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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Der Ältere jüngere Lraimch

Pseudogrünewald gezeichnet! Wie kommt um trotzdem Cranachs Malerzeichen
auf die Bilder? An eine Fälschung, eine Täuschung ist doch nicht zu denken.
Sollte sich denn nicht vielleicht auch auf Gemälden, die dem Pseudo¬
grünewald zugeschrieben werden, die Crnnachsche Schlange finden? Nun, auf
deuen, die bisher nach allgemeiner Übereinstimmung für Werke des Pseudo¬
grünewald gegolten haben, allerdings nicht, wohl aber auf vielen, die bisher,
eben wegen der Schlange, für Werke Cranachs gegolten haben, obwohl sie
ganz pseudogrünewaldisch aussehen! "Und nun wird, es plötzlich klar: von den
Bildern, die Cranach selbst bis zu seinem funfzigsten Jahre gemalt und mit
seinem Zeichen versehen hat, führt keine Brücke zu diesen mit der Schlange
bezeichneten Bildern der zwanziger Jahre. Der Stil dieser Bilder entwickelt
sich unmittelbar aus dem der frühern Bilder des Pseudogrünewald, nicht
Cranachs. Die ganze spätere Cranachsche Kunst, so wie sie fast ausschließlich
durch die Bilder unsrer öffentlichen Sammlungen vertreten ist, steht eigentlich
unter dem Zeichen des Pseudogrünewald. Cranach und der Psendogrünewald
tauschen also ihre Rollen. Hieß es sonst: Der angebliche Pseudogrünewald ist
in seinen besten Werken kein andrer als Cranach, so muß es nun heißen: Der
Cranach, der aus einer Menge von bezeichneten Bildern der zwanziger und
der ersten dreißiger Jahre aller Welt bekannt ist, ist gar nicht Cranach, sondern
der namenlose Geselle des Meisters, der Pseudogrünewald, ans der Höhe seines
Schaffens." Wer ist er denn nun aber? fragen wir wieder. Wer außer
Cranach war befugt, das Wappentier des Meisters als Künstlerzeichen auf
seine Bilder zu setzen? Man hat immer angenommen, daß Cranach sein Zeichen
auch auf solche Bilder gesetzt habe, die in seiner Werkstatt entweder ganz oder
zum größten Teil von Gesellenhand ausgeführt worden sind; sie waren bei
ihm bestellt, und als seine Werke verließen sie die Werkstatt, auch wenn er
selbst wenig oder gar nichts daran gearbeitet hatte. Bei Gemälden wäre das
ja denkbar. Aber auch bei Holzschnitten? Wenn ein Holzschnitt ans der
ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts ein Zeichen trügt, so sind nur
zwei Fälle möglich: entweder es ist das Zeichen des Holzschneiders, oder es
ist das Zeichen des erfindenden Künstlers. Es ist völlig ausgeschlossen, daß
Cranach sein Zeichen auf einen Holzschnitt gesetzt hätte, den ein beliebiger
Schiller von ihm erfunden hatte. Ebenso ist es völlig ausgeschlossen, daß ein
beliebiger Schüler das Zeichen des Meisters verwandt habe, wenn er den Holz¬
schnitt als sein, des Schülers, geistiges Eigentum bezeichnen wollte. That es
der Pseudogrünewald, so muß er zur Führung des Zeichens ebenso befugt
gewesen sein, wie der Meister selbst. Und das war er denn auch. Denn, um
es endlich herauszusagen, der Pseudogrünewald bedient sich des Kttnstler-
zeichenS seines Meisters Cranach, weil es das Wappenbild der Familie Cranach
^se. er bedient sich seiner mit demselben Rechte, mit dein sich später Lukas
Danach der Jüngere, des Meisters jüngerer Sohn, seiner bedient hat, denn
^ Pseudogrünewald ist niemand anders als des Meisters älterer Sohn --
H""s Cranach!


Der Ältere jüngere Lraimch

Pseudogrünewald gezeichnet! Wie kommt um trotzdem Cranachs Malerzeichen
auf die Bilder? An eine Fälschung, eine Täuschung ist doch nicht zu denken.
Sollte sich denn nicht vielleicht auch auf Gemälden, die dem Pseudo¬
grünewald zugeschrieben werden, die Crnnachsche Schlange finden? Nun, auf
deuen, die bisher nach allgemeiner Übereinstimmung für Werke des Pseudo¬
grünewald gegolten haben, allerdings nicht, wohl aber auf vielen, die bisher,
eben wegen der Schlange, für Werke Cranachs gegolten haben, obwohl sie
ganz pseudogrünewaldisch aussehen! „Und nun wird, es plötzlich klar: von den
Bildern, die Cranach selbst bis zu seinem funfzigsten Jahre gemalt und mit
seinem Zeichen versehen hat, führt keine Brücke zu diesen mit der Schlange
bezeichneten Bildern der zwanziger Jahre. Der Stil dieser Bilder entwickelt
sich unmittelbar aus dem der frühern Bilder des Pseudogrünewald, nicht
Cranachs. Die ganze spätere Cranachsche Kunst, so wie sie fast ausschließlich
durch die Bilder unsrer öffentlichen Sammlungen vertreten ist, steht eigentlich
unter dem Zeichen des Pseudogrünewald. Cranach und der Psendogrünewald
tauschen also ihre Rollen. Hieß es sonst: Der angebliche Pseudogrünewald ist
in seinen besten Werken kein andrer als Cranach, so muß es nun heißen: Der
Cranach, der aus einer Menge von bezeichneten Bildern der zwanziger und
der ersten dreißiger Jahre aller Welt bekannt ist, ist gar nicht Cranach, sondern
der namenlose Geselle des Meisters, der Pseudogrünewald, ans der Höhe seines
Schaffens." Wer ist er denn nun aber? fragen wir wieder. Wer außer
Cranach war befugt, das Wappentier des Meisters als Künstlerzeichen auf
seine Bilder zu setzen? Man hat immer angenommen, daß Cranach sein Zeichen
auch auf solche Bilder gesetzt habe, die in seiner Werkstatt entweder ganz oder
zum größten Teil von Gesellenhand ausgeführt worden sind; sie waren bei
ihm bestellt, und als seine Werke verließen sie die Werkstatt, auch wenn er
selbst wenig oder gar nichts daran gearbeitet hatte. Bei Gemälden wäre das
ja denkbar. Aber auch bei Holzschnitten? Wenn ein Holzschnitt ans der
ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts ein Zeichen trügt, so sind nur
zwei Fälle möglich: entweder es ist das Zeichen des Holzschneiders, oder es
ist das Zeichen des erfindenden Künstlers. Es ist völlig ausgeschlossen, daß
Cranach sein Zeichen auf einen Holzschnitt gesetzt hätte, den ein beliebiger
Schiller von ihm erfunden hatte. Ebenso ist es völlig ausgeschlossen, daß ein
beliebiger Schüler das Zeichen des Meisters verwandt habe, wenn er den Holz¬
schnitt als sein, des Schülers, geistiges Eigentum bezeichnen wollte. That es
der Pseudogrünewald, so muß er zur Führung des Zeichens ebenso befugt
gewesen sein, wie der Meister selbst. Und das war er denn auch. Denn, um
es endlich herauszusagen, der Pseudogrünewald bedient sich des Kttnstler-
zeichenS seines Meisters Cranach, weil es das Wappenbild der Familie Cranach
^se. er bedient sich seiner mit demselben Rechte, mit dein sich später Lukas
Danach der Jüngere, des Meisters jüngerer Sohn, seiner bedient hat, denn
^ Pseudogrünewald ist niemand anders als des Meisters älterer Sohn —
H""s Cranach!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/51>, abgerufen am 29.07.2024.