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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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lvolfenbüttcl und Lessings Lulua Galotti

Und um vergegenwärtige man sich die Art und Weise, wie der Dichter
des Nathan gleich nach seinem Amtsantritte dem herzoglichen Hause, nament¬
lich dem Erbprinzen, seinem Wohlthäter, seinen Dank für so viel Wohlwollen
und Entgegenkommen abgestattet haben soll! Kaum hat er sichs in den schönen
Räumen, die ihm die Großmut des Herzogs hat einrichten und zuweisen lassen,
bequem gemacht, so sitzt er auch schou am Schreibtisch, um ein altes, zurück¬
gelegtes Projekt zu einem Trauerspiele nunmehr zu einem Pamphlet umzuarbeiten,
dessen Spitzen und hämische Charakteristik der darin vorkommenden Hauptfiguren
sich gegen seineu Wohlthäter richten, gegen den Fürsten, der ihm -- aus
welchem innern Grunde, verschlüge dabei nichts -- eben in seiner Not die
helfende Hand gereicht hatte! Und eine so schmachvolle Denkungsart, eine so
niedrige Handlungsweise wagt man Lessing zuzuschreiben, ihm, an dem man
zugleich in vollen Posauneustößen die Güte des Herzens und die Hoheit der
Gesinnung preist? Aber noch mehr! Während er bei der Arbeit ist, und
alsbald nach ihrer Vollendung schreibt er Briefe, die. wäre jene Behauptung
mich nur zur Hälfte begründet, ihm das Brandmal der elendesten Falschheit
und Heuchelei aufdrücken würden: an den Herzog, dein er beteuert, "daß das
Stück weiter nichts sei als die alte römische Geschichte der Virginia in einer
modernen Einkleidung"; an Ebert. den er ersucht, in seinem Namen dem Erb¬
prinzen ein Exemplar des Stücks zu überreichen mit der Versicherung, "wie
angenehm ihm dessen geringster Beifall sein würde, verstehe sich von selbst."
Eine solche feige und lügnerische Rolle soll Lessing. der Spiegel der Wahr¬
haftigkeit und Lauterkeit, gespielt haben, und er soll sie gespielt haben ohne
die Spur irgend eines Motivs, das man doch sogar bei der Aburteilung eines
Verbrechers verlangt! Denn -- ich wiederhole es -- in seinen Briefen aus
dieser Zeit findet sich auch nicht ein einziges Wort der Animosität gegen das
herzogliche Haus, insonderheit gegen den Erbprinzen, und -- ein gottbegnadeter
Dichter, wie er trotz seiner bescheiden ablehnenden Versicherung gewesen ist --
hatte er doch keine Veranlassung, die Charaktere seines Stücks, statt sie frei zu
gestalten, in seiner nähern oder fernern Umgebung zu suchen. Haben die Leute,
die solche Behauptungen wie die, von der hier die Rede ist, in die Welt setzen
und weiter verbreiten, denn jedes Gefühl dafür verloren, wie sehr sie sich damit
an dein Andenken des Dichters versündigen, eine wie schwere Anklage sie damit
gegen ihn erheben? Hätten sie Recht, wahrlich, dann würden wir in Lessing
"icht mehr neben seiner schriftstellerischen und dichterischen Bedeutung auch den
offnen, freimütiger, auf sich selbst ruhenden, vor allem aber wahrhaftigen
Menschen, den Mann von wirklicher Vornehmtheit und echtem Seelenadel zu
kehren haben.




Grenzboten I 1902II
lvolfenbüttcl und Lessings Lulua Galotti

Und um vergegenwärtige man sich die Art und Weise, wie der Dichter
des Nathan gleich nach seinem Amtsantritte dem herzoglichen Hause, nament¬
lich dem Erbprinzen, seinem Wohlthäter, seinen Dank für so viel Wohlwollen
und Entgegenkommen abgestattet haben soll! Kaum hat er sichs in den schönen
Räumen, die ihm die Großmut des Herzogs hat einrichten und zuweisen lassen,
bequem gemacht, so sitzt er auch schou am Schreibtisch, um ein altes, zurück¬
gelegtes Projekt zu einem Trauerspiele nunmehr zu einem Pamphlet umzuarbeiten,
dessen Spitzen und hämische Charakteristik der darin vorkommenden Hauptfiguren
sich gegen seineu Wohlthäter richten, gegen den Fürsten, der ihm — aus
welchem innern Grunde, verschlüge dabei nichts — eben in seiner Not die
helfende Hand gereicht hatte! Und eine so schmachvolle Denkungsart, eine so
niedrige Handlungsweise wagt man Lessing zuzuschreiben, ihm, an dem man
zugleich in vollen Posauneustößen die Güte des Herzens und die Hoheit der
Gesinnung preist? Aber noch mehr! Während er bei der Arbeit ist, und
alsbald nach ihrer Vollendung schreibt er Briefe, die. wäre jene Behauptung
mich nur zur Hälfte begründet, ihm das Brandmal der elendesten Falschheit
und Heuchelei aufdrücken würden: an den Herzog, dein er beteuert, „daß das
Stück weiter nichts sei als die alte römische Geschichte der Virginia in einer
modernen Einkleidung"; an Ebert. den er ersucht, in seinem Namen dem Erb¬
prinzen ein Exemplar des Stücks zu überreichen mit der Versicherung, „wie
angenehm ihm dessen geringster Beifall sein würde, verstehe sich von selbst."
Eine solche feige und lügnerische Rolle soll Lessing. der Spiegel der Wahr¬
haftigkeit und Lauterkeit, gespielt haben, und er soll sie gespielt haben ohne
die Spur irgend eines Motivs, das man doch sogar bei der Aburteilung eines
Verbrechers verlangt! Denn — ich wiederhole es — in seinen Briefen aus
dieser Zeit findet sich auch nicht ein einziges Wort der Animosität gegen das
herzogliche Haus, insonderheit gegen den Erbprinzen, und — ein gottbegnadeter
Dichter, wie er trotz seiner bescheiden ablehnenden Versicherung gewesen ist —
hatte er doch keine Veranlassung, die Charaktere seines Stücks, statt sie frei zu
gestalten, in seiner nähern oder fernern Umgebung zu suchen. Haben die Leute,
die solche Behauptungen wie die, von der hier die Rede ist, in die Welt setzen
und weiter verbreiten, denn jedes Gefühl dafür verloren, wie sehr sie sich damit
an dein Andenken des Dichters versündigen, eine wie schwere Anklage sie damit
gegen ihn erheben? Hätten sie Recht, wahrlich, dann würden wir in Lessing
"icht mehr neben seiner schriftstellerischen und dichterischen Bedeutung auch den
offnen, freimütiger, auf sich selbst ruhenden, vor allem aber wahrhaftigen
Menschen, den Mann von wirklicher Vornehmtheit und echtem Seelenadel zu
kehren haben.




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[0329] lvolfenbüttcl und Lessings Lulua Galotti Und um vergegenwärtige man sich die Art und Weise, wie der Dichter des Nathan gleich nach seinem Amtsantritte dem herzoglichen Hause, nament¬ lich dem Erbprinzen, seinem Wohlthäter, seinen Dank für so viel Wohlwollen und Entgegenkommen abgestattet haben soll! Kaum hat er sichs in den schönen Räumen, die ihm die Großmut des Herzogs hat einrichten und zuweisen lassen, bequem gemacht, so sitzt er auch schou am Schreibtisch, um ein altes, zurück¬ gelegtes Projekt zu einem Trauerspiele nunmehr zu einem Pamphlet umzuarbeiten, dessen Spitzen und hämische Charakteristik der darin vorkommenden Hauptfiguren sich gegen seineu Wohlthäter richten, gegen den Fürsten, der ihm — aus welchem innern Grunde, verschlüge dabei nichts — eben in seiner Not die helfende Hand gereicht hatte! Und eine so schmachvolle Denkungsart, eine so niedrige Handlungsweise wagt man Lessing zuzuschreiben, ihm, an dem man zugleich in vollen Posauneustößen die Güte des Herzens und die Hoheit der Gesinnung preist? Aber noch mehr! Während er bei der Arbeit ist, und alsbald nach ihrer Vollendung schreibt er Briefe, die. wäre jene Behauptung mich nur zur Hälfte begründet, ihm das Brandmal der elendesten Falschheit und Heuchelei aufdrücken würden: an den Herzog, dein er beteuert, „daß das Stück weiter nichts sei als die alte römische Geschichte der Virginia in einer modernen Einkleidung"; an Ebert. den er ersucht, in seinem Namen dem Erb¬ prinzen ein Exemplar des Stücks zu überreichen mit der Versicherung, „wie angenehm ihm dessen geringster Beifall sein würde, verstehe sich von selbst." Eine solche feige und lügnerische Rolle soll Lessing. der Spiegel der Wahr¬ haftigkeit und Lauterkeit, gespielt haben, und er soll sie gespielt haben ohne die Spur irgend eines Motivs, das man doch sogar bei der Aburteilung eines Verbrechers verlangt! Denn — ich wiederhole es — in seinen Briefen aus dieser Zeit findet sich auch nicht ein einziges Wort der Animosität gegen das herzogliche Haus, insonderheit gegen den Erbprinzen, und — ein gottbegnadeter Dichter, wie er trotz seiner bescheiden ablehnenden Versicherung gewesen ist — hatte er doch keine Veranlassung, die Charaktere seines Stücks, statt sie frei zu gestalten, in seiner nähern oder fernern Umgebung zu suchen. Haben die Leute, die solche Behauptungen wie die, von der hier die Rede ist, in die Welt setzen und weiter verbreiten, denn jedes Gefühl dafür verloren, wie sehr sie sich damit an dein Andenken des Dichters versündigen, eine wie schwere Anklage sie damit gegen ihn erheben? Hätten sie Recht, wahrlich, dann würden wir in Lessing "icht mehr neben seiner schriftstellerischen und dichterischen Bedeutung auch den offnen, freimütiger, auf sich selbst ruhenden, vor allem aber wahrhaftigen Menschen, den Mann von wirklicher Vornehmtheit und echtem Seelenadel zu kehren haben. Grenzboten I 1902II

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/329>, abgerufen am 19.10.2024.