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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Böcklin

Schein abmale, sei nachher im Atelier hilflos. Man müsse das Ding aus
dem Gedächtnis malen können und ganz in der Vorstellung haben wie ein im
Kopfe ausgerechnetes Exempel. "Wenn die Natur zwischen höchster Helligkeit
und tiefster Dunkelheit für das menschliche Ange eine von 1 bis 100 ange-
nommne Skala hat, so habe ich auf meiner Palette etwa eine von 45 bis 55,
mein Mittel ist also 50, an das ich mich halten muß, wenn ich für Licht und
Schatten ausreichen will." Schon darum könne man nicht nach der Natur
malen, weil man da immer zu hoch griffe und nachher nichts mehr auszu¬
geben hätte, also die Wirklichkeit erst recht nicht erreichte. Die Natur, die die
Meuge sieht, wollte Böcklin ja überhaupt nicht, und wenn ihm die Schreier
nach Naturwahrheit Versehen vorwarfen, z. B. zu kurze Gliedmaßen eines
Fabeltiers oder ein fehlendes Ohr, konnte er ihnen sagen: Wissen Sie denn,
ob ein solches Wesen nicht anch mit solchen Gliedmaßen leben kann? oder:
Es soll ja nur schreien und den Mund aufreißen, weiter nichts; Hütte es noch
ein Ohr, so guckten die Meuscheu dahin, und das würde dem Munde verloren
gehn. Floerke findet auch den wie einen Rührlöffel in die Schulter gesteckten
Arm einer Flora ganz zweckentsprechend, weil er an dieser Stelle ja nur diese
eine Bewegung zu machen habe, und er meint, die ganze einsichtige Kritik
habe trotz allem Böcklins ungeheure Natnruähe anerkannt. "Er lügt nicht,
und wenn er lügt, ist es erst recht richtig!" Und wie ein hübsches Märchen
voller Natur sei, so hätten seine Gestalten die Realität des Märchens, ihre
eigne Phantasielvgik und keinerlei Erfahrnngslogik oder Beobachtungslüge
(gutes Wort!). An einer andern Stelle läßt er ihn selbst sagen, er könne
keine präzisen Umrisse machen und ziehe sich darum wissentlich auf rein male¬
rische Wirkungen zurück, auf vage Vorstellungen aus dein Kreise dessen, was
ihn beschäftige.

Das führt auf die Art seiner Zeichnung. Die ganze realistische, er¬
müdende Ausführlichkeit, lehrt Floerke, sei Unsinn, und er beruft sich dafür
auf die Karikaturen Oberlnnders, denen schon wenige Striche den Ausdruck der
volle" Wirklichkeit gäben und jedes Mehr an Zeichnung nur schaden würde, sonne
auf die Japaner und die Chinesen, die ans drei Federn und etwas Draht
einen ganzen Vogel machten, der viel mehr Vogel sei als alles, was die müh¬
selige, an allem als gleichwertig klebende Imitation der Europäer zu Wege
brächte. Aber mit dieser Weisheit thut er seinem. Meister doch keine große
Ehre an, denn das ist eine billige Kunst: es ist allbekannt, daß Skizzen leichter
lebendig wirken, und daß mit dein Ausführen erst die Schwierigkeit für den
Künstler beginnt, sagt schon ein uralter, auf den Bildhauer Polyklet zurück¬
geführter Spruch.

In einen: besondern kleinen Kapitel: Was ist Zeichnen? führt Floerke zu
Gunsten seines Meisters ans, daß Zeichnen und Komponieren Schulmeister¬
begriffe seien, beides liege implicite in jeder richtigen Malerei; Böcklin zeichne
wie ein Maler und nicht wie ein Zeichenlehrer, der Umrisse mache. Oder ist
das kein Zeichnen, wenn er alles, was er von der Form haben will, an seine


Böcklin

Schein abmale, sei nachher im Atelier hilflos. Man müsse das Ding aus
dem Gedächtnis malen können und ganz in der Vorstellung haben wie ein im
Kopfe ausgerechnetes Exempel. „Wenn die Natur zwischen höchster Helligkeit
und tiefster Dunkelheit für das menschliche Ange eine von 1 bis 100 ange-
nommne Skala hat, so habe ich auf meiner Palette etwa eine von 45 bis 55,
mein Mittel ist also 50, an das ich mich halten muß, wenn ich für Licht und
Schatten ausreichen will." Schon darum könne man nicht nach der Natur
malen, weil man da immer zu hoch griffe und nachher nichts mehr auszu¬
geben hätte, also die Wirklichkeit erst recht nicht erreichte. Die Natur, die die
Meuge sieht, wollte Böcklin ja überhaupt nicht, und wenn ihm die Schreier
nach Naturwahrheit Versehen vorwarfen, z. B. zu kurze Gliedmaßen eines
Fabeltiers oder ein fehlendes Ohr, konnte er ihnen sagen: Wissen Sie denn,
ob ein solches Wesen nicht anch mit solchen Gliedmaßen leben kann? oder:
Es soll ja nur schreien und den Mund aufreißen, weiter nichts; Hütte es noch
ein Ohr, so guckten die Meuscheu dahin, und das würde dem Munde verloren
gehn. Floerke findet auch den wie einen Rührlöffel in die Schulter gesteckten
Arm einer Flora ganz zweckentsprechend, weil er an dieser Stelle ja nur diese
eine Bewegung zu machen habe, und er meint, die ganze einsichtige Kritik
habe trotz allem Böcklins ungeheure Natnruähe anerkannt. „Er lügt nicht,
und wenn er lügt, ist es erst recht richtig!" Und wie ein hübsches Märchen
voller Natur sei, so hätten seine Gestalten die Realität des Märchens, ihre
eigne Phantasielvgik und keinerlei Erfahrnngslogik oder Beobachtungslüge
(gutes Wort!). An einer andern Stelle läßt er ihn selbst sagen, er könne
keine präzisen Umrisse machen und ziehe sich darum wissentlich auf rein male¬
rische Wirkungen zurück, auf vage Vorstellungen aus dein Kreise dessen, was
ihn beschäftige.

Das führt auf die Art seiner Zeichnung. Die ganze realistische, er¬
müdende Ausführlichkeit, lehrt Floerke, sei Unsinn, und er beruft sich dafür
auf die Karikaturen Oberlnnders, denen schon wenige Striche den Ausdruck der
volle» Wirklichkeit gäben und jedes Mehr an Zeichnung nur schaden würde, sonne
auf die Japaner und die Chinesen, die ans drei Federn und etwas Draht
einen ganzen Vogel machten, der viel mehr Vogel sei als alles, was die müh¬
selige, an allem als gleichwertig klebende Imitation der Europäer zu Wege
brächte. Aber mit dieser Weisheit thut er seinem. Meister doch keine große
Ehre an, denn das ist eine billige Kunst: es ist allbekannt, daß Skizzen leichter
lebendig wirken, und daß mit dein Ausführen erst die Schwierigkeit für den
Künstler beginnt, sagt schon ein uralter, auf den Bildhauer Polyklet zurück¬
geführter Spruch.

In einen: besondern kleinen Kapitel: Was ist Zeichnen? führt Floerke zu
Gunsten seines Meisters ans, daß Zeichnen und Komponieren Schulmeister¬
begriffe seien, beides liege implicite in jeder richtigen Malerei; Böcklin zeichne
wie ein Maler und nicht wie ein Zeichenlehrer, der Umrisse mache. Oder ist
das kein Zeichnen, wenn er alles, was er von der Form haben will, an seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/487>, abgerufen am 01.09.2024.