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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Doktor Duttmüller und sein Freund

Kümmelmüller zum Durchbruch; er fing ein zu schluchzen, während ein heiliger
Schauer von Mitleid die Versammlung durchbebte und Lautsch mit gesenktem Haupte
und ineinander gelegten Händen dabei stand, als stünde er am Grabe der deutschen
Ehre.) Huu! Und wo ick det an meinem Fleisch und Blut erleben thue, und
mein Sohn, was der Doktor Duttmüller ist, hun! --

Wer? Wer ist Ihr Sohn? fragte man.

Na, wer solls denn sein? Doktor Louis Duttmüller, der seinen alten Vater
siebenmal verstoßen hat. Huu! Und heute hat er mich erst wieder rausgeschmissen,
wo doch heute Doofe ist, und ick als Vater vont Janze verlangen kann, daß ick
meine Verpflegung kriege. Und was hat er mir gegeben, der Lulatsch? --
Duttmüller griff in die Tasche und holte ein paar Groschen heraus, das übrige
hatte er schon vertrunken. -- Nun aber trete ick aus meinem allerhöchsten Alibi
heraus und erkläre mir als Alois Duttmüller, Arbeiter und Naturdoktor, indem
dat ick dem alten Schäfer Matthias sein Buch habe und alle Krankheiten heilen
kann. Huu!

Diese Mitteilung machte den allergrößten Eindruck. Die Kümmelmüllern
kannten, waren zwar nicht sehr gerührt, aber die ihn nicht kannten, entrüsteten sich
über solche Lösung aller menschlichen Bande. Und daß dieser alte Kerl der Vater
von Doktor Duttmüller sei, das war doch höchst pikant und wurde von Lautsch
genossen wie eine Leckerei von einem Feinschmecker. Er verfehlte denn auch nicht,
die Sache in das rechte Licht zu scheu, nachdem er Alois Duttmüllern, der nicht
mehr stehn konnte, auf einen Stuhl gesetzt hatte, wo er fortfuhr zu wimmern.

Genossen, rief er, indem er einen aufmunternden Blick seinen Schreibtataren
zuwarf, die sogleich loslegten, daß die Tinte spritzte, ihr seid Zeugen eines
Jamiliendramas gewesen. Ihr habt einen Blick in die kapitalistische Welt gethan
und habt gesehen Vergewaltigung, Mißhandlung, Lösung der heiligsten Familien¬
bande. Hier erblickt ihr vor euch ein Opfer der kapitalistischen Weltordnung, einen
ehrenwerten Arbeiter, einen alten Mann, von seinem leiblichen Sohne mit einem
Hungergrvschen abgespeist und ins Elend verstoßen. Wo ist der Staat, wo die
Gesellschaft, die hier einschritte? Unsre Presse wird das Verbrechen zu sühnen
wissen. Genossen, die Presse ist unsre Macht. Wer jetzt auch nur uoch ein Blatt
des bewußten Tintenknliorgnns anrührt, hat keine Spur von Solidarität im Leibe.
Weg mit dem Gewäsch der gesinnungstüchtigen Schlafmützen. Lese den "Volksherold."
werde Abonnenten, die Liste liegt immer noch an der Thür aus.

Aber auch die Mißhandlung des Mannes durch Beamte in Heinrichshall
forderte Sühne, und so ergab sich eine günstige Gelegenheit, zum Feldzuge gegen
Heinrichshall aufzurufen, die Arbeiterbataillone zu organisieren und den Sturm
vorzubereiten, um diese Zwingburg der Reaktion, in der die Prügelstrafe florierte,
"is lebe man noch im Mittelalter, zu brechen. Herr Rechtsanwalt Doktor Limburg
stellte deun auch dieses Ziel vor den Augen der Arbeiter auf und fuhr in seiner
kühlen, geschäftsmäßigen Weise fort: Soll ich euch mit Zahlen vorrechnen, um
was man euch betrügt? Die Kaligesellschnft verteilt in diesem Jahre 8 Prozent Zinsen.
Das macht bei einem Mtienbestcmde von zehn Millionen 800 000 Mark Rein¬
gewinn. Hierzu kommen 100 000 Mark Abschreibungen. 50 000 Mark Grati¬
fikationen und Tantiemen für die Direktoren, macht also 950 000 Mark Gewinn.

Herr Lautsch, sagte einer der Protokollführer, sollen wir die Zahlen auch
hinschreiben?

Lasse" Sie sie lieber weg, erwiderte Lautsch.

In diese 950000 Mark teilen sich vierzig Aktionäre. Macht ans jeden durch¬
schnittlich 24000 Mark. Und ihr werdet mit dem Hnngerlohn von 4 ^arr
""gespeist. Jene erhalten ihr Geld, ohne die Hand zu rühren, ihr mußt tagUcy
eure gesunden Knochen aufs Spiel setzen. Jene gebrauchen die Coupon,chere
ihr Hammer und Schlägel. Ihr seid tausend Mann, werdet also ein jeder mhrllch
um 950 Mark an dem Lohne verkürzt, der euch zukommt. Der Mensch muß


Grenzboten II 1902
Doktor Duttmüller und sein Freund

Kümmelmüller zum Durchbruch; er fing ein zu schluchzen, während ein heiliger
Schauer von Mitleid die Versammlung durchbebte und Lautsch mit gesenktem Haupte
und ineinander gelegten Händen dabei stand, als stünde er am Grabe der deutschen
Ehre.) Huu! Und wo ick det an meinem Fleisch und Blut erleben thue, und
mein Sohn, was der Doktor Duttmüller ist, hun! —

Wer? Wer ist Ihr Sohn? fragte man.

Na, wer solls denn sein? Doktor Louis Duttmüller, der seinen alten Vater
siebenmal verstoßen hat. Huu! Und heute hat er mich erst wieder rausgeschmissen,
wo doch heute Doofe ist, und ick als Vater vont Janze verlangen kann, daß ick
meine Verpflegung kriege. Und was hat er mir gegeben, der Lulatsch? —
Duttmüller griff in die Tasche und holte ein paar Groschen heraus, das übrige
hatte er schon vertrunken. — Nun aber trete ick aus meinem allerhöchsten Alibi
heraus und erkläre mir als Alois Duttmüller, Arbeiter und Naturdoktor, indem
dat ick dem alten Schäfer Matthias sein Buch habe und alle Krankheiten heilen
kann. Huu!

Diese Mitteilung machte den allergrößten Eindruck. Die Kümmelmüllern
kannten, waren zwar nicht sehr gerührt, aber die ihn nicht kannten, entrüsteten sich
über solche Lösung aller menschlichen Bande. Und daß dieser alte Kerl der Vater
von Doktor Duttmüller sei, das war doch höchst pikant und wurde von Lautsch
genossen wie eine Leckerei von einem Feinschmecker. Er verfehlte denn auch nicht,
die Sache in das rechte Licht zu scheu, nachdem er Alois Duttmüllern, der nicht
mehr stehn konnte, auf einen Stuhl gesetzt hatte, wo er fortfuhr zu wimmern.

Genossen, rief er, indem er einen aufmunternden Blick seinen Schreibtataren
zuwarf, die sogleich loslegten, daß die Tinte spritzte, ihr seid Zeugen eines
Jamiliendramas gewesen. Ihr habt einen Blick in die kapitalistische Welt gethan
und habt gesehen Vergewaltigung, Mißhandlung, Lösung der heiligsten Familien¬
bande. Hier erblickt ihr vor euch ein Opfer der kapitalistischen Weltordnung, einen
ehrenwerten Arbeiter, einen alten Mann, von seinem leiblichen Sohne mit einem
Hungergrvschen abgespeist und ins Elend verstoßen. Wo ist der Staat, wo die
Gesellschaft, die hier einschritte? Unsre Presse wird das Verbrechen zu sühnen
wissen. Genossen, die Presse ist unsre Macht. Wer jetzt auch nur uoch ein Blatt
des bewußten Tintenknliorgnns anrührt, hat keine Spur von Solidarität im Leibe.
Weg mit dem Gewäsch der gesinnungstüchtigen Schlafmützen. Lese den „Volksherold."
werde Abonnenten, die Liste liegt immer noch an der Thür aus.

Aber auch die Mißhandlung des Mannes durch Beamte in Heinrichshall
forderte Sühne, und so ergab sich eine günstige Gelegenheit, zum Feldzuge gegen
Heinrichshall aufzurufen, die Arbeiterbataillone zu organisieren und den Sturm
vorzubereiten, um diese Zwingburg der Reaktion, in der die Prügelstrafe florierte,
"is lebe man noch im Mittelalter, zu brechen. Herr Rechtsanwalt Doktor Limburg
stellte deun auch dieses Ziel vor den Augen der Arbeiter auf und fuhr in seiner
kühlen, geschäftsmäßigen Weise fort: Soll ich euch mit Zahlen vorrechnen, um
was man euch betrügt? Die Kaligesellschnft verteilt in diesem Jahre 8 Prozent Zinsen.
Das macht bei einem Mtienbestcmde von zehn Millionen 800 000 Mark Rein¬
gewinn. Hierzu kommen 100 000 Mark Abschreibungen. 50 000 Mark Grati¬
fikationen und Tantiemen für die Direktoren, macht also 950 000 Mark Gewinn.

Herr Lautsch, sagte einer der Protokollführer, sollen wir die Zahlen auch
hinschreiben?

Lasse» Sie sie lieber weg, erwiderte Lautsch.

In diese 950000 Mark teilen sich vierzig Aktionäre. Macht ans jeden durch¬
schnittlich 24000 Mark. Und ihr werdet mit dem Hnngerlohn von 4 ^arr
""gespeist. Jene erhalten ihr Geld, ohne die Hand zu rühren, ihr mußt tagUcy
eure gesunden Knochen aufs Spiel setzen. Jene gebrauchen die Coupon,chere
ihr Hammer und Schlägel. Ihr seid tausend Mann, werdet also ein jeder mhrllch
um 950 Mark an dem Lohne verkürzt, der euch zukommt. Der Mensch muß


Grenzboten II 1902
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[0345] Doktor Duttmüller und sein Freund Kümmelmüller zum Durchbruch; er fing ein zu schluchzen, während ein heiliger Schauer von Mitleid die Versammlung durchbebte und Lautsch mit gesenktem Haupte und ineinander gelegten Händen dabei stand, als stünde er am Grabe der deutschen Ehre.) Huu! Und wo ick det an meinem Fleisch und Blut erleben thue, und mein Sohn, was der Doktor Duttmüller ist, hun! — Wer? Wer ist Ihr Sohn? fragte man. Na, wer solls denn sein? Doktor Louis Duttmüller, der seinen alten Vater siebenmal verstoßen hat. Huu! Und heute hat er mich erst wieder rausgeschmissen, wo doch heute Doofe ist, und ick als Vater vont Janze verlangen kann, daß ick meine Verpflegung kriege. Und was hat er mir gegeben, der Lulatsch? — Duttmüller griff in die Tasche und holte ein paar Groschen heraus, das übrige hatte er schon vertrunken. — Nun aber trete ick aus meinem allerhöchsten Alibi heraus und erkläre mir als Alois Duttmüller, Arbeiter und Naturdoktor, indem dat ick dem alten Schäfer Matthias sein Buch habe und alle Krankheiten heilen kann. Huu! Diese Mitteilung machte den allergrößten Eindruck. Die Kümmelmüllern kannten, waren zwar nicht sehr gerührt, aber die ihn nicht kannten, entrüsteten sich über solche Lösung aller menschlichen Bande. Und daß dieser alte Kerl der Vater von Doktor Duttmüller sei, das war doch höchst pikant und wurde von Lautsch genossen wie eine Leckerei von einem Feinschmecker. Er verfehlte denn auch nicht, die Sache in das rechte Licht zu scheu, nachdem er Alois Duttmüllern, der nicht mehr stehn konnte, auf einen Stuhl gesetzt hatte, wo er fortfuhr zu wimmern. Genossen, rief er, indem er einen aufmunternden Blick seinen Schreibtataren zuwarf, die sogleich loslegten, daß die Tinte spritzte, ihr seid Zeugen eines Jamiliendramas gewesen. Ihr habt einen Blick in die kapitalistische Welt gethan und habt gesehen Vergewaltigung, Mißhandlung, Lösung der heiligsten Familien¬ bande. Hier erblickt ihr vor euch ein Opfer der kapitalistischen Weltordnung, einen ehrenwerten Arbeiter, einen alten Mann, von seinem leiblichen Sohne mit einem Hungergrvschen abgespeist und ins Elend verstoßen. Wo ist der Staat, wo die Gesellschaft, die hier einschritte? Unsre Presse wird das Verbrechen zu sühnen wissen. Genossen, die Presse ist unsre Macht. Wer jetzt auch nur uoch ein Blatt des bewußten Tintenknliorgnns anrührt, hat keine Spur von Solidarität im Leibe. Weg mit dem Gewäsch der gesinnungstüchtigen Schlafmützen. Lese den „Volksherold." werde Abonnenten, die Liste liegt immer noch an der Thür aus. Aber auch die Mißhandlung des Mannes durch Beamte in Heinrichshall forderte Sühne, und so ergab sich eine günstige Gelegenheit, zum Feldzuge gegen Heinrichshall aufzurufen, die Arbeiterbataillone zu organisieren und den Sturm vorzubereiten, um diese Zwingburg der Reaktion, in der die Prügelstrafe florierte, "is lebe man noch im Mittelalter, zu brechen. Herr Rechtsanwalt Doktor Limburg stellte deun auch dieses Ziel vor den Augen der Arbeiter auf und fuhr in seiner kühlen, geschäftsmäßigen Weise fort: Soll ich euch mit Zahlen vorrechnen, um was man euch betrügt? Die Kaligesellschnft verteilt in diesem Jahre 8 Prozent Zinsen. Das macht bei einem Mtienbestcmde von zehn Millionen 800 000 Mark Rein¬ gewinn. Hierzu kommen 100 000 Mark Abschreibungen. 50 000 Mark Grati¬ fikationen und Tantiemen für die Direktoren, macht also 950 000 Mark Gewinn. Herr Lautsch, sagte einer der Protokollführer, sollen wir die Zahlen auch hinschreiben? Lasse» Sie sie lieber weg, erwiderte Lautsch. In diese 950000 Mark teilen sich vierzig Aktionäre. Macht ans jeden durch¬ schnittlich 24000 Mark. Und ihr werdet mit dem Hnngerlohn von 4 ^arr ""gespeist. Jene erhalten ihr Geld, ohne die Hand zu rühren, ihr mußt tagUcy eure gesunden Knochen aufs Spiel setzen. Jene gebrauchen die Coupon,chere ihr Hammer und Schlägel. Ihr seid tausend Mann, werdet also ein jeder mhrllch um 950 Mark an dem Lohne verkürzt, der euch zukommt. Der Mensch muß Grenzboten II 1902

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/345>, abgerufen am 01.07.2024.