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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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habe vorzugsweise die in reichstem Wechsel landschaftlicher Formation anf¬
ragenden Uferberge des böhmischen Mittelgebirgs von Leitmeritz bis Tetschen
im Auge, deren natürliche Reize durch die mannigfaltigsten Formen des An¬
baus und der Besiedlung noch erhöht werden. Wer diese wunderbaren
Szenerien bei guter Beleuchtung auf dem behaglichen Elbdmupfer durchfahren
hat, oder wer einmal an einem schönen Frühlingsmorgen vom Gipfel der
Hohen Wvstroh oder im flirrenden Lichte des Mittags von der Dubitzer Kapelle
bei Salesl oder bei den violetten Schatten des Sommernbeuds von der Ruine
Kameik ans die Elblaudschaft niedergeschaut hat, der wird unvergeßliche Ein¬
drucke davon bewahren: eS liegt manchmal ein italienischer Zauber auf dieser
Landschaft, oft wähnte ich mich in die Sabiner- oder Volskerberge versetzt.

Auch die Elbfahrt von Dresden nach Meißen kommt immer mehr in
Aufnahme. Den einen locken dabei die Ausblicke auf das weinbergumränderte
Villenmeer, das sich auf dem rechten Elbufer nunmehr schon bis über Coswig
stromabwärts zieht, den andern die sanftgeschwungnen wiesen- und wnldbedeckten
Höhen, die den Strom anf dem linken Ufer begleiten, den dritten die schon
bei Schloß Scharfenberg in der Ferne auftauchende Silhouette des Meißner
Doms und der Albrechtsburg und die feinen Linien der bacchusgesegneten
Sparberge. Aber über Meißen hinaus dringt nnr höchst selten ein Fremd¬
ling auf der Elbe vor. Mau meint, daß aller Neiz einer Elbfahrt mit den
Giebeln und Türmen der alten Markgrafenstadt versinke. Aber diese weit¬
verbreitete Meinung ist, wie so viele andre, nichts als ein Vorurteil. Uns
soll es nicht kümmern; wohlgemut besteigen wir am Nachmittag eines sonnigen
Sommertags in Meißen den Dampfer zu weiterer Thalfahrt hinunter bis zur
Grenze unsers menschenwimmelndeu Sachsens und darüber hinaus in alt¬
sächsisches, jetzt preußisches Land; auch da giebt es liebliche Landschaftsbilder
und Schauplätze einer tausendjährigen, reichbewegter Geschichte.
"

Kaum hat der Dampfer die "Kuorre, eine unterhalb Meißens quer
durch das Strombett liegende, für die Schiffahrt gefährliche Granitbarre,
passiert, so winkt links aus Nußbaum- und Pappelwipfeln die einzige noch
nngeborstne Wand der romanischen Kirche des ehemaligen Klarissinnenklosters
"Zum heiligem .Kreuz," dessen übrige Bautrümmer zwischen Gcirtcnanlagen
versteckt liegen. Dann folgt eine Uferlandschaft etwa desselben Charakters wie
die zwischen Scharfenberg und Meißen: liebliche Auen zu beiden Seiten,
darüber stattliche Höhenzüge, teils felsig, teils bewaldet, am Eingange der
Seitenthäler wohlhäbige Dörfer mit schlanken Kirchtürmen; vom Fuße des


Bcrgterrain mit hervorragenden Fclshörnern in abgestumpfter konischer Form oder lnburinthisches
Thal, mauergerade aufsteigender Sandstein, viereckte, rundlich abgewaschne Quadern, wecken-
oder sackartig übereinandergctürmt. Das steht oft in solchen Spitzen, in so schmalen Wänden
einzeln, gesondert in die Lüfte, das; man kaum begreift, wie es nicht längst hat zusammenstürzen
müssen. In Zacken springt es vor, in Thoren und Schwibbögen, hat es sich übergebaut; einzelne
Stücke sind zu Thale gestürzt. Darüberhin wuchern Moos, Farnkraut, Geblisch: darunter
rauschen, springen, zerschiwmen wüste Waldbäche. Neben diesem Felsgeripp schauderhafte Ab¬
gründe, mit der düstern Tanne und Fichte besetzt, deren schwarze Nadel die Melancholie der
Szene vermehrt. Nirgends etwas Heiteres und Liebliches, die Natur bei aller Größe wegen
der stumpfen Form matt/' Bon der Bastei schreibt Jmmcrmnnn: "Es ist etwas Außerordent¬
liches, aber nichts Schönes, und wenn man es einmal gesehen, hat man eS genug wie alle
starken Effekte" (Reisejournal it, Brief 10). Noch vor dreißig Jahren hätten wohl wenige diese
Urteile Immermanns unterschrieben, neuerdings aber geben Tausende den sanften, beruhigenden
Linien der erzgebirgischen Wnldberge den Vorzug vor der felsigen "Romantik" des obern Elb-
thals; ja auch die grüne Ebne des norddeutschen Flachlands und die braune Heide begeistert
nicht nur die Worpsweder Maler, sondern zahlreiche Wandrer. So unterliegt auch die Wert¬
schätzung der Landschaft dem Zeitgeschmack und der Mode.

habe vorzugsweise die in reichstem Wechsel landschaftlicher Formation anf¬
ragenden Uferberge des böhmischen Mittelgebirgs von Leitmeritz bis Tetschen
im Auge, deren natürliche Reize durch die mannigfaltigsten Formen des An¬
baus und der Besiedlung noch erhöht werden. Wer diese wunderbaren
Szenerien bei guter Beleuchtung auf dem behaglichen Elbdmupfer durchfahren
hat, oder wer einmal an einem schönen Frühlingsmorgen vom Gipfel der
Hohen Wvstroh oder im flirrenden Lichte des Mittags von der Dubitzer Kapelle
bei Salesl oder bei den violetten Schatten des Sommernbeuds von der Ruine
Kameik ans die Elblaudschaft niedergeschaut hat, der wird unvergeßliche Ein¬
drucke davon bewahren: eS liegt manchmal ein italienischer Zauber auf dieser
Landschaft, oft wähnte ich mich in die Sabiner- oder Volskerberge versetzt.

Auch die Elbfahrt von Dresden nach Meißen kommt immer mehr in
Aufnahme. Den einen locken dabei die Ausblicke auf das weinbergumränderte
Villenmeer, das sich auf dem rechten Elbufer nunmehr schon bis über Coswig
stromabwärts zieht, den andern die sanftgeschwungnen wiesen- und wnldbedeckten
Höhen, die den Strom anf dem linken Ufer begleiten, den dritten die schon
bei Schloß Scharfenberg in der Ferne auftauchende Silhouette des Meißner
Doms und der Albrechtsburg und die feinen Linien der bacchusgesegneten
Sparberge. Aber über Meißen hinaus dringt nnr höchst selten ein Fremd¬
ling auf der Elbe vor. Mau meint, daß aller Neiz einer Elbfahrt mit den
Giebeln und Türmen der alten Markgrafenstadt versinke. Aber diese weit¬
verbreitete Meinung ist, wie so viele andre, nichts als ein Vorurteil. Uns
soll es nicht kümmern; wohlgemut besteigen wir am Nachmittag eines sonnigen
Sommertags in Meißen den Dampfer zu weiterer Thalfahrt hinunter bis zur
Grenze unsers menschenwimmelndeu Sachsens und darüber hinaus in alt¬
sächsisches, jetzt preußisches Land; auch da giebt es liebliche Landschaftsbilder
und Schauplätze einer tausendjährigen, reichbewegter Geschichte.
"

Kaum hat der Dampfer die „Kuorre, eine unterhalb Meißens quer
durch das Strombett liegende, für die Schiffahrt gefährliche Granitbarre,
passiert, so winkt links aus Nußbaum- und Pappelwipfeln die einzige noch
nngeborstne Wand der romanischen Kirche des ehemaligen Klarissinnenklosters
„Zum heiligem .Kreuz," dessen übrige Bautrümmer zwischen Gcirtcnanlagen
versteckt liegen. Dann folgt eine Uferlandschaft etwa desselben Charakters wie
die zwischen Scharfenberg und Meißen: liebliche Auen zu beiden Seiten,
darüber stattliche Höhenzüge, teils felsig, teils bewaldet, am Eingange der
Seitenthäler wohlhäbige Dörfer mit schlanken Kirchtürmen; vom Fuße des


Bcrgterrain mit hervorragenden Fclshörnern in abgestumpfter konischer Form oder lnburinthisches
Thal, mauergerade aufsteigender Sandstein, viereckte, rundlich abgewaschne Quadern, wecken-
oder sackartig übereinandergctürmt. Das steht oft in solchen Spitzen, in so schmalen Wänden
einzeln, gesondert in die Lüfte, das; man kaum begreift, wie es nicht längst hat zusammenstürzen
müssen. In Zacken springt es vor, in Thoren und Schwibbögen, hat es sich übergebaut; einzelne
Stücke sind zu Thale gestürzt. Darüberhin wuchern Moos, Farnkraut, Geblisch: darunter
rauschen, springen, zerschiwmen wüste Waldbäche. Neben diesem Felsgeripp schauderhafte Ab¬
gründe, mit der düstern Tanne und Fichte besetzt, deren schwarze Nadel die Melancholie der
Szene vermehrt. Nirgends etwas Heiteres und Liebliches, die Natur bei aller Größe wegen
der stumpfen Form matt/' Bon der Bastei schreibt Jmmcrmnnn: „Es ist etwas Außerordent¬
liches, aber nichts Schönes, und wenn man es einmal gesehen, hat man eS genug wie alle
starken Effekte" (Reisejournal it, Brief 10). Noch vor dreißig Jahren hätten wohl wenige diese
Urteile Immermanns unterschrieben, neuerdings aber geben Tausende den sanften, beruhigenden
Linien der erzgebirgischen Wnldberge den Vorzug vor der felsigen „Romantik" des obern Elb-
thals; ja auch die grüne Ebne des norddeutschen Flachlands und die braune Heide begeistert
nicht nur die Worpsweder Maler, sondern zahlreiche Wandrer. So unterliegt auch die Wert¬
schätzung der Landschaft dem Zeitgeschmack und der Mode.
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[0498] habe vorzugsweise die in reichstem Wechsel landschaftlicher Formation anf¬ ragenden Uferberge des böhmischen Mittelgebirgs von Leitmeritz bis Tetschen im Auge, deren natürliche Reize durch die mannigfaltigsten Formen des An¬ baus und der Besiedlung noch erhöht werden. Wer diese wunderbaren Szenerien bei guter Beleuchtung auf dem behaglichen Elbdmupfer durchfahren hat, oder wer einmal an einem schönen Frühlingsmorgen vom Gipfel der Hohen Wvstroh oder im flirrenden Lichte des Mittags von der Dubitzer Kapelle bei Salesl oder bei den violetten Schatten des Sommernbeuds von der Ruine Kameik ans die Elblaudschaft niedergeschaut hat, der wird unvergeßliche Ein¬ drucke davon bewahren: eS liegt manchmal ein italienischer Zauber auf dieser Landschaft, oft wähnte ich mich in die Sabiner- oder Volskerberge versetzt. Auch die Elbfahrt von Dresden nach Meißen kommt immer mehr in Aufnahme. Den einen locken dabei die Ausblicke auf das weinbergumränderte Villenmeer, das sich auf dem rechten Elbufer nunmehr schon bis über Coswig stromabwärts zieht, den andern die sanftgeschwungnen wiesen- und wnldbedeckten Höhen, die den Strom anf dem linken Ufer begleiten, den dritten die schon bei Schloß Scharfenberg in der Ferne auftauchende Silhouette des Meißner Doms und der Albrechtsburg und die feinen Linien der bacchusgesegneten Sparberge. Aber über Meißen hinaus dringt nnr höchst selten ein Fremd¬ ling auf der Elbe vor. Mau meint, daß aller Neiz einer Elbfahrt mit den Giebeln und Türmen der alten Markgrafenstadt versinke. Aber diese weit¬ verbreitete Meinung ist, wie so viele andre, nichts als ein Vorurteil. Uns soll es nicht kümmern; wohlgemut besteigen wir am Nachmittag eines sonnigen Sommertags in Meißen den Dampfer zu weiterer Thalfahrt hinunter bis zur Grenze unsers menschenwimmelndeu Sachsens und darüber hinaus in alt¬ sächsisches, jetzt preußisches Land; auch da giebt es liebliche Landschaftsbilder und Schauplätze einer tausendjährigen, reichbewegter Geschichte. " Kaum hat der Dampfer die „Kuorre, eine unterhalb Meißens quer durch das Strombett liegende, für die Schiffahrt gefährliche Granitbarre, passiert, so winkt links aus Nußbaum- und Pappelwipfeln die einzige noch nngeborstne Wand der romanischen Kirche des ehemaligen Klarissinnenklosters „Zum heiligem .Kreuz," dessen übrige Bautrümmer zwischen Gcirtcnanlagen versteckt liegen. Dann folgt eine Uferlandschaft etwa desselben Charakters wie die zwischen Scharfenberg und Meißen: liebliche Auen zu beiden Seiten, darüber stattliche Höhenzüge, teils felsig, teils bewaldet, am Eingange der Seitenthäler wohlhäbige Dörfer mit schlanken Kirchtürmen; vom Fuße des Bcrgterrain mit hervorragenden Fclshörnern in abgestumpfter konischer Form oder lnburinthisches Thal, mauergerade aufsteigender Sandstein, viereckte, rundlich abgewaschne Quadern, wecken- oder sackartig übereinandergctürmt. Das steht oft in solchen Spitzen, in so schmalen Wänden einzeln, gesondert in die Lüfte, das; man kaum begreift, wie es nicht längst hat zusammenstürzen müssen. In Zacken springt es vor, in Thoren und Schwibbögen, hat es sich übergebaut; einzelne Stücke sind zu Thale gestürzt. Darüberhin wuchern Moos, Farnkraut, Geblisch: darunter rauschen, springen, zerschiwmen wüste Waldbäche. Neben diesem Felsgeripp schauderhafte Ab¬ gründe, mit der düstern Tanne und Fichte besetzt, deren schwarze Nadel die Melancholie der Szene vermehrt. Nirgends etwas Heiteres und Liebliches, die Natur bei aller Größe wegen der stumpfen Form matt/' Bon der Bastei schreibt Jmmcrmnnn: „Es ist etwas Außerordent¬ liches, aber nichts Schönes, und wenn man es einmal gesehen, hat man eS genug wie alle starken Effekte" (Reisejournal it, Brief 10). Noch vor dreißig Jahren hätten wohl wenige diese Urteile Immermanns unterschrieben, neuerdings aber geben Tausende den sanften, beruhigenden Linien der erzgebirgischen Wnldberge den Vorzug vor der felsigen „Romantik" des obern Elb- thals; ja auch die grüne Ebne des norddeutschen Flachlands und die braune Heide begeistert nicht nur die Worpsweder Maler, sondern zahlreiche Wandrer. So unterliegt auch die Wert¬ schätzung der Landschaft dem Zeitgeschmack und der Mode.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/498>, abgerufen am 01.09.2024.