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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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vom ehemaligen Königreich Hannover

noch zwei, wie man sagte, halbliberale Ministerien, das erste unter Hammer¬
stein, worin die Justiz zum zweitenmal Windthorst übernahm, es trat im
September 1865 zurück, und das letzte, zu dem Graf Platen dem König die
Vorschläge gemacht hatte, mit Bacmeister für das Innere und Leonhardt als
Justizminister. Baemeistcr wurde auf seinen Antrag durch ein von Göttingen
am 19. Juni 1866 datiertes Reskript entlassen. Dann kam die Schlacht bei
Langensalza. Diese letzten nicht vollen vier Jahre bedeuten für den innern
Zustand des Königreichs doch nicht viel mehr als eine Erholung von den
Wirkungen des Borriesschen Regiments. Man hatte dem neuen Ministerium
die größten Erwartungen entgegengebracht, und ein Jubel war durch das
Land gegangen, als es kund wurde, daß der König am 9. Dezember 1862
die Ernennung der Minister vollzogen hatte. Die Mißwirtschaft der letzten
sieben Jahre hielt man für endgiltig abgethan, weitgehende liberale Änderungen
mußten folgen. Der Minister von Hammerstein, den Hasselt mit Wärme
charakterisiert, war vielleicht der wohlwollendste Minister, den Hannover ge¬
habt hat, von einer reichen und vielseitigen Bildung und von hervorragender
Tüchtigkeit in der innern Verwaltung. Durch erprobte Rechtschaffenheit und
warme Fürsorge für das Wohl jedes einzelnen seiner Untergebnen hatte er
sich die Liebe der Eingesessenen des Amtsbezirks Werden, den er in den letzten
Jahren verwaltet hatte, zu erwerben verstanden; noch heute hängt dort in
vielen Bürger- und Bauerhäusern sein Bildnis. Als er am Abend des
13. Dezembers nach Werden zurückkehrte, um seine Übersiedlung nach Hannover
vorzubereiten, hatten sich die Einwohner der Stadt und der Umgegend in
Massen vor dem Bahnhof versammelt und brachten ihm brausende Lebehochs;
die Stadt war illuminiert, und längs des Wegs, auf dem er sich in seine bis¬
herige Wohnung begab, standen Reihen von Fackelträgern. Er war, sagt
Hasselt, kein scharf ausgeprägter politischer Charakter; sein versöhnliches,
weiches Gemüt und seine Vergangenheit im Staatsdienst machten sein Auf¬
treten gegenüber der liberalen und der demokratischen Partei von vornherein
unsicher. Der König aber, der es nicht vergessen konnte, daß er einst den
liberalen Ministerien Stüve und Münchhausen angehört hatte (dann war er
noch zum drittenmal Minister gewesen, in dem Kabinett Sehele), schenkte ihm
wohl nie sein volles Vertrauen, das gab seinem Verkehr mit dem Monarchen
vielleicht eine gewisse Befangenheit, und zum rücksichtslosen Dnrchgreifen war
seine Natur nicht gemacht. Wir haben schon gesehen, wie sich Georg V.
wieder seinem Diener Borries ergab, und daß dieses Verhältnis das vorletzte
hannoversche Ministerium nach noch nicht drei Jahren wieder auflöste. Um
ein Haar wäre es anstatt des letzten hannoverschen Ministeriums (Bacmeister)
noch einmal zu einem Ministerium Borries gekommen. Der König wünschte
es dringend, und es kostete dem Grafen Platen die größte Mühe, ihn für andre
Vorschlüge zu gewinnen. Die Jahre gingen hin mit unfruchtbaren Verhand¬
lungen über ein neues Wahlgesetz, gegen das Borries auftrat, und das der
König nicht genehmigte. Übrigens wird diese ganze letzte Periode des König¬
reichs ausgefüllt mit Dingen der äußern Politik, der Schleswig-holsteinischen
Angelegenheit und dem Austrag der preußisch-österreichischen Frage, die dann


vom ehemaligen Königreich Hannover

noch zwei, wie man sagte, halbliberale Ministerien, das erste unter Hammer¬
stein, worin die Justiz zum zweitenmal Windthorst übernahm, es trat im
September 1865 zurück, und das letzte, zu dem Graf Platen dem König die
Vorschläge gemacht hatte, mit Bacmeister für das Innere und Leonhardt als
Justizminister. Baemeistcr wurde auf seinen Antrag durch ein von Göttingen
am 19. Juni 1866 datiertes Reskript entlassen. Dann kam die Schlacht bei
Langensalza. Diese letzten nicht vollen vier Jahre bedeuten für den innern
Zustand des Königreichs doch nicht viel mehr als eine Erholung von den
Wirkungen des Borriesschen Regiments. Man hatte dem neuen Ministerium
die größten Erwartungen entgegengebracht, und ein Jubel war durch das
Land gegangen, als es kund wurde, daß der König am 9. Dezember 1862
die Ernennung der Minister vollzogen hatte. Die Mißwirtschaft der letzten
sieben Jahre hielt man für endgiltig abgethan, weitgehende liberale Änderungen
mußten folgen. Der Minister von Hammerstein, den Hasselt mit Wärme
charakterisiert, war vielleicht der wohlwollendste Minister, den Hannover ge¬
habt hat, von einer reichen und vielseitigen Bildung und von hervorragender
Tüchtigkeit in der innern Verwaltung. Durch erprobte Rechtschaffenheit und
warme Fürsorge für das Wohl jedes einzelnen seiner Untergebnen hatte er
sich die Liebe der Eingesessenen des Amtsbezirks Werden, den er in den letzten
Jahren verwaltet hatte, zu erwerben verstanden; noch heute hängt dort in
vielen Bürger- und Bauerhäusern sein Bildnis. Als er am Abend des
13. Dezembers nach Werden zurückkehrte, um seine Übersiedlung nach Hannover
vorzubereiten, hatten sich die Einwohner der Stadt und der Umgegend in
Massen vor dem Bahnhof versammelt und brachten ihm brausende Lebehochs;
die Stadt war illuminiert, und längs des Wegs, auf dem er sich in seine bis¬
herige Wohnung begab, standen Reihen von Fackelträgern. Er war, sagt
Hasselt, kein scharf ausgeprägter politischer Charakter; sein versöhnliches,
weiches Gemüt und seine Vergangenheit im Staatsdienst machten sein Auf¬
treten gegenüber der liberalen und der demokratischen Partei von vornherein
unsicher. Der König aber, der es nicht vergessen konnte, daß er einst den
liberalen Ministerien Stüve und Münchhausen angehört hatte (dann war er
noch zum drittenmal Minister gewesen, in dem Kabinett Sehele), schenkte ihm
wohl nie sein volles Vertrauen, das gab seinem Verkehr mit dem Monarchen
vielleicht eine gewisse Befangenheit, und zum rücksichtslosen Dnrchgreifen war
seine Natur nicht gemacht. Wir haben schon gesehen, wie sich Georg V.
wieder seinem Diener Borries ergab, und daß dieses Verhältnis das vorletzte
hannoversche Ministerium nach noch nicht drei Jahren wieder auflöste. Um
ein Haar wäre es anstatt des letzten hannoverschen Ministeriums (Bacmeister)
noch einmal zu einem Ministerium Borries gekommen. Der König wünschte
es dringend, und es kostete dem Grafen Platen die größte Mühe, ihn für andre
Vorschlüge zu gewinnen. Die Jahre gingen hin mit unfruchtbaren Verhand¬
lungen über ein neues Wahlgesetz, gegen das Borries auftrat, und das der
König nicht genehmigte. Übrigens wird diese ganze letzte Periode des König¬
reichs ausgefüllt mit Dingen der äußern Politik, der Schleswig-holsteinischen
Angelegenheit und dem Austrag der preußisch-österreichischen Frage, die dann


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[0424] vom ehemaligen Königreich Hannover noch zwei, wie man sagte, halbliberale Ministerien, das erste unter Hammer¬ stein, worin die Justiz zum zweitenmal Windthorst übernahm, es trat im September 1865 zurück, und das letzte, zu dem Graf Platen dem König die Vorschläge gemacht hatte, mit Bacmeister für das Innere und Leonhardt als Justizminister. Baemeistcr wurde auf seinen Antrag durch ein von Göttingen am 19. Juni 1866 datiertes Reskript entlassen. Dann kam die Schlacht bei Langensalza. Diese letzten nicht vollen vier Jahre bedeuten für den innern Zustand des Königreichs doch nicht viel mehr als eine Erholung von den Wirkungen des Borriesschen Regiments. Man hatte dem neuen Ministerium die größten Erwartungen entgegengebracht, und ein Jubel war durch das Land gegangen, als es kund wurde, daß der König am 9. Dezember 1862 die Ernennung der Minister vollzogen hatte. Die Mißwirtschaft der letzten sieben Jahre hielt man für endgiltig abgethan, weitgehende liberale Änderungen mußten folgen. Der Minister von Hammerstein, den Hasselt mit Wärme charakterisiert, war vielleicht der wohlwollendste Minister, den Hannover ge¬ habt hat, von einer reichen und vielseitigen Bildung und von hervorragender Tüchtigkeit in der innern Verwaltung. Durch erprobte Rechtschaffenheit und warme Fürsorge für das Wohl jedes einzelnen seiner Untergebnen hatte er sich die Liebe der Eingesessenen des Amtsbezirks Werden, den er in den letzten Jahren verwaltet hatte, zu erwerben verstanden; noch heute hängt dort in vielen Bürger- und Bauerhäusern sein Bildnis. Als er am Abend des 13. Dezembers nach Werden zurückkehrte, um seine Übersiedlung nach Hannover vorzubereiten, hatten sich die Einwohner der Stadt und der Umgegend in Massen vor dem Bahnhof versammelt und brachten ihm brausende Lebehochs; die Stadt war illuminiert, und längs des Wegs, auf dem er sich in seine bis¬ herige Wohnung begab, standen Reihen von Fackelträgern. Er war, sagt Hasselt, kein scharf ausgeprägter politischer Charakter; sein versöhnliches, weiches Gemüt und seine Vergangenheit im Staatsdienst machten sein Auf¬ treten gegenüber der liberalen und der demokratischen Partei von vornherein unsicher. Der König aber, der es nicht vergessen konnte, daß er einst den liberalen Ministerien Stüve und Münchhausen angehört hatte (dann war er noch zum drittenmal Minister gewesen, in dem Kabinett Sehele), schenkte ihm wohl nie sein volles Vertrauen, das gab seinem Verkehr mit dem Monarchen vielleicht eine gewisse Befangenheit, und zum rücksichtslosen Dnrchgreifen war seine Natur nicht gemacht. Wir haben schon gesehen, wie sich Georg V. wieder seinem Diener Borries ergab, und daß dieses Verhältnis das vorletzte hannoversche Ministerium nach noch nicht drei Jahren wieder auflöste. Um ein Haar wäre es anstatt des letzten hannoverschen Ministeriums (Bacmeister) noch einmal zu einem Ministerium Borries gekommen. Der König wünschte es dringend, und es kostete dem Grafen Platen die größte Mühe, ihn für andre Vorschlüge zu gewinnen. Die Jahre gingen hin mit unfruchtbaren Verhand¬ lungen über ein neues Wahlgesetz, gegen das Borries auftrat, und das der König nicht genehmigte. Übrigens wird diese ganze letzte Periode des König¬ reichs ausgefüllt mit Dingen der äußern Politik, der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit und dem Austrag der preußisch-österreichischen Frage, die dann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/424>, abgerufen am 28.09.2024.