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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Böcklin

der Figuren auch da, wo es der Gegenstand gar nicht mit sich bringt, natürlich,
und wer kann, auch wo das der Fall ist, mit seiner noch nicht trainierten
Phantasie irgend etwas z. B, aus einer "Muse des Anakreon" oder einer
"Melancholia" machen?

Und nun ferner die formalen Eindrucke, die Linienwirkung, das Dekorative,
ans das alles in diesen Erörterungen immer wieder hingewiesen wird. Wenn
hier der Adept manchesmal zweifelnd seine eigne Empfindung fragt, wenn er
zu äußern sich unterfängt, ob nicht z. B. die fünfmal ausgeführte Insel der
Toten eigentlich ein hohes Format gefordert Hütte, so wird ihm höchstens von
oben der Bescheid: Das verstehst du uoch nicht. Ein "Böcklin und das Monu¬
mentale" überschriebnes Kapitel schüttet einen ganzen Häuser kurzer Lehrsätze
und Befehle aus im Tone eines "Du sollst und mußt glauben." Das Monu¬
mentale muß dekorativ sein; Böcklin ist, seit er für Schock gemalt hat, immer
mehr Mvnumentalmaler geworden; die Kunst muß immer dekorativ sein; das
Gegenteil hat uns die Renaissance gelehrt, in deren geistiger Gefolgschaft wir
noch marschieren; sie brachte die Ateliermalerei, da liegt die Wurzel aller
Mißverständnisse, aller Dekadenee usw. Aber was soll uns noch weiter solche
Dogmatik?

Renaissance und Dekadenee! Als ob Böcklins eigne Kunst denn ohne
die Renaissance hätte werden können und ohne sie, wenn man aufrichtig sein
Null, heute auch nur verstanden werden könnte. Paßt nicht sein Spott auf
den Bildhauer Hildebrand, den "Hellenisten in Renaissaneesauee," auch auf
ihn selbst, ochsen Menschenfiguren für den unbefangnen Blick großenteils vom
Italienischen aus und von der Renaisfaneegewöhnung her sich zum klassischen
Altertum und sogar -- Beispiele in Menge -- zum reinen, strengen Griechisch
der alten Vasenbildzeichner zurückgefunden zu haben scheinen? Noch mehr,
wenn jemand sagte, ihm käme Böcklin in der Wirkung manchmal klassizistisch
und archäologisierend vor, der hätte noch nicht so unrecht wie die, die da alles
an ihm natürlich und notwendig finden wollen. Sich selbst und was mau
um meisten liebt, wer stellt sich denn überhaupt das einmal sachlich und ganz
kalt vor Allgen?

Allerlei anzügliche Anspielungen bei Floerke haben uns schon ahnen
lassen, daß sich sein Meister in den Jahren jener Gespräche über seine Her¬
kunft nicht völlig klar, daß er gegen seine Vorfahren -- ja gewiß, das sind
die Renaissanceonkel -- mehr als billig verstimmt gewesen sein muß. Aber
so deutlich, wie er in einzelnen Stunden hat werden können, weil" er sich
ganz ausließ, das hätte sich doch niemand vorgestellt, bis er an dieses über¬
raschende Kapitel in Floerkes Buche kommt. "Nein, dieser Kerl, wie heißt er
doch -- der Signorelli, etwas talentloseres habe ich nie gesehen; ich habe
mich vergebens gefragt, warum um Gottes willen der Kerl das alles gemacht,
wie er das nusgehalteu hat. Nichts hat der Kerl zu sagen, keinerlei künstle¬
rische Gedanken malerischer oder plastischer Art, keinerlei Frende an irgend
etwas, nicht einmal am Können, nichts von Komposition oder Anatomie,


Böcklin

der Figuren auch da, wo es der Gegenstand gar nicht mit sich bringt, natürlich,
und wer kann, auch wo das der Fall ist, mit seiner noch nicht trainierten
Phantasie irgend etwas z. B, aus einer „Muse des Anakreon" oder einer
„Melancholia" machen?

Und nun ferner die formalen Eindrucke, die Linienwirkung, das Dekorative,
ans das alles in diesen Erörterungen immer wieder hingewiesen wird. Wenn
hier der Adept manchesmal zweifelnd seine eigne Empfindung fragt, wenn er
zu äußern sich unterfängt, ob nicht z. B. die fünfmal ausgeführte Insel der
Toten eigentlich ein hohes Format gefordert Hütte, so wird ihm höchstens von
oben der Bescheid: Das verstehst du uoch nicht. Ein „Böcklin und das Monu¬
mentale" überschriebnes Kapitel schüttet einen ganzen Häuser kurzer Lehrsätze
und Befehle aus im Tone eines „Du sollst und mußt glauben." Das Monu¬
mentale muß dekorativ sein; Böcklin ist, seit er für Schock gemalt hat, immer
mehr Mvnumentalmaler geworden; die Kunst muß immer dekorativ sein; das
Gegenteil hat uns die Renaissance gelehrt, in deren geistiger Gefolgschaft wir
noch marschieren; sie brachte die Ateliermalerei, da liegt die Wurzel aller
Mißverständnisse, aller Dekadenee usw. Aber was soll uns noch weiter solche
Dogmatik?

Renaissance und Dekadenee! Als ob Böcklins eigne Kunst denn ohne
die Renaissance hätte werden können und ohne sie, wenn man aufrichtig sein
Null, heute auch nur verstanden werden könnte. Paßt nicht sein Spott auf
den Bildhauer Hildebrand, den „Hellenisten in Renaissaneesauee," auch auf
ihn selbst, ochsen Menschenfiguren für den unbefangnen Blick großenteils vom
Italienischen aus und von der Renaisfaneegewöhnung her sich zum klassischen
Altertum und sogar — Beispiele in Menge — zum reinen, strengen Griechisch
der alten Vasenbildzeichner zurückgefunden zu haben scheinen? Noch mehr,
wenn jemand sagte, ihm käme Böcklin in der Wirkung manchmal klassizistisch
und archäologisierend vor, der hätte noch nicht so unrecht wie die, die da alles
an ihm natürlich und notwendig finden wollen. Sich selbst und was mau
um meisten liebt, wer stellt sich denn überhaupt das einmal sachlich und ganz
kalt vor Allgen?

Allerlei anzügliche Anspielungen bei Floerke haben uns schon ahnen
lassen, daß sich sein Meister in den Jahren jener Gespräche über seine Her¬
kunft nicht völlig klar, daß er gegen seine Vorfahren — ja gewiß, das sind
die Renaissanceonkel — mehr als billig verstimmt gewesen sein muß. Aber
so deutlich, wie er in einzelnen Stunden hat werden können, weil» er sich
ganz ausließ, das hätte sich doch niemand vorgestellt, bis er an dieses über¬
raschende Kapitel in Floerkes Buche kommt. „Nein, dieser Kerl, wie heißt er
doch — der Signorelli, etwas talentloseres habe ich nie gesehen; ich habe
mich vergebens gefragt, warum um Gottes willen der Kerl das alles gemacht,
wie er das nusgehalteu hat. Nichts hat der Kerl zu sagen, keinerlei künstle¬
rische Gedanken malerischer oder plastischer Art, keinerlei Frende an irgend
etwas, nicht einmal am Können, nichts von Komposition oder Anatomie,


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[0493] Böcklin der Figuren auch da, wo es der Gegenstand gar nicht mit sich bringt, natürlich, und wer kann, auch wo das der Fall ist, mit seiner noch nicht trainierten Phantasie irgend etwas z. B, aus einer „Muse des Anakreon" oder einer „Melancholia" machen? Und nun ferner die formalen Eindrucke, die Linienwirkung, das Dekorative, ans das alles in diesen Erörterungen immer wieder hingewiesen wird. Wenn hier der Adept manchesmal zweifelnd seine eigne Empfindung fragt, wenn er zu äußern sich unterfängt, ob nicht z. B. die fünfmal ausgeführte Insel der Toten eigentlich ein hohes Format gefordert Hütte, so wird ihm höchstens von oben der Bescheid: Das verstehst du uoch nicht. Ein „Böcklin und das Monu¬ mentale" überschriebnes Kapitel schüttet einen ganzen Häuser kurzer Lehrsätze und Befehle aus im Tone eines „Du sollst und mußt glauben." Das Monu¬ mentale muß dekorativ sein; Böcklin ist, seit er für Schock gemalt hat, immer mehr Mvnumentalmaler geworden; die Kunst muß immer dekorativ sein; das Gegenteil hat uns die Renaissance gelehrt, in deren geistiger Gefolgschaft wir noch marschieren; sie brachte die Ateliermalerei, da liegt die Wurzel aller Mißverständnisse, aller Dekadenee usw. Aber was soll uns noch weiter solche Dogmatik? Renaissance und Dekadenee! Als ob Böcklins eigne Kunst denn ohne die Renaissance hätte werden können und ohne sie, wenn man aufrichtig sein Null, heute auch nur verstanden werden könnte. Paßt nicht sein Spott auf den Bildhauer Hildebrand, den „Hellenisten in Renaissaneesauee," auch auf ihn selbst, ochsen Menschenfiguren für den unbefangnen Blick großenteils vom Italienischen aus und von der Renaisfaneegewöhnung her sich zum klassischen Altertum und sogar — Beispiele in Menge — zum reinen, strengen Griechisch der alten Vasenbildzeichner zurückgefunden zu haben scheinen? Noch mehr, wenn jemand sagte, ihm käme Böcklin in der Wirkung manchmal klassizistisch und archäologisierend vor, der hätte noch nicht so unrecht wie die, die da alles an ihm natürlich und notwendig finden wollen. Sich selbst und was mau um meisten liebt, wer stellt sich denn überhaupt das einmal sachlich und ganz kalt vor Allgen? Allerlei anzügliche Anspielungen bei Floerke haben uns schon ahnen lassen, daß sich sein Meister in den Jahren jener Gespräche über seine Her¬ kunft nicht völlig klar, daß er gegen seine Vorfahren — ja gewiß, das sind die Renaissanceonkel — mehr als billig verstimmt gewesen sein muß. Aber so deutlich, wie er in einzelnen Stunden hat werden können, weil» er sich ganz ausließ, das hätte sich doch niemand vorgestellt, bis er an dieses über¬ raschende Kapitel in Floerkes Buche kommt. „Nein, dieser Kerl, wie heißt er doch — der Signorelli, etwas talentloseres habe ich nie gesehen; ich habe mich vergebens gefragt, warum um Gottes willen der Kerl das alles gemacht, wie er das nusgehalteu hat. Nichts hat der Kerl zu sagen, keinerlei künstle¬ rische Gedanken malerischer oder plastischer Art, keinerlei Frende an irgend etwas, nicht einmal am Können, nichts von Komposition oder Anatomie,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/493>, abgerufen am 01.09.2024.