Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.TUe jüngsten Unruhen in Athen und die neugriechische Bibelübersetzung Aufnahme von romanischen und türkischen Lehnwörtern giebt dein neugriechischen Aber neben diesem natürlichen Leben der gesprochn": Sprache gab es in TUe jüngsten Unruhen in Athen und die neugriechische Bibelübersetzung Aufnahme von romanischen und türkischen Lehnwörtern giebt dein neugriechischen Aber neben diesem natürlichen Leben der gesprochn«: Sprache gab es in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0147" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236671"/> <fw type="header" place="top"> TUe jüngsten Unruhen in Athen und die neugriechische Bibelübersetzung</fw><lb/> <p xml:id="ID_499" prev="#ID_498"> Aufnahme von romanischen und türkischen Lehnwörtern giebt dein neugriechischen<lb/> Wortschatz ein etwas buntes Aussehen, aber das ist ein Vorgang, der mit<lb/> dem Bau der Sprache so wenig etwas zu thun hat wie die lateinischen und<lb/> romanischen Elemente des Deutschen oder des Englischen mit dein innern Bau<lb/> dieser Sprachen.</p><lb/> <p xml:id="ID_500" next="#ID_501"> Aber neben diesem natürlichen Leben der gesprochn«: Sprache gab es in<lb/> der griechischen Kulturwelt seit alter Zeit eine Litteratursprache, das Attische,<lb/> das seit den Tagen Xenophons und Platos das Schrifttum beherrschte. Zwar<lb/> bildete sich auch die attische Litteratnrsprache im Zeitalter des Hellenismus<lb/> (d. h. seit Alexander dem Großen) langsam um, indem sie der gesprochnen<lb/> Sprache in einem gewissen Abstände folgte; aber die Bewegung, die z. B. in<lb/> den Schriften des Reiten Testaments zu einer Umwälzung führte, d. h. zu<lb/> einer Erhebung der lebenden Vulgärsprache in die Litteratur, wurde in den ersten<lb/> Jahrhunderten unsrer Zeitrechnung durch eine rückläufige Bewegung wieder<lb/> gehemmt: die sogenannten Attizisten, deren geistreichster der Spötter Lnkicin<lb/> ist, wollten mit Bewußtsein das klassische Attisch wiederbeleben: die Kluft<lb/> zwischen der lebenden und der Schriftsprache erweiterte sich immer mehr, es<lb/> entstand eine Zweisprachigkeit, die bis zum heutigen Tag fortbesteht. Wenn<lb/> auch die Gesetze des Attischen nicht streng durchgeführt werden konnten, so<lb/> blieb doch immer die Schriftsprache von der des Lebens weit entfernt. Die<lb/> heutigen Griechen sind hierin die Erben der Byzantiner, und diese fuhren fort,<lb/> in den Bahnen zu wandeln, die das sinkende Altertum vorzeichnete. Auf¬<lb/> lehnung gegen diesen Geist der Erstarrung findet sich seit dem elften Jahr¬<lb/> hundert in der volkstümlichen Poesie, und eine lebenskräftige, auf der Volks¬<lb/> sprache beruhende Litteratur begann sich im sechzehnten und im siebzehnten<lb/> Jahrhundert auf dem venezianischen Kreta zu regen, aber ihre Entwicklung<lb/> wurde infolge der türkischen Eroberung gehemmt, bevor sie zur Schöpfung<lb/> einer volkstümlichen Schriftsprache und Litteratur führte. Eine Versöhnung<lb/> des Gegensatzes zwischen Volks- und Schriftsprache versuchte der um sein Volk<lb/> hochverdiente, als Philologe ausgezeichnete Grieche Adamcmtios Korais (1748<lb/> bis 1833): die unnatürliche Schriftsprache sollte vereinfacht und damit dem<lb/> Verständnis des Volkes nahegebracht werden; aber auch für Korais war doch<lb/> die Schriftsprache, uicht die Volkssprache Ausgangspunkt der Reformbewegung.<lb/> Soweit Wörter aus ihr genommen wurden, mußten sie zuerst ihre griechische<lb/> Legitimation nachweisen: ein Zeitgenosse, Jcckobos Rizos Nerulös, verspottete<lb/> in einem Lustspiel die Sucht des Korais, alle Lehnwörter der Volkssprache<lb/> durch griechische zu ersetzen oder vulgärgriechischen Wortformen ein besseres,<lb/> d- h. altgriechisches Aussehen zu geben; ein andres Lustspiel, die „Bnbylonia"<lb/> des Byzantios (1840), macht sich lustig über den gelehrten Schulmeister, der<lb/> von der x«/r>o<i^t/5 statt vou der (der Tabakspfeife) spricht — aber<lb/> diese verspottete Richtung hat doch gesiegt, wovon sich jeder überzeugt, der<lb/> einen Blick in eine griechische Zeitung, sogar in den Annoncenteil, wirft. Ein<lb/> lexikalisches Werk eines Griechen, das vor kurzem erschienen ist, und worin die<lb/> aus dem alten Material neugebildeten Wörter der Schriftsprache zusammen¬<lb/> gestellt sind, legt Zeugnis ab von der unermüdlichen und enormen Arbeit, die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0147]
TUe jüngsten Unruhen in Athen und die neugriechische Bibelübersetzung
Aufnahme von romanischen und türkischen Lehnwörtern giebt dein neugriechischen
Wortschatz ein etwas buntes Aussehen, aber das ist ein Vorgang, der mit
dem Bau der Sprache so wenig etwas zu thun hat wie die lateinischen und
romanischen Elemente des Deutschen oder des Englischen mit dein innern Bau
dieser Sprachen.
Aber neben diesem natürlichen Leben der gesprochn«: Sprache gab es in
der griechischen Kulturwelt seit alter Zeit eine Litteratursprache, das Attische,
das seit den Tagen Xenophons und Platos das Schrifttum beherrschte. Zwar
bildete sich auch die attische Litteratnrsprache im Zeitalter des Hellenismus
(d. h. seit Alexander dem Großen) langsam um, indem sie der gesprochnen
Sprache in einem gewissen Abstände folgte; aber die Bewegung, die z. B. in
den Schriften des Reiten Testaments zu einer Umwälzung führte, d. h. zu
einer Erhebung der lebenden Vulgärsprache in die Litteratur, wurde in den ersten
Jahrhunderten unsrer Zeitrechnung durch eine rückläufige Bewegung wieder
gehemmt: die sogenannten Attizisten, deren geistreichster der Spötter Lnkicin
ist, wollten mit Bewußtsein das klassische Attisch wiederbeleben: die Kluft
zwischen der lebenden und der Schriftsprache erweiterte sich immer mehr, es
entstand eine Zweisprachigkeit, die bis zum heutigen Tag fortbesteht. Wenn
auch die Gesetze des Attischen nicht streng durchgeführt werden konnten, so
blieb doch immer die Schriftsprache von der des Lebens weit entfernt. Die
heutigen Griechen sind hierin die Erben der Byzantiner, und diese fuhren fort,
in den Bahnen zu wandeln, die das sinkende Altertum vorzeichnete. Auf¬
lehnung gegen diesen Geist der Erstarrung findet sich seit dem elften Jahr¬
hundert in der volkstümlichen Poesie, und eine lebenskräftige, auf der Volks¬
sprache beruhende Litteratur begann sich im sechzehnten und im siebzehnten
Jahrhundert auf dem venezianischen Kreta zu regen, aber ihre Entwicklung
wurde infolge der türkischen Eroberung gehemmt, bevor sie zur Schöpfung
einer volkstümlichen Schriftsprache und Litteratur führte. Eine Versöhnung
des Gegensatzes zwischen Volks- und Schriftsprache versuchte der um sein Volk
hochverdiente, als Philologe ausgezeichnete Grieche Adamcmtios Korais (1748
bis 1833): die unnatürliche Schriftsprache sollte vereinfacht und damit dem
Verständnis des Volkes nahegebracht werden; aber auch für Korais war doch
die Schriftsprache, uicht die Volkssprache Ausgangspunkt der Reformbewegung.
Soweit Wörter aus ihr genommen wurden, mußten sie zuerst ihre griechische
Legitimation nachweisen: ein Zeitgenosse, Jcckobos Rizos Nerulös, verspottete
in einem Lustspiel die Sucht des Korais, alle Lehnwörter der Volkssprache
durch griechische zu ersetzen oder vulgärgriechischen Wortformen ein besseres,
d- h. altgriechisches Aussehen zu geben; ein andres Lustspiel, die „Bnbylonia"
des Byzantios (1840), macht sich lustig über den gelehrten Schulmeister, der
von der x«/r>o<i^t/5 statt vou der (der Tabakspfeife) spricht — aber
diese verspottete Richtung hat doch gesiegt, wovon sich jeder überzeugt, der
einen Blick in eine griechische Zeitung, sogar in den Annoncenteil, wirft. Ein
lexikalisches Werk eines Griechen, das vor kurzem erschienen ist, und worin die
aus dem alten Material neugebildeten Wörter der Schriftsprache zusammen¬
gestellt sind, legt Zeugnis ab von der unermüdlichen und enormen Arbeit, die
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