Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.ebenso hinausgetrieben. wie sie aus dem großen Atomhnufen Welt das Ge¬ Die atheistische Philosophie war notwendig, weil Staat und Kirche i.ut ebenso hinausgetrieben. wie sie aus dem großen Atomhnufen Welt das Ge¬ Die atheistische Philosophie war notwendig, weil Staat und Kirche i.ut <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0735" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237259"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_3049" prev="#ID_3048"> ebenso hinausgetrieben. wie sie aus dem großen Atomhnufen Welt das Ge¬<lb/> spenst Gott hinausgetrieben hat; und obwohl 'für den gemeinen Verstand eine<lb/> Empfindung ohne empfindendes Subjekt ein ewig unverdaulicher Bissen bleiben<lb/> wird, haben wir doch, die „Wissenschaft" befiehlt es, im Menschen weiter nichts<lb/> zu sehen als einen Komplex von Empfindungen. Dieser Komplex ist bedeutend<lb/> weniger, als ehedem ein Vieh war, denn ein Vieh war em Tier, das und<lb/> einem Menschengeiste in Wechselwirkung stand und dadurch selbst ein wenig<lb/> Geist wurde, aber Geist giebt es eben nicht mehr.</p><lb/> <p xml:id="ID_3050" next="#ID_3051"> Die atheistische Philosophie war notwendig, weil Staat und Kirche i.ut<lb/> Gott und dem Christentum Mißbrauch getrieben und sie zu Mitteln der Herrsch¬<lb/> sucht, der Ausbeutung, des Gewisses herabgewürdigt hatten. Es mußte von<lb/> den Vernünftigen gesagt werden, daß sie an den Gott, den dieser Staat und<lb/> diese Kirche verkündigten, nicht mehr zu glauben vermöchten. Aber diese Ver¬<lb/> nünftigen: Bourgeoisie und zünftiges Gelehrtentum. machten es. nachdem fie<lb/> die Monarchie, den Adel »ut den Klerus in der Herrschaft abgelöst hatten,<lb/> nicht besser als ihre Vorgänger. Sie vereinigten sich zu einer Kirche des<lb/> Atheismus, verbargen diesen ihren Atheismus unter allerlei bildlichen Redens¬<lb/> arten und ließen die Kirchen als Schafställe fürs Volk bestehn uuter der Be¬<lb/> dingung, daß die Schafzucht in ihren, Dienst und in ihrem Interesse betrieben<lb/> würde. Dan.it war die geschichtliche Notwendigkeit von Marx und seiner<lb/> Sozialdemokratie gegeben. Diese beiden haben bewiesen, daß in der Zeit der<lb/> Maschinenpresse der Kult des reinen Menschentums von den Herrschenden nicht<lb/> 'mehr als Privilegium monopolisiert und in einer Geheimkirche betrieben werden<lb/> kann. Das Volk bekennt sich jetzt zu dieser neuen Religion, und die Herrschenden<lb/> sehen sich vor die Wahl gestellt, ob sie dein Volke das menschenwürdige Dasein<lb/> verschaffe oder ihre Religion für falsch erklären und zum Christentum, und<lb/> zwar zu einem nicht erheuchelte» und uicht gemißbrauchten Christentum zurück¬<lb/> kehren wollen, das selbstverständlich den Herrschenden die Verpflichtung auf¬<lb/> erlegt, much den Massen die materiellem Bedingungen des Menschentums zu¬<lb/> züglich zu machen, soweit es in ihren Kräften steht. Daß die ökonomische<lb/> Freiheit zunächst mehr Unmenschentnm als Menschentum schafft, hat sich la<lb/> Marx selbst in.zuerkennen gezwungen gesehen, und es ist sehr hübsch wie er<lb/> - wir haben das auch und schon wiederholt gethan - in der Rezension<lb/> von Bauers zweitem Artikel zeigte, daß der Ji.de. d. h. der rücksichtslose<lb/> "ut schlaue dem Mammonsdicnst ergebne Egoist, nichts andres .se als der<lb/> moderne Kaltsinn.n (welcher heutige Mensch aber, außer dem Beamten, wäre<lb/> nicht Kaufmann?), und daß das moderne Erwerbsleben in allen zivili¬<lb/> sierten Staaten unaufhörlich den Juden, wie er von den Antisemiten be¬<lb/> schrieben wird, in unzähligen Exemplaren germanischer und romanischer Ab-<lb/> stcimmuug, vorzugsweise aber bei den Angelsachsen hervorbringt. Die bürger¬<lb/> liche Gesellschaft hat sich bei Marx noch besonders dafür zu bedanken, daß<lb/> er den Atheismus in seiner inkonsequenten Form, in der idealistischen, unter<lb/> dein Volke verbreitet hat; wird er erst in der Form allgemein, deren ein¬<lb/> ziges Moralgebot die Selbstbehauptung im Kampfe ums Dasein ist, dann wird<lb/> man noch allerlei Überraschungen erleben. Wendet sich dagegen die Wissen-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0735]
ebenso hinausgetrieben. wie sie aus dem großen Atomhnufen Welt das Ge¬
spenst Gott hinausgetrieben hat; und obwohl 'für den gemeinen Verstand eine
Empfindung ohne empfindendes Subjekt ein ewig unverdaulicher Bissen bleiben
wird, haben wir doch, die „Wissenschaft" befiehlt es, im Menschen weiter nichts
zu sehen als einen Komplex von Empfindungen. Dieser Komplex ist bedeutend
weniger, als ehedem ein Vieh war, denn ein Vieh war em Tier, das und
einem Menschengeiste in Wechselwirkung stand und dadurch selbst ein wenig
Geist wurde, aber Geist giebt es eben nicht mehr.
Die atheistische Philosophie war notwendig, weil Staat und Kirche i.ut
Gott und dem Christentum Mißbrauch getrieben und sie zu Mitteln der Herrsch¬
sucht, der Ausbeutung, des Gewisses herabgewürdigt hatten. Es mußte von
den Vernünftigen gesagt werden, daß sie an den Gott, den dieser Staat und
diese Kirche verkündigten, nicht mehr zu glauben vermöchten. Aber diese Ver¬
nünftigen: Bourgeoisie und zünftiges Gelehrtentum. machten es. nachdem fie
die Monarchie, den Adel »ut den Klerus in der Herrschaft abgelöst hatten,
nicht besser als ihre Vorgänger. Sie vereinigten sich zu einer Kirche des
Atheismus, verbargen diesen ihren Atheismus unter allerlei bildlichen Redens¬
arten und ließen die Kirchen als Schafställe fürs Volk bestehn uuter der Be¬
dingung, daß die Schafzucht in ihren, Dienst und in ihrem Interesse betrieben
würde. Dan.it war die geschichtliche Notwendigkeit von Marx und seiner
Sozialdemokratie gegeben. Diese beiden haben bewiesen, daß in der Zeit der
Maschinenpresse der Kult des reinen Menschentums von den Herrschenden nicht
'mehr als Privilegium monopolisiert und in einer Geheimkirche betrieben werden
kann. Das Volk bekennt sich jetzt zu dieser neuen Religion, und die Herrschenden
sehen sich vor die Wahl gestellt, ob sie dein Volke das menschenwürdige Dasein
verschaffe oder ihre Religion für falsch erklären und zum Christentum, und
zwar zu einem nicht erheuchelte» und uicht gemißbrauchten Christentum zurück¬
kehren wollen, das selbstverständlich den Herrschenden die Verpflichtung auf¬
erlegt, much den Massen die materiellem Bedingungen des Menschentums zu¬
züglich zu machen, soweit es in ihren Kräften steht. Daß die ökonomische
Freiheit zunächst mehr Unmenschentnm als Menschentum schafft, hat sich la
Marx selbst in.zuerkennen gezwungen gesehen, und es ist sehr hübsch wie er
- wir haben das auch und schon wiederholt gethan - in der Rezension
von Bauers zweitem Artikel zeigte, daß der Ji.de. d. h. der rücksichtslose
"ut schlaue dem Mammonsdicnst ergebne Egoist, nichts andres .se als der
moderne Kaltsinn.n (welcher heutige Mensch aber, außer dem Beamten, wäre
nicht Kaufmann?), und daß das moderne Erwerbsleben in allen zivili¬
sierten Staaten unaufhörlich den Juden, wie er von den Antisemiten be¬
schrieben wird, in unzähligen Exemplaren germanischer und romanischer Ab-
stcimmuug, vorzugsweise aber bei den Angelsachsen hervorbringt. Die bürger¬
liche Gesellschaft hat sich bei Marx noch besonders dafür zu bedanken, daß
er den Atheismus in seiner inkonsequenten Form, in der idealistischen, unter
dein Volke verbreitet hat; wird er erst in der Form allgemein, deren ein¬
ziges Moralgebot die Selbstbehauptung im Kampfe ums Dasein ist, dann wird
man noch allerlei Überraschungen erleben. Wendet sich dagegen die Wissen-
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