is der Kirchenhistoriker Professor Ehrhard vor drei Jahren an die Wiener Universität berufen wurde, ging ihm der Ruf eines bedeutenden Gelehrten voraus, und auch die strengkatholischen Kreise waren darüber einig, daß die Wahl nach jeder Richtung hin ausgezeichnet sei. Heute bedauert die katholische Orthodoxie ehr vorschnelles Urteil. Seit Professor Ehrhard vor einigen Wochen sein Buch über den "Katholizismus und das zwanzigste Jahrhundert" herausgegeben hat, ^ er für den erlesenen Kreis derer, die sich allein nicht nur für berufen, sondern auch für auserwählt erachten, zum Ketzer und gefährlichen Neuerer geworden, und das Organ des Linzer Bischofs war schon so freundlich, ihm glückliche Reise -- ins Ausland zu wünschen. Und wodurch hat sich Professor Ehrhard den heilige" Zorn des in Österreich wohl nicht mehr nach unten aber Nach uoch sehr mächtigen starren katholischen Konservatismus zugezogen? Hatte er in seinein Buche etwa den Boden positiven Glaubens verlassen, wollte ^ eine neue Kirche gründen? Nein, im Gegenteil, der Gedanke, der sein Werk Durchzieht, ist einfach der: Die katholische Kirche muß den straffen Zentralismus, "^n in Rom in neuerer Zeit gehuldigt wird, mildern und sich mit den Waffen Modernen Geistes rüsten, um den unter den Katholiken immer weiter um sich greifenden Indifferentismus zu besiegen. -- Etwas schärfer faßte vor kurzem °er Professor des kanonischen Rechts an der Innsbrucker Universität or. Wahr- 'rund diese Forderung, indem er erklärte, die katholische Kirche müsse, um eine ^ulturmacht zu bleiben und die Herrschaft über die Geister wieder zu erlangen, mit der modernen Kultur versöhnen; denn thue sie das nicht, und behalte ^ gewisse überlebte, die Intelligenz abstoßende Formen bei, dann würde sie ^'r Pggtnienreligion herabsinken, die nur noch in den entlegnen Hütten der Weinbauern und Alpler ihr Dasein fristen werde.
Wenn man bedenkt, wie wenig der katholische Konservatismus in Oster¬ reich hin wechselnden Regierungen nach josephinischen Rezept als wich- "ges Pvlizeiinstitnt begünstigt und beschützt -- bis vor kurzem die Nötigung
Grenzboten II 1902 22
Österreichisches
^. Der 'Katholizismus in Osterreich
is der Kirchenhistoriker Professor Ehrhard vor drei Jahren an die Wiener Universität berufen wurde, ging ihm der Ruf eines bedeutenden Gelehrten voraus, und auch die strengkatholischen Kreise waren darüber einig, daß die Wahl nach jeder Richtung hin ausgezeichnet sei. Heute bedauert die katholische Orthodoxie ehr vorschnelles Urteil. Seit Professor Ehrhard vor einigen Wochen sein Buch über den „Katholizismus und das zwanzigste Jahrhundert" herausgegeben hat, ^ er für den erlesenen Kreis derer, die sich allein nicht nur für berufen, sondern auch für auserwählt erachten, zum Ketzer und gefährlichen Neuerer geworden, und das Organ des Linzer Bischofs war schon so freundlich, ihm glückliche Reise — ins Ausland zu wünschen. Und wodurch hat sich Professor Ehrhard den heilige» Zorn des in Österreich wohl nicht mehr nach unten aber Nach uoch sehr mächtigen starren katholischen Konservatismus zugezogen? Hatte er in seinein Buche etwa den Boden positiven Glaubens verlassen, wollte ^ eine neue Kirche gründen? Nein, im Gegenteil, der Gedanke, der sein Werk Durchzieht, ist einfach der: Die katholische Kirche muß den straffen Zentralismus, "^n in Rom in neuerer Zeit gehuldigt wird, mildern und sich mit den Waffen Modernen Geistes rüsten, um den unter den Katholiken immer weiter um sich greifenden Indifferentismus zu besiegen. — Etwas schärfer faßte vor kurzem °er Professor des kanonischen Rechts an der Innsbrucker Universität or. Wahr- 'rund diese Forderung, indem er erklärte, die katholische Kirche müsse, um eine ^ulturmacht zu bleiben und die Herrschaft über die Geister wieder zu erlangen, mit der modernen Kultur versöhnen; denn thue sie das nicht, und behalte ^ gewisse überlebte, die Intelligenz abstoßende Formen bei, dann würde sie ^'r Pggtnienreligion herabsinken, die nur noch in den entlegnen Hütten der Weinbauern und Alpler ihr Dasein fristen werde.
Wenn man bedenkt, wie wenig der katholische Konservatismus in Oster¬ reich hin wechselnden Regierungen nach josephinischen Rezept als wich- "ges Pvlizeiinstitnt begünstigt und beschützt — bis vor kurzem die Nötigung
Grenzboten II 1902 22
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Österreichisches
^. Der 'Katholizismus in Osterreich
is der Kirchenhistoriker Professor Ehrhard vor drei Jahren an
die Wiener Universität berufen wurde, ging ihm der Ruf eines
bedeutenden Gelehrten voraus, und auch die strengkatholischen
Kreise waren darüber einig, daß die Wahl nach jeder Richtung
hin ausgezeichnet sei. Heute bedauert die katholische Orthodoxie
ehr vorschnelles Urteil. Seit Professor Ehrhard vor einigen Wochen sein Buch
über den „Katholizismus und das zwanzigste Jahrhundert" herausgegeben hat,
^ er für den erlesenen Kreis derer, die sich allein nicht nur für berufen,
sondern auch für auserwählt erachten, zum Ketzer und gefährlichen Neuerer
geworden, und das Organ des Linzer Bischofs war schon so freundlich, ihm
glückliche Reise — ins Ausland zu wünschen. Und wodurch hat sich Professor
Ehrhard den heilige» Zorn des in Österreich wohl nicht mehr nach unten aber
Nach uoch sehr mächtigen starren katholischen Konservatismus zugezogen?
Hatte er in seinein Buche etwa den Boden positiven Glaubens verlassen, wollte
^ eine neue Kirche gründen? Nein, im Gegenteil, der Gedanke, der sein Werk
Durchzieht, ist einfach der: Die katholische Kirche muß den straffen Zentralismus,
"^n in Rom in neuerer Zeit gehuldigt wird, mildern und sich mit den Waffen
Modernen Geistes rüsten, um den unter den Katholiken immer weiter um sich
greifenden Indifferentismus zu besiegen. — Etwas schärfer faßte vor kurzem
°er Professor des kanonischen Rechts an der Innsbrucker Universität or. Wahr-
'rund diese Forderung, indem er erklärte, die katholische Kirche müsse, um eine
^ulturmacht zu bleiben und die Herrschaft über die Geister wieder zu erlangen,
mit der modernen Kultur versöhnen; denn thue sie das nicht, und behalte
^ gewisse überlebte, die Intelligenz abstoßende Formen bei, dann würde sie
^'r Pggtnienreligion herabsinken, die nur noch in den entlegnen Hütten der
Weinbauern und Alpler ihr Dasein fristen werde.
Wenn man bedenkt, wie wenig der katholische Konservatismus in Oster¬
reich hin wechselnden Regierungen nach josephinischen Rezept als wich-
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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/177>, abgerufen am 24.01.2025.
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