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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Doktor Duttmüller und sein Freund

Ach was, Fellachenhuhn! erwiderte Schlieche, das Fellachenhuhn ist ein ganz
gemeiner, degenerierte! Schlag und darf gar nicht genannt werden, wenn wir Gold-
bantams, Minorkas, Brahmas oder Phönix züchten.

Damit schlug die Unterhaltung einen Weg ein, der sichtlich nicht zum Pcirnassus
führte, und die auf eine lange Erörterung der Frage hinauslief, ob die Brutmaschine
rin Oberheizung oder die mit Unterheizung die bessere sei.

Diese Erörterungen hatten die Dichterin und Doktor Sembritzky mit stummer
Zurückhaltung angehört, die Dichterin, weil eine Brutmaschine nicht geeignet war,
sympathische Töne in ihrem Seelenleben wachzurufen, und Sembritzky, weil Still¬
schweigen geeignet war, seine geistige Überlegenheit zu offenbaren. Jetzt wandte
sich die Dichterin mit einer schwanenhaften Halsbewegung an den Dichter und
fragte in süßen Tönen: Darf ich fragen, Herr Doktor, was halten Sie von der
Verwendung eines Pseudonyms? Sie selbst nämlich schrieb unter dem Pseudonym
Laka Rock, sorgte freilich auch dafür, daß jedermann wußte, wer mit Laka Rock
gemeint war. Der Dichter war von dieser Frage überrascht. Er hatte noch nie
daran gedacht, sein Licht unter den Scheffel eines Pseudonyms zu stellen. Ehe er
jedoch antworte" konnte, nahm Professor Wehrendes das Wort, das ihm jetzt nicht
mehr bestritten wurde, und sagte: Orne, omne, ich darf mir wohl gestatten, zu be-
mörken, daß, omne, die gute deutsche Benönnung dem Frömdworte vorzuziehn ist.
Man könnte ja, omne, für Pseudonym sagen -- omne, Döckwort, ein Wort, das
ein andres, omne, zudöckt, wie wir es haben in Döckblatt oder Döckfarbe. Ich be¬
greife, omne omne, in der That nicht, wie man beflüssen ist, unsre schöne Sprache
durch Fremdwörter zu entstellen. Orne omne, zuni Beispiel, Herr Kauer, Sie ge¬
brauchen im Text Ihrer prähistorischen Karte -- warum übrigens, omne, "prä¬
historisch," Herr Kauer?

Warum "Text," Herr Professor? erwiderte der Angeredete.

Orne, ja in der That, erwiderte der Professor, man sollte "Zeitung" sagen.

Herr Julius Kauer hatte bis dahin nichts von sich gegeben, aber er hatte da¬
gesessen wie ein geladnes Terzerol und hatte jegliche Rede und Gegenrede verfolgt
mit gewendetem Kopfe und funkelnden Augen. Es ist aber auch keine Kleinigkeit,
auf dem Gebiete der alten Gaueinteilung der Gegend sowie der Mundarten eine
Autorität zu sein, eine Karte herausgegeben zu haben, auf der jeder prähistorische
Fund eingetragen ist, und nun als Herr so und so behandelt zu werden und keine
Gelegenheit zu haben, sein verborgnes Wissen zu offenbaren. Als nun der Herr
Professor die prähistorische Karte erwähnte, war das erlösende Wort gesprochen.
Mit kühner Wendung brachte er das Gespräch auf die Grenzen des Liesgaus,
sowie des Albergo-, Saltgo- und Densigogaus, sowie ans seinen unwiderleglicher
Beweis, daß südlich vou einem gewissen Thale, das man den Schlüfter nenne,
Nordalbiuger, nördlich dagegen Ostfalen gesessen hätten. -- Bekanntlich haben doch
alle Völkerstämme in ihren Grenzen gesessen. Daran schlössen sich Erwägungen
dialektischer Art, und daß Ausdrücke wie mont und loaxen eine lisgauisch-eugrische
Sprachinsel anzunehmen zwängen.

Hiermit hatte die Unterhaltung wiederum einen Weg eingeschlagen, der nicht
zu den Höhen der Kunst emporstieg. Frau Bauditz, die Mutter der singenden
und spielenden Töchter, winkte mit den Augen Lydia zu, und Lydia winkte Frau
Bauditz zu. Sogleich begann erneutes Notenblättern und Violinenstimmen, und
dann ertönte aus dem Nebenzimmer von Klavier, Violine und Harmonium das
nicht ganz unbekannte Bach-Gouuodsche Präludium. Ah! Die Thür verstopfte sich
von Zuhörenden, und die angefangnen Gespräche gingen in gedämpftem Tone weiter.
Als der hoffnungsvolle Jüngling mit großen Strichen beim Schlußton angelangt
war, folgte Beifallsgemurmel: nett, sehr nett! -- Wirklich sehr nett. -- Von
Bach? -- Nein, von Gounot. -- Ich denke von Bach. -- Und das Harmonium --
köstlich. -- Frohbachs in Klein-Siebendorf haben auch ein Harmonium. -- Still. --
Die beiden Bauditzschen Damen sangen: Ich wollt, meine Liebe ergösse sich. -- Großer


Doktor Duttmüller und sein Freund

Ach was, Fellachenhuhn! erwiderte Schlieche, das Fellachenhuhn ist ein ganz
gemeiner, degenerierte! Schlag und darf gar nicht genannt werden, wenn wir Gold-
bantams, Minorkas, Brahmas oder Phönix züchten.

Damit schlug die Unterhaltung einen Weg ein, der sichtlich nicht zum Pcirnassus
führte, und die auf eine lange Erörterung der Frage hinauslief, ob die Brutmaschine
rin Oberheizung oder die mit Unterheizung die bessere sei.

Diese Erörterungen hatten die Dichterin und Doktor Sembritzky mit stummer
Zurückhaltung angehört, die Dichterin, weil eine Brutmaschine nicht geeignet war,
sympathische Töne in ihrem Seelenleben wachzurufen, und Sembritzky, weil Still¬
schweigen geeignet war, seine geistige Überlegenheit zu offenbaren. Jetzt wandte
sich die Dichterin mit einer schwanenhaften Halsbewegung an den Dichter und
fragte in süßen Tönen: Darf ich fragen, Herr Doktor, was halten Sie von der
Verwendung eines Pseudonyms? Sie selbst nämlich schrieb unter dem Pseudonym
Laka Rock, sorgte freilich auch dafür, daß jedermann wußte, wer mit Laka Rock
gemeint war. Der Dichter war von dieser Frage überrascht. Er hatte noch nie
daran gedacht, sein Licht unter den Scheffel eines Pseudonyms zu stellen. Ehe er
jedoch antworte» konnte, nahm Professor Wehrendes das Wort, das ihm jetzt nicht
mehr bestritten wurde, und sagte: Orne, omne, ich darf mir wohl gestatten, zu be-
mörken, daß, omne, die gute deutsche Benönnung dem Frömdworte vorzuziehn ist.
Man könnte ja, omne, für Pseudonym sagen — omne, Döckwort, ein Wort, das
ein andres, omne, zudöckt, wie wir es haben in Döckblatt oder Döckfarbe. Ich be¬
greife, omne omne, in der That nicht, wie man beflüssen ist, unsre schöne Sprache
durch Fremdwörter zu entstellen. Orne omne, zuni Beispiel, Herr Kauer, Sie ge¬
brauchen im Text Ihrer prähistorischen Karte — warum übrigens, omne, „prä¬
historisch," Herr Kauer?

Warum „Text," Herr Professor? erwiderte der Angeredete.

Orne, ja in der That, erwiderte der Professor, man sollte „Zeitung" sagen.

Herr Julius Kauer hatte bis dahin nichts von sich gegeben, aber er hatte da¬
gesessen wie ein geladnes Terzerol und hatte jegliche Rede und Gegenrede verfolgt
mit gewendetem Kopfe und funkelnden Augen. Es ist aber auch keine Kleinigkeit,
auf dem Gebiete der alten Gaueinteilung der Gegend sowie der Mundarten eine
Autorität zu sein, eine Karte herausgegeben zu haben, auf der jeder prähistorische
Fund eingetragen ist, und nun als Herr so und so behandelt zu werden und keine
Gelegenheit zu haben, sein verborgnes Wissen zu offenbaren. Als nun der Herr
Professor die prähistorische Karte erwähnte, war das erlösende Wort gesprochen.
Mit kühner Wendung brachte er das Gespräch auf die Grenzen des Liesgaus,
sowie des Albergo-, Saltgo- und Densigogaus, sowie ans seinen unwiderleglicher
Beweis, daß südlich vou einem gewissen Thale, das man den Schlüfter nenne,
Nordalbiuger, nördlich dagegen Ostfalen gesessen hätten. — Bekanntlich haben doch
alle Völkerstämme in ihren Grenzen gesessen. Daran schlössen sich Erwägungen
dialektischer Art, und daß Ausdrücke wie mont und loaxen eine lisgauisch-eugrische
Sprachinsel anzunehmen zwängen.

Hiermit hatte die Unterhaltung wiederum einen Weg eingeschlagen, der nicht
zu den Höhen der Kunst emporstieg. Frau Bauditz, die Mutter der singenden
und spielenden Töchter, winkte mit den Augen Lydia zu, und Lydia winkte Frau
Bauditz zu. Sogleich begann erneutes Notenblättern und Violinenstimmen, und
dann ertönte aus dem Nebenzimmer von Klavier, Violine und Harmonium das
nicht ganz unbekannte Bach-Gouuodsche Präludium. Ah! Die Thür verstopfte sich
von Zuhörenden, und die angefangnen Gespräche gingen in gedämpftem Tone weiter.
Als der hoffnungsvolle Jüngling mit großen Strichen beim Schlußton angelangt
war, folgte Beifallsgemurmel: nett, sehr nett! — Wirklich sehr nett. — Von
Bach? — Nein, von Gounot. — Ich denke von Bach. — Und das Harmonium —
köstlich. — Frohbachs in Klein-Siebendorf haben auch ein Harmonium. — Still. —
Die beiden Bauditzschen Damen sangen: Ich wollt, meine Liebe ergösse sich. — Großer


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[0446] Doktor Duttmüller und sein Freund Ach was, Fellachenhuhn! erwiderte Schlieche, das Fellachenhuhn ist ein ganz gemeiner, degenerierte! Schlag und darf gar nicht genannt werden, wenn wir Gold- bantams, Minorkas, Brahmas oder Phönix züchten. Damit schlug die Unterhaltung einen Weg ein, der sichtlich nicht zum Pcirnassus führte, und die auf eine lange Erörterung der Frage hinauslief, ob die Brutmaschine rin Oberheizung oder die mit Unterheizung die bessere sei. Diese Erörterungen hatten die Dichterin und Doktor Sembritzky mit stummer Zurückhaltung angehört, die Dichterin, weil eine Brutmaschine nicht geeignet war, sympathische Töne in ihrem Seelenleben wachzurufen, und Sembritzky, weil Still¬ schweigen geeignet war, seine geistige Überlegenheit zu offenbaren. Jetzt wandte sich die Dichterin mit einer schwanenhaften Halsbewegung an den Dichter und fragte in süßen Tönen: Darf ich fragen, Herr Doktor, was halten Sie von der Verwendung eines Pseudonyms? Sie selbst nämlich schrieb unter dem Pseudonym Laka Rock, sorgte freilich auch dafür, daß jedermann wußte, wer mit Laka Rock gemeint war. Der Dichter war von dieser Frage überrascht. Er hatte noch nie daran gedacht, sein Licht unter den Scheffel eines Pseudonyms zu stellen. Ehe er jedoch antworte» konnte, nahm Professor Wehrendes das Wort, das ihm jetzt nicht mehr bestritten wurde, und sagte: Orne, omne, ich darf mir wohl gestatten, zu be- mörken, daß, omne, die gute deutsche Benönnung dem Frömdworte vorzuziehn ist. Man könnte ja, omne, für Pseudonym sagen — omne, Döckwort, ein Wort, das ein andres, omne, zudöckt, wie wir es haben in Döckblatt oder Döckfarbe. Ich be¬ greife, omne omne, in der That nicht, wie man beflüssen ist, unsre schöne Sprache durch Fremdwörter zu entstellen. Orne omne, zuni Beispiel, Herr Kauer, Sie ge¬ brauchen im Text Ihrer prähistorischen Karte — warum übrigens, omne, „prä¬ historisch," Herr Kauer? Warum „Text," Herr Professor? erwiderte der Angeredete. Orne, ja in der That, erwiderte der Professor, man sollte „Zeitung" sagen. Herr Julius Kauer hatte bis dahin nichts von sich gegeben, aber er hatte da¬ gesessen wie ein geladnes Terzerol und hatte jegliche Rede und Gegenrede verfolgt mit gewendetem Kopfe und funkelnden Augen. Es ist aber auch keine Kleinigkeit, auf dem Gebiete der alten Gaueinteilung der Gegend sowie der Mundarten eine Autorität zu sein, eine Karte herausgegeben zu haben, auf der jeder prähistorische Fund eingetragen ist, und nun als Herr so und so behandelt zu werden und keine Gelegenheit zu haben, sein verborgnes Wissen zu offenbaren. Als nun der Herr Professor die prähistorische Karte erwähnte, war das erlösende Wort gesprochen. Mit kühner Wendung brachte er das Gespräch auf die Grenzen des Liesgaus, sowie des Albergo-, Saltgo- und Densigogaus, sowie ans seinen unwiderleglicher Beweis, daß südlich vou einem gewissen Thale, das man den Schlüfter nenne, Nordalbiuger, nördlich dagegen Ostfalen gesessen hätten. — Bekanntlich haben doch alle Völkerstämme in ihren Grenzen gesessen. Daran schlössen sich Erwägungen dialektischer Art, und daß Ausdrücke wie mont und loaxen eine lisgauisch-eugrische Sprachinsel anzunehmen zwängen. Hiermit hatte die Unterhaltung wiederum einen Weg eingeschlagen, der nicht zu den Höhen der Kunst emporstieg. Frau Bauditz, die Mutter der singenden und spielenden Töchter, winkte mit den Augen Lydia zu, und Lydia winkte Frau Bauditz zu. Sogleich begann erneutes Notenblättern und Violinenstimmen, und dann ertönte aus dem Nebenzimmer von Klavier, Violine und Harmonium das nicht ganz unbekannte Bach-Gouuodsche Präludium. Ah! Die Thür verstopfte sich von Zuhörenden, und die angefangnen Gespräche gingen in gedämpftem Tone weiter. Als der hoffnungsvolle Jüngling mit großen Strichen beim Schlußton angelangt war, folgte Beifallsgemurmel: nett, sehr nett! — Wirklich sehr nett. — Von Bach? — Nein, von Gounot. — Ich denke von Bach. — Und das Harmonium — köstlich. — Frohbachs in Klein-Siebendorf haben auch ein Harmonium. — Still. — Die beiden Bauditzschen Damen sangen: Ich wollt, meine Liebe ergösse sich. — Großer

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/446>, abgerufen am 27.09.2024.