nachlasse bei der Grundsteuer erstreckt. Diese agrarischen Interessen
und neben ihnen die konfessionellen, d. h. die Interessen der katholischen Kirche,
sind die Leitmotive für die Kammerverhandlungen, denen ein großer Zug fehlt.
Endlos ziehn sich die Verhandlungen dahin; die kleinsten und unbedeutendsten
Angelegenheiten werde» besprochen, und damit vollzieht sich langsam ein Übergriff
von der Legislative in die Exekutive. In Bayern könnte man entgegen der Ver¬
fassung, die gottlob keinen ausgeprägten Parlamentarismus wie in Italien oder
Frankreich keunt, eine Parlamentsrepublik erhalten, in der die einzelnen Referenten
kleine Parlamentsdiktatoren spielen könnten, wenn nicht die Reichsratskammer und
noch ein höherer Wille ein kräftiger Hemmschuh wären.

Leider kann die liberale Partei, die in Bayern Nationalliberale und Freisinnige
umfaßt, an diesen Verhältnissen wenig ändern, sie hat im Laufe der Jahre viele
Parlamentarisch geschulte Kräfte, z. B. die vorzüglichen Redner Schnuß und Fischer,
verloren; ihr Nachwuchs hat mit diesen Verlusten nicht gleichen Schritt gehalten,
und der redegewandte Bürgermeister von Bayreuth, Casselmcmn, vermag allein


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[0403] Maßgebliches und Unmaßgebliches Kommunen, deren Umlagen ständig steigen, können nur dann auf eine gesicherte Grundlage gestellt werden. Erst nach Einführung der allgemeinen Einkommensteuer für die ja in dem Miquelschen Gesetz ein Vorbild vorhanden ist, wird es möglich sein, den Gemeinden Nealsteueru, wie die Grundsteuer, zu überweisen. Jetzt, nach fast hundertjähriger Geltung, wird die Gesetzgebung über die Organisation der Stenererhebnngsbehörden einer Änderung unterzogen und eine neue Organisation der Rentämter geschaffen; aber auch hier muß sich die Negierung wesentliche Ab¬ striche gefallen lassen, wenn sie von der regierenden Partei, dem Zentrum, die Neu¬ organisation bewilligt erhalten will. Die Neuregelung des gesamten Beamtenwesens, die Schaffung eines einheitlichen Beamtengesetzes, das den Unterschied zwischen prag¬ matischen und nicht pragmatischen Beamten beseitigt, und die Besserung der Ein¬ kommensverhältnisse der Beamten werden immer dringlicher; die Gehaltsverhält¬ nisse der bayrischen Beamten sind unzureichend, und namentlich in den großen Städten bei den teuern Wohnnngs- und Lebensverhältnissen müssen sich die Be¬ amten den größten Einschränkungen unterwerfen. Man kann in dieser Richtung in einzelnen Fällen direkt von einer Notlage reden, aber die schlechte Bezahlung der Beamten scheint sich in Bayern allmählich zu einem Neservatrecht auszubilden. Das Zentrum wird zu einer Verbesserung dieser Gehaltsverhältnisse nicht zu habe» sein, zumal da ihm der Rückgang der Staatseinnahmen den formellen Einwand an die Hand giebt. Es ist überhaupt ein eignes Ding um die Entwicklung der parlamentarischen Verhältnisse in der bayrischen Abgeordnetenkammer. Die Erledigung der Gesetzes¬ vorlagen, namentlich der finanziellen, geschieht vor allein mit Rücksicht darauf, ob nicht eine Schädigung des platten Landes eintritt; dadurch werden Interessen¬ gegensätze vertieft, und wo solche noch nicht bestehn, unnötigerweise geschaffen. Die Städte, die Träger der Hauptsteuerkraft, werden vom Zentrum nicht geliebt. Von den 290 Millionen Mark, die in den letzten zehn Jahren in der Finanz- verwaltung als Überschüsse erzielt wurden, ist ein wesentlicher Teil der Landwirt¬ schaft zu gute gekommen; mau kaun aber nicht sagen, daß sich die Landwirtschaft, namentlich in Altbayern, den jetzigen wirtschaftlichen Verhältnissen anbequemt habe, die eine größere Sparsamkeit erfordern. Die Art des Wirtschaftsbetriebes und der Aufwand sind fast geblieben wie in der guten alten Zeit, wo der Bauer uoch mit Kronenthalern statt rin Markstücken rechnen konnte. Man darf nur in altbay¬ rischen Städten und Märkten, insbesondre in Niederbayern, Nachfrage halten, welche Summen jährlich von den einzelnen Bauernhöfen zum Bierbrauer und zum Konditor wandern, dann wird man einräumen müssen, daß die Not der „notleidenden" Landwirtschaft wenigstens in diesen Gegenden nicht so arg ist. Aber obgleich die Staatsregierung für die Landwirtschaft das Geld bisher in sehr reichlichem Maße zur Verfügung gestellt hat, hört das agrarische Begehren nicht auf. das sich be¬ sonders auf Nachlasse bei der Grundsteuer erstreckt. Diese agrarischen Interessen und neben ihnen die konfessionellen, d. h. die Interessen der katholischen Kirche, sind die Leitmotive für die Kammerverhandlungen, denen ein großer Zug fehlt. Endlos ziehn sich die Verhandlungen dahin; die kleinsten und unbedeutendsten Angelegenheiten werde» besprochen, und damit vollzieht sich langsam ein Übergriff von der Legislative in die Exekutive. In Bayern könnte man entgegen der Ver¬ fassung, die gottlob keinen ausgeprägten Parlamentarismus wie in Italien oder Frankreich keunt, eine Parlamentsrepublik erhalten, in der die einzelnen Referenten kleine Parlamentsdiktatoren spielen könnten, wenn nicht die Reichsratskammer und noch ein höherer Wille ein kräftiger Hemmschuh wären. Leider kann die liberale Partei, die in Bayern Nationalliberale und Freisinnige umfaßt, an diesen Verhältnissen wenig ändern, sie hat im Laufe der Jahre viele Parlamentarisch geschulte Kräfte, z. B. die vorzüglichen Redner Schnuß und Fischer, verloren; ihr Nachwuchs hat mit diesen Verlusten nicht gleichen Schritt gehalten, und der redegewandte Bürgermeister von Bayreuth, Casselmcmn, vermag allein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/403>, abgerufen am 28.09.2024.