Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.vom mittelalterlichen Iudenrecht des Judentums im fränkischen Reiche darstellt (einiges davon haben wir in vom mittelalterlichen Iudenrecht des Judentums im fränkischen Reiche darstellt (einiges davon haben wir in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0138" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236662"/> <fw type="header" place="top"> vom mittelalterlichen Iudenrecht</fw><lb/> <p xml:id="ID_480" prev="#ID_479" next="#ID_481"> des Judentums im fränkischen Reiche darstellt (einiges davon haben wir in<lb/> dem Bericht über Nüblings Werk nach einem andern Geschichtschreiber S. 213<lb/> angeführt) wäre also ein Auszug mitzuteilen gewesen; Scherer jedoch entnimmt<lb/> ihr und andern Quellen jener Zeit nur abgerissene Notizen und verstreut sie<lb/> durch sein Buch (S, 63, 68. 142 bis 143,' 145, 160 bis 161, 252), sodaß<lb/> man kein Bild des ganzen Zustands bekommt; ein solches würde wahrscheinlich<lb/> zeigen, wie der bigotte aber immer geldbedürftige Ludwig durch unvernünftige<lb/> Begünstigung der Juden seinen Unterthanen den intensivsten Judenhaß ein¬<lb/> gepflanzt hat. Dasselbe haben dann unzählige christliche Fürsten gethan, wie<lb/> Scherer selbst beweist. Man lese und staune! Juden waren Münzmeister der<lb/> österreichischen Herzöge. Sie waren in Österreich gesetzlich weder vom Grund¬<lb/> besitz noch von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen. Sie waren von sehr lästigen<lb/> Naturalleistungen der übrigen Unterthanen befreit, z. B. von der Pflicht, den<lb/> Herzog, sein Gefolge, seine Abgesandten zu beherbergen und zu befördern.<lb/> Wenn bei einem Juden eine gestohlne Sache gefunden wird, so braucht er<lb/> bloß eidlich umzugehen, um welchen Preis er sie gekauft habe, und diesen<lb/> Preis erhält er bei der Herausgabe des Gegenstands zurückerstattet. Im<lb/> Prozeß sind die Juden nicht allein den Christen gleichgestellt, sondern vor<lb/> ihnen bevorzugt, indem es verboten ist, sie zum Gottesurteil der Feuerprobe,<lb/> des Kesselfnngs und der Wasserprobe anzuhalten und Zwangsmaßregeln wie<lb/> Prügel und Gefängnis, denen unfreie Christen unterworfen waren, gegen sie<lb/> anzuwenden. Streitigkeiten der Juden untereinander werden nnr von ihren<lb/> eignen Richtern geschlichtet. Als Pfand für Darlehen dürfen sie alles nehmen<lb/> mit Ausnahme von Kirchenkleinodien, „ungewundnem" Korn und Zeichen von<lb/> Verbrechen, z. B. blutigen Gewändern. Was den Zinsfuß betrifft, so ge¬<lb/> stattet das Privilegium des Herzogs Friedrich II. den Juden 173 Prozent!<lb/> Verwundet ein Christ einen Juden, so hat er dem Verwundeten 12 Mark in<lb/> Silber und die Heilungskosten, der herzoglichen Kammer 12 Mark in Gold<lb/> zu zahlen. Wenn ein Christ an eine Jüdin gewaltsam Hand anlegt, wird ihm<lb/> die Hand abgehauen. Wer die Judenschule bewirft, hat an den Judenrichter<lb/> zwei Talente zu zahlen. Wer einen Judenknaben entführt, wird als Dieb<lb/> bestraft. Die Strafe für Diebstahl, bemerkt Scherer dazu, war wahrscheinlich<lb/> der Tod. Für strafrechtliche Verhandlungen gegen Juden war der Platz vor<lb/> der Judenschnle die Gerichtsstätte. Am Sabbath und an jüdischen Feiertagen<lb/> darf nicht gegen einen Juden verhandelt, und darf ihm auch kein Pfand ab¬<lb/> gefordert werden. In einer Anzahl von Streitfüllen waren sogar die christ¬<lb/> lichen Bürger und Bauern dein Judenrichter unterworfen, und die Prälaten,<lb/> Pfarrer, Grafen, Ritter und Ritterknechte mußten 1447 ausdrücklich von der<lb/> Jurisdiktion des Judenrichters eximiert werden. Die Judengemeinden erfreuten<lb/> sich uneingeschränkter Selbstverwaltung und Gerichtsbarkeit für alle innern An¬<lb/> gelegenheiten, mir daß einem Juden, über den der Bann ausgesprochen war,<lb/> die Berufung an den Landesherrn freistand. (In Spanien haben die Syna-<lb/> gogengemeinden das Recht, Angeber hinrichten zu lassen, wofern der König<lb/> ihr Todesurteil bestätigt. In Kriminalsachen sind sie allerdings einem<lb/> Alkalden unterworfen, den sie aber selbst ans den Alkalden des Bezirks</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0138]
vom mittelalterlichen Iudenrecht
des Judentums im fränkischen Reiche darstellt (einiges davon haben wir in
dem Bericht über Nüblings Werk nach einem andern Geschichtschreiber S. 213
angeführt) wäre also ein Auszug mitzuteilen gewesen; Scherer jedoch entnimmt
ihr und andern Quellen jener Zeit nur abgerissene Notizen und verstreut sie
durch sein Buch (S, 63, 68. 142 bis 143,' 145, 160 bis 161, 252), sodaß
man kein Bild des ganzen Zustands bekommt; ein solches würde wahrscheinlich
zeigen, wie der bigotte aber immer geldbedürftige Ludwig durch unvernünftige
Begünstigung der Juden seinen Unterthanen den intensivsten Judenhaß ein¬
gepflanzt hat. Dasselbe haben dann unzählige christliche Fürsten gethan, wie
Scherer selbst beweist. Man lese und staune! Juden waren Münzmeister der
österreichischen Herzöge. Sie waren in Österreich gesetzlich weder vom Grund¬
besitz noch von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen. Sie waren von sehr lästigen
Naturalleistungen der übrigen Unterthanen befreit, z. B. von der Pflicht, den
Herzog, sein Gefolge, seine Abgesandten zu beherbergen und zu befördern.
Wenn bei einem Juden eine gestohlne Sache gefunden wird, so braucht er
bloß eidlich umzugehen, um welchen Preis er sie gekauft habe, und diesen
Preis erhält er bei der Herausgabe des Gegenstands zurückerstattet. Im
Prozeß sind die Juden nicht allein den Christen gleichgestellt, sondern vor
ihnen bevorzugt, indem es verboten ist, sie zum Gottesurteil der Feuerprobe,
des Kesselfnngs und der Wasserprobe anzuhalten und Zwangsmaßregeln wie
Prügel und Gefängnis, denen unfreie Christen unterworfen waren, gegen sie
anzuwenden. Streitigkeiten der Juden untereinander werden nnr von ihren
eignen Richtern geschlichtet. Als Pfand für Darlehen dürfen sie alles nehmen
mit Ausnahme von Kirchenkleinodien, „ungewundnem" Korn und Zeichen von
Verbrechen, z. B. blutigen Gewändern. Was den Zinsfuß betrifft, so ge¬
stattet das Privilegium des Herzogs Friedrich II. den Juden 173 Prozent!
Verwundet ein Christ einen Juden, so hat er dem Verwundeten 12 Mark in
Silber und die Heilungskosten, der herzoglichen Kammer 12 Mark in Gold
zu zahlen. Wenn ein Christ an eine Jüdin gewaltsam Hand anlegt, wird ihm
die Hand abgehauen. Wer die Judenschule bewirft, hat an den Judenrichter
zwei Talente zu zahlen. Wer einen Judenknaben entführt, wird als Dieb
bestraft. Die Strafe für Diebstahl, bemerkt Scherer dazu, war wahrscheinlich
der Tod. Für strafrechtliche Verhandlungen gegen Juden war der Platz vor
der Judenschnle die Gerichtsstätte. Am Sabbath und an jüdischen Feiertagen
darf nicht gegen einen Juden verhandelt, und darf ihm auch kein Pfand ab¬
gefordert werden. In einer Anzahl von Streitfüllen waren sogar die christ¬
lichen Bürger und Bauern dein Judenrichter unterworfen, und die Prälaten,
Pfarrer, Grafen, Ritter und Ritterknechte mußten 1447 ausdrücklich von der
Jurisdiktion des Judenrichters eximiert werden. Die Judengemeinden erfreuten
sich uneingeschränkter Selbstverwaltung und Gerichtsbarkeit für alle innern An¬
gelegenheiten, mir daß einem Juden, über den der Bann ausgesprochen war,
die Berufung an den Landesherrn freistand. (In Spanien haben die Syna-
gogengemeinden das Recht, Angeber hinrichten zu lassen, wofern der König
ihr Todesurteil bestätigt. In Kriminalsachen sind sie allerdings einem
Alkalden unterworfen, den sie aber selbst ans den Alkalden des Bezirks
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