Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Beethoven als Märtyrer

tauntlich dieser Losung durchaus angepaßt viorden; man begnügt sich aber
damit nicht, sondern die ganze Komponisteitgeschichte bis ins sechzehnte Jahr¬
hundert zurück wird allmählich zur Märthrergeschichte umgewandelt. Das ist
nicht mrbedenklich, muß einmal vor der Musik abschrecken, zum andern junge
Musiker zur Überspanntheit und zu einem Übermut verleiten, der Rücksichten
auf diese blinde Welt für Schwäche und verwegne, ungewöhnliche Stücke für
seine Pflicht hält.

Schon darum empfiehlt es sich, die Lehre vom leidenden Genius immer
wieder zur Debatte zu stellen und an der Wirklichkeit zu prüfen. Wir greifen
zu diesem Zweck den Fall Beethoven heraus, nicht bloß weil Beethovens Ge¬
burtstag in der Nähe, sondern weil Beethoven ohne Zweifel der nach Wagner
am meisten bedauerte Komponist ist.

In den kleinen biographischen Beiträgen der ältern Zeit wird auch
Beethovens Leben und Schicksal optimistisch aufgefaßt, auch die Biographie
Anton Schindlers, die erste ausführlichere, trügt noch diesen Charakter, nur
polemisiert sie etwas stärker. Diese Polemik maßlos ausbeutend hat dann
Ludwig Rost nachzuweisen gesucht, daß die mitlebende Welt gegen den Meister
der Sinfonie eine Niesenschuld auf sich geladen habe. Nachdem schon Hanslick
das Wiener Publikum, Kvchel den Erzherzog Rudolf gegen diesen Vorwurf
in Schutz genommen hatten, ist durch Thayers Biographie mit wohlthuender,
gesunder Nüchternheit und aktenmüßig nobis phrasenreicher Hohlbau niedergelegt
worden. Daß aber Thaher für die Parteiköpfe gar nicht existiert, bewies bei
den vorjährigen Neichstagsverhaudlungen über die Verlängerung der Schutzfrist
für musikalische Kompositionen ein von allen Zeitungen gebrachter Bayreuther
Brief, der unter andern unpassenden Parndepferdm des deutschen Musikclends
auch den Fall Beethoven wieder vorritt.

Nun wird kein vernünftiger Mensch leugnen wollen, daß mancherlei Beet¬
hovens Leben getrübt hat: seine Kindheit war hart, in den Frühling voller
Kraft und glänzender Zuknnftsaussichten fiel der Schatten des Gehörverlnsts,
das eingetretne Unglück verbitterte das edle Gemüt des reifen Mannes, Mi߬
trauen, Unbehilflichkeit und sonstige Begleiterscheinungen der Taubheit ver¬
größerten ihm die kleinen Unannehmlichkeiten des Hausstands und der Ge¬
schäfte, die Sorgen um die Erziehung des Neffen drückten ihn mit unnatür-
licher Schwere. Aber was konnte da die Welt dafür? Das Einzige, wofür
sie verantwortlich gemacht werden könnte, wäre die Hemmung, Verkennung und
Anfeindung von Beethovens Talent.

Auch wenn eine Untersuchung dieses Punkts nur schon gethane Arbeit
wiederholt und auf neue Daten im wissenschaftlichen Sinne verzichten muß,
kann sie doch dadurch nützen, daß sie die Wichtigkeit einzelner Thatsachen
Heller beleuchtet. Unter denen, die für die Beethovensche Zeit sprechen, sind
etliche von den Biographen noch gar nicht, andre nicht gründlich genng beuutzt
worden.

In dem gegen die Zeitgenossen Beethovens vorgebrachten Belastungs¬
material haben wir drei Hauptposten: Klagen und Verstinnnungen, über die
Besucher und seine eignen Briefe berichten, absprechende Urteile einzelner mit-


Beethoven als Märtyrer

tauntlich dieser Losung durchaus angepaßt viorden; man begnügt sich aber
damit nicht, sondern die ganze Komponisteitgeschichte bis ins sechzehnte Jahr¬
hundert zurück wird allmählich zur Märthrergeschichte umgewandelt. Das ist
nicht mrbedenklich, muß einmal vor der Musik abschrecken, zum andern junge
Musiker zur Überspanntheit und zu einem Übermut verleiten, der Rücksichten
auf diese blinde Welt für Schwäche und verwegne, ungewöhnliche Stücke für
seine Pflicht hält.

Schon darum empfiehlt es sich, die Lehre vom leidenden Genius immer
wieder zur Debatte zu stellen und an der Wirklichkeit zu prüfen. Wir greifen
zu diesem Zweck den Fall Beethoven heraus, nicht bloß weil Beethovens Ge¬
burtstag in der Nähe, sondern weil Beethoven ohne Zweifel der nach Wagner
am meisten bedauerte Komponist ist.

In den kleinen biographischen Beiträgen der ältern Zeit wird auch
Beethovens Leben und Schicksal optimistisch aufgefaßt, auch die Biographie
Anton Schindlers, die erste ausführlichere, trügt noch diesen Charakter, nur
polemisiert sie etwas stärker. Diese Polemik maßlos ausbeutend hat dann
Ludwig Rost nachzuweisen gesucht, daß die mitlebende Welt gegen den Meister
der Sinfonie eine Niesenschuld auf sich geladen habe. Nachdem schon Hanslick
das Wiener Publikum, Kvchel den Erzherzog Rudolf gegen diesen Vorwurf
in Schutz genommen hatten, ist durch Thayers Biographie mit wohlthuender,
gesunder Nüchternheit und aktenmüßig nobis phrasenreicher Hohlbau niedergelegt
worden. Daß aber Thaher für die Parteiköpfe gar nicht existiert, bewies bei
den vorjährigen Neichstagsverhaudlungen über die Verlängerung der Schutzfrist
für musikalische Kompositionen ein von allen Zeitungen gebrachter Bayreuther
Brief, der unter andern unpassenden Parndepferdm des deutschen Musikclends
auch den Fall Beethoven wieder vorritt.

Nun wird kein vernünftiger Mensch leugnen wollen, daß mancherlei Beet¬
hovens Leben getrübt hat: seine Kindheit war hart, in den Frühling voller
Kraft und glänzender Zuknnftsaussichten fiel der Schatten des Gehörverlnsts,
das eingetretne Unglück verbitterte das edle Gemüt des reifen Mannes, Mi߬
trauen, Unbehilflichkeit und sonstige Begleiterscheinungen der Taubheit ver¬
größerten ihm die kleinen Unannehmlichkeiten des Hausstands und der Ge¬
schäfte, die Sorgen um die Erziehung des Neffen drückten ihn mit unnatür-
licher Schwere. Aber was konnte da die Welt dafür? Das Einzige, wofür
sie verantwortlich gemacht werden könnte, wäre die Hemmung, Verkennung und
Anfeindung von Beethovens Talent.

Auch wenn eine Untersuchung dieses Punkts nur schon gethane Arbeit
wiederholt und auf neue Daten im wissenschaftlichen Sinne verzichten muß,
kann sie doch dadurch nützen, daß sie die Wichtigkeit einzelner Thatsachen
Heller beleuchtet. Unter denen, die für die Beethovensche Zeit sprechen, sind
etliche von den Biographen noch gar nicht, andre nicht gründlich genng beuutzt
worden.

In dem gegen die Zeitgenossen Beethovens vorgebrachten Belastungs¬
material haben wir drei Hauptposten: Klagen und Verstinnnungen, über die
Besucher und seine eignen Briefe berichten, absprechende Urteile einzelner mit-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0088" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236612"/>
          <fw type="header" place="top"> Beethoven als Märtyrer</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_295" prev="#ID_294"> tauntlich dieser Losung durchaus angepaßt viorden; man begnügt sich aber<lb/>
damit nicht, sondern die ganze Komponisteitgeschichte bis ins sechzehnte Jahr¬<lb/>
hundert zurück wird allmählich zur Märthrergeschichte umgewandelt. Das ist<lb/>
nicht mrbedenklich, muß einmal vor der Musik abschrecken, zum andern junge<lb/>
Musiker zur Überspanntheit und zu einem Übermut verleiten, der Rücksichten<lb/>
auf diese blinde Welt für Schwäche und verwegne, ungewöhnliche Stücke für<lb/>
seine Pflicht hält.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_296"> Schon darum empfiehlt es sich, die Lehre vom leidenden Genius immer<lb/>
wieder zur Debatte zu stellen und an der Wirklichkeit zu prüfen. Wir greifen<lb/>
zu diesem Zweck den Fall Beethoven heraus, nicht bloß weil Beethovens Ge¬<lb/>
burtstag in der Nähe, sondern weil Beethoven ohne Zweifel der nach Wagner<lb/>
am meisten bedauerte Komponist ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_297"> In den kleinen biographischen Beiträgen der ältern Zeit wird auch<lb/>
Beethovens Leben und Schicksal optimistisch aufgefaßt, auch die Biographie<lb/>
Anton Schindlers, die erste ausführlichere, trügt noch diesen Charakter, nur<lb/>
polemisiert sie etwas stärker. Diese Polemik maßlos ausbeutend hat dann<lb/>
Ludwig Rost nachzuweisen gesucht, daß die mitlebende Welt gegen den Meister<lb/>
der Sinfonie eine Niesenschuld auf sich geladen habe. Nachdem schon Hanslick<lb/>
das Wiener Publikum, Kvchel den Erzherzog Rudolf gegen diesen Vorwurf<lb/>
in Schutz genommen hatten, ist durch Thayers Biographie mit wohlthuender,<lb/>
gesunder Nüchternheit und aktenmüßig nobis phrasenreicher Hohlbau niedergelegt<lb/>
worden. Daß aber Thaher für die Parteiköpfe gar nicht existiert, bewies bei<lb/>
den vorjährigen Neichstagsverhaudlungen über die Verlängerung der Schutzfrist<lb/>
für musikalische Kompositionen ein von allen Zeitungen gebrachter Bayreuther<lb/>
Brief, der unter andern unpassenden Parndepferdm des deutschen Musikclends<lb/>
auch den Fall Beethoven wieder vorritt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_298"> Nun wird kein vernünftiger Mensch leugnen wollen, daß mancherlei Beet¬<lb/>
hovens Leben getrübt hat: seine Kindheit war hart, in den Frühling voller<lb/>
Kraft und glänzender Zuknnftsaussichten fiel der Schatten des Gehörverlnsts,<lb/>
das eingetretne Unglück verbitterte das edle Gemüt des reifen Mannes, Mi߬<lb/>
trauen, Unbehilflichkeit und sonstige Begleiterscheinungen der Taubheit ver¬<lb/>
größerten ihm die kleinen Unannehmlichkeiten des Hausstands und der Ge¬<lb/>
schäfte, die Sorgen um die Erziehung des Neffen drückten ihn mit unnatür-<lb/>
licher Schwere. Aber was konnte da die Welt dafür? Das Einzige, wofür<lb/>
sie verantwortlich gemacht werden könnte, wäre die Hemmung, Verkennung und<lb/>
Anfeindung von Beethovens Talent.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_299"> Auch wenn eine Untersuchung dieses Punkts nur schon gethane Arbeit<lb/>
wiederholt und auf neue Daten im wissenschaftlichen Sinne verzichten muß,<lb/>
kann sie doch dadurch nützen, daß sie die Wichtigkeit einzelner Thatsachen<lb/>
Heller beleuchtet. Unter denen, die für die Beethovensche Zeit sprechen, sind<lb/>
etliche von den Biographen noch gar nicht, andre nicht gründlich genng beuutzt<lb/>
worden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_300" next="#ID_301"> In dem gegen die Zeitgenossen Beethovens vorgebrachten Belastungs¬<lb/>
material haben wir drei Hauptposten: Klagen und Verstinnnungen, über die<lb/>
Besucher und seine eignen Briefe berichten, absprechende Urteile einzelner mit-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0088] Beethoven als Märtyrer tauntlich dieser Losung durchaus angepaßt viorden; man begnügt sich aber damit nicht, sondern die ganze Komponisteitgeschichte bis ins sechzehnte Jahr¬ hundert zurück wird allmählich zur Märthrergeschichte umgewandelt. Das ist nicht mrbedenklich, muß einmal vor der Musik abschrecken, zum andern junge Musiker zur Überspanntheit und zu einem Übermut verleiten, der Rücksichten auf diese blinde Welt für Schwäche und verwegne, ungewöhnliche Stücke für seine Pflicht hält. Schon darum empfiehlt es sich, die Lehre vom leidenden Genius immer wieder zur Debatte zu stellen und an der Wirklichkeit zu prüfen. Wir greifen zu diesem Zweck den Fall Beethoven heraus, nicht bloß weil Beethovens Ge¬ burtstag in der Nähe, sondern weil Beethoven ohne Zweifel der nach Wagner am meisten bedauerte Komponist ist. In den kleinen biographischen Beiträgen der ältern Zeit wird auch Beethovens Leben und Schicksal optimistisch aufgefaßt, auch die Biographie Anton Schindlers, die erste ausführlichere, trügt noch diesen Charakter, nur polemisiert sie etwas stärker. Diese Polemik maßlos ausbeutend hat dann Ludwig Rost nachzuweisen gesucht, daß die mitlebende Welt gegen den Meister der Sinfonie eine Niesenschuld auf sich geladen habe. Nachdem schon Hanslick das Wiener Publikum, Kvchel den Erzherzog Rudolf gegen diesen Vorwurf in Schutz genommen hatten, ist durch Thayers Biographie mit wohlthuender, gesunder Nüchternheit und aktenmüßig nobis phrasenreicher Hohlbau niedergelegt worden. Daß aber Thaher für die Parteiköpfe gar nicht existiert, bewies bei den vorjährigen Neichstagsverhaudlungen über die Verlängerung der Schutzfrist für musikalische Kompositionen ein von allen Zeitungen gebrachter Bayreuther Brief, der unter andern unpassenden Parndepferdm des deutschen Musikclends auch den Fall Beethoven wieder vorritt. Nun wird kein vernünftiger Mensch leugnen wollen, daß mancherlei Beet¬ hovens Leben getrübt hat: seine Kindheit war hart, in den Frühling voller Kraft und glänzender Zuknnftsaussichten fiel der Schatten des Gehörverlnsts, das eingetretne Unglück verbitterte das edle Gemüt des reifen Mannes, Mi߬ trauen, Unbehilflichkeit und sonstige Begleiterscheinungen der Taubheit ver¬ größerten ihm die kleinen Unannehmlichkeiten des Hausstands und der Ge¬ schäfte, die Sorgen um die Erziehung des Neffen drückten ihn mit unnatür- licher Schwere. Aber was konnte da die Welt dafür? Das Einzige, wofür sie verantwortlich gemacht werden könnte, wäre die Hemmung, Verkennung und Anfeindung von Beethovens Talent. Auch wenn eine Untersuchung dieses Punkts nur schon gethane Arbeit wiederholt und auf neue Daten im wissenschaftlichen Sinne verzichten muß, kann sie doch dadurch nützen, daß sie die Wichtigkeit einzelner Thatsachen Heller beleuchtet. Unter denen, die für die Beethovensche Zeit sprechen, sind etliche von den Biographen noch gar nicht, andre nicht gründlich genng beuutzt worden. In dem gegen die Zeitgenossen Beethovens vorgebrachten Belastungs¬ material haben wir drei Hauptposten: Klagen und Verstinnnungen, über die Besucher und seine eignen Briefe berichten, absprechende Urteile einzelner mit-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/88
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/88>, abgerufen am 27.09.2024.