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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Die papyrnsschätze Ägyptens

boten, sodciß er tiefer in den Geist der hellenistischen Volkssprache einzudringen
und ihre noch immer nicht ganz sichere Stellung zu der ältern griechischen
Sprache einerseits und der neugriechischen andrerseits genauer festzustellen
vermag.

Litterarische Papyri sind im Verhältnis zu der Menge der Urkunden nur
in geringer Zahl gefunden worden. Es ist das leicht erklärlich: Man muß
voraussetzen, daß es keine größern Bibliotheken gerade in den Städten gab,
die die Hauptmasse der Papyri geliefert haben. Nur die angesehenern Ein¬
wohner hatten die klassischen Schriftsteller der Griechen, also vor allem Homer,
dann Werke der Dramatiker und Lyriker, von den Prosaikern besonders Platon;
andre Schriftsteller, zeitgenössische und frühere, werden nur selten vorgekommen
sein, waren aber doch in einzelnen Exemplaren vertreten. In den Schutthaufen
werden natürlich nur zerlesene Fetzen von Schriftstellern entdeckt, vollständigere
Exemplare kommen in der Regel nur aus Grübern wieder an das Tageslicht.
Aus Gräbern stammen denn auch die Gedichte des Herondas und die Ver¬
fassung der Athener von Aristoteles, die schon zu Anfang der neunziger Jahre
vom Britischen Museum aus veröffentlicht wurden. Der wichtigste litterarische
Fund der letzten Jahre sind die Gedichte des Bakchylides, die 1896 ebenfalls
in einem Grabe gefunden wurden. Dieser Dichter aus der Blütezeit von Hellas
ist zwar kein Genius ersten Ranges, daß er aber bei Mit- und Nachwelt in
hohem Ansehen stand, geht daraus hervor, daß er es wagen durfte, mit Pindar
in Siegesliedern zu wetteifern, und daß er von den Alexandrinern in den
Kanon der neun großen Lyriker aufgenommen wurde. Er gehörte auch mit
Pindar, Äschylus und Simonides zu den Gästen des glänzenden Hofes zu
Syrakus, und auf dessen Beherrscher Hieron finden sich mehrere Preisgesänge
unter seinen Gedichten. Seine Sprache ist nicht so erhaben und pathetisch wie
die Pindars, dafür aber auch nicht so dunkel und fürs erste Lesen nicht so
unverständlich; und einige Stellen seiner Lieder, z. B. der Vergleich des einher¬
rasenden und dann ruhenden Achilles mit dem wütenden und dann sich legenden
Meeressturme im dreizehnten Gedicht, gehören zu den schönsten Perlen der
griechischen Dichtung. Wir haben jetzt von diesem Dichter, der uns bisher
nur aus einigen Fragmenten bekannt war, zwanzig mehr oder weniger voll¬
ständig erhaltne Gedichte, die alle für eine bestimmte Gelegenheit, sei es für
einen bei den Nationalspielen erruuguen Sieg oder eine religiöse Feier, ge¬
dichtet sind, und die zum Teil einen balladenartigen Charakter tragen. Wer
sich näher über den Dichter unterrichten will, dem kann man die kleine Schrift
von Wilamowitz "Bakchylides" empfehlen, die auch meisterhafte Übersetzungs¬
proben enthält.

Was nun die in den Schutthaufen von Oxyrhynchos und der Faijum-
städte entdeckten litterarischen Papyri anlangt, so sind dies größtenteils kleine
Abschnitte aus uns bekannten griechischen Schriftwerken, besonders aus Homer,
und zwar zeigen diese Zeilen durchschnittlich nicht weniger Fehler als unsre
meist tausend und mehr Jahre jüngern Handschriften, sodaß sie nur selteu zur
Kontrolle der sonstigen Überlieferung dienen können. Immerhin fehlt es nicht
an bisher unbekannten und schon deshalb wertvollen Stücken. Dahin gehört


Die papyrnsschätze Ägyptens

boten, sodciß er tiefer in den Geist der hellenistischen Volkssprache einzudringen
und ihre noch immer nicht ganz sichere Stellung zu der ältern griechischen
Sprache einerseits und der neugriechischen andrerseits genauer festzustellen
vermag.

Litterarische Papyri sind im Verhältnis zu der Menge der Urkunden nur
in geringer Zahl gefunden worden. Es ist das leicht erklärlich: Man muß
voraussetzen, daß es keine größern Bibliotheken gerade in den Städten gab,
die die Hauptmasse der Papyri geliefert haben. Nur die angesehenern Ein¬
wohner hatten die klassischen Schriftsteller der Griechen, also vor allem Homer,
dann Werke der Dramatiker und Lyriker, von den Prosaikern besonders Platon;
andre Schriftsteller, zeitgenössische und frühere, werden nur selten vorgekommen
sein, waren aber doch in einzelnen Exemplaren vertreten. In den Schutthaufen
werden natürlich nur zerlesene Fetzen von Schriftstellern entdeckt, vollständigere
Exemplare kommen in der Regel nur aus Grübern wieder an das Tageslicht.
Aus Gräbern stammen denn auch die Gedichte des Herondas und die Ver¬
fassung der Athener von Aristoteles, die schon zu Anfang der neunziger Jahre
vom Britischen Museum aus veröffentlicht wurden. Der wichtigste litterarische
Fund der letzten Jahre sind die Gedichte des Bakchylides, die 1896 ebenfalls
in einem Grabe gefunden wurden. Dieser Dichter aus der Blütezeit von Hellas
ist zwar kein Genius ersten Ranges, daß er aber bei Mit- und Nachwelt in
hohem Ansehen stand, geht daraus hervor, daß er es wagen durfte, mit Pindar
in Siegesliedern zu wetteifern, und daß er von den Alexandrinern in den
Kanon der neun großen Lyriker aufgenommen wurde. Er gehörte auch mit
Pindar, Äschylus und Simonides zu den Gästen des glänzenden Hofes zu
Syrakus, und auf dessen Beherrscher Hieron finden sich mehrere Preisgesänge
unter seinen Gedichten. Seine Sprache ist nicht so erhaben und pathetisch wie
die Pindars, dafür aber auch nicht so dunkel und fürs erste Lesen nicht so
unverständlich; und einige Stellen seiner Lieder, z. B. der Vergleich des einher¬
rasenden und dann ruhenden Achilles mit dem wütenden und dann sich legenden
Meeressturme im dreizehnten Gedicht, gehören zu den schönsten Perlen der
griechischen Dichtung. Wir haben jetzt von diesem Dichter, der uns bisher
nur aus einigen Fragmenten bekannt war, zwanzig mehr oder weniger voll¬
ständig erhaltne Gedichte, die alle für eine bestimmte Gelegenheit, sei es für
einen bei den Nationalspielen erruuguen Sieg oder eine religiöse Feier, ge¬
dichtet sind, und die zum Teil einen balladenartigen Charakter tragen. Wer
sich näher über den Dichter unterrichten will, dem kann man die kleine Schrift
von Wilamowitz „Bakchylides" empfehlen, die auch meisterhafte Übersetzungs¬
proben enthält.

Was nun die in den Schutthaufen von Oxyrhynchos und der Faijum-
städte entdeckten litterarischen Papyri anlangt, so sind dies größtenteils kleine
Abschnitte aus uns bekannten griechischen Schriftwerken, besonders aus Homer,
und zwar zeigen diese Zeilen durchschnittlich nicht weniger Fehler als unsre
meist tausend und mehr Jahre jüngern Handschriften, sodaß sie nur selteu zur
Kontrolle der sonstigen Überlieferung dienen können. Immerhin fehlt es nicht
an bisher unbekannten und schon deshalb wertvollen Stücken. Dahin gehört


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[0158] Die papyrnsschätze Ägyptens boten, sodciß er tiefer in den Geist der hellenistischen Volkssprache einzudringen und ihre noch immer nicht ganz sichere Stellung zu der ältern griechischen Sprache einerseits und der neugriechischen andrerseits genauer festzustellen vermag. Litterarische Papyri sind im Verhältnis zu der Menge der Urkunden nur in geringer Zahl gefunden worden. Es ist das leicht erklärlich: Man muß voraussetzen, daß es keine größern Bibliotheken gerade in den Städten gab, die die Hauptmasse der Papyri geliefert haben. Nur die angesehenern Ein¬ wohner hatten die klassischen Schriftsteller der Griechen, also vor allem Homer, dann Werke der Dramatiker und Lyriker, von den Prosaikern besonders Platon; andre Schriftsteller, zeitgenössische und frühere, werden nur selten vorgekommen sein, waren aber doch in einzelnen Exemplaren vertreten. In den Schutthaufen werden natürlich nur zerlesene Fetzen von Schriftstellern entdeckt, vollständigere Exemplare kommen in der Regel nur aus Grübern wieder an das Tageslicht. Aus Gräbern stammen denn auch die Gedichte des Herondas und die Ver¬ fassung der Athener von Aristoteles, die schon zu Anfang der neunziger Jahre vom Britischen Museum aus veröffentlicht wurden. Der wichtigste litterarische Fund der letzten Jahre sind die Gedichte des Bakchylides, die 1896 ebenfalls in einem Grabe gefunden wurden. Dieser Dichter aus der Blütezeit von Hellas ist zwar kein Genius ersten Ranges, daß er aber bei Mit- und Nachwelt in hohem Ansehen stand, geht daraus hervor, daß er es wagen durfte, mit Pindar in Siegesliedern zu wetteifern, und daß er von den Alexandrinern in den Kanon der neun großen Lyriker aufgenommen wurde. Er gehörte auch mit Pindar, Äschylus und Simonides zu den Gästen des glänzenden Hofes zu Syrakus, und auf dessen Beherrscher Hieron finden sich mehrere Preisgesänge unter seinen Gedichten. Seine Sprache ist nicht so erhaben und pathetisch wie die Pindars, dafür aber auch nicht so dunkel und fürs erste Lesen nicht so unverständlich; und einige Stellen seiner Lieder, z. B. der Vergleich des einher¬ rasenden und dann ruhenden Achilles mit dem wütenden und dann sich legenden Meeressturme im dreizehnten Gedicht, gehören zu den schönsten Perlen der griechischen Dichtung. Wir haben jetzt von diesem Dichter, der uns bisher nur aus einigen Fragmenten bekannt war, zwanzig mehr oder weniger voll¬ ständig erhaltne Gedichte, die alle für eine bestimmte Gelegenheit, sei es für einen bei den Nationalspielen erruuguen Sieg oder eine religiöse Feier, ge¬ dichtet sind, und die zum Teil einen balladenartigen Charakter tragen. Wer sich näher über den Dichter unterrichten will, dem kann man die kleine Schrift von Wilamowitz „Bakchylides" empfehlen, die auch meisterhafte Übersetzungs¬ proben enthält. Was nun die in den Schutthaufen von Oxyrhynchos und der Faijum- städte entdeckten litterarischen Papyri anlangt, so sind dies größtenteils kleine Abschnitte aus uns bekannten griechischen Schriftwerken, besonders aus Homer, und zwar zeigen diese Zeilen durchschnittlich nicht weniger Fehler als unsre meist tausend und mehr Jahre jüngern Handschriften, sodaß sie nur selteu zur Kontrolle der sonstigen Überlieferung dienen können. Immerhin fehlt es nicht an bisher unbekannten und schon deshalb wertvollen Stücken. Dahin gehört

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/158>, abgerufen am 06.02.2025.