Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Was wird aus dein Zolltarif? Wenn man diese Differenzen zwischen dein Negiernngsentwurf und den Was wird aus dein Zolltarif? Wenn man diese Differenzen zwischen dein Negiernngsentwurf und den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0698" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237222"/> <fw type="header" place="top"> Was wird aus dein Zolltarif?</fw><lb/> <p xml:id="ID_2933" next="#ID_2934"> Wenn man diese Differenzen zwischen dein Negiernngsentwurf und den<lb/> Komnnssionsvorschlägen für sich allein, ohne Berücksichtigung unsrer politischen<lb/> und wirtschaftlichen Parteiverhältnisse betrachten könnte, so wären sie nicht<lb/> allzu tragisch zu nehmen. Bis die Vorlage endgiltig von Reichstag und<lb/> Bundesrat verabschiedet sein wird, konnten noch mancherlei Beschlüsse über die<lb/> Streitpunkte gefaßt und wieder umgestoßen und nochmals gefaßt werden, und<lb/> schließlich Gesetz und Tarif doch in einer Fassung zustande kommen, wie sie<lb/> die verbündeten Regierungen und vor allem der Kaiser, dem die Vereinbarung<lb/> neuer Handelsverträge zunächst obliegt, zum Besten des Ganzen haben wollen<lb/> und haben müssen. Dank der weitgehenden Zerfahrenheit unsrer politischen<lb/> und wirtschaftlichen Parteizustände aber liegt die Sache ganz anders. That¬<lb/> sächlich sind die Aussichten ans das Zustandekommen des Zolltarifs sehr un¬<lb/> sicher, ja nach dein Urteil vieler, auch besonnener Politiker überhaupt kaum<lb/> mehr vorhanden. Obgleich wir nicht zu den unbedingten Lobrednern des<lb/> Entwurfs gehören, müssen wir das völlige Scheitern der Vorlage für sehr<lb/> bedenklich halten, sowohl für die praktische Handelspolitik des Reichs, wie für<lb/> unsre ganze politische und wirtschaftliche Lage und Entwicklung. Jedenfalls<lb/> kann die symptomatische Bedeutung des traurigen Standes der Tariffrage gar<lb/> nicht schwer genug genommen werden, denn wenn auch fernerhin vor so an¬<lb/> erkannt hochwichtigen politischen Entscheidungen, die nur im Zusammenwirken<lb/> von Regierungen und Reichstag getroffen werden können, von den parlamen¬<lb/> tarischen Parteien in der Weise, wie bisher in der Tariffrage, einer Ver¬<lb/> ständigung mit den verbündeten Regierungen Widerstand geleistet oder aus-<lb/> gewichen würde, so müßte sich der deutsche Konstitutionalismus den großen<lb/> Aufgaben gegenüber, die dem Reich nach außen und nach innen die Gegen¬<lb/> wart und die nächste Zukunft stellt, einfach für bankerott erklären. Dann ge¬<lb/> rieten wir in österreichische Verhältnisse hinein, und zwar ohne eine Ent¬<lb/> schuldigung dafür zu haben, wie man sie dort in dem tragischen Verhängnis<lb/> des Nationalitätenstreits hat. Daß sich die Sozialdemokratie und der ihr<lb/> dienstbar gewordne Teil des Freisinns solcher Zustünde nicht schämt, sondern<lb/> freut, kann nicht verwundern und ist auch nicht das Schlimme an der Lage-<lb/> Daß aber große Parteien, die sich selbst als die staatserhaltenden ansehen<lb/> und sich auch als solche von der Regierung angesehen und behandelt wissen<lb/> wollen, die Parteien, die sich den Beruf zusprechen und den Beruf haben, das<lb/> monarchische Prinzip und damit den Bestand der Staatsordnung und die<lb/> politische Existenzmöglichkeit des Deutschen Reichs zu vertreten, in diesem<lb/> Kampf um den Zolltarif thatsächlich die weitaus gefährlichere Opposition sind,<lb/> daß sie, ohne sich ein Gewissen daraus zu macheu, ja zum Teil in dem<lb/> Glauben, ihre Pflicht zu thun, die Hauptschuld an dem ganzen Elend in der<lb/> Tariffrage und die Hauptverantwortung für ihr etwaiges Scheitern auf sich<lb/> nehmen, das droht zu einem nationalen Unglück auszuschlcigen. Mit Recht<lb/> hat noch in der letzten Sitzung der Tarifkommission vor den Osterferien der<lb/> Staatssekretär des Äußern erklärt, weder im englischen noch in einem andern<lb/> Parlament wäre es denkbar, daß die parlamentarischen Parteien die bündigsten<lb/> unzweideutigsten Erklärungen der Regierung in einer Weise ignorierten, wie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0698]
Was wird aus dein Zolltarif?
Wenn man diese Differenzen zwischen dein Negiernngsentwurf und den
Komnnssionsvorschlägen für sich allein, ohne Berücksichtigung unsrer politischen
und wirtschaftlichen Parteiverhältnisse betrachten könnte, so wären sie nicht
allzu tragisch zu nehmen. Bis die Vorlage endgiltig von Reichstag und
Bundesrat verabschiedet sein wird, konnten noch mancherlei Beschlüsse über die
Streitpunkte gefaßt und wieder umgestoßen und nochmals gefaßt werden, und
schließlich Gesetz und Tarif doch in einer Fassung zustande kommen, wie sie
die verbündeten Regierungen und vor allem der Kaiser, dem die Vereinbarung
neuer Handelsverträge zunächst obliegt, zum Besten des Ganzen haben wollen
und haben müssen. Dank der weitgehenden Zerfahrenheit unsrer politischen
und wirtschaftlichen Parteizustände aber liegt die Sache ganz anders. That¬
sächlich sind die Aussichten ans das Zustandekommen des Zolltarifs sehr un¬
sicher, ja nach dein Urteil vieler, auch besonnener Politiker überhaupt kaum
mehr vorhanden. Obgleich wir nicht zu den unbedingten Lobrednern des
Entwurfs gehören, müssen wir das völlige Scheitern der Vorlage für sehr
bedenklich halten, sowohl für die praktische Handelspolitik des Reichs, wie für
unsre ganze politische und wirtschaftliche Lage und Entwicklung. Jedenfalls
kann die symptomatische Bedeutung des traurigen Standes der Tariffrage gar
nicht schwer genug genommen werden, denn wenn auch fernerhin vor so an¬
erkannt hochwichtigen politischen Entscheidungen, die nur im Zusammenwirken
von Regierungen und Reichstag getroffen werden können, von den parlamen¬
tarischen Parteien in der Weise, wie bisher in der Tariffrage, einer Ver¬
ständigung mit den verbündeten Regierungen Widerstand geleistet oder aus-
gewichen würde, so müßte sich der deutsche Konstitutionalismus den großen
Aufgaben gegenüber, die dem Reich nach außen und nach innen die Gegen¬
wart und die nächste Zukunft stellt, einfach für bankerott erklären. Dann ge¬
rieten wir in österreichische Verhältnisse hinein, und zwar ohne eine Ent¬
schuldigung dafür zu haben, wie man sie dort in dem tragischen Verhängnis
des Nationalitätenstreits hat. Daß sich die Sozialdemokratie und der ihr
dienstbar gewordne Teil des Freisinns solcher Zustünde nicht schämt, sondern
freut, kann nicht verwundern und ist auch nicht das Schlimme an der Lage-
Daß aber große Parteien, die sich selbst als die staatserhaltenden ansehen
und sich auch als solche von der Regierung angesehen und behandelt wissen
wollen, die Parteien, die sich den Beruf zusprechen und den Beruf haben, das
monarchische Prinzip und damit den Bestand der Staatsordnung und die
politische Existenzmöglichkeit des Deutschen Reichs zu vertreten, in diesem
Kampf um den Zolltarif thatsächlich die weitaus gefährlichere Opposition sind,
daß sie, ohne sich ein Gewissen daraus zu macheu, ja zum Teil in dem
Glauben, ihre Pflicht zu thun, die Hauptschuld an dem ganzen Elend in der
Tariffrage und die Hauptverantwortung für ihr etwaiges Scheitern auf sich
nehmen, das droht zu einem nationalen Unglück auszuschlcigen. Mit Recht
hat noch in der letzten Sitzung der Tarifkommission vor den Osterferien der
Staatssekretär des Äußern erklärt, weder im englischen noch in einem andern
Parlament wäre es denkbar, daß die parlamentarischen Parteien die bündigsten
unzweideutigsten Erklärungen der Regierung in einer Weise ignorierten, wie
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