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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Unser Unser und die Kunst

halb Mensch, halb Fisch oder Schnecke oder Pilz, daß Gott erbarm! Dazu die
gewundnen bunten Nahmen von Pappe oder Holz mit ihren verschlungnen
Linien in den wunderlichsten Farben, in die dann eine Photographie gesteckt
ist nach irgend einem Bilde von einem der "Großen," Nicht als ob die
die "Reklame" nötig hätten, die den Kaiser unungenehm berührt, sondern
es sind dies die Ölgemälde des Volks, das sich keine gemalten Bilder kaufen
kann.

Diese Bilderrahmen gehören zum Mobiliar des modernen Stils, das der
Kaiser wohl zur Möblierung seiner Schiffskajüteu oder andrer für die Re¬
präsentation unwesentlicher Räume verwenden läßt, sonst aber zieht er historische
Formen vor, und besonders liebt er das Rokoko wie einst Friedrich der Große,
Er hat auch schon kostbare Sachen der Art anfertigen lassen, als Privatmann
für seinen persönlichen Geschmack, was man ihm jedoch nicht so hoch anrechnet,
wie wenn er als Landesvater die Moderne gefördert hätte gleich dein fürst¬
lichen Vetter in Darmstadt, der nun nach soviel Huld und Hingebung an el"
unter herausforderndem Selbstlob verkrachtes Unternehmen als Kuustmäeen
um einige Erfahrungen reicher geworden ist. Hätte aber die Darmstädter
Kolonie auch Erfolg gehabt, denken wir uns z. B, das Ganze in viel gro߬
artigern Dimensionen und einen Fürsten von des Kaisers Energie und Einfluß
als Gönner dazu: bliebe das alles nicht doch klein und kümmerlich gegenüber
der glanzvollen und ganz neugeschaffnem Kunstindustrie, die einst Colbert unter
Ludwig XIV, ins Leben rief? Da wiegt jedes Stück noch heute und hat
seinen Wert nicht verloren, da lohnte es sich, Protektor zu sein, aber jetzt?
Ich komme zu meinem Weg, könnte der Kaiser mit den Worten eines Vor¬
fahren den modernen Möbelkünstleru sagen, wenn ihr mir auch erst soweit
seid, etwas zu machen, was den Vergleich mit denen da aushält! Bis dahin
aber -- Und weil das Möbel im Verhältnis zur Architektur steht, so kommen
wir hier mit einem Rösselsprung anch noch auf den neuen Berliner Dom und
seinen italienische" Renaissaneestil zu sprechen. Wir erinnern uns dabei un¬
nötigerweise, weil es unsre Position zu der Kunst des Kaisers nicht vereinfacht,
des Falles der Maria von Medici, für die Rubens jene oben erwähnten
Bilder malte, Sie hatte vorher ihren französischen Architekten beauftragt,
ihr einen Palast zu bauen mit möglichster Anlehnung an den Palazzo Pitti
in Florenz, wo sie ihre Jugend verbracht hatte, und er schuf ihr das
Luxembourg, den schönsten Reuaissaircepalnst in ganz Paris, den keiner für
italienisch, jeder auf den ersten Blick für französisch halten wird. Wen"
nun in dem Berliner Dom, wie die Architekten uns sagen, kein künstlerisches
Verdienst steckt, Raschdorff also kein Debrosse ist, wenn aber der Kaiser
einen Monumentalbau habe" wollte, für deu er an diesem Platz einen mittel¬
alterlichen Stil nicht brauchen konnte, und wenn er sich zu einem Experiment
mit der neuzeitlichen Bauweise, die Brücken, Bahnhöfe und Warenhäuser
aufgeführt hat, und in der wir wahrscheinlich alle mit Ausnahme vielleicht der
Allermodernsten einstweilen noch keine Kirche gebaut haben möchten, nicht
entschließen konnte: liegt dem, das alles an dem Kaiser oder an der Bankunst
seiner Zeit?


Unser Unser und die Kunst

halb Mensch, halb Fisch oder Schnecke oder Pilz, daß Gott erbarm! Dazu die
gewundnen bunten Nahmen von Pappe oder Holz mit ihren verschlungnen
Linien in den wunderlichsten Farben, in die dann eine Photographie gesteckt
ist nach irgend einem Bilde von einem der „Großen," Nicht als ob die
die „Reklame" nötig hätten, die den Kaiser unungenehm berührt, sondern
es sind dies die Ölgemälde des Volks, das sich keine gemalten Bilder kaufen
kann.

Diese Bilderrahmen gehören zum Mobiliar des modernen Stils, das der
Kaiser wohl zur Möblierung seiner Schiffskajüteu oder andrer für die Re¬
präsentation unwesentlicher Räume verwenden läßt, sonst aber zieht er historische
Formen vor, und besonders liebt er das Rokoko wie einst Friedrich der Große,
Er hat auch schon kostbare Sachen der Art anfertigen lassen, als Privatmann
für seinen persönlichen Geschmack, was man ihm jedoch nicht so hoch anrechnet,
wie wenn er als Landesvater die Moderne gefördert hätte gleich dein fürst¬
lichen Vetter in Darmstadt, der nun nach soviel Huld und Hingebung an el»
unter herausforderndem Selbstlob verkrachtes Unternehmen als Kuustmäeen
um einige Erfahrungen reicher geworden ist. Hätte aber die Darmstädter
Kolonie auch Erfolg gehabt, denken wir uns z. B, das Ganze in viel gro߬
artigern Dimensionen und einen Fürsten von des Kaisers Energie und Einfluß
als Gönner dazu: bliebe das alles nicht doch klein und kümmerlich gegenüber
der glanzvollen und ganz neugeschaffnem Kunstindustrie, die einst Colbert unter
Ludwig XIV, ins Leben rief? Da wiegt jedes Stück noch heute und hat
seinen Wert nicht verloren, da lohnte es sich, Protektor zu sein, aber jetzt?
Ich komme zu meinem Weg, könnte der Kaiser mit den Worten eines Vor¬
fahren den modernen Möbelkünstleru sagen, wenn ihr mir auch erst soweit
seid, etwas zu machen, was den Vergleich mit denen da aushält! Bis dahin
aber — Und weil das Möbel im Verhältnis zur Architektur steht, so kommen
wir hier mit einem Rösselsprung anch noch auf den neuen Berliner Dom und
seinen italienische» Renaissaneestil zu sprechen. Wir erinnern uns dabei un¬
nötigerweise, weil es unsre Position zu der Kunst des Kaisers nicht vereinfacht,
des Falles der Maria von Medici, für die Rubens jene oben erwähnten
Bilder malte, Sie hatte vorher ihren französischen Architekten beauftragt,
ihr einen Palast zu bauen mit möglichster Anlehnung an den Palazzo Pitti
in Florenz, wo sie ihre Jugend verbracht hatte, und er schuf ihr das
Luxembourg, den schönsten Reuaissaircepalnst in ganz Paris, den keiner für
italienisch, jeder auf den ersten Blick für französisch halten wird. Wen»
nun in dem Berliner Dom, wie die Architekten uns sagen, kein künstlerisches
Verdienst steckt, Raschdorff also kein Debrosse ist, wenn aber der Kaiser
einen Monumentalbau habe» wollte, für deu er an diesem Platz einen mittel¬
alterlichen Stil nicht brauchen konnte, und wenn er sich zu einem Experiment
mit der neuzeitlichen Bauweise, die Brücken, Bahnhöfe und Warenhäuser
aufgeführt hat, und in der wir wahrscheinlich alle mit Ausnahme vielleicht der
Allermodernsten einstweilen noch keine Kirche gebaut haben möchten, nicht
entschließen konnte: liegt dem, das alles an dem Kaiser oder an der Bankunst
seiner Zeit?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/84>, abgerufen am 27.09.2024.