Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Marx als Philosoph Debatten des rheinischen Provinziallandtags über ein Gesetz, das das Auf¬ Die Politik der Rheinischen Zeitung war also nicht die des Kommunis¬ Marx als Philosoph Debatten des rheinischen Provinziallandtags über ein Gesetz, das das Auf¬ Die Politik der Rheinischen Zeitung war also nicht die des Kommunis¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0668" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237192"/> <fw type="header" place="top"> Marx als Philosoph</fw><lb/> <p xml:id="ID_2775" prev="#ID_2774"> Debatten des rheinischen Provinziallandtags über ein Gesetz, das das Auf¬<lb/> lesen von dürrem Holz zum Diebstahl stempelte. Marx machte in der Kritik<lb/> des Gesetzes unter anderm zweierlei geltend: daß ein solches Gesetz Verbrechen<lb/> und Verbrecher schaffe, und daß es die Folgerung: Eigentum ist Diebstahl<lb/> nahe lege. Ju Beziehung auf das erste sagt er unter anderm: „Auf der eiuen<lb/> Seite steht die Notwendigkeit, daß eine Masse Menschen ohne verbrecherische<lb/> Gesinnung von dem grünen Baum der Sittlichkeit abgehauen und als Raff¬<lb/> holz der Hölle des Verbrechens, der Infamie und des Elends zugeschleudert<lb/> werden. Auf der andern Seite steht die Möglichkeit der Mißhandlung einiger<lb/> jungen Bäume jenn der die Vorlage begründet worden war^, und es bedarf<lb/> kaum der Anführung: Die hölzernen Götzen siegen, und die Menschenopfer<lb/> fallen!" Er beruft sich auf die Humanität der hochnotpeinlichen Halsgerichts¬<lb/> ordnung, die den Munddiebstahl von der kriminellen Behandlung ausschließt.<lb/> In Beziehung auf das zweite schreibt er: „Das Volk sieht die Strafe, aber<lb/> es sieht nicht das Verbrechen, und weil es die Strafe sieht, wo kein Ver¬<lb/> brechen ist, wird es schon darum kein Verbrechen sehen, wo die Strafe ist.<lb/> Indem ihr die Kategorie des Diebstahls da anwendet, wo sie nicht angewendet<lb/> werden darf, habt ihr sie auch da beschönigt, wo sie angewendet werden muß.<lb/> Und hebt sich diese brutale Ansicht, die nur eine gemeinschaftliche Bestimmung<lb/> in verschiednen Handlungen festhält und von der Verschiedenheit abstrahiert,<lb/> nicht selber auf? Wenn jede Verletzung des Eigentums ohne Unterschied, ohne<lb/> nähere Bestimmung Diebstahl ist, wäre nicht alles Privateigentum Diebstahl?<lb/> Schließe ich nicht durch mein Privateigentum jeden dritten von diesem Eigen¬<lb/> tum aus, verletze ich also nicht sein Eigentumsrecht? Es ist daher ein ebenso<lb/> historisches als vernünftiges Faktum, daß die unterschiedslose Härte allen Er¬<lb/> folg der Strafe aufhebt, denn sie hat die Strafe als einen Erfolg des Rechts<lb/> aufgehoben." Selbstverständlich war es der größere Grundbesitz, von dem das<lb/> Gesetz gefordert wurde. Gegen ihn und die ihn beschützende Bureaukratie,<lb/> nicht gegen das damals in Deutschland politisch und wirtschaftlich noch schwache<lb/> Industriekapital war alle Opposition gerichtet. Das Junkertum beherrschte<lb/> auch die Provinzicillandtage, und Marx erklärte, eine Monarchie ohne Landtag<lb/> sei ihm lieber als ein solcher Landtag; zur öffentlichen Intelligenz der Regie¬<lb/> rung hege er mehr Vertrauen als zur Privatiutclligenz von Grund und<lb/> Boden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2776" next="#ID_2777"> Die Politik der Rheinischen Zeitung war also nicht die des Kommunis¬<lb/> mus, den die französische Revolution zu verwirklichen versucht hatte, und dessen<lb/> Theorie die Kant-Fichtische Moral war, nach der alles, was Menschenantlitz<lb/> trägt, sittlich und darum frei sein soll, weil in dieser Theorie beide Begriffe<lb/> zusammenfallen. Sie tritt besonders in zwei Aufsätzen von Marx hervor.<lb/> Der erste ist eine zweite Abhandlung über Zensur und Preßfreiheit, gleich<lb/> dem Artikel über Holzfrevel durch Verhandlungen des rheinischen Landtags<lb/> veranlaßt. Materiell sind natürlich alle Bekämpfer der Zensur im Recht. Die<lb/> amtliche Bevormundung der Presse, die zuerst durch die Zensur und dann auf<lb/> Grund des Preßgesetzes durch die Strafjustiz geübt worden ist, war bisher<lb/> eine ununterbrochne Reihe von Dummheiten, die den Staat lächerlich und ver-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0668]
Marx als Philosoph
Debatten des rheinischen Provinziallandtags über ein Gesetz, das das Auf¬
lesen von dürrem Holz zum Diebstahl stempelte. Marx machte in der Kritik
des Gesetzes unter anderm zweierlei geltend: daß ein solches Gesetz Verbrechen
und Verbrecher schaffe, und daß es die Folgerung: Eigentum ist Diebstahl
nahe lege. Ju Beziehung auf das erste sagt er unter anderm: „Auf der eiuen
Seite steht die Notwendigkeit, daß eine Masse Menschen ohne verbrecherische
Gesinnung von dem grünen Baum der Sittlichkeit abgehauen und als Raff¬
holz der Hölle des Verbrechens, der Infamie und des Elends zugeschleudert
werden. Auf der andern Seite steht die Möglichkeit der Mißhandlung einiger
jungen Bäume jenn der die Vorlage begründet worden war^, und es bedarf
kaum der Anführung: Die hölzernen Götzen siegen, und die Menschenopfer
fallen!" Er beruft sich auf die Humanität der hochnotpeinlichen Halsgerichts¬
ordnung, die den Munddiebstahl von der kriminellen Behandlung ausschließt.
In Beziehung auf das zweite schreibt er: „Das Volk sieht die Strafe, aber
es sieht nicht das Verbrechen, und weil es die Strafe sieht, wo kein Ver¬
brechen ist, wird es schon darum kein Verbrechen sehen, wo die Strafe ist.
Indem ihr die Kategorie des Diebstahls da anwendet, wo sie nicht angewendet
werden darf, habt ihr sie auch da beschönigt, wo sie angewendet werden muß.
Und hebt sich diese brutale Ansicht, die nur eine gemeinschaftliche Bestimmung
in verschiednen Handlungen festhält und von der Verschiedenheit abstrahiert,
nicht selber auf? Wenn jede Verletzung des Eigentums ohne Unterschied, ohne
nähere Bestimmung Diebstahl ist, wäre nicht alles Privateigentum Diebstahl?
Schließe ich nicht durch mein Privateigentum jeden dritten von diesem Eigen¬
tum aus, verletze ich also nicht sein Eigentumsrecht? Es ist daher ein ebenso
historisches als vernünftiges Faktum, daß die unterschiedslose Härte allen Er¬
folg der Strafe aufhebt, denn sie hat die Strafe als einen Erfolg des Rechts
aufgehoben." Selbstverständlich war es der größere Grundbesitz, von dem das
Gesetz gefordert wurde. Gegen ihn und die ihn beschützende Bureaukratie,
nicht gegen das damals in Deutschland politisch und wirtschaftlich noch schwache
Industriekapital war alle Opposition gerichtet. Das Junkertum beherrschte
auch die Provinzicillandtage, und Marx erklärte, eine Monarchie ohne Landtag
sei ihm lieber als ein solcher Landtag; zur öffentlichen Intelligenz der Regie¬
rung hege er mehr Vertrauen als zur Privatiutclligenz von Grund und
Boden.
Die Politik der Rheinischen Zeitung war also nicht die des Kommunis¬
mus, den die französische Revolution zu verwirklichen versucht hatte, und dessen
Theorie die Kant-Fichtische Moral war, nach der alles, was Menschenantlitz
trägt, sittlich und darum frei sein soll, weil in dieser Theorie beide Begriffe
zusammenfallen. Sie tritt besonders in zwei Aufsätzen von Marx hervor.
Der erste ist eine zweite Abhandlung über Zensur und Preßfreiheit, gleich
dem Artikel über Holzfrevel durch Verhandlungen des rheinischen Landtags
veranlaßt. Materiell sind natürlich alle Bekämpfer der Zensur im Recht. Die
amtliche Bevormundung der Presse, die zuerst durch die Zensur und dann auf
Grund des Preßgesetzes durch die Strafjustiz geübt worden ist, war bisher
eine ununterbrochne Reihe von Dummheiten, die den Staat lächerlich und ver-
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