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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Bahn freit

heit ausfindig machen können," nimmt denn auch der Botschafter in seinen
nächsten Bericht auf; er kommt darauf in einem spätern Privatbricf an den
Staatssekretär zurück, der Fürst Obolensky hat auch eine Anspielung auf etwas
dergleichen gemacht, und so wird denn an dem nicht aufgespaltnen Knochen
solange herumgenagt und herumgcleckt, bis man sich ungefähr einen Begriff
davon zu machen imstande ist, was etwa für eine Sorte Mark darin stecken
könnte. Auch die zur Botschaft gehörenden jüngern Herren durcheilen das
Jagdrevier, schnuppern umher, lassen keine Fährte unversucht. Mit Durch¬
sieben, Auflösen, Klären, Verflüchtigen und Wiederverdichten kommt die Regie¬
rung doch schließlich dazu, etwas zu vermuten, was die Presse nicht weiß, und
was sie sogar mit Herrn von Blowitzens nie Hilfe erfahren wird, weil die
Herren von der Presse doch schließlich für diesen exklusiven und sich authen¬
tische Nachrichten im sublimierten Zustande zuflüsternden Teil der Gesellschaft
olltsi(I"zr8 sind, und man gewisse Dinge nur erschnüffeln kann, wenn man
wirklich zum Schwarm gehört und mittendrin fliegt.

Wir haben diesen kleinen Umweg genommen, um zu dem Schlüsse zu
kommen, daß die Presse -- ihre großen Eigenschaften und Leistungen in
Ehren -- einen Gegenstand wie das französisch-russische Bündnis immer mit
großer Zurückhaltung behandeln sollte, wie vorsichtige Leute etwas zu behandeln
pflegen, was sie nur von einer Seite kennen, und wovon sie wissen, daß andre
es von allen Seiten kennen. Denn es ist doch immerhin sonderbar, daß sich
irgend jemand ohne zwingende Not und ans eignem Antriebe in die falsche
und lächerliche Lage der berühmten Fliege bringen sollte, die auf einem schweren,
von vier Pferden bergauf gezognen Lastwagen sitzend das schwere Werk allein
mit ihren Reden zu gutem Ende und den Wagen auf die Höhe hinauf ge¬
bracht zu haben glaubte.

Ob sich die französische Regierung als Gegenleistung für das von ihr
Rußland zuliebe in Ostasien auf sich Geuommne in Osteuropa und insbesondre
an unsrer Grenze Trommeln und Trompeten hat versprechen lassen, wissen
wir nicht, und wir sind damit, glauben wir, in demselben Falle mit einer
Menge Menschen, die gern etwas darüber hören würden, aber sich bescheiden
den Mund wischen müssen. Die deutsche Regierung wird von einer solchen
Abmachung wohl auch schwerlich mehr als auf Umwegen die allgemeinsten
Umrisse zu erraten bekommen.

Wenn man sich nun sagen muß, daß mau in dieser Sache vom hellen
lichten Tage nichts weiß, und daß mau also weder beurteilen kann, wo die
Gefahr schwebt, noch wie dringlich sie ist, so läge es, sollten wir meinen,
nahe, daß man fürs erste die Negierung sorgen ließe. Wo es allem Ver¬
muten nach darauf ankommen wird, eine gefährliche Konstellation durch einen
raschen und praktischen Schachzug zu neutralisieren, dürfte es doch mehr als
Unverstand sein, wenn der ehrsame Bürger einen solchen Augenblick, für den
die Regierung alle Hände frei haben muß, dazu benutzte, in ungeniertester Weise
auf eigne Hand kurzsichtige, sagen wir zum Beispiel englischfeindliche Gefühls¬
politik zu treiben. Ihn vor solchen unreifen Streichen zu warnen, ist die
Pflicht und der Beruf der Presse. Wie sie ihre Pflicht erfüllt und ihrem


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heit ausfindig machen können," nimmt denn auch der Botschafter in seinen
nächsten Bericht auf; er kommt darauf in einem spätern Privatbricf an den
Staatssekretär zurück, der Fürst Obolensky hat auch eine Anspielung auf etwas
dergleichen gemacht, und so wird denn an dem nicht aufgespaltnen Knochen
solange herumgenagt und herumgcleckt, bis man sich ungefähr einen Begriff
davon zu machen imstande ist, was etwa für eine Sorte Mark darin stecken
könnte. Auch die zur Botschaft gehörenden jüngern Herren durcheilen das
Jagdrevier, schnuppern umher, lassen keine Fährte unversucht. Mit Durch¬
sieben, Auflösen, Klären, Verflüchtigen und Wiederverdichten kommt die Regie¬
rung doch schließlich dazu, etwas zu vermuten, was die Presse nicht weiß, und
was sie sogar mit Herrn von Blowitzens nie Hilfe erfahren wird, weil die
Herren von der Presse doch schließlich für diesen exklusiven und sich authen¬
tische Nachrichten im sublimierten Zustande zuflüsternden Teil der Gesellschaft
olltsi(I«zr8 sind, und man gewisse Dinge nur erschnüffeln kann, wenn man
wirklich zum Schwarm gehört und mittendrin fliegt.

Wir haben diesen kleinen Umweg genommen, um zu dem Schlüsse zu
kommen, daß die Presse — ihre großen Eigenschaften und Leistungen in
Ehren — einen Gegenstand wie das französisch-russische Bündnis immer mit
großer Zurückhaltung behandeln sollte, wie vorsichtige Leute etwas zu behandeln
pflegen, was sie nur von einer Seite kennen, und wovon sie wissen, daß andre
es von allen Seiten kennen. Denn es ist doch immerhin sonderbar, daß sich
irgend jemand ohne zwingende Not und ans eignem Antriebe in die falsche
und lächerliche Lage der berühmten Fliege bringen sollte, die auf einem schweren,
von vier Pferden bergauf gezognen Lastwagen sitzend das schwere Werk allein
mit ihren Reden zu gutem Ende und den Wagen auf die Höhe hinauf ge¬
bracht zu haben glaubte.

Ob sich die französische Regierung als Gegenleistung für das von ihr
Rußland zuliebe in Ostasien auf sich Geuommne in Osteuropa und insbesondre
an unsrer Grenze Trommeln und Trompeten hat versprechen lassen, wissen
wir nicht, und wir sind damit, glauben wir, in demselben Falle mit einer
Menge Menschen, die gern etwas darüber hören würden, aber sich bescheiden
den Mund wischen müssen. Die deutsche Regierung wird von einer solchen
Abmachung wohl auch schwerlich mehr als auf Umwegen die allgemeinsten
Umrisse zu erraten bekommen.

Wenn man sich nun sagen muß, daß mau in dieser Sache vom hellen
lichten Tage nichts weiß, und daß mau also weder beurteilen kann, wo die
Gefahr schwebt, noch wie dringlich sie ist, so läge es, sollten wir meinen,
nahe, daß man fürs erste die Negierung sorgen ließe. Wo es allem Ver¬
muten nach darauf ankommen wird, eine gefährliche Konstellation durch einen
raschen und praktischen Schachzug zu neutralisieren, dürfte es doch mehr als
Unverstand sein, wenn der ehrsame Bürger einen solchen Augenblick, für den
die Regierung alle Hände frei haben muß, dazu benutzte, in ungeniertester Weise
auf eigne Hand kurzsichtige, sagen wir zum Beispiel englischfeindliche Gefühls¬
politik zu treiben. Ihn vor solchen unreifen Streichen zu warnen, ist die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/246>, abgerufen am 22.07.2024.