Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Anlaß, denen zu zürnen, in deren Augen sie sich herabgesetzt sehen. Es ist ja mich Alice fühlte das alles wohl, und das machte sie tief unglücklich. Sie sah; Dieses Blatt bleibt weiß, eigentlich müßte es schwarz sein. Armes Kind, Maßgebliches und Unmaßgebliches Allerlei aus Bayern. Die bayrischen politischen Verhältnisse haben in den Maßgebliches und Unmaßgebliches Anlaß, denen zu zürnen, in deren Augen sie sich herabgesetzt sehen. Es ist ja mich Alice fühlte das alles wohl, und das machte sie tief unglücklich. Sie sah; Dieses Blatt bleibt weiß, eigentlich müßte es schwarz sein. Armes Kind, Maßgebliches und Unmaßgebliches Allerlei aus Bayern. Die bayrischen politischen Verhältnisse haben in den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0402" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237688"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2050" prev="#ID_2049"> Anlaß, denen zu zürnen, in deren Augen sie sich herabgesetzt sehen. Es ist ja mich<lb/> das leichteste, über ein Unrecht wegzukommen, wenn man es auf andre abschiebt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2051"> Alice fühlte das alles wohl, und das machte sie tief unglücklich. Sie sah;<lb/> stundenlang an dem Bette ihres Kindchens mit heißen Augen und dachte und<lb/> sann. Sie kam sich vor, als wenn sie ausgewandert wäre unter fremde Leute eines<lb/> anders geartete» Volkes, von denen niemand ihre Sprache verstünde, von denen<lb/> niemand fühlte, wie sie fühlte, und sie dürfte niemals wieder nach Hause zurück¬<lb/> kehren. Ins Tagebuch schrieb sie:</p><lb/> <p xml:id="ID_2052"> Dieses Blatt bleibt weiß, eigentlich müßte es schwarz sein. Armes Kind,<lb/> dein Erbe an Glück wird klein.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <div n="2"> <head> Allerlei aus Bayern.</head> <p xml:id="ID_2053" next="#ID_2054"> Die bayrischen politischen Verhältnisse haben in den<lb/> letzten Jahren stetig eine Verschiebung nach rechts erfahren. Auch in Bayern ist<lb/> dermalen das Zentrum Trumpf. Bei den Laudtagswcchleu im Jahre 1899 hat<lb/> es zum erstenmal wieder in der Kammer der Abgeordneten die absolute Majo¬<lb/> rität erreicht. Die Ultrnmontcmen verdanken dies zum Teil dem Niedergang des<lb/> Bauernbundes, der nach dem Sturze Bismnrcks unter den Wirkungen der Caprivi-<lb/> schen Handelsverträge entstanden war, eine politische Macht zu werden versprach,<lb/> dann aber infolge nicht geschickter Führung zurückging; sie verdanken dies weiter<lb/> ihrem Pakte mit den Sozialdemokraten in München und in der Pfalz und der<lb/> eigentümlichen Taktik der protestantischen Konservativen in einem überwiegend<lb/> protestantische» Wahlkreise in Mittelfrnnken, wo diese dem Zentrum Konzessionen<lb/> machten. Der Pakt des Zentrums mit den Sozialdemokraten entsprang dem<lb/> Wille» der Ultramontanen, zur Macht zu kommen: deshalb »ahmen sie keinen<lb/> Anstoß an den „Sozis," die man sonst in den klerikalen Arbeitervereine» bekämpft.<lb/> Das Zentrum wollte für alle Fälle, wenn el» Wechsel in der Regentschaft eintreten<lb/> würde, eine gesicherte Mehrheit i» der Kammer haben. Die Hoffmmge» des<lb/> Zentrums in dieser Richtung sind bekannt; es hofft auf den Nachfolger des jetzigen<lb/> Prinzregenten. Ob sich diese Hoffnungen erfüllen werden, wird die Zukunft<lb/> erweisen, keinesfalls werden aber die Aspirationen des Zentrunis in der Zukunft<lb/> geriuger werden. So lange Prinzregent Luitpold an, Leben ist, wird ein »ltra-<lb/> moutanes Parteiministerium kaum berufen werde», das weiß das Zentrum genau,<lb/> und klug geworden durch die Ereignisse unter König Ludwig II., wird es einen<lb/> förmlichen 'Ministersturz nicht mehr ins Werk setzen. Es hat auch keine Veran¬<lb/> lassung dazu und gewinnt auch so ständig an Terrain. Das Ministeriuni Crnils-<lb/> heim ist ein konservatives Geschäftsministeriuni, sucht allen Interessen der Bevölkerung<lb/> gerecht zu werden und ist gewiß nicht dem Vorwurf ausgesetzt, den Ansprüchen<lb/> der klerikalen Partei zu wenig entgegenzukommen. Die Zentrumspartei hat jetzt<lb/> den Vorzug, in der Regel sachlich alles zu erreichen, was sie will, trägt aber keine<lb/> Verantwortung dafür, die sie übernehmen müßte, wen» ein Ministerin»! ihrer<lb/> Partei am Nuder wäre. Einzelne der bayrischen Staatsniinister sind schon zwanzig<lb/> Jahre u»d darüber in ihrer Stellung; eine so lange Ministerthätigkeit sichert wohl<lb/> die Kontinuität in den einzelnen Gebiete« der Staatsverwaltung, kann aber zu¬<lb/> weilen Verhältnisse, die einer gesetzgeberischen Regelung bedürfen, in eine» ge¬<lb/> wisse» Beharrungszustaud bringe». In Bayer» wird die Einführung der all¬<lb/> gemeine» Einkommensteuer unerläßlich; die Einkommensverhältnisse der größern</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0402]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Anlaß, denen zu zürnen, in deren Augen sie sich herabgesetzt sehen. Es ist ja mich
das leichteste, über ein Unrecht wegzukommen, wenn man es auf andre abschiebt.
Alice fühlte das alles wohl, und das machte sie tief unglücklich. Sie sah;
stundenlang an dem Bette ihres Kindchens mit heißen Augen und dachte und
sann. Sie kam sich vor, als wenn sie ausgewandert wäre unter fremde Leute eines
anders geartete» Volkes, von denen niemand ihre Sprache verstünde, von denen
niemand fühlte, wie sie fühlte, und sie dürfte niemals wieder nach Hause zurück¬
kehren. Ins Tagebuch schrieb sie:
Dieses Blatt bleibt weiß, eigentlich müßte es schwarz sein. Armes Kind,
dein Erbe an Glück wird klein.
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Allerlei aus Bayern. Die bayrischen politischen Verhältnisse haben in den
letzten Jahren stetig eine Verschiebung nach rechts erfahren. Auch in Bayern ist
dermalen das Zentrum Trumpf. Bei den Laudtagswcchleu im Jahre 1899 hat
es zum erstenmal wieder in der Kammer der Abgeordneten die absolute Majo¬
rität erreicht. Die Ultrnmontcmen verdanken dies zum Teil dem Niedergang des
Bauernbundes, der nach dem Sturze Bismnrcks unter den Wirkungen der Caprivi-
schen Handelsverträge entstanden war, eine politische Macht zu werden versprach,
dann aber infolge nicht geschickter Führung zurückging; sie verdanken dies weiter
ihrem Pakte mit den Sozialdemokraten in München und in der Pfalz und der
eigentümlichen Taktik der protestantischen Konservativen in einem überwiegend
protestantische» Wahlkreise in Mittelfrnnken, wo diese dem Zentrum Konzessionen
machten. Der Pakt des Zentrums mit den Sozialdemokraten entsprang dem
Wille» der Ultramontanen, zur Macht zu kommen: deshalb »ahmen sie keinen
Anstoß an den „Sozis," die man sonst in den klerikalen Arbeitervereine» bekämpft.
Das Zentrum wollte für alle Fälle, wenn el» Wechsel in der Regentschaft eintreten
würde, eine gesicherte Mehrheit i» der Kammer haben. Die Hoffmmge» des
Zentrums in dieser Richtung sind bekannt; es hofft auf den Nachfolger des jetzigen
Prinzregenten. Ob sich diese Hoffnungen erfüllen werden, wird die Zukunft
erweisen, keinesfalls werden aber die Aspirationen des Zentrunis in der Zukunft
geriuger werden. So lange Prinzregent Luitpold an, Leben ist, wird ein »ltra-
moutanes Parteiministerium kaum berufen werde», das weiß das Zentrum genau,
und klug geworden durch die Ereignisse unter König Ludwig II., wird es einen
förmlichen 'Ministersturz nicht mehr ins Werk setzen. Es hat auch keine Veran¬
lassung dazu und gewinnt auch so ständig an Terrain. Das Ministeriuni Crnils-
heim ist ein konservatives Geschäftsministeriuni, sucht allen Interessen der Bevölkerung
gerecht zu werden und ist gewiß nicht dem Vorwurf ausgesetzt, den Ansprüchen
der klerikalen Partei zu wenig entgegenzukommen. Die Zentrumspartei hat jetzt
den Vorzug, in der Regel sachlich alles zu erreichen, was sie will, trägt aber keine
Verantwortung dafür, die sie übernehmen müßte, wen» ein Ministerin»! ihrer
Partei am Nuder wäre. Einzelne der bayrischen Staatsniinister sind schon zwanzig
Jahre u»d darüber in ihrer Stellung; eine so lange Ministerthätigkeit sichert wohl
die Kontinuität in den einzelnen Gebiete« der Staatsverwaltung, kann aber zu¬
weilen Verhältnisse, die einer gesetzgeberischen Regelung bedürfen, in eine» ge¬
wisse» Beharrungszustaud bringe». In Bayer» wird die Einführung der all¬
gemeine» Einkommensteuer unerläßlich; die Einkommensverhältnisse der größern
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