Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Hellenentnm und Christentum Worten gezüchtigt werden. Um sich nicht den Respekt zu vergeben, soll der Hellenentnm und Christentum Worten gezüchtigt werden. Um sich nicht den Respekt zu vergeben, soll der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0315" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236839"/> <fw type="header" place="top"> Hellenentnm und Christentum</fw><lb/> <p xml:id="ID_1192" prev="#ID_1191" next="#ID_1193"> Worten gezüchtigt werden. Um sich nicht den Respekt zu vergeben, soll der<lb/> Herr immer streng und ernsthaft mit ihnen reden, niemals scherzen, womit also<lb/> die gemütliche Annäherung zwischen Herrn und Knecht, die thatsächlich häufig<lb/> vorkam, verboten wird. Tötet einer seinen eignen Sklaven, so soll er sich<lb/> der religiösen Sühne unterziehn. ermordet er den eines andern, diesem den<lb/> Schaden ersetzen. Wenn einer seinen Sklaven nicht im Zorn oder aus einem<lb/> vernünftigen Grunde tötet, sondern ans Furcht, der Sklave möchte cui Ver¬<lb/> geh,: des Nerrn anzeigen, so soll dieser Mord wie der Mord eines Freien be¬<lb/> straft werden. Die Notwendigkeit einer Staatsordnung wird unter anderm<lb/> damit begründet, daß sich ein Herr, der mit seinen Sklaven allein in einer<lb/> Einöde säße, in übler Lage befinden würde; der Staat schütze jeden Herrn<lb/> vor seinen Sklaven. Die aristokratische Beschränkung nicht allein der Herr¬<lb/> schaft in der Politie. sondern auch des Zugangs zu den höchsten geistigen<lb/> Gütern auf die wenigen zur Philosophie befähigten und die Gleuhgiltigkeit<lb/> gegen das Glück nicht allein der Sklaven, sondern aller Einzelnen ist das.<lb/> wodurch sich die Ethik Platos am auffälligsten, eigentlich allein, von der des<lb/> Neuen Testaments und der - Theorie der Christenheit unterscheidet. Sokrates<lb/> mache die Bürger seines Gemeinwesens nicht eben sehr glücklich, meint Adi-<lb/> mantus im Anfange des vierten Buchs der Politie. Sokrates erwidert, um<lb/> das Glück der Einzelnen sei es ihm thatsächlich weniger zu thun als um das<lb/> Glück des Ganzen, unter welchem Glück man doch nur die gute und gerechte<lb/> Ordnung verstehn kann, da ein Gemeinwesen keine Glückempfindung hat.<lb/> Dieser Ordnung also, der Gerechtigkeit, soll das Glück der Einzelnen geopfert<lb/> werden. Auch auf moralische Vortrefflichkeit kommt es ihm nur bei den Vor¬<lb/> stehern und Soldaten an. Von der Erziehung der Handwerker und Bauern<lb/> spricht er gar nicht, ja er sagt ausdrücklich, wenn die Schuhflicker schlecht<lb/> würden, so habe das weiter nichts zu bedeuten. Diese aristokratische Be¬<lb/> schränkung der Teilnahme an den höchsten Gütern erklärt sich aus der deut¬<lb/> lichen Erkenntnis der Ungleichheit der Menschen, die damals noch durch keine<lb/> Meichhcitstheorien verdunkelt worden war. Die Natur fordre es, schreibt er<lb/> den Gesetzen, daß die Kinder und überhaupt die Jüngern, die unedel ge-<lb/> bornen. die Sklaven, die Schwachen den Alten. Edeln und Starken gehorchen,<lb/> "ut er fügt den zum Herrschen bestimmten noch die bei, die des Himmels<lb/> Gunst durch das Los beruft. Lebhaftes Mitleid aber mit den Beherrschten<lb/> SU erregen und auf diesem Wege das Gefühl der Pflicht allgemeiner Nächsten¬<lb/> liebe zu erzeugen, waren die Zustände des Altertums weit weniger geeignet<lb/> "is die modernen. Was wir heute Nahrungssorge nennen, kannte das Alter¬<lb/> tum nicht, die größte aller heutigen Sorgen: Wo Arbeit finden? würde ein<lb/> Alter, der von den Toten auferstünde, gar nicht verstehn. Und wo der vor¬<lb/> nehmste Mann, ohne sein Ansehen aufs Spiel zu setzen, barfuß gehn und sich<lb/> rühmen durfte, er habe nur einen einzigen Rock, da konnten die nagendsten<lb/> der heutigen Sorgen gar nicht auftauchen. In Athen zumal lebten seit des<lb/> Perikles Zeiten die armen Bürger, wenn nicht gerade Kriegsnöte allen ohne<lb/> Ausnahme Leiden und Entbehrungen auflegten, herrlich und in Freuden auf<lb/> Kosten der Reichen, und waren die Sklaven ein übermütiges freches Gesindel.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0315]
Hellenentnm und Christentum
Worten gezüchtigt werden. Um sich nicht den Respekt zu vergeben, soll der
Herr immer streng und ernsthaft mit ihnen reden, niemals scherzen, womit also
die gemütliche Annäherung zwischen Herrn und Knecht, die thatsächlich häufig
vorkam, verboten wird. Tötet einer seinen eignen Sklaven, so soll er sich
der religiösen Sühne unterziehn. ermordet er den eines andern, diesem den
Schaden ersetzen. Wenn einer seinen Sklaven nicht im Zorn oder aus einem
vernünftigen Grunde tötet, sondern ans Furcht, der Sklave möchte cui Ver¬
geh,: des Nerrn anzeigen, so soll dieser Mord wie der Mord eines Freien be¬
straft werden. Die Notwendigkeit einer Staatsordnung wird unter anderm
damit begründet, daß sich ein Herr, der mit seinen Sklaven allein in einer
Einöde säße, in übler Lage befinden würde; der Staat schütze jeden Herrn
vor seinen Sklaven. Die aristokratische Beschränkung nicht allein der Herr¬
schaft in der Politie. sondern auch des Zugangs zu den höchsten geistigen
Gütern auf die wenigen zur Philosophie befähigten und die Gleuhgiltigkeit
gegen das Glück nicht allein der Sklaven, sondern aller Einzelnen ist das.
wodurch sich die Ethik Platos am auffälligsten, eigentlich allein, von der des
Neuen Testaments und der - Theorie der Christenheit unterscheidet. Sokrates
mache die Bürger seines Gemeinwesens nicht eben sehr glücklich, meint Adi-
mantus im Anfange des vierten Buchs der Politie. Sokrates erwidert, um
das Glück der Einzelnen sei es ihm thatsächlich weniger zu thun als um das
Glück des Ganzen, unter welchem Glück man doch nur die gute und gerechte
Ordnung verstehn kann, da ein Gemeinwesen keine Glückempfindung hat.
Dieser Ordnung also, der Gerechtigkeit, soll das Glück der Einzelnen geopfert
werden. Auch auf moralische Vortrefflichkeit kommt es ihm nur bei den Vor¬
stehern und Soldaten an. Von der Erziehung der Handwerker und Bauern
spricht er gar nicht, ja er sagt ausdrücklich, wenn die Schuhflicker schlecht
würden, so habe das weiter nichts zu bedeuten. Diese aristokratische Be¬
schränkung der Teilnahme an den höchsten Gütern erklärt sich aus der deut¬
lichen Erkenntnis der Ungleichheit der Menschen, die damals noch durch keine
Meichhcitstheorien verdunkelt worden war. Die Natur fordre es, schreibt er
den Gesetzen, daß die Kinder und überhaupt die Jüngern, die unedel ge-
bornen. die Sklaven, die Schwachen den Alten. Edeln und Starken gehorchen,
"ut er fügt den zum Herrschen bestimmten noch die bei, die des Himmels
Gunst durch das Los beruft. Lebhaftes Mitleid aber mit den Beherrschten
SU erregen und auf diesem Wege das Gefühl der Pflicht allgemeiner Nächsten¬
liebe zu erzeugen, waren die Zustände des Altertums weit weniger geeignet
"is die modernen. Was wir heute Nahrungssorge nennen, kannte das Alter¬
tum nicht, die größte aller heutigen Sorgen: Wo Arbeit finden? würde ein
Alter, der von den Toten auferstünde, gar nicht verstehn. Und wo der vor¬
nehmste Mann, ohne sein Ansehen aufs Spiel zu setzen, barfuß gehn und sich
rühmen durfte, er habe nur einen einzigen Rock, da konnten die nagendsten
der heutigen Sorgen gar nicht auftauchen. In Athen zumal lebten seit des
Perikles Zeiten die armen Bürger, wenn nicht gerade Kriegsnöte allen ohne
Ausnahme Leiden und Entbehrungen auflegten, herrlich und in Freuden auf
Kosten der Reichen, und waren die Sklaven ein übermütiges freches Gesindel.
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