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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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vom ehemaligen Königreich Hannover

selbstverständlich nach 1848 gar nicht mehr gegeben. Die Verfassungsnovellc
von 1848 kennt so wenig Vorzüge der Geburt, wie das Staatsdienergesetz
von 1852 und das neue Gesetz über die "königlichen" Diener unter Georg V.
von 1858.

Wir sind auf diese Äußerlichkeiten, die Meier mit Berichtigung seiner
Vorgänger, auch Hassells, klar gestellt hat, eingegangen, weil sie noch in der
Erinnerung zahlreicher alter Hannoveraner fortleben. Zusammen mit den
andern, wesentlichem Rechten stellen sie die Bevorzugung des Adels, über die
soviel hin und her gesprochen zu werden pflegt, einmal an einem ganz konkreten
Beispiel dar. Meier benutzt dieses noch zu einem interessanten Vergleich der
hannoverschen mit den preußischen Verhältnissen, aus dem sich jedoch keine
Einzelheiten ausheben lassen, weil ihrer zu viel werden müßten, und wiewohl
er das Facit nicht mit kurzen Worten giebt, so meinen wir doch, der Ein¬
druck wäre der, den wir auch sonst bei ihm haben, wenn er in den einzelnen
Kapiteln die hannoverschen Einrichtungen dem preußischen Staate einfügt, daß
sich in dem kleinern Staatswesen die Kräfte in unnützen Reibereien um kleine
Dinge verzettelten, während der preußische Absolutismus produktiv war und
sein mußte, weil er auf dem Wege zum europäischen Großstant einer Zusammen-
fassung seiner Kraft bedurfte. Aber freilich, während Preußen beinahe alles
seinen Herrschern zu verdanken hatte, war Hannover seit dem Beginn des acht¬
zehnten Jahrhunderts mit England verbunden, zu seinem Unheil, wie ein¬
sichtige Staatsmänner damals und später in beweglichen Worten ausgesprochen
haben.

Nach der Darstellung Hassells in den: früher besprochnen ersten Teil
seines Werks könnte es eher scheinen, als sei diese Verbindung für Hannover
eine Ehre und beinahe ein Glück gewesen, und der zweite Teil, der uns hier
zu beschäftigen hat, ist durchaus unter dem Eindruck des Unglücks und des
Unrechts der preußischen Annexion geschrieben, so sehr, daß des Verfassers
Wünsche und Hoffnungen auf eine Wiederbringuug der ehemaligen Zustünde
gerichtet siud, und er in der Vorrede schreibt: "Es hält schwer, in der Annexion
des Königreichs einen Akt ausgleichender politischer Gerechtigkeit zu scheu.
Nicht einmal deren Notwendigkeit läßt sich, wie das Beispiel Sachsens zeigt,
erweisen. Vielmehr ist für den Prager Frieden nicht die Rücksicht auf die
beste Gestaltung Deutschlands, sondern die Besorgnis vor der Einmischung
des Auslands maßgebend gewesen, und es ist unwiderruflich dargethan, daß
es für die deutschen Regierungen vorteilhafter gewesen ist, sich in großen
europäischen Krisen mit Frankreich zu verbünden als sich an Preußen an¬
zuschließen." Wir möchten gleich hierzu eine Betrachtung stellen, die sich
gegen den Schluß des Werkes hin findet, da wo nach der Schlacht bei Langen-
salza, aber noch vor der Annektierung, Ende Juli 1866, der König von Han¬
nover seinen Adjutanten nach Nikolsburg an den König Wilhelm schickt, der
ihn aber nicht empfängt. "Dennoch wollte Georg V. dem Gedanken nicht
Raum geben, daß die Vernichtung seines Königreichs schon jetzt eine be¬
schlossene Sache sein könnte. Ihm war es unfaßbar, daß für die älteste
deutsche Dynastie in dem neuen Bunde kein Raum sein sollte. Er hatte bis


vom ehemaligen Königreich Hannover

selbstverständlich nach 1848 gar nicht mehr gegeben. Die Verfassungsnovellc
von 1848 kennt so wenig Vorzüge der Geburt, wie das Staatsdienergesetz
von 1852 und das neue Gesetz über die „königlichen" Diener unter Georg V.
von 1858.

Wir sind auf diese Äußerlichkeiten, die Meier mit Berichtigung seiner
Vorgänger, auch Hassells, klar gestellt hat, eingegangen, weil sie noch in der
Erinnerung zahlreicher alter Hannoveraner fortleben. Zusammen mit den
andern, wesentlichem Rechten stellen sie die Bevorzugung des Adels, über die
soviel hin und her gesprochen zu werden pflegt, einmal an einem ganz konkreten
Beispiel dar. Meier benutzt dieses noch zu einem interessanten Vergleich der
hannoverschen mit den preußischen Verhältnissen, aus dem sich jedoch keine
Einzelheiten ausheben lassen, weil ihrer zu viel werden müßten, und wiewohl
er das Facit nicht mit kurzen Worten giebt, so meinen wir doch, der Ein¬
druck wäre der, den wir auch sonst bei ihm haben, wenn er in den einzelnen
Kapiteln die hannoverschen Einrichtungen dem preußischen Staate einfügt, daß
sich in dem kleinern Staatswesen die Kräfte in unnützen Reibereien um kleine
Dinge verzettelten, während der preußische Absolutismus produktiv war und
sein mußte, weil er auf dem Wege zum europäischen Großstant einer Zusammen-
fassung seiner Kraft bedurfte. Aber freilich, während Preußen beinahe alles
seinen Herrschern zu verdanken hatte, war Hannover seit dem Beginn des acht¬
zehnten Jahrhunderts mit England verbunden, zu seinem Unheil, wie ein¬
sichtige Staatsmänner damals und später in beweglichen Worten ausgesprochen
haben.

Nach der Darstellung Hassells in den: früher besprochnen ersten Teil
seines Werks könnte es eher scheinen, als sei diese Verbindung für Hannover
eine Ehre und beinahe ein Glück gewesen, und der zweite Teil, der uns hier
zu beschäftigen hat, ist durchaus unter dem Eindruck des Unglücks und des
Unrechts der preußischen Annexion geschrieben, so sehr, daß des Verfassers
Wünsche und Hoffnungen auf eine Wiederbringuug der ehemaligen Zustünde
gerichtet siud, und er in der Vorrede schreibt: „Es hält schwer, in der Annexion
des Königreichs einen Akt ausgleichender politischer Gerechtigkeit zu scheu.
Nicht einmal deren Notwendigkeit läßt sich, wie das Beispiel Sachsens zeigt,
erweisen. Vielmehr ist für den Prager Frieden nicht die Rücksicht auf die
beste Gestaltung Deutschlands, sondern die Besorgnis vor der Einmischung
des Auslands maßgebend gewesen, und es ist unwiderruflich dargethan, daß
es für die deutschen Regierungen vorteilhafter gewesen ist, sich in großen
europäischen Krisen mit Frankreich zu verbünden als sich an Preußen an¬
zuschließen." Wir möchten gleich hierzu eine Betrachtung stellen, die sich
gegen den Schluß des Werkes hin findet, da wo nach der Schlacht bei Langen-
salza, aber noch vor der Annektierung, Ende Juli 1866, der König von Han¬
nover seinen Adjutanten nach Nikolsburg an den König Wilhelm schickt, der
ihn aber nicht empfängt. „Dennoch wollte Georg V. dem Gedanken nicht
Raum geben, daß die Vernichtung seines Königreichs schon jetzt eine be¬
schlossene Sache sein könnte. Ihm war es unfaßbar, daß für die älteste
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[0350] vom ehemaligen Königreich Hannover selbstverständlich nach 1848 gar nicht mehr gegeben. Die Verfassungsnovellc von 1848 kennt so wenig Vorzüge der Geburt, wie das Staatsdienergesetz von 1852 und das neue Gesetz über die „königlichen" Diener unter Georg V. von 1858. Wir sind auf diese Äußerlichkeiten, die Meier mit Berichtigung seiner Vorgänger, auch Hassells, klar gestellt hat, eingegangen, weil sie noch in der Erinnerung zahlreicher alter Hannoveraner fortleben. Zusammen mit den andern, wesentlichem Rechten stellen sie die Bevorzugung des Adels, über die soviel hin und her gesprochen zu werden pflegt, einmal an einem ganz konkreten Beispiel dar. Meier benutzt dieses noch zu einem interessanten Vergleich der hannoverschen mit den preußischen Verhältnissen, aus dem sich jedoch keine Einzelheiten ausheben lassen, weil ihrer zu viel werden müßten, und wiewohl er das Facit nicht mit kurzen Worten giebt, so meinen wir doch, der Ein¬ druck wäre der, den wir auch sonst bei ihm haben, wenn er in den einzelnen Kapiteln die hannoverschen Einrichtungen dem preußischen Staate einfügt, daß sich in dem kleinern Staatswesen die Kräfte in unnützen Reibereien um kleine Dinge verzettelten, während der preußische Absolutismus produktiv war und sein mußte, weil er auf dem Wege zum europäischen Großstant einer Zusammen- fassung seiner Kraft bedurfte. Aber freilich, während Preußen beinahe alles seinen Herrschern zu verdanken hatte, war Hannover seit dem Beginn des acht¬ zehnten Jahrhunderts mit England verbunden, zu seinem Unheil, wie ein¬ sichtige Staatsmänner damals und später in beweglichen Worten ausgesprochen haben. Nach der Darstellung Hassells in den: früher besprochnen ersten Teil seines Werks könnte es eher scheinen, als sei diese Verbindung für Hannover eine Ehre und beinahe ein Glück gewesen, und der zweite Teil, der uns hier zu beschäftigen hat, ist durchaus unter dem Eindruck des Unglücks und des Unrechts der preußischen Annexion geschrieben, so sehr, daß des Verfassers Wünsche und Hoffnungen auf eine Wiederbringuug der ehemaligen Zustünde gerichtet siud, und er in der Vorrede schreibt: „Es hält schwer, in der Annexion des Königreichs einen Akt ausgleichender politischer Gerechtigkeit zu scheu. Nicht einmal deren Notwendigkeit läßt sich, wie das Beispiel Sachsens zeigt, erweisen. Vielmehr ist für den Prager Frieden nicht die Rücksicht auf die beste Gestaltung Deutschlands, sondern die Besorgnis vor der Einmischung des Auslands maßgebend gewesen, und es ist unwiderruflich dargethan, daß es für die deutschen Regierungen vorteilhafter gewesen ist, sich in großen europäischen Krisen mit Frankreich zu verbünden als sich an Preußen an¬ zuschließen." Wir möchten gleich hierzu eine Betrachtung stellen, die sich gegen den Schluß des Werkes hin findet, da wo nach der Schlacht bei Langen- salza, aber noch vor der Annektierung, Ende Juli 1866, der König von Han¬ nover seinen Adjutanten nach Nikolsburg an den König Wilhelm schickt, der ihn aber nicht empfängt. „Dennoch wollte Georg V. dem Gedanken nicht Raum geben, daß die Vernichtung seines Königreichs schon jetzt eine be¬ schlossene Sache sein könnte. Ihm war es unfaßbar, daß für die älteste deutsche Dynastie in dem neuen Bunde kein Raum sein sollte. Er hatte bis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/350>, abgerufen am 27.09.2024.