Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Die Weltlage am Jahresanfang nur daß alle diese Mächte auf die Seeverbindung augewiesen sind, die England Hinter diesen schweren Problemen ist die alte orientalische Frage, die Zu¬ Nur durch das Gleichgewicht, worin die europäischen Großmächte einander Die Weltlage am Jahresanfang nur daß alle diese Mächte auf die Seeverbindung augewiesen sind, die England Hinter diesen schweren Problemen ist die alte orientalische Frage, die Zu¬ Nur durch das Gleichgewicht, worin die europäischen Großmächte einander <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0014" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236538"/> <fw type="header" place="top"> Die Weltlage am Jahresanfang</fw><lb/> <p xml:id="ID_15" prev="#ID_14"> nur daß alle diese Mächte auf die Seeverbindung augewiesen sind, die England<lb/> leicht sperren kann. Den Süden Asiens beherrschen England und Frankreich,<lb/> von Norden her reicht Rußlands Hand bis weit in die Mitte, dazwischen ringen<lb/> in China noch die fremden Mächte miteinander; die Philippinen sind ameri¬<lb/> kanisch, und nur ein asiatisches Volk ist noch wirklich eine selbständige Macht,<lb/> nämlich Japan, weil es sich rechtzeitig bis zu einem gewisse» Grade euro¬<lb/> päisiert hat. Wir können gar nicht wünschen, daß Rußland ganz Asien be¬<lb/> wältige, etwa bis Indien vordringe; an der Spitze dieser ungezählten Millionen<lb/> streitbarer Völker wäre es unwiderstehlicher als Dschingis-Khan und würde<lb/> jedenfalls dem Handel der europäischen Mächte einfach die Thüren zuschlagen.<lb/> Wir müssen im Gegenteil wünschen, daß die Herrschaft über Asien geteilt bleibt,<lb/> und daß China einigermaßen widerstandsfähig werde, denn sonst wird es doch<lb/> schließlich zum verhängnisvollen Zankapfel, der den Weltkrieg entzünden konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_16"> Hinter diesen schweren Problemen ist die alte orientalische Frage, die Zu¬<lb/> kunft der Türkei, jetzt sehr zurückgetreten. Aber auch mir Bosporus ist der<lb/> alte herrschende Einfluß Englands offenbar verloren. Die Hohe Pforte hofft<lb/> von ihm nichts mehr und fürchtet Nußland, mit dessen stillschweigender Unter¬<lb/> stützung Frankreich soeben eine Reihe von Konzessionen erzwungen hat, sie<lb/> sieht ihren besten Freund in Deutschland, hat deshalb die deutschanatolischen<lb/> Bahnen ruhig bauen lassen, die Vagdadbahn deutschen Unternehmern kon¬<lb/> zessioniert und deutsche Ingenieure herbeigerufen, um die neue große Linie<lb/> Damaskus-Mekka zu planen, die, wenn sie wirklich gebant wird, doch nicht<lb/> nur Pilger befördern soll, und dem englisch gewordnen Ägypten in unbequeme<lb/> Nähe rückt. Jedenfalls tritt Deutschland als Mitbewerber um die Zukunft<lb/> des „nähern Orients" auf, es hat jetzt ganz direkte Interessen an den Mittel¬<lb/> meerländern und wird sich nicht wieder beiseite schieben lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_17" next="#ID_18"> Nur durch das Gleichgewicht, worin die europäischen Großmächte einander<lb/> halten, ist der Fortbestand des türkischen Reichs verbürgt, sind schwere Kata¬<lb/> strophen bisher abgewandt worden, wie in China durch das Gleichgewicht der<lb/> Weltmächte. Man hat viel über die UnVollkommenheiten und die Hemmungen<lb/> dieses Einvernehmens gespottet; sehr mit Unrecht, denn es war doch etwas<lb/> höchst Merkwürdiges, wie hier acht Machte aus drei Weltteilen zu einem Ziele<lb/> zusammenwirkten und dabei mit Ausnahme Rußlands, das jedoch schon vor<lb/> dem Beginn der Wirren in Nordchina stand, auf Sondervorteile verzichteten,<lb/> nur weil sie jeden kriegerischen Zusammenstoß vermeide», den Frieden unter¬<lb/> einander erhalten wollten. Darin darf man einem praktischen Erfolg in der<lb/> Vervollkommnung des Völkerrechts erkennen, der sehr viel schwerer wiegt, als<lb/> ein Dutzend Kongresse der Friedensgesellschaften und Haager Friedenskonfe¬<lb/> renzen. Und sehr charakteristisch ist dabei wieder die aristokratische Gestaltung<lb/> der modernen Staateilgesellschaft hervorgetreten. Von einer Teilnahme der<lb/> Staaten zweiten und dritten Rangs an den Verhandlung eil und Kämpfen war<lb/> dabei gar keine Rede, sie mochten mit ihren Interessen in China beteiligt sein,<lb/> oder nicht; Belgien, das seine allerdings sehr überflüssige Hilfe anbot, wurde<lb/> sogar einfach zurückgewiesen, die Großmächte allein nahmen die Sache in die<lb/> Hand und führten sie durch. Aber dabei traten zum erstenmal Japan und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
Die Weltlage am Jahresanfang
nur daß alle diese Mächte auf die Seeverbindung augewiesen sind, die England
leicht sperren kann. Den Süden Asiens beherrschen England und Frankreich,
von Norden her reicht Rußlands Hand bis weit in die Mitte, dazwischen ringen
in China noch die fremden Mächte miteinander; die Philippinen sind ameri¬
kanisch, und nur ein asiatisches Volk ist noch wirklich eine selbständige Macht,
nämlich Japan, weil es sich rechtzeitig bis zu einem gewisse» Grade euro¬
päisiert hat. Wir können gar nicht wünschen, daß Rußland ganz Asien be¬
wältige, etwa bis Indien vordringe; an der Spitze dieser ungezählten Millionen
streitbarer Völker wäre es unwiderstehlicher als Dschingis-Khan und würde
jedenfalls dem Handel der europäischen Mächte einfach die Thüren zuschlagen.
Wir müssen im Gegenteil wünschen, daß die Herrschaft über Asien geteilt bleibt,
und daß China einigermaßen widerstandsfähig werde, denn sonst wird es doch
schließlich zum verhängnisvollen Zankapfel, der den Weltkrieg entzünden konnte.
Hinter diesen schweren Problemen ist die alte orientalische Frage, die Zu¬
kunft der Türkei, jetzt sehr zurückgetreten. Aber auch mir Bosporus ist der
alte herrschende Einfluß Englands offenbar verloren. Die Hohe Pforte hofft
von ihm nichts mehr und fürchtet Nußland, mit dessen stillschweigender Unter¬
stützung Frankreich soeben eine Reihe von Konzessionen erzwungen hat, sie
sieht ihren besten Freund in Deutschland, hat deshalb die deutschanatolischen
Bahnen ruhig bauen lassen, die Vagdadbahn deutschen Unternehmern kon¬
zessioniert und deutsche Ingenieure herbeigerufen, um die neue große Linie
Damaskus-Mekka zu planen, die, wenn sie wirklich gebant wird, doch nicht
nur Pilger befördern soll, und dem englisch gewordnen Ägypten in unbequeme
Nähe rückt. Jedenfalls tritt Deutschland als Mitbewerber um die Zukunft
des „nähern Orients" auf, es hat jetzt ganz direkte Interessen an den Mittel¬
meerländern und wird sich nicht wieder beiseite schieben lassen.
Nur durch das Gleichgewicht, worin die europäischen Großmächte einander
halten, ist der Fortbestand des türkischen Reichs verbürgt, sind schwere Kata¬
strophen bisher abgewandt worden, wie in China durch das Gleichgewicht der
Weltmächte. Man hat viel über die UnVollkommenheiten und die Hemmungen
dieses Einvernehmens gespottet; sehr mit Unrecht, denn es war doch etwas
höchst Merkwürdiges, wie hier acht Machte aus drei Weltteilen zu einem Ziele
zusammenwirkten und dabei mit Ausnahme Rußlands, das jedoch schon vor
dem Beginn der Wirren in Nordchina stand, auf Sondervorteile verzichteten,
nur weil sie jeden kriegerischen Zusammenstoß vermeide», den Frieden unter¬
einander erhalten wollten. Darin darf man einem praktischen Erfolg in der
Vervollkommnung des Völkerrechts erkennen, der sehr viel schwerer wiegt, als
ein Dutzend Kongresse der Friedensgesellschaften und Haager Friedenskonfe¬
renzen. Und sehr charakteristisch ist dabei wieder die aristokratische Gestaltung
der modernen Staateilgesellschaft hervorgetreten. Von einer Teilnahme der
Staaten zweiten und dritten Rangs an den Verhandlung eil und Kämpfen war
dabei gar keine Rede, sie mochten mit ihren Interessen in China beteiligt sein,
oder nicht; Belgien, das seine allerdings sehr überflüssige Hilfe anbot, wurde
sogar einfach zurückgewiesen, die Großmächte allein nahmen die Sache in die
Hand und führten sie durch. Aber dabei traten zum erstenmal Japan und
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |