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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Ver Feind

und die gefundne Erklärung zu genügen schienen, so ließen wir den Gegenstand
fallen und behielten unsern Glauben für uns.

Aber eine Besprechung ist der Ritter mit dem Pferdefuß doch wert.

Wir möchten vorausschicken, daß wir jede religiöse Anschauung hochachten und
ehren, und daß wir nie den Versuch macheu würden, irgend jemand das auszu¬
reden, was ihm von maßgebender Seite über den Teufel mitgeteilt, oder wie man
ja wohl sagen muß, gelehrt worden ist. Wenn es zum Wesen der orthodoxen
Anschauung gehört, sich ihn mit einem Pferdefuß, einem Kuhschwanz und Hörnern
vorzustellen, so möchten wir niemand um seiner Seele Seligkeit hinderlich sein. Wir
haben den alten Herrn, den viel Mut-Iowan, wie ihn die Engländer nennen, nie
von Auge zu Auge gesehen, können also auch nicht behaupten, daß er keinen
Pferdefuß, keinen Kuhschwnnz und keine Hörner habe. Wir müssen die hierauf
gerichteten Fragen, wie sich die Juristen ausdrücken, mit "Nichtwissen" beantworten,
aber wir finden, daß wenn es jemand besonders daran liegt, sich den Versucher in
Fleisch und Bein vorzustellen, Hörner und Kuhschwanz ganz geeignet sind, eine
unfreundliche, ungünstige Vorstellung von seiner äußern Erscheinung zu erwecken,
was ja der Moral nur förderlich sein kann. Leuten mit Hörnern, die einen
Klumpfuß und einen Kuhschwanz haben, geht man aus dem Wege: und nichr ist
ja auch dein Teufel gegenüber nicht nötig, wenn man ihn nicht geradezu aufsucht,
um ihn zu bekämpfe", was zwar sehr verdienstlich, aber nicht immer geraten und
nie ganz gefahrlos ist. Wir glaubten, es wäre besser, wenn wir die Authentizität
des von der Kirche gelieferten Konterfeis ausdrücklich anerkennte", damit niemand
ans den Gedanken komme, wir wollten es mit den kirchlichen Satzungen in diesem
Punkte leicht nehmen. Nichts liegt uns ferner. Bei genauerer Betrachtung haben
wir sogar zu bemerken geglaubt, daß uus eine Eigenschaft, in Ansehung deren
manche Menschen zu kurz gekommen zu sein scheinen, in zu starkem und geradezu
bedenklichem Maße zu teil geworden ist, die Fähigkeit, Dinge, über die sich Lieb¬
haber um jeden Preis schlüssig zu macheu suchen, "auf sich beruhn zu lassen."
Von Zweifelsucht kann, wie uns scheint, bei einem Menschen, der allerhand Dinge
gern "auf sich beruhn läßt," schwerlich die Rede sein.

So geht es uns auch mit den Rätseln des Jenseits und der Ewigkeit. Wir
glauben, was uns gelehrt wird, aber wir fühlen wohl, unser Glaube würde keine
Berge versetzen, und zu Blutzeugen würde er uns, fürchten wir, auch kaum gemacht
haben. Er ist mehr passiv und beschränkt sich auf ein Nichtbezweifeln, Nichtwider¬
sprechen. Wir sehen, daß wir von der Sache wenig versteh", und da wir uicht
vermessen genug siud, über Dinge zu urteile", für deren Verständnis uns jede
Grundlage abgeht, sagen wir zu dem, was uus gelehrt wird, Ja und Amen und
rütteln uicht an dem, was in den symbolischen Büchern gelehrt wird. Was wir
uns von dem lutherischen Glaubensbekenntnis, von andern Dogmen und allerhand
philosophischen Lehrgebäuden wirklich zu eigen gemocht haben, hat sich in unserm Innern
zu einem Bilde gestaltet, das wir nicht als Kunstwerk ausgeben möchten, und das
sich wahrscheinlich, bei Licht betrachtet, bunt und lückenhaft genug aufnehmen würde,
das uns aber so. wie es ist, befriedigt, und das wir mit keinen, andern vertauschen
könnten oder möchten. "Mondes nicht für ein andres geben," wie der erste Jäger
in Wallensteins Lager sagt. Wir kennen die übliche Redensart, die einen warnt
und auf der Hut zu sein rät, weil so ein Sammelsurium von Glaubensbrocken not¬
wendigerweise ein Trugbild des Bösen sei, und nur das Dogma ein bloc selig
mache, aber sie macht keinen Eindruck auf uns. Wenn dem lieben Gott daran gelegen
wäre, daß wir eine andre Vorstellung von der Sache hätten, so wäre es ihm
offenbar ein Leichtes gewesen, uns in diesem andern Sinne Erleuchtung und Be¬
lehrung zukommen zu lassen. Da er es nicht gethan hat, obwohl wir unser Ohr
grundsätzlich keiner Stimme verschlossen, und was wir aus die eine oder die andre
Weise vernommen hatten, immer nach besten Kräften geprüft haben, so halten wir
uns an das, was uns einleuchtet. Das ist das einfachste, und es erlaubt tägliches


Ver Feind

und die gefundne Erklärung zu genügen schienen, so ließen wir den Gegenstand
fallen und behielten unsern Glauben für uns.

Aber eine Besprechung ist der Ritter mit dem Pferdefuß doch wert.

Wir möchten vorausschicken, daß wir jede religiöse Anschauung hochachten und
ehren, und daß wir nie den Versuch macheu würden, irgend jemand das auszu¬
reden, was ihm von maßgebender Seite über den Teufel mitgeteilt, oder wie man
ja wohl sagen muß, gelehrt worden ist. Wenn es zum Wesen der orthodoxen
Anschauung gehört, sich ihn mit einem Pferdefuß, einem Kuhschwanz und Hörnern
vorzustellen, so möchten wir niemand um seiner Seele Seligkeit hinderlich sein. Wir
haben den alten Herrn, den viel Mut-Iowan, wie ihn die Engländer nennen, nie
von Auge zu Auge gesehen, können also auch nicht behaupten, daß er keinen
Pferdefuß, keinen Kuhschwnnz und keine Hörner habe. Wir müssen die hierauf
gerichteten Fragen, wie sich die Juristen ausdrücken, mit „Nichtwissen" beantworten,
aber wir finden, daß wenn es jemand besonders daran liegt, sich den Versucher in
Fleisch und Bein vorzustellen, Hörner und Kuhschwanz ganz geeignet sind, eine
unfreundliche, ungünstige Vorstellung von seiner äußern Erscheinung zu erwecken,
was ja der Moral nur förderlich sein kann. Leuten mit Hörnern, die einen
Klumpfuß und einen Kuhschwanz haben, geht man aus dem Wege: und nichr ist
ja auch dein Teufel gegenüber nicht nötig, wenn man ihn nicht geradezu aufsucht,
um ihn zu bekämpfe», was zwar sehr verdienstlich, aber nicht immer geraten und
nie ganz gefahrlos ist. Wir glaubten, es wäre besser, wenn wir die Authentizität
des von der Kirche gelieferten Konterfeis ausdrücklich anerkennte», damit niemand
ans den Gedanken komme, wir wollten es mit den kirchlichen Satzungen in diesem
Punkte leicht nehmen. Nichts liegt uns ferner. Bei genauerer Betrachtung haben
wir sogar zu bemerken geglaubt, daß uus eine Eigenschaft, in Ansehung deren
manche Menschen zu kurz gekommen zu sein scheinen, in zu starkem und geradezu
bedenklichem Maße zu teil geworden ist, die Fähigkeit, Dinge, über die sich Lieb¬
haber um jeden Preis schlüssig zu macheu suchen, „auf sich beruhn zu lassen."
Von Zweifelsucht kann, wie uns scheint, bei einem Menschen, der allerhand Dinge
gern „auf sich beruhn läßt," schwerlich die Rede sein.

So geht es uns auch mit den Rätseln des Jenseits und der Ewigkeit. Wir
glauben, was uns gelehrt wird, aber wir fühlen wohl, unser Glaube würde keine
Berge versetzen, und zu Blutzeugen würde er uns, fürchten wir, auch kaum gemacht
haben. Er ist mehr passiv und beschränkt sich auf ein Nichtbezweifeln, Nichtwider¬
sprechen. Wir sehen, daß wir von der Sache wenig versteh«, und da wir uicht
vermessen genug siud, über Dinge zu urteile», für deren Verständnis uns jede
Grundlage abgeht, sagen wir zu dem, was uus gelehrt wird, Ja und Amen und
rütteln uicht an dem, was in den symbolischen Büchern gelehrt wird. Was wir
uns von dem lutherischen Glaubensbekenntnis, von andern Dogmen und allerhand
philosophischen Lehrgebäuden wirklich zu eigen gemocht haben, hat sich in unserm Innern
zu einem Bilde gestaltet, das wir nicht als Kunstwerk ausgeben möchten, und das
sich wahrscheinlich, bei Licht betrachtet, bunt und lückenhaft genug aufnehmen würde,
das uns aber so. wie es ist, befriedigt, und das wir mit keinen, andern vertauschen
könnten oder möchten. „Mondes nicht für ein andres geben," wie der erste Jäger
in Wallensteins Lager sagt. Wir kennen die übliche Redensart, die einen warnt
und auf der Hut zu sein rät, weil so ein Sammelsurium von Glaubensbrocken not¬
wendigerweise ein Trugbild des Bösen sei, und nur das Dogma ein bloc selig
mache, aber sie macht keinen Eindruck auf uns. Wenn dem lieben Gott daran gelegen
wäre, daß wir eine andre Vorstellung von der Sache hätten, so wäre es ihm
offenbar ein Leichtes gewesen, uns in diesem andern Sinne Erleuchtung und Be¬
lehrung zukommen zu lassen. Da er es nicht gethan hat, obwohl wir unser Ohr
grundsätzlich keiner Stimme verschlossen, und was wir aus die eine oder die andre
Weise vernommen hatten, immer nach besten Kräften geprüft haben, so halten wir
uns an das, was uns einleuchtet. Das ist das einfachste, und es erlaubt tägliches


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[0334] Ver Feind und die gefundne Erklärung zu genügen schienen, so ließen wir den Gegenstand fallen und behielten unsern Glauben für uns. Aber eine Besprechung ist der Ritter mit dem Pferdefuß doch wert. Wir möchten vorausschicken, daß wir jede religiöse Anschauung hochachten und ehren, und daß wir nie den Versuch macheu würden, irgend jemand das auszu¬ reden, was ihm von maßgebender Seite über den Teufel mitgeteilt, oder wie man ja wohl sagen muß, gelehrt worden ist. Wenn es zum Wesen der orthodoxen Anschauung gehört, sich ihn mit einem Pferdefuß, einem Kuhschwanz und Hörnern vorzustellen, so möchten wir niemand um seiner Seele Seligkeit hinderlich sein. Wir haben den alten Herrn, den viel Mut-Iowan, wie ihn die Engländer nennen, nie von Auge zu Auge gesehen, können also auch nicht behaupten, daß er keinen Pferdefuß, keinen Kuhschwnnz und keine Hörner habe. Wir müssen die hierauf gerichteten Fragen, wie sich die Juristen ausdrücken, mit „Nichtwissen" beantworten, aber wir finden, daß wenn es jemand besonders daran liegt, sich den Versucher in Fleisch und Bein vorzustellen, Hörner und Kuhschwanz ganz geeignet sind, eine unfreundliche, ungünstige Vorstellung von seiner äußern Erscheinung zu erwecken, was ja der Moral nur förderlich sein kann. Leuten mit Hörnern, die einen Klumpfuß und einen Kuhschwanz haben, geht man aus dem Wege: und nichr ist ja auch dein Teufel gegenüber nicht nötig, wenn man ihn nicht geradezu aufsucht, um ihn zu bekämpfe», was zwar sehr verdienstlich, aber nicht immer geraten und nie ganz gefahrlos ist. Wir glaubten, es wäre besser, wenn wir die Authentizität des von der Kirche gelieferten Konterfeis ausdrücklich anerkennte», damit niemand ans den Gedanken komme, wir wollten es mit den kirchlichen Satzungen in diesem Punkte leicht nehmen. Nichts liegt uns ferner. Bei genauerer Betrachtung haben wir sogar zu bemerken geglaubt, daß uus eine Eigenschaft, in Ansehung deren manche Menschen zu kurz gekommen zu sein scheinen, in zu starkem und geradezu bedenklichem Maße zu teil geworden ist, die Fähigkeit, Dinge, über die sich Lieb¬ haber um jeden Preis schlüssig zu macheu suchen, „auf sich beruhn zu lassen." Von Zweifelsucht kann, wie uns scheint, bei einem Menschen, der allerhand Dinge gern „auf sich beruhn läßt," schwerlich die Rede sein. So geht es uns auch mit den Rätseln des Jenseits und der Ewigkeit. Wir glauben, was uns gelehrt wird, aber wir fühlen wohl, unser Glaube würde keine Berge versetzen, und zu Blutzeugen würde er uns, fürchten wir, auch kaum gemacht haben. Er ist mehr passiv und beschränkt sich auf ein Nichtbezweifeln, Nichtwider¬ sprechen. Wir sehen, daß wir von der Sache wenig versteh«, und da wir uicht vermessen genug siud, über Dinge zu urteile», für deren Verständnis uns jede Grundlage abgeht, sagen wir zu dem, was uus gelehrt wird, Ja und Amen und rütteln uicht an dem, was in den symbolischen Büchern gelehrt wird. Was wir uns von dem lutherischen Glaubensbekenntnis, von andern Dogmen und allerhand philosophischen Lehrgebäuden wirklich zu eigen gemocht haben, hat sich in unserm Innern zu einem Bilde gestaltet, das wir nicht als Kunstwerk ausgeben möchten, und das sich wahrscheinlich, bei Licht betrachtet, bunt und lückenhaft genug aufnehmen würde, das uns aber so. wie es ist, befriedigt, und das wir mit keinen, andern vertauschen könnten oder möchten. „Mondes nicht für ein andres geben," wie der erste Jäger in Wallensteins Lager sagt. Wir kennen die übliche Redensart, die einen warnt und auf der Hut zu sein rät, weil so ein Sammelsurium von Glaubensbrocken not¬ wendigerweise ein Trugbild des Bösen sei, und nur das Dogma ein bloc selig mache, aber sie macht keinen Eindruck auf uns. Wenn dem lieben Gott daran gelegen wäre, daß wir eine andre Vorstellung von der Sache hätten, so wäre es ihm offenbar ein Leichtes gewesen, uns in diesem andern Sinne Erleuchtung und Be¬ lehrung zukommen zu lassen. Da er es nicht gethan hat, obwohl wir unser Ohr grundsätzlich keiner Stimme verschlossen, und was wir aus die eine oder die andre Weise vernommen hatten, immer nach besten Kräften geprüft haben, so halten wir uns an das, was uns einleuchtet. Das ist das einfachste, und es erlaubt tägliches

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/334>, abgerufen am 01.07.2024.