Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.Golkwaldes schimmern das liebliche wein- und pfirsichbaucnde Diesbar und Bald hinter Hirschstein werden die Uferhöheu niedriger und verflachen Willkommen, o silberner Mond, lind welche Stille und Einsamkeit auf dem Schiffe um solche Stunde! Da In Riesa auf dem linken Elbufer wird die ländliche Stille für wenig Golkwaldes schimmern das liebliche wein- und pfirsichbaucnde Diesbar und Bald hinter Hirschstein werden die Uferhöheu niedriger und verflachen Willkommen, o silberner Mond, lind welche Stille und Einsamkeit auf dem Schiffe um solche Stunde! Da In Riesa auf dem linken Elbufer wird die ländliche Stille für wenig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0499" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236321"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1865" prev="#ID_1864"> Golkwaldes schimmern das liebliche wein- und pfirsichbaucnde Diesbar und<lb/> der vornehme Schloßbmi von Senßlitz herüber, etwas weiter abwärts erglänzt<lb/> auf einem mächtigen Felsen des linken Ufers die uralte Feste Hirschstein,' einst<lb/> eine starke Burg der Meißner Bischöfe, Eine dunkle Sage webt an die ge¬<lb/> waltigen Mauern: hier soll im Jahre 1291 der Markgraf Friedrich Tulla,<lb/> als er uach einer Jagd beim Bischof Withego rastete, von ihm mit vergifteten<lb/> Kirschen bewirtet und infolgedessen plötzlich verstorben sein. Er wurde in dem<lb/> gegenüberliegenden Senßlitz begraben, das damals eins der reichsten Jung-<lb/> frauenkloster Mitteldeutschlands war, von dem aber außer der Kirche kaum<lb/> eine Spur übrig geblieben ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1866"> Bald hinter Hirschstein werden die Uferhöheu niedriger und verflachen<lb/> schließlich ganz und gar. Von Boritz und Nünchritz an tritt langsam der<lb/> Typus der niederdeutschen Landschaft hervor: weitgedehnte grüne Wiesenflüchen<lb/> umgürten aus beiden Seiten den geräuschlos dahuizieheiiden Stroni; sie werden<lb/> durch einzelne Baumgruppen unterbrochen, die bis aufs Gras herab belaubt<lb/> siud. Über die grüne Fläche her erglänzt dann und wann das große Segel<lb/> eines Elbkahns oder eine weiße behäbige Windmühle wie in Holland; bei<lb/> Biegungen des Stromlaufs erscheint das Gewässer oft seeartig, ein Eindruck,<lb/> der noch verstärkt wird, wenn zufällig eine hoch mit Gras beladue Schaluppe,<lb/> von einen: kräftigen Weibe gerudert, an uns vorübergleitet; dann meint man<lb/> Wohl, an eine Bucht des Chiemsecs versetzt zu sein, Luft und Licht sind hier<lb/> und weiter abwärts, je mehr wir uns von der sächsischen Heimat entfernen,<lb/> von besonderm Reize, Die Ruß und Geruch verbreitende Großindustrie des<lb/> obern sächsischen Elbthals, die uns bis Meißen begleitete, liegt hinter uns,<lb/> und die Brust dehnt sich im Genuß der reinen, weichen Luft, die durch das<lb/> Wasser selbst an heißen Tagen in erträglicher Temperatur erhalten wird. Die<lb/> Lichtwirkungen siud am schönsten um Spätnachmittag und bei Beginn des<lb/> Sommerabends. Da ist die ganze Landschaft bald in goldnen, bald in blauen<lb/> oder violetten Duft gehüllt; dabei zieht ein würziger Brodem vom Hen der<lb/> nahen Wiesen oder von reifenden Getreide über das Verdeck; dann liegt die<lb/> untergehende Sonne wie eine rotflammende Riesensäule im Grunde des Stroms,<lb/> Und wenn gar erst der Vollmond heraufzieht und seine flimmernden Silber¬<lb/> scheiben geheimnisvoll auf das leise rauschende Kielwasser des Schiffs legt,<lb/> dann kannst du, schüuheitstrunkues Menschenkind, bei der sanften Musik und<lb/> dem sprühenden Tropfenregen der Räder hier an der sächsisch-preußischen Grenze<lb/> ebenso gut wie an den Rebengestaden von Bonn oder Koblenz mit Klopstock<lb/> schwärmen:</p><lb/> <quote> Willkommen, o silberner Mond,<lb/> Schöner, stiller Geführt der Nacht!<lb/> Du entfliesst? Eile nicht, bleib, Gcdnnkenfreund!<lb/> Sehet, er bleibt, das Gewölk wallte nur hin---</quote><lb/> <p xml:id="ID_1867"> lind welche Stille und Einsamkeit auf dem Schiffe um solche Stunde! Da<lb/> giebt es kein Schieben und Drängen eingepferchter Massen mit heulenden<lb/> Kindern, wie in der Nähe der Großstädte, sondern allein mit einigen beim<lb/> kehrenden Landleuten wanderst dn ungestört auf dem Deck hin und her, wenn<lb/> dn nicht gerade den Sonntag eines nahen Vogelschießens oder einer Kirmeß<lb/> zum Reisetag erwählt hast,</p><lb/> <p xml:id="ID_1868" next="#ID_1869"> In Riesa auf dem linken Elbufer wird die ländliche Stille für wenig<lb/> Minuten wieder durch stärkern Verkehr unterbrochen. Hier, an der Schwelle<lb/> des norddeutschen Flachlands, begrüßen wir das erste niederdeutsche Städtebild.<lb/> Gäbe es noch eine Hansa, Riesa mit seinem weitansladenden Wasserkuren und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0499]
Golkwaldes schimmern das liebliche wein- und pfirsichbaucnde Diesbar und
der vornehme Schloßbmi von Senßlitz herüber, etwas weiter abwärts erglänzt
auf einem mächtigen Felsen des linken Ufers die uralte Feste Hirschstein,' einst
eine starke Burg der Meißner Bischöfe, Eine dunkle Sage webt an die ge¬
waltigen Mauern: hier soll im Jahre 1291 der Markgraf Friedrich Tulla,
als er uach einer Jagd beim Bischof Withego rastete, von ihm mit vergifteten
Kirschen bewirtet und infolgedessen plötzlich verstorben sein. Er wurde in dem
gegenüberliegenden Senßlitz begraben, das damals eins der reichsten Jung-
frauenkloster Mitteldeutschlands war, von dem aber außer der Kirche kaum
eine Spur übrig geblieben ist.
Bald hinter Hirschstein werden die Uferhöheu niedriger und verflachen
schließlich ganz und gar. Von Boritz und Nünchritz an tritt langsam der
Typus der niederdeutschen Landschaft hervor: weitgedehnte grüne Wiesenflüchen
umgürten aus beiden Seiten den geräuschlos dahuizieheiiden Stroni; sie werden
durch einzelne Baumgruppen unterbrochen, die bis aufs Gras herab belaubt
siud. Über die grüne Fläche her erglänzt dann und wann das große Segel
eines Elbkahns oder eine weiße behäbige Windmühle wie in Holland; bei
Biegungen des Stromlaufs erscheint das Gewässer oft seeartig, ein Eindruck,
der noch verstärkt wird, wenn zufällig eine hoch mit Gras beladue Schaluppe,
von einen: kräftigen Weibe gerudert, an uns vorübergleitet; dann meint man
Wohl, an eine Bucht des Chiemsecs versetzt zu sein, Luft und Licht sind hier
und weiter abwärts, je mehr wir uns von der sächsischen Heimat entfernen,
von besonderm Reize, Die Ruß und Geruch verbreitende Großindustrie des
obern sächsischen Elbthals, die uns bis Meißen begleitete, liegt hinter uns,
und die Brust dehnt sich im Genuß der reinen, weichen Luft, die durch das
Wasser selbst an heißen Tagen in erträglicher Temperatur erhalten wird. Die
Lichtwirkungen siud am schönsten um Spätnachmittag und bei Beginn des
Sommerabends. Da ist die ganze Landschaft bald in goldnen, bald in blauen
oder violetten Duft gehüllt; dabei zieht ein würziger Brodem vom Hen der
nahen Wiesen oder von reifenden Getreide über das Verdeck; dann liegt die
untergehende Sonne wie eine rotflammende Riesensäule im Grunde des Stroms,
Und wenn gar erst der Vollmond heraufzieht und seine flimmernden Silber¬
scheiben geheimnisvoll auf das leise rauschende Kielwasser des Schiffs legt,
dann kannst du, schüuheitstrunkues Menschenkind, bei der sanften Musik und
dem sprühenden Tropfenregen der Räder hier an der sächsisch-preußischen Grenze
ebenso gut wie an den Rebengestaden von Bonn oder Koblenz mit Klopstock
schwärmen:
Willkommen, o silberner Mond,
Schöner, stiller Geführt der Nacht!
Du entfliesst? Eile nicht, bleib, Gcdnnkenfreund!
Sehet, er bleibt, das Gewölk wallte nur hin---
lind welche Stille und Einsamkeit auf dem Schiffe um solche Stunde! Da
giebt es kein Schieben und Drängen eingepferchter Massen mit heulenden
Kindern, wie in der Nähe der Großstädte, sondern allein mit einigen beim
kehrenden Landleuten wanderst dn ungestört auf dem Deck hin und her, wenn
dn nicht gerade den Sonntag eines nahen Vogelschießens oder einer Kirmeß
zum Reisetag erwählt hast,
In Riesa auf dem linken Elbufer wird die ländliche Stille für wenig
Minuten wieder durch stärkern Verkehr unterbrochen. Hier, an der Schwelle
des norddeutschen Flachlands, begrüßen wir das erste niederdeutsche Städtebild.
Gäbe es noch eine Hansa, Riesa mit seinem weitansladenden Wasserkuren und
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |