Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Marx als Philosoph gehoben wurden ist, die tiefste Erniedrigung, die vollständigste Entmenschung des Die Herren übersehen ferner, daß, auch wenn alle Meuscheu Altruisten Ferner wird übersehe", daß ein Reich Gottes nicht möglich ist ohne Endlich aber: Der einzelne Atheist mag ein noch so guter Mensch sei", Marx als Philosoph gehoben wurden ist, die tiefste Erniedrigung, die vollständigste Entmenschung des Die Herren übersehen ferner, daß, auch wenn alle Meuscheu Altruisten Ferner wird übersehe», daß ein Reich Gottes nicht möglich ist ohne Endlich aber: Der einzelne Atheist mag ein noch so guter Mensch sei», <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0734" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237258"/> <fw type="header" place="top"> Marx als Philosoph</fw><lb/> <p xml:id="ID_3045" prev="#ID_3044"> gehoben wurden ist, die tiefste Erniedrigung, die vollständigste Entmenschung des<lb/> Menschen in dem freisten Lande Europas eingetreten ist, und daß die Ansicht,<lb/> das Menschentum fange beim politischen Menschen oder gar beim Republikaner<lb/> an, eine von der Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts tausendfach wieder¬<lb/> legte Einbildung ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_3046"> Die Herren übersehen ferner, daß, auch wenn alle Meuscheu Altruisten<lb/> wären, ein große Länder oder gar die Erde umfassendes Gemeinwesen, dessen<lb/> Glieder alle vom politischen Geist erfüllt wären und in unmittelbarer für alle<lb/> gleicher Beziehung zum Ganzen stünden, technisch unmöglich ist. Wir gehn<lb/> ans die Sache, die wir oft erörtert haben, nicht näher ein und wiederhole»<lb/> nur: Ein Großstant kann nicht anders als feudal, ständisch, oder wie man das<lb/> sonst nennen will, gegliedert besteh». Ob der Stand Stand oder Klasse, ob<lb/> die Zunft Zunft oder Gewerkverein genannt wird, ob die Repräsentanten der<lb/> Ritter, der Bürger und Bauern, der Kirche und der Kaufmannschaft Land<lb/> stände oder Abgeordnete heißen, darauf kommt nichts an. Gerade dadurch,<lb/> daß ein Mensch Glied einer Familie, einer .Korporation oder einer Gemeinde<lb/> ist, in der er seine Kräfte bethätigt, ist er Mensch; im Großstaat oder gar in<lb/> der Menschheit kann er sie nicht bethätigen, weil beide viel zu weite Gebiete<lb/> sind. Besonderheiten sind nicht Schlangenhäute, die im Laufe der Zeit eine<lb/> nach der andern abgestreift werden können, sondern Zwiebelhäute: werden sie<lb/> alle weggenommen, so bleibt gar nichts übrig; sie machen das Wesen des<lb/> Menschen aus. Übrigens wächst auch unter der absterbenden Schlangenhaut<lb/> immer wieder eine neue.</p><lb/> <p xml:id="ID_3047"> Ferner wird übersehe», daß ein Reich Gottes nicht möglich ist ohne<lb/> Gott. Beim natürlichen Menschen findet sich Gutes wie Böses. Die Natur<lb/> produziert deu gutartigen Menschen, sie produziert aber zugleich die Er¬<lb/> schwerungen seines Lebens, in deren Überwindung er zornmütig, verlogen,<lb/> neidisch, boshaft wird, und deren Übermaß die einen zu Verbrechern, die ander»<lb/> zu kraftlosen Lumpen macht. Ob das Gute oder das Böse überwiegt, das ist,<lb/> an sich betrachtet, zufällig. Die Zuversicht, daß das Gute siegen müsse, stellt<lb/> sich erst dann ein, wenn das Gute nicht als zufälliges Naturprodukt, sonder»<lb/> als das Erzeugnis eines ewigen, unveränderlichen, allmächtigen Schöpferwillens<lb/> angesehen wird, und erst dieser Glaube verleiht die Kraft, für das Gute z»<lb/> kämpfen und an seiner Verbreitung zu arbeiten. Ausnahmen, d. h. in demselben<lb/> Sinne wirkende Atheisten, bestätigen die Regel.</p><lb/> <p xml:id="ID_3048" next="#ID_3049"> Endlich aber: Der einzelne Atheist mag ein noch so guter Mensch sei»,<lb/> er hat kein Recht, zwischen gut und böse, gerecht und ungerecht zu unterscheiden;<lb/> alle diese Unterschiede sind der idealistischen Philosophie entnommen, die ihrer<lb/> Nntnr nach thcistisch ist. Ein idealistischer Atheist ist eine ec>mern.<lielio in<lb/> actsootv. Die konsequenten Atheisten sind nicht aus Hegels, sondern aus<lb/> La Mettries und aus Darwins Schule hervorgegangen. Da der folgerichtige<lb/> Atheist nichts andres als Materialist sein kann, so ist sein Mensch weiter nichts<lb/> als ein winziger Bestandteil des organischen Schimmelüberzngs, mit dem sich<lb/> die Oberfläche jedes Planeten bei einem gewissen Grade der Abkühlung bedeckt.<lb/> Aus dem Zellklümpchen Mensch hat die „Wissenschaft" das Gespenst Seele</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0734]
Marx als Philosoph
gehoben wurden ist, die tiefste Erniedrigung, die vollständigste Entmenschung des
Menschen in dem freisten Lande Europas eingetreten ist, und daß die Ansicht,
das Menschentum fange beim politischen Menschen oder gar beim Republikaner
an, eine von der Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts tausendfach wieder¬
legte Einbildung ist.
Die Herren übersehen ferner, daß, auch wenn alle Meuscheu Altruisten
wären, ein große Länder oder gar die Erde umfassendes Gemeinwesen, dessen
Glieder alle vom politischen Geist erfüllt wären und in unmittelbarer für alle
gleicher Beziehung zum Ganzen stünden, technisch unmöglich ist. Wir gehn
ans die Sache, die wir oft erörtert haben, nicht näher ein und wiederhole»
nur: Ein Großstant kann nicht anders als feudal, ständisch, oder wie man das
sonst nennen will, gegliedert besteh». Ob der Stand Stand oder Klasse, ob
die Zunft Zunft oder Gewerkverein genannt wird, ob die Repräsentanten der
Ritter, der Bürger und Bauern, der Kirche und der Kaufmannschaft Land
stände oder Abgeordnete heißen, darauf kommt nichts an. Gerade dadurch,
daß ein Mensch Glied einer Familie, einer .Korporation oder einer Gemeinde
ist, in der er seine Kräfte bethätigt, ist er Mensch; im Großstaat oder gar in
der Menschheit kann er sie nicht bethätigen, weil beide viel zu weite Gebiete
sind. Besonderheiten sind nicht Schlangenhäute, die im Laufe der Zeit eine
nach der andern abgestreift werden können, sondern Zwiebelhäute: werden sie
alle weggenommen, so bleibt gar nichts übrig; sie machen das Wesen des
Menschen aus. Übrigens wächst auch unter der absterbenden Schlangenhaut
immer wieder eine neue.
Ferner wird übersehe», daß ein Reich Gottes nicht möglich ist ohne
Gott. Beim natürlichen Menschen findet sich Gutes wie Böses. Die Natur
produziert deu gutartigen Menschen, sie produziert aber zugleich die Er¬
schwerungen seines Lebens, in deren Überwindung er zornmütig, verlogen,
neidisch, boshaft wird, und deren Übermaß die einen zu Verbrechern, die ander»
zu kraftlosen Lumpen macht. Ob das Gute oder das Böse überwiegt, das ist,
an sich betrachtet, zufällig. Die Zuversicht, daß das Gute siegen müsse, stellt
sich erst dann ein, wenn das Gute nicht als zufälliges Naturprodukt, sonder»
als das Erzeugnis eines ewigen, unveränderlichen, allmächtigen Schöpferwillens
angesehen wird, und erst dieser Glaube verleiht die Kraft, für das Gute z»
kämpfen und an seiner Verbreitung zu arbeiten. Ausnahmen, d. h. in demselben
Sinne wirkende Atheisten, bestätigen die Regel.
Endlich aber: Der einzelne Atheist mag ein noch so guter Mensch sei»,
er hat kein Recht, zwischen gut und böse, gerecht und ungerecht zu unterscheiden;
alle diese Unterschiede sind der idealistischen Philosophie entnommen, die ihrer
Nntnr nach thcistisch ist. Ein idealistischer Atheist ist eine ec>mern.<lielio in
actsootv. Die konsequenten Atheisten sind nicht aus Hegels, sondern aus
La Mettries und aus Darwins Schule hervorgegangen. Da der folgerichtige
Atheist nichts andres als Materialist sein kann, so ist sein Mensch weiter nichts
als ein winziger Bestandteil des organischen Schimmelüberzngs, mit dem sich
die Oberfläche jedes Planeten bei einem gewissen Grade der Abkühlung bedeckt.
Aus dem Zellklümpchen Mensch hat die „Wissenschaft" das Gespenst Seele
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |