Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Hellencntum und Christentum sich selbst die Wahrheit zu finden, darum einer Offenbarung bedürfe. Offen¬ Diesem Hange der Griechen kam der Wunsch der Juden entgegen, die Hellencntum und Christentum sich selbst die Wahrheit zu finden, darum einer Offenbarung bedürfe. Offen¬ Diesem Hange der Griechen kam der Wunsch der Juden entgegen, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0485" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237009"/> <fw type="header" place="top"> Hellencntum und Christentum</fw><lb/> <p xml:id="ID_1923" prev="#ID_1922"> sich selbst die Wahrheit zu finden, darum einer Offenbarung bedürfe. Offen¬<lb/> barungen fanden sie einerseits in den zum Teil erdichteten Lehren halb oder<lb/> ganz sageuhafter Seher und Philosophen früherer Zeiten wie des Orpheus<lb/> und des Pythagoras, andrerseits in den Büchern der Juden und der übrigen<lb/> Orientalen. Ja sie ließen nicht einmal die Lehren ihrer wirklichen Philosophen<lb/> als deren eigne Leistungen gelten, sondern bildeten sich ein, was einer der<lb/> ihrigen großes und gutes erdacht habe, das müsse er aus dem Orient geholt<lb/> haben, eine Einbildung, die bekanntlich heute aufs neue grassiert.</p><lb/> <p xml:id="ID_1924" next="#ID_1925"> Diesem Hange der Griechen kam der Wunsch der Juden entgegen, die<lb/> weisen Griechen zu Schülern der alttestamentlichen Propheten zu machen, und<lb/> die in Alexandria ausgebildete Kunst der allegorischen Schriftdeutung brachte<lb/> es fertig, den Plato ins Alte Testament hinein und dieses ans dem Plato<lb/> heraus zu lesen. Daß Plato und die jüdischen Propheten in vielen ihrer großen<lb/> und schönen Gedanken zusammentreffen mußten, ohne voneinander zu wissen,<lb/> versteht sich ebenso von selbst, wie daß Juden und Griechen, nachdem Alexander<lb/> der Große den Gedankenaustausch in Fluß gebracht hatte, fleißig voneinander<lb/> entlehnten. Sehr schön und scharf hat der Breslauer Rabbiner I)r. Joel in<lb/> einem kleinen, grundgelehrten und gehaltvollen Buche: Blicke in die Religions-<lb/> geschichte des zweiten christlichen Jahrhunderts (Breslau, bei Schottlaender, 1880)<lb/> die Theosophie im Gegensatz zur echten Philosophie charakterisiert: der Gnostiker<lb/> berichte zuversichtlich über alle jenseitigen Dinge, als wenn er sie wirklich gesehen<lb/> hätte; der gewissenhafte Plato gehe entweder über das, was sich durch ver¬<lb/> nünftiges Denken ermitteln lasse, nicht hinaus, oder wenn er es thue, so mache<lb/> er den Leser darauf aufmerksam, daß hier die Wissenschaft aufhöre und die in<lb/> einen Mythus gekleidete Vermutung anfange. So wird jn z. B. der halbmythische<lb/> Charakter des Timäus durch die Einleitung angedeutet und dadurch, daß der<lb/> ganze Inhalt uicht gesprächsweise entwickelt, sondern von einem dem sokratischen<lb/> Kreise nicht angehörenden Fremden zusammenhängend vorgetragen wird. Da<lb/> nun das die damaligem Menschen beherrschende Verlangen nach einer Autorität<lb/> aus politischem Elend, Ekel am schrankenlosen Genuß, den mau durchgekostet<lb/> hatte, und dem Bankerott der philosophischen Spekulation entsprang, d. h. also<lb/> aus einer tief pessimistischen Stimmung, so wandte sich dieses Antvritäts-<lb/> bedürfnis vorzugsweise dem Philosophen zu, der sich am lebhafteste,: vou der<lb/> ^»Vollkommenheit des irdischen Daseins ergriffen und bewegt zeigte, dem Plato.<lb/> Für die Theorie lautete die Aufgabe: Wie ist das Böse, die Schlechtigkeit,<lb/> das Übel zu erklären? Für die Praxis: Wie kommen wir aus deu Übeln<lb/> heraus, wer erlöst uns? Nenphthagoräer nannten sich einige Männer, die<lb/> neben dein guten Gott eine böse Weltseele annahmen und Reinigung durch<lb/> die Mittel des jüdischen Zeremonialgcsetzes suchten; Plutarch gehört zu ihnen.<lb/> Plato hatte im fünften Kapitel des Timäus (29 ^) die Hypothese von einem<lb/> bösen Weltschöpfer zwar angedeutet, aber es für einen Frevel erklärt, sie auch<lb/> nur auszusprechen. (Im achten Kapitel des neunten Buchs der Gesetze ^896 Lj,<lb/> deren Echtheit bezweifelt wird, ist vou einer wohlthätigen und einer ihr ent¬<lb/> gegengesetzten Weltseele die Rede.) Nicht nach ihrer wirklichen Autorität,<lb/> sondern nach Pythagoras nannten sich diese Männer, weil sie mit Zahlen zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0485]
Hellencntum und Christentum
sich selbst die Wahrheit zu finden, darum einer Offenbarung bedürfe. Offen¬
barungen fanden sie einerseits in den zum Teil erdichteten Lehren halb oder
ganz sageuhafter Seher und Philosophen früherer Zeiten wie des Orpheus
und des Pythagoras, andrerseits in den Büchern der Juden und der übrigen
Orientalen. Ja sie ließen nicht einmal die Lehren ihrer wirklichen Philosophen
als deren eigne Leistungen gelten, sondern bildeten sich ein, was einer der
ihrigen großes und gutes erdacht habe, das müsse er aus dem Orient geholt
haben, eine Einbildung, die bekanntlich heute aufs neue grassiert.
Diesem Hange der Griechen kam der Wunsch der Juden entgegen, die
weisen Griechen zu Schülern der alttestamentlichen Propheten zu machen, und
die in Alexandria ausgebildete Kunst der allegorischen Schriftdeutung brachte
es fertig, den Plato ins Alte Testament hinein und dieses ans dem Plato
heraus zu lesen. Daß Plato und die jüdischen Propheten in vielen ihrer großen
und schönen Gedanken zusammentreffen mußten, ohne voneinander zu wissen,
versteht sich ebenso von selbst, wie daß Juden und Griechen, nachdem Alexander
der Große den Gedankenaustausch in Fluß gebracht hatte, fleißig voneinander
entlehnten. Sehr schön und scharf hat der Breslauer Rabbiner I)r. Joel in
einem kleinen, grundgelehrten und gehaltvollen Buche: Blicke in die Religions-
geschichte des zweiten christlichen Jahrhunderts (Breslau, bei Schottlaender, 1880)
die Theosophie im Gegensatz zur echten Philosophie charakterisiert: der Gnostiker
berichte zuversichtlich über alle jenseitigen Dinge, als wenn er sie wirklich gesehen
hätte; der gewissenhafte Plato gehe entweder über das, was sich durch ver¬
nünftiges Denken ermitteln lasse, nicht hinaus, oder wenn er es thue, so mache
er den Leser darauf aufmerksam, daß hier die Wissenschaft aufhöre und die in
einen Mythus gekleidete Vermutung anfange. So wird jn z. B. der halbmythische
Charakter des Timäus durch die Einleitung angedeutet und dadurch, daß der
ganze Inhalt uicht gesprächsweise entwickelt, sondern von einem dem sokratischen
Kreise nicht angehörenden Fremden zusammenhängend vorgetragen wird. Da
nun das die damaligem Menschen beherrschende Verlangen nach einer Autorität
aus politischem Elend, Ekel am schrankenlosen Genuß, den mau durchgekostet
hatte, und dem Bankerott der philosophischen Spekulation entsprang, d. h. also
aus einer tief pessimistischen Stimmung, so wandte sich dieses Antvritäts-
bedürfnis vorzugsweise dem Philosophen zu, der sich am lebhafteste,: vou der
^»Vollkommenheit des irdischen Daseins ergriffen und bewegt zeigte, dem Plato.
Für die Theorie lautete die Aufgabe: Wie ist das Böse, die Schlechtigkeit,
das Übel zu erklären? Für die Praxis: Wie kommen wir aus deu Übeln
heraus, wer erlöst uns? Nenphthagoräer nannten sich einige Männer, die
neben dein guten Gott eine böse Weltseele annahmen und Reinigung durch
die Mittel des jüdischen Zeremonialgcsetzes suchten; Plutarch gehört zu ihnen.
Plato hatte im fünften Kapitel des Timäus (29 ^) die Hypothese von einem
bösen Weltschöpfer zwar angedeutet, aber es für einen Frevel erklärt, sie auch
nur auszusprechen. (Im achten Kapitel des neunten Buchs der Gesetze ^896 Lj,
deren Echtheit bezweifelt wird, ist vou einer wohlthätigen und einer ihr ent¬
gegengesetzten Weltseele die Rede.) Nicht nach ihrer wirklichen Autorität,
sondern nach Pythagoras nannten sich diese Männer, weil sie mit Zahlen zu
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