Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.NationalitLtskämpfe gestachelten Leidenschaften fanden auch in der Zwischenzeit keine Ruhe, da sich Welche Umwandlung hatte aber auch innerhalb der letzten hundert Jahre im Durch das Wiederaufleben des Tschechentums war dem sorglos dahin NationalitLtskämpfe gestachelten Leidenschaften fanden auch in der Zwischenzeit keine Ruhe, da sich Welche Umwandlung hatte aber auch innerhalb der letzten hundert Jahre im Durch das Wiederaufleben des Tschechentums war dem sorglos dahin <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0546" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237070"/> <fw type="header" place="top"> NationalitLtskämpfe</fw><lb/> <p xml:id="ID_2243" prev="#ID_2242"> gestachelten Leidenschaften fanden auch in der Zwischenzeit keine Ruhe, da sich<lb/> im Parlament selber die nationalen Gegensätze immer mehr verschärften und das<lb/> ganze parlamentarische Treiben zusehends mehr beherrschten. Während Österreich-<lb/> Ungarn unter dem Zeichen des Absolutismus noch den Anschein eines deutschen<lb/> Staatswesens gewähren konnte, mußte unter der vom Nationalismus der<lb/> Slawen und Magyaren meisterhaft ausgenutzten parlamentarischen Regierungs¬<lb/> form der bis dahin allerdings nur künstlich aufrecht erhaltne deutsche Charakter<lb/> des vielsprachigen Staats jählings zusammenbrechen oder doch zum wenigsten<lb/> schwere Einbußen erleiden. In dem von Österreich abgetrennten Ungarn ist<lb/> nur noch die deutsche Armeesprache — und auch sie angefeindet und bekämpft<lb/> von den magyarischen Heißspornen — bestehn geblieben. Sonst ist Ungarn<lb/> der Nationalstaat des Magyarentums geworden, wo die zahlreichen andern<lb/> Nationen — in ihrer Gesamtheit zahlreicher als das herrschende Volk —<lb/> einer schonungsloser Magyarisierung preisgegeben sind. In der österreichischen<lb/> Reichshälfte hat nach dem Einzuge des Parlamentarismus das Deutschtum<lb/> zwar noch eine Zeit lang die herrschende Stellung zu behaupten gewußt-<lb/> Aber bald genug wurde es durch die Hochflut des Slawentums und durch<lb/> die eigne Zersplitterung in die zweite Reihe zurückgedrängt. Unter dem Vor-<lb/> wande der „Versöhnung" arbeiteten verschiedne Ministerien nacheinander daran,<lb/> das Deutschtum, das doch einzig und allein dem vielsprachigen Staate Zu¬<lb/> sammenhalt und ein gewisses einheitliches Gepräge verleihen konnte, immer<lb/> mehr zu schwächen und den Staat zu einem slawischen zu machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2244"> Welche Umwandlung hatte aber auch innerhalb der letzten hundert Jahre im<lb/> Bevölkerungszustande des Kaiserstncits stattgefunden! Noch um die Wende des<lb/> achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert und während der nächsten Jahrzehnte<lb/> schien das Tschechentnm in Böhmen und Mähren unaufhaltsamer Germani¬<lb/> sierung verfallen zu sein. Die Wiederbelebung dieser scheinbar schon dem Tode<lb/> geweihten Nation ist eine der schwer erklärbaren Erscheinungen im Völkerleben,<lb/> durch die sich mit handgreiflicher Deutlichkeit die Macht des Blutes offenbart-<lb/> Auch bei der neuerdings viel beredeten Wiederbelebung des Keltentums, auf<lb/> die gegenwärtig in Irland, Wales und in der Bretagne hingearbeitet wird,<lb/> ist es beobachtet worden, daß in Familien keltischen Blutes, in denen schon<lb/> seit mehreren Generationen nur noch englisch oder französisch gesprochen worden<lb/> war, auf einmal wieder die angestammte Keltensprache erwachte. Ähnliches<lb/> haben wir Deutschen z. B. auf einigen Sprachinseln Südtirols, nur im kleinsten<lb/> Maßstabe, aufzuweisen: dort, im Fersenthal und in Lusern, schien um d:e<lb/> Mitte des vorigen Jahrhunderts das Jtalienertum die Herrschaft erlangen und<lb/> das altheimische Deutschtum gänzlich verdrängen zu sollen. Aber das<lb/> schwundne deutsche Bewußtsein wurde noch rechtzeitig wieder wach, und «n<lb/> Jahre 1890 zählten die deutschen Gemeinden des Fersenthals schon wieder<lb/> 84 Prozent, Lusern 96 Prozent deutsche Einwohner, im Jahre 1900 sogar<lb/> 94 und 98 Prozent (vergl. „Deutsche Erde," Juni 1901. Ur. 58).¬</p><lb/> <p xml:id="ID_2245" next="#ID_2246"> Durch das Wiederaufleben des Tschechentums war dem sorglos dahin<lb/> lebenden österreichischen Deutschtum der gefährlichste Feind erstanden. Jahr¬<lb/> zehntelang wurde der Besitzstand des Deutschtums in Böhmen und Mähren</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0546]
NationalitLtskämpfe
gestachelten Leidenschaften fanden auch in der Zwischenzeit keine Ruhe, da sich
im Parlament selber die nationalen Gegensätze immer mehr verschärften und das
ganze parlamentarische Treiben zusehends mehr beherrschten. Während Österreich-
Ungarn unter dem Zeichen des Absolutismus noch den Anschein eines deutschen
Staatswesens gewähren konnte, mußte unter der vom Nationalismus der
Slawen und Magyaren meisterhaft ausgenutzten parlamentarischen Regierungs¬
form der bis dahin allerdings nur künstlich aufrecht erhaltne deutsche Charakter
des vielsprachigen Staats jählings zusammenbrechen oder doch zum wenigsten
schwere Einbußen erleiden. In dem von Österreich abgetrennten Ungarn ist
nur noch die deutsche Armeesprache — und auch sie angefeindet und bekämpft
von den magyarischen Heißspornen — bestehn geblieben. Sonst ist Ungarn
der Nationalstaat des Magyarentums geworden, wo die zahlreichen andern
Nationen — in ihrer Gesamtheit zahlreicher als das herrschende Volk —
einer schonungsloser Magyarisierung preisgegeben sind. In der österreichischen
Reichshälfte hat nach dem Einzuge des Parlamentarismus das Deutschtum
zwar noch eine Zeit lang die herrschende Stellung zu behaupten gewußt-
Aber bald genug wurde es durch die Hochflut des Slawentums und durch
die eigne Zersplitterung in die zweite Reihe zurückgedrängt. Unter dem Vor-
wande der „Versöhnung" arbeiteten verschiedne Ministerien nacheinander daran,
das Deutschtum, das doch einzig und allein dem vielsprachigen Staate Zu¬
sammenhalt und ein gewisses einheitliches Gepräge verleihen konnte, immer
mehr zu schwächen und den Staat zu einem slawischen zu machen.
Welche Umwandlung hatte aber auch innerhalb der letzten hundert Jahre im
Bevölkerungszustande des Kaiserstncits stattgefunden! Noch um die Wende des
achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert und während der nächsten Jahrzehnte
schien das Tschechentnm in Böhmen und Mähren unaufhaltsamer Germani¬
sierung verfallen zu sein. Die Wiederbelebung dieser scheinbar schon dem Tode
geweihten Nation ist eine der schwer erklärbaren Erscheinungen im Völkerleben,
durch die sich mit handgreiflicher Deutlichkeit die Macht des Blutes offenbart-
Auch bei der neuerdings viel beredeten Wiederbelebung des Keltentums, auf
die gegenwärtig in Irland, Wales und in der Bretagne hingearbeitet wird,
ist es beobachtet worden, daß in Familien keltischen Blutes, in denen schon
seit mehreren Generationen nur noch englisch oder französisch gesprochen worden
war, auf einmal wieder die angestammte Keltensprache erwachte. Ähnliches
haben wir Deutschen z. B. auf einigen Sprachinseln Südtirols, nur im kleinsten
Maßstabe, aufzuweisen: dort, im Fersenthal und in Lusern, schien um d:e
Mitte des vorigen Jahrhunderts das Jtalienertum die Herrschaft erlangen und
das altheimische Deutschtum gänzlich verdrängen zu sollen. Aber das
schwundne deutsche Bewußtsein wurde noch rechtzeitig wieder wach, und «n
Jahre 1890 zählten die deutschen Gemeinden des Fersenthals schon wieder
84 Prozent, Lusern 96 Prozent deutsche Einwohner, im Jahre 1900 sogar
94 und 98 Prozent (vergl. „Deutsche Erde," Juni 1901. Ur. 58).¬
Durch das Wiederaufleben des Tschechentums war dem sorglos dahin
lebenden österreichischen Deutschtum der gefährlichste Feind erstanden. Jahr¬
zehntelang wurde der Besitzstand des Deutschtums in Böhmen und Mähren
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