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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Böcklin

Böcklin ebenfalls für einen großen Farbenkünstler halten, ist hier nebensächlich,
dn der Leser nicht unsre Meinung, sondern ein Buch kennen lernen will:
Floerke ist überkritisch und ablehnend, wo es sich nicht um Böcklin handelt,
diesen: gegenüber aber kritiklos, bis zur Unzurechnungsfähigkeit.

Auf die Frage, was Böcklin nulle, würde mit Floerke am kürzesten zu
antworten sein: Sich selbst oder sein Eignes, Erlebtes. Was er nicht malen
will: Erbauliches, historische Erzählung, Patriotismus, Genre, Bildnis, ist
ebenfalls bald aufgezählt. Das sind die Teile, in die die Theorie der Schul¬
meister die Kunst zerschlägt, er selbst schafft nur Ganzes, und auch wo es be¬
stimmte Dinge zu sein scheinen, etwas sehr viel allgemeineres, die Sache schlechthin.
Floerke giebt sich bei seiner Skizzierung von Böcklins künstlerischem Charakter
und seiner Entwicklung die größte Mühe, mit immer neuen Wendungen her¬
vorzuheben, daß man ja nicht auf den einzelnen Gegenstand zu sehr acht geben
solle, wie er zu erklären sei; der Künstler Hütte ja geradesogut einen andern
bringen können. Nur darauf komme es an, wie er mit seiner Darstellung
wirken wolle, mit seiner eignen Empfindung ans andre Menschen, und das sei
romantisch; im übrigen entwickle er sich vom Poeten (womit hier einer gemeint
zu sein scheint, der immerhin noch etwas Substantielles wenigstens erfindet)
allmählich zum reinen Maler, wobei wir aber nicht etwa denken dürfen, daß
diesem nun die Farbe Zweck geworden wäre, denn das galt ihm ja, wie wir
früher gesehen haben, für Unsinn. Floerke spricht in diesem Zusammenhang
von den durchaus malerischen Anschauungen, denen allein jetzt Böcklins Phantasie
gehorche, und die er im Bewußtsein seiner Mittel zu malerischen Vorstellungen
zusanunengeschlossen habe, während er für die frühere Stufe Böcklins die Ent¬
stehung des Bildes aus dem Subjektiven lehren zu wollen scheint. Dann heißt
es auch wieder, er habe immer etwas zu erzählen (also jene Nomantikcr-
ucigung!), aber das sei uur in sogenannte Handlung übersetzte Stimmung der
Natur, die er belausche, er wolle damit nur seine künstlerische Natnrbclebung
verdeutlichen. Auf der spätern Stufe, der malerischen also, sei alles ruhiger,
klarer und bei zunehmender Einfachheit sprechender geworden. Wenn nur diese
Deduktionen auch klarer wären! Greifbar ist eigentlich doch nur, daß Böcklin
ein hervorragender Farbenkünstlcr war, sagen wir sogar mit Floerke: der be¬
wußteste und konsequenteste Farbcnrechner seit den großen Tagen der nnab-
geblaßten Malerei, und daß man ihn mehr als alle andern einen Phantasie¬
künstler nennen kann, wie man ihn ja auch öfter in der letzten Zeit hat
bezeichnen hören. Ob nun aber diese ganze Rechnung, auch die in Formen und
Linien, für den Betrachtenden herauskommt und so zu ihm spricht, wie sie der
Künstler beabsichtigte, das ist eine andre Frage. Was sollen z. B. auf manchen
Bildern diese kalten und leeren Architekturen oder die glatten Ruinen und
Felsen mit ihren monoton ausgeschnittner Umrissen dem sagen, der nicht zu
der Böcklingemeinde gehört und vertrauensvoll denkt: die Wissens droben!
Wie reich an herrlich erfundnen Sachen, die ohne weiteres wirken, sind da die
verachteten Neuaissaneeleutc! Oder wer findet bei Böcklin das starke Antikisieren


Böcklin

Böcklin ebenfalls für einen großen Farbenkünstler halten, ist hier nebensächlich,
dn der Leser nicht unsre Meinung, sondern ein Buch kennen lernen will:
Floerke ist überkritisch und ablehnend, wo es sich nicht um Böcklin handelt,
diesen: gegenüber aber kritiklos, bis zur Unzurechnungsfähigkeit.

Auf die Frage, was Böcklin nulle, würde mit Floerke am kürzesten zu
antworten sein: Sich selbst oder sein Eignes, Erlebtes. Was er nicht malen
will: Erbauliches, historische Erzählung, Patriotismus, Genre, Bildnis, ist
ebenfalls bald aufgezählt. Das sind die Teile, in die die Theorie der Schul¬
meister die Kunst zerschlägt, er selbst schafft nur Ganzes, und auch wo es be¬
stimmte Dinge zu sein scheinen, etwas sehr viel allgemeineres, die Sache schlechthin.
Floerke giebt sich bei seiner Skizzierung von Böcklins künstlerischem Charakter
und seiner Entwicklung die größte Mühe, mit immer neuen Wendungen her¬
vorzuheben, daß man ja nicht auf den einzelnen Gegenstand zu sehr acht geben
solle, wie er zu erklären sei; der Künstler Hütte ja geradesogut einen andern
bringen können. Nur darauf komme es an, wie er mit seiner Darstellung
wirken wolle, mit seiner eignen Empfindung ans andre Menschen, und das sei
romantisch; im übrigen entwickle er sich vom Poeten (womit hier einer gemeint
zu sein scheint, der immerhin noch etwas Substantielles wenigstens erfindet)
allmählich zum reinen Maler, wobei wir aber nicht etwa denken dürfen, daß
diesem nun die Farbe Zweck geworden wäre, denn das galt ihm ja, wie wir
früher gesehen haben, für Unsinn. Floerke spricht in diesem Zusammenhang
von den durchaus malerischen Anschauungen, denen allein jetzt Böcklins Phantasie
gehorche, und die er im Bewußtsein seiner Mittel zu malerischen Vorstellungen
zusanunengeschlossen habe, während er für die frühere Stufe Böcklins die Ent¬
stehung des Bildes aus dem Subjektiven lehren zu wollen scheint. Dann heißt
es auch wieder, er habe immer etwas zu erzählen (also jene Nomantikcr-
ucigung!), aber das sei uur in sogenannte Handlung übersetzte Stimmung der
Natur, die er belausche, er wolle damit nur seine künstlerische Natnrbclebung
verdeutlichen. Auf der spätern Stufe, der malerischen also, sei alles ruhiger,
klarer und bei zunehmender Einfachheit sprechender geworden. Wenn nur diese
Deduktionen auch klarer wären! Greifbar ist eigentlich doch nur, daß Böcklin
ein hervorragender Farbenkünstlcr war, sagen wir sogar mit Floerke: der be¬
wußteste und konsequenteste Farbcnrechner seit den großen Tagen der nnab-
geblaßten Malerei, und daß man ihn mehr als alle andern einen Phantasie¬
künstler nennen kann, wie man ihn ja auch öfter in der letzten Zeit hat
bezeichnen hören. Ob nun aber diese ganze Rechnung, auch die in Formen und
Linien, für den Betrachtenden herauskommt und so zu ihm spricht, wie sie der
Künstler beabsichtigte, das ist eine andre Frage. Was sollen z. B. auf manchen
Bildern diese kalten und leeren Architekturen oder die glatten Ruinen und
Felsen mit ihren monoton ausgeschnittner Umrissen dem sagen, der nicht zu
der Böcklingemeinde gehört und vertrauensvoll denkt: die Wissens droben!
Wie reich an herrlich erfundnen Sachen, die ohne weiteres wirken, sind da die
verachteten Neuaissaneeleutc! Oder wer findet bei Böcklin das starke Antikisieren


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[0492] Böcklin Böcklin ebenfalls für einen großen Farbenkünstler halten, ist hier nebensächlich, dn der Leser nicht unsre Meinung, sondern ein Buch kennen lernen will: Floerke ist überkritisch und ablehnend, wo es sich nicht um Böcklin handelt, diesen: gegenüber aber kritiklos, bis zur Unzurechnungsfähigkeit. Auf die Frage, was Böcklin nulle, würde mit Floerke am kürzesten zu antworten sein: Sich selbst oder sein Eignes, Erlebtes. Was er nicht malen will: Erbauliches, historische Erzählung, Patriotismus, Genre, Bildnis, ist ebenfalls bald aufgezählt. Das sind die Teile, in die die Theorie der Schul¬ meister die Kunst zerschlägt, er selbst schafft nur Ganzes, und auch wo es be¬ stimmte Dinge zu sein scheinen, etwas sehr viel allgemeineres, die Sache schlechthin. Floerke giebt sich bei seiner Skizzierung von Böcklins künstlerischem Charakter und seiner Entwicklung die größte Mühe, mit immer neuen Wendungen her¬ vorzuheben, daß man ja nicht auf den einzelnen Gegenstand zu sehr acht geben solle, wie er zu erklären sei; der Künstler Hütte ja geradesogut einen andern bringen können. Nur darauf komme es an, wie er mit seiner Darstellung wirken wolle, mit seiner eignen Empfindung ans andre Menschen, und das sei romantisch; im übrigen entwickle er sich vom Poeten (womit hier einer gemeint zu sein scheint, der immerhin noch etwas Substantielles wenigstens erfindet) allmählich zum reinen Maler, wobei wir aber nicht etwa denken dürfen, daß diesem nun die Farbe Zweck geworden wäre, denn das galt ihm ja, wie wir früher gesehen haben, für Unsinn. Floerke spricht in diesem Zusammenhang von den durchaus malerischen Anschauungen, denen allein jetzt Böcklins Phantasie gehorche, und die er im Bewußtsein seiner Mittel zu malerischen Vorstellungen zusanunengeschlossen habe, während er für die frühere Stufe Böcklins die Ent¬ stehung des Bildes aus dem Subjektiven lehren zu wollen scheint. Dann heißt es auch wieder, er habe immer etwas zu erzählen (also jene Nomantikcr- ucigung!), aber das sei uur in sogenannte Handlung übersetzte Stimmung der Natur, die er belausche, er wolle damit nur seine künstlerische Natnrbclebung verdeutlichen. Auf der spätern Stufe, der malerischen also, sei alles ruhiger, klarer und bei zunehmender Einfachheit sprechender geworden. Wenn nur diese Deduktionen auch klarer wären! Greifbar ist eigentlich doch nur, daß Böcklin ein hervorragender Farbenkünstlcr war, sagen wir sogar mit Floerke: der be¬ wußteste und konsequenteste Farbcnrechner seit den großen Tagen der nnab- geblaßten Malerei, und daß man ihn mehr als alle andern einen Phantasie¬ künstler nennen kann, wie man ihn ja auch öfter in der letzten Zeit hat bezeichnen hören. Ob nun aber diese ganze Rechnung, auch die in Formen und Linien, für den Betrachtenden herauskommt und so zu ihm spricht, wie sie der Künstler beabsichtigte, das ist eine andre Frage. Was sollen z. B. auf manchen Bildern diese kalten und leeren Architekturen oder die glatten Ruinen und Felsen mit ihren monoton ausgeschnittner Umrissen dem sagen, der nicht zu der Böcklingemeinde gehört und vertrauensvoll denkt: die Wissens droben! Wie reich an herrlich erfundnen Sachen, die ohne weiteres wirken, sind da die verachteten Neuaissaneeleutc! Oder wer findet bei Böcklin das starke Antikisieren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/492>, abgerufen am 01.09.2024.