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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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baren Wesen zu retten, indem ich mich nach meiner Gewohnheit hinter ein
Bild flüchtete. Er berichtet nnn, wie er sich durch seinen Egmont, worin er
(ganz im Gegensatz zur Geschichte) eine solche dämonische Natur zu schildern
versucht, von dem Alp dieser Vorstellung befreite. Denn das Dämonische,
fährt Goethe mit Nachdruck fort, das sich in allem Körperlichen und Unkörper¬
lichen, ja bei den Tieren muss merkwürdigste manifestieren kann, steht vorzugs¬
weise mit den: Menschen im wunderbarsten Zusammenhang und bildet eine der
moralischen Weltordnung wenn nicht entgegengesetzte, so doch sie durchkreuzende
Macht.

Am furchtbarsten aber erscheint das Dämonische, wenn es in irgend einem
Menschen überwiegend hervortritt. "Während meines Lebensganges, erklärt
Goethe, habe ich mehrere, teils in der Nähe, teils in der Ferne, beobachten
können. Es sind nicht immer die vorzüglichsten Menschen, weder an Geist
noch an Talenten, selten durch Herzensgüte sich empfehlend; aber eine un¬
geheure Kraft geht von ihnen aus, und sie üben eine unglaubliche Gewalt
über alle Geschöpfe, ja sogar über die Elemente, und wer kann sagen, wie
weit sich eine solche Wirkung erstrecken wird? Alle vereinten sittlichen Kräfte
vermögen nichts gegen sie; vergebens, daß der hellere Teil der Menschen
sie als Betrogne oder als Betrüger verdächtig machen will, die Masse wird
von ihnen angezogen. Selten oder nie finden sich Gleichzeitige ihresgleichen,
und sie sind durch nichts zu überwinden, als durch das Universum selbst,
mit dein sie den Kampf begonnen; und aus solchen Beobachtungen mag
Wohl jener sonderbare, aber ungeheure Spruch entstanden sein: Usuro ooickrg.
ahnen, rllsi äsus ixss." Soweit die dunkeln Worte Goethes in Wahrheit und
Dichtung.

Es wäre nun interessant, von ihm selbst über das Wesen des Dämonischen,
und was er eigentlich darunter versteht, etwas unser aufgeklärt zu werden
und darüber etwas bestimmteres, vielleicht durch Beispiele erläutert, zu erfahren.
Natürlich ist es ein mißliches Ding, in Goethes poetischen Schöpfungen
-- etwa im Faust, der doch des Dämonischen genug zu enthalten scheint --
nach einer Aufklärung dieses seltsamen Begriffs zu suchen, da die in einer
Dichtung ausgesprochnen Sentenzen nicht immer mit den persönlichen Über¬
zeugungen eines Autors kongruent zu sein brauchen und sich im übrigen zu¬
meist nach dem Prinzip der Thesis und Antithesis bewegen. So dürfte sich
im Faust kaum ein Ausspruch finden, der nicht bei andrer Gelegenheit, Be¬
leuchtung und Stimmung irgendwo sein Gegenteil hervorriefe. Aber in den
Gesprächen Goethes mit Eckermann aus den letzten Lebensjahren des Dichter¬
fürsten -- die eine wahre Fundgrube gerade für die Kenntnis der persönlichen
Anschauungen und Überzeugungen Goethes und der Eigentümlichkeiten seines
Charakters sind -- ist uns die Gelegenheit geboten, auch über den eigent¬
lichen Sinn und die Bedeutung, die er der Idee des Dämonischen beilegte,
Ausklärung zu erhalten, da Eckermann mit richtigem Spürsinn und Verständnis
für die Wichtigkeit des Gegenstands mehrmals die Aufmerksamkeit des greisen
Dichters auf diesen dunkeln Begriff lenkte, und ihn durch geschickt gestellte
Fragen veranlaßte, sich ausführlicher darüber zu äußern.


Grenzboten II 1902 ^

baren Wesen zu retten, indem ich mich nach meiner Gewohnheit hinter ein
Bild flüchtete. Er berichtet nnn, wie er sich durch seinen Egmont, worin er
(ganz im Gegensatz zur Geschichte) eine solche dämonische Natur zu schildern
versucht, von dem Alp dieser Vorstellung befreite. Denn das Dämonische,
fährt Goethe mit Nachdruck fort, das sich in allem Körperlichen und Unkörper¬
lichen, ja bei den Tieren muss merkwürdigste manifestieren kann, steht vorzugs¬
weise mit den: Menschen im wunderbarsten Zusammenhang und bildet eine der
moralischen Weltordnung wenn nicht entgegengesetzte, so doch sie durchkreuzende
Macht.

Am furchtbarsten aber erscheint das Dämonische, wenn es in irgend einem
Menschen überwiegend hervortritt. „Während meines Lebensganges, erklärt
Goethe, habe ich mehrere, teils in der Nähe, teils in der Ferne, beobachten
können. Es sind nicht immer die vorzüglichsten Menschen, weder an Geist
noch an Talenten, selten durch Herzensgüte sich empfehlend; aber eine un¬
geheure Kraft geht von ihnen aus, und sie üben eine unglaubliche Gewalt
über alle Geschöpfe, ja sogar über die Elemente, und wer kann sagen, wie
weit sich eine solche Wirkung erstrecken wird? Alle vereinten sittlichen Kräfte
vermögen nichts gegen sie; vergebens, daß der hellere Teil der Menschen
sie als Betrogne oder als Betrüger verdächtig machen will, die Masse wird
von ihnen angezogen. Selten oder nie finden sich Gleichzeitige ihresgleichen,
und sie sind durch nichts zu überwinden, als durch das Universum selbst,
mit dein sie den Kampf begonnen; und aus solchen Beobachtungen mag
Wohl jener sonderbare, aber ungeheure Spruch entstanden sein: Usuro ooickrg.
ahnen, rllsi äsus ixss." Soweit die dunkeln Worte Goethes in Wahrheit und
Dichtung.

Es wäre nun interessant, von ihm selbst über das Wesen des Dämonischen,
und was er eigentlich darunter versteht, etwas unser aufgeklärt zu werden
und darüber etwas bestimmteres, vielleicht durch Beispiele erläutert, zu erfahren.
Natürlich ist es ein mißliches Ding, in Goethes poetischen Schöpfungen
— etwa im Faust, der doch des Dämonischen genug zu enthalten scheint —
nach einer Aufklärung dieses seltsamen Begriffs zu suchen, da die in einer
Dichtung ausgesprochnen Sentenzen nicht immer mit den persönlichen Über¬
zeugungen eines Autors kongruent zu sein brauchen und sich im übrigen zu¬
meist nach dem Prinzip der Thesis und Antithesis bewegen. So dürfte sich
im Faust kaum ein Ausspruch finden, der nicht bei andrer Gelegenheit, Be¬
leuchtung und Stimmung irgendwo sein Gegenteil hervorriefe. Aber in den
Gesprächen Goethes mit Eckermann aus den letzten Lebensjahren des Dichter¬
fürsten — die eine wahre Fundgrube gerade für die Kenntnis der persönlichen
Anschauungen und Überzeugungen Goethes und der Eigentümlichkeiten seines
Charakters sind — ist uns die Gelegenheit geboten, auch über den eigent¬
lichen Sinn und die Bedeutung, die er der Idee des Dämonischen beilegte,
Ausklärung zu erhalten, da Eckermann mit richtigem Spürsinn und Verständnis
für die Wichtigkeit des Gegenstands mehrmals die Aufmerksamkeit des greisen
Dichters auf diesen dunkeln Begriff lenkte, und ihn durch geschickt gestellte
Fragen veranlaßte, sich ausführlicher darüber zu äußern.


Grenzboten II 1902 ^
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[0329] baren Wesen zu retten, indem ich mich nach meiner Gewohnheit hinter ein Bild flüchtete. Er berichtet nnn, wie er sich durch seinen Egmont, worin er (ganz im Gegensatz zur Geschichte) eine solche dämonische Natur zu schildern versucht, von dem Alp dieser Vorstellung befreite. Denn das Dämonische, fährt Goethe mit Nachdruck fort, das sich in allem Körperlichen und Unkörper¬ lichen, ja bei den Tieren muss merkwürdigste manifestieren kann, steht vorzugs¬ weise mit den: Menschen im wunderbarsten Zusammenhang und bildet eine der moralischen Weltordnung wenn nicht entgegengesetzte, so doch sie durchkreuzende Macht. Am furchtbarsten aber erscheint das Dämonische, wenn es in irgend einem Menschen überwiegend hervortritt. „Während meines Lebensganges, erklärt Goethe, habe ich mehrere, teils in der Nähe, teils in der Ferne, beobachten können. Es sind nicht immer die vorzüglichsten Menschen, weder an Geist noch an Talenten, selten durch Herzensgüte sich empfehlend; aber eine un¬ geheure Kraft geht von ihnen aus, und sie üben eine unglaubliche Gewalt über alle Geschöpfe, ja sogar über die Elemente, und wer kann sagen, wie weit sich eine solche Wirkung erstrecken wird? Alle vereinten sittlichen Kräfte vermögen nichts gegen sie; vergebens, daß der hellere Teil der Menschen sie als Betrogne oder als Betrüger verdächtig machen will, die Masse wird von ihnen angezogen. Selten oder nie finden sich Gleichzeitige ihresgleichen, und sie sind durch nichts zu überwinden, als durch das Universum selbst, mit dein sie den Kampf begonnen; und aus solchen Beobachtungen mag Wohl jener sonderbare, aber ungeheure Spruch entstanden sein: Usuro ooickrg. ahnen, rllsi äsus ixss." Soweit die dunkeln Worte Goethes in Wahrheit und Dichtung. Es wäre nun interessant, von ihm selbst über das Wesen des Dämonischen, und was er eigentlich darunter versteht, etwas unser aufgeklärt zu werden und darüber etwas bestimmteres, vielleicht durch Beispiele erläutert, zu erfahren. Natürlich ist es ein mißliches Ding, in Goethes poetischen Schöpfungen — etwa im Faust, der doch des Dämonischen genug zu enthalten scheint — nach einer Aufklärung dieses seltsamen Begriffs zu suchen, da die in einer Dichtung ausgesprochnen Sentenzen nicht immer mit den persönlichen Über¬ zeugungen eines Autors kongruent zu sein brauchen und sich im übrigen zu¬ meist nach dem Prinzip der Thesis und Antithesis bewegen. So dürfte sich im Faust kaum ein Ausspruch finden, der nicht bei andrer Gelegenheit, Be¬ leuchtung und Stimmung irgendwo sein Gegenteil hervorriefe. Aber in den Gesprächen Goethes mit Eckermann aus den letzten Lebensjahren des Dichter¬ fürsten — die eine wahre Fundgrube gerade für die Kenntnis der persönlichen Anschauungen und Überzeugungen Goethes und der Eigentümlichkeiten seines Charakters sind — ist uns die Gelegenheit geboten, auch über den eigent¬ lichen Sinn und die Bedeutung, die er der Idee des Dämonischen beilegte, Ausklärung zu erhalten, da Eckermann mit richtigem Spürsinn und Verständnis für die Wichtigkeit des Gegenstands mehrmals die Aufmerksamkeit des greisen Dichters auf diesen dunkeln Begriff lenkte, und ihn durch geschickt gestellte Fragen veranlaßte, sich ausführlicher darüber zu äußern. Grenzboten II 1902 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/329>, abgerufen am 01.07.2024.