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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Weihnachten vor Paris

Personal des Huhnschen Geschäfts schon verwickelt war oder sich noch verwickeln
konnte, er verstand kleine Kinder aufzuheben -- wir meinen nicht zu konservieren,
sondern in die Arme zu nehmen -- und zu tragen, ohne daß sie brüllten, er
wußte sechs probate Mittel gegen Kater und zwei für Lehrjungen, die überhaupt
oder zu starke Cigarren geraucht hatten, und er war in ein Mädchen, Fräulein
Hermine Lehmann verliebt, nicht weil sie einen schönen Busen und ein gewinnendes
Lächeln hatte -- beides hatte sie allerdings, aber es war nur in zweiter Reihe
von Einfluß gewesen --, sondern weil sie es zu Haus nicht gut hatte.

Ein Blinder sieht, daß Paul der junge Mann war, den unser Vater Huhu
als Begleiter mitnehmen mußte. Genug "Französch," einen Zuavcn vorzustellen, konnte
er zwar, so wenig am Ende dazu gehören mag, eigentlich auch nicht, aber auf der
Reise, die ja von der Grenze bis nach Paris von einer deutschen Etappe zur andern
ging, würde er Herrn Hahn vor jedem Unfall behüten, und wenn es in Paris
wirklich an Rock und Kragen ging, so war er der Mann, der junge Mann, sich für
seinen Prinzipal zu opfern, ihn zu retten, wie ohne Zweifel die heilige Genoveva Paris
gerettet hätte, wenn die Regiernngslollegen dem General Trochu erlaubt hätten, die
Patronin der Stadt durch eine Proklamation wirtlich bei der Ambition zu fassen.

Reisevorbereitungen haben in einem Hanse wie das Hahnsche notwendigerweise
viel mit Speise und Trank zu thun. Es wurden unglaubliche Mengen von Mund-
vorrat verstaut, ein Teil von Paris hätte mit den für Karl und dessen Umgebung
bestimmten Weihnachtsstollen verproviantiert werden können, Herr Hahn sank aus
einer Umarmung und aus einer tropfbar flüssigen Stärkung in die andre, die
halbe Stadt kam, um den Manu zu sehen, der in wenig Tagen als Vater, Bäcker
und Mensch vor Paris stehn würde, und mußte sich nach diesem erschütternden
Anblick rin Rosinenäpfelkuchen -- das war die Hahnsche Spezialität -- sowie mit
einigen Schoppen Schleier oder Roten für den Nachhauseweg stärken.

Auch Paul traf seine Vorbereitungen, Einkäufe, die, namentlich in der Apotheke
des Herrn Ridtel gemocht, in Heftpflaster, Verbandzeug und belebenden Reagentien
bestanden, oder sich auf Bindfaden, Stricke, Siegellack und Papier bei Herrn Lang,
ein Paar Pulswärmer bei Herrn Handschuhschmidt, ein Notizbuch bei Herrn Vödold
erstreckten. Während Herr Hahn für eine Nordpolexpcdition ausgerüstet war, schien
es, als handle es sich für Paul nur um eine kurze Fahrt im geheizten Coupe,
so summarisch hatte er sich mit dem bedacht, was zur Abhaltung der Kälte von
einem wenn auch noch so sehr mit Jugendwärme erfüllten Körper als erforderlich
gilt. Die Pulswärmer sollten seiner Idee nach ebensowohl die Füße als die Ohren
und den Leib verwahren. So war immer alles, was er that- er verfuhr, als wenn
es sein Beruf, seine Pflicht wäre, völlig ohne Ansprüche und Bedürfnisse zu
sein. Aber die brave Henne war nicht eine Frau, die so etwas hätte mit ansehen
können: er mußte wenigstens Karls langen Pelz mitnehmen und mit feierlichem
Eidschwur geloben, daß er ihn unter allen Umständen bei Nachtfahrten anziehn und
bei Tag über die Beine breiten wolle. Denke doch, Paul -- wir wissen nicht,
wie es eigentlich tum, aber alle Welt duzte ihn oder duzte sich mit ihm --, denke
doch, Paul, was aus meinem armen Maun werden sollte, wenn du "ihm" krank
würdest. Jetzt erst wurde es Paul klar, wie rücksichtslos und pflichtvergessen er
in seiner Vermessenheit das Wohl seines Prinzipals aufs Spiel zu setzen im Begriff
gewesen war. Und auch für Hermine mußte er sich warm halten. Daß andre Menschen
das, ein jeder um seiner selbst willen, thaten, fiel dem gute" Jungen nicht ein.

Aber Hermine, das war ja klar, die brauchte ihn zu Brote, denn was sollte
aus dem armen Mädchen werden, wenn er nicht da war, ihr zu helfen und sie
zu trösten? Ihr Vater, der sogenannte Schindelmüller -- jetzt war seine Mühle
mit Schiefer gedeckt,--, war ein Freund seiner verstorbnen Eltern gewesen und
hatte ihn vor sieben Jahren als niedlichen kleinen, ein wenig lähmenden Bäcker-


Grenzboten IV 1901 78
Weihnachten vor Paris

Personal des Huhnschen Geschäfts schon verwickelt war oder sich noch verwickeln
konnte, er verstand kleine Kinder aufzuheben — wir meinen nicht zu konservieren,
sondern in die Arme zu nehmen — und zu tragen, ohne daß sie brüllten, er
wußte sechs probate Mittel gegen Kater und zwei für Lehrjungen, die überhaupt
oder zu starke Cigarren geraucht hatten, und er war in ein Mädchen, Fräulein
Hermine Lehmann verliebt, nicht weil sie einen schönen Busen und ein gewinnendes
Lächeln hatte — beides hatte sie allerdings, aber es war nur in zweiter Reihe
von Einfluß gewesen —, sondern weil sie es zu Haus nicht gut hatte.

Ein Blinder sieht, daß Paul der junge Mann war, den unser Vater Huhu
als Begleiter mitnehmen mußte. Genug „Französch," einen Zuavcn vorzustellen, konnte
er zwar, so wenig am Ende dazu gehören mag, eigentlich auch nicht, aber auf der
Reise, die ja von der Grenze bis nach Paris von einer deutschen Etappe zur andern
ging, würde er Herrn Hahn vor jedem Unfall behüten, und wenn es in Paris
wirklich an Rock und Kragen ging, so war er der Mann, der junge Mann, sich für
seinen Prinzipal zu opfern, ihn zu retten, wie ohne Zweifel die heilige Genoveva Paris
gerettet hätte, wenn die Regiernngslollegen dem General Trochu erlaubt hätten, die
Patronin der Stadt durch eine Proklamation wirtlich bei der Ambition zu fassen.

Reisevorbereitungen haben in einem Hanse wie das Hahnsche notwendigerweise
viel mit Speise und Trank zu thun. Es wurden unglaubliche Mengen von Mund-
vorrat verstaut, ein Teil von Paris hätte mit den für Karl und dessen Umgebung
bestimmten Weihnachtsstollen verproviantiert werden können, Herr Hahn sank aus
einer Umarmung und aus einer tropfbar flüssigen Stärkung in die andre, die
halbe Stadt kam, um den Manu zu sehen, der in wenig Tagen als Vater, Bäcker
und Mensch vor Paris stehn würde, und mußte sich nach diesem erschütternden
Anblick rin Rosinenäpfelkuchen — das war die Hahnsche Spezialität — sowie mit
einigen Schoppen Schleier oder Roten für den Nachhauseweg stärken.

Auch Paul traf seine Vorbereitungen, Einkäufe, die, namentlich in der Apotheke
des Herrn Ridtel gemocht, in Heftpflaster, Verbandzeug und belebenden Reagentien
bestanden, oder sich auf Bindfaden, Stricke, Siegellack und Papier bei Herrn Lang,
ein Paar Pulswärmer bei Herrn Handschuhschmidt, ein Notizbuch bei Herrn Vödold
erstreckten. Während Herr Hahn für eine Nordpolexpcdition ausgerüstet war, schien
es, als handle es sich für Paul nur um eine kurze Fahrt im geheizten Coupe,
so summarisch hatte er sich mit dem bedacht, was zur Abhaltung der Kälte von
einem wenn auch noch so sehr mit Jugendwärme erfüllten Körper als erforderlich
gilt. Die Pulswärmer sollten seiner Idee nach ebensowohl die Füße als die Ohren
und den Leib verwahren. So war immer alles, was er that- er verfuhr, als wenn
es sein Beruf, seine Pflicht wäre, völlig ohne Ansprüche und Bedürfnisse zu
sein. Aber die brave Henne war nicht eine Frau, die so etwas hätte mit ansehen
können: er mußte wenigstens Karls langen Pelz mitnehmen und mit feierlichem
Eidschwur geloben, daß er ihn unter allen Umständen bei Nachtfahrten anziehn und
bei Tag über die Beine breiten wolle. Denke doch, Paul — wir wissen nicht,
wie es eigentlich tum, aber alle Welt duzte ihn oder duzte sich mit ihm —, denke
doch, Paul, was aus meinem armen Maun werden sollte, wenn du „ihm" krank
würdest. Jetzt erst wurde es Paul klar, wie rücksichtslos und pflichtvergessen er
in seiner Vermessenheit das Wohl seines Prinzipals aufs Spiel zu setzen im Begriff
gewesen war. Und auch für Hermine mußte er sich warm halten. Daß andre Menschen
das, ein jeder um seiner selbst willen, thaten, fiel dem gute» Jungen nicht ein.

Aber Hermine, das war ja klar, die brauchte ihn zu Brote, denn was sollte
aus dem armen Mädchen werden, wenn er nicht da war, ihr zu helfen und sie
zu trösten? Ihr Vater, der sogenannte Schindelmüller — jetzt war seine Mühle
mit Schiefer gedeckt,—, war ein Freund seiner verstorbnen Eltern gewesen und
hatte ihn vor sieben Jahren als niedlichen kleinen, ein wenig lähmenden Bäcker-


Grenzboten IV 1901 78
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[0625] Weihnachten vor Paris Personal des Huhnschen Geschäfts schon verwickelt war oder sich noch verwickeln konnte, er verstand kleine Kinder aufzuheben — wir meinen nicht zu konservieren, sondern in die Arme zu nehmen — und zu tragen, ohne daß sie brüllten, er wußte sechs probate Mittel gegen Kater und zwei für Lehrjungen, die überhaupt oder zu starke Cigarren geraucht hatten, und er war in ein Mädchen, Fräulein Hermine Lehmann verliebt, nicht weil sie einen schönen Busen und ein gewinnendes Lächeln hatte — beides hatte sie allerdings, aber es war nur in zweiter Reihe von Einfluß gewesen —, sondern weil sie es zu Haus nicht gut hatte. Ein Blinder sieht, daß Paul der junge Mann war, den unser Vater Huhu als Begleiter mitnehmen mußte. Genug „Französch," einen Zuavcn vorzustellen, konnte er zwar, so wenig am Ende dazu gehören mag, eigentlich auch nicht, aber auf der Reise, die ja von der Grenze bis nach Paris von einer deutschen Etappe zur andern ging, würde er Herrn Hahn vor jedem Unfall behüten, und wenn es in Paris wirklich an Rock und Kragen ging, so war er der Mann, der junge Mann, sich für seinen Prinzipal zu opfern, ihn zu retten, wie ohne Zweifel die heilige Genoveva Paris gerettet hätte, wenn die Regiernngslollegen dem General Trochu erlaubt hätten, die Patronin der Stadt durch eine Proklamation wirtlich bei der Ambition zu fassen. Reisevorbereitungen haben in einem Hanse wie das Hahnsche notwendigerweise viel mit Speise und Trank zu thun. Es wurden unglaubliche Mengen von Mund- vorrat verstaut, ein Teil von Paris hätte mit den für Karl und dessen Umgebung bestimmten Weihnachtsstollen verproviantiert werden können, Herr Hahn sank aus einer Umarmung und aus einer tropfbar flüssigen Stärkung in die andre, die halbe Stadt kam, um den Manu zu sehen, der in wenig Tagen als Vater, Bäcker und Mensch vor Paris stehn würde, und mußte sich nach diesem erschütternden Anblick rin Rosinenäpfelkuchen — das war die Hahnsche Spezialität — sowie mit einigen Schoppen Schleier oder Roten für den Nachhauseweg stärken. Auch Paul traf seine Vorbereitungen, Einkäufe, die, namentlich in der Apotheke des Herrn Ridtel gemocht, in Heftpflaster, Verbandzeug und belebenden Reagentien bestanden, oder sich auf Bindfaden, Stricke, Siegellack und Papier bei Herrn Lang, ein Paar Pulswärmer bei Herrn Handschuhschmidt, ein Notizbuch bei Herrn Vödold erstreckten. Während Herr Hahn für eine Nordpolexpcdition ausgerüstet war, schien es, als handle es sich für Paul nur um eine kurze Fahrt im geheizten Coupe, so summarisch hatte er sich mit dem bedacht, was zur Abhaltung der Kälte von einem wenn auch noch so sehr mit Jugendwärme erfüllten Körper als erforderlich gilt. Die Pulswärmer sollten seiner Idee nach ebensowohl die Füße als die Ohren und den Leib verwahren. So war immer alles, was er that- er verfuhr, als wenn es sein Beruf, seine Pflicht wäre, völlig ohne Ansprüche und Bedürfnisse zu sein. Aber die brave Henne war nicht eine Frau, die so etwas hätte mit ansehen können: er mußte wenigstens Karls langen Pelz mitnehmen und mit feierlichem Eidschwur geloben, daß er ihn unter allen Umständen bei Nachtfahrten anziehn und bei Tag über die Beine breiten wolle. Denke doch, Paul — wir wissen nicht, wie es eigentlich tum, aber alle Welt duzte ihn oder duzte sich mit ihm —, denke doch, Paul, was aus meinem armen Maun werden sollte, wenn du „ihm" krank würdest. Jetzt erst wurde es Paul klar, wie rücksichtslos und pflichtvergessen er in seiner Vermessenheit das Wohl seines Prinzipals aufs Spiel zu setzen im Begriff gewesen war. Und auch für Hermine mußte er sich warm halten. Daß andre Menschen das, ein jeder um seiner selbst willen, thaten, fiel dem gute» Jungen nicht ein. Aber Hermine, das war ja klar, die brauchte ihn zu Brote, denn was sollte aus dem armen Mädchen werden, wenn er nicht da war, ihr zu helfen und sie zu trösten? Ihr Vater, der sogenannte Schindelmüller — jetzt war seine Mühle mit Schiefer gedeckt,—, war ein Freund seiner verstorbnen Eltern gewesen und hatte ihn vor sieben Jahren als niedlichen kleinen, ein wenig lähmenden Bäcker- Grenzboten IV 1901 78

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/625>, abgerufen am 28.07.2024.